Читать книгу Im Zentrum der Verschwörer: Die Seherin von Paris 6 - Alfred Bekker - Страница 5

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Kardinal Francesco Cagliarini zeigte sich höchst zufrieden mit der Entwicklung. Trotz gewisser Fehlschläge, die er durchaus von vornherein bereits einkalkuliert hatte, waren all seine Pläne geradezu prächtig gediehen.

Als Anführer des Geheimordens der „Ritter Christi“, im Grunde genommen hervorgegangen aus dem verbotenen Templerorden, hatte er Möglichkeiten erschaffen, die alle Vorstellungen Uneingeweihter bei Weitem übertrafen. Ohne jemals persönlich in Erscheinung treten zu müssen.

Und Kardinal Francesco Cagliarini war längst davon überzeugt, dass seine Macht deutlich weiter reichte, als die Macht eines Papstes wie Innozenz XI. jemals hätte reichen können. Immerhin hatte er etwas vollbracht, was dem Papst mit seiner überaus feindseligen Haltung Frankreich gegenüber niemals gelungen wäre: Er hatte König Ludwig XIV. tatsächlich davon überzeugen können, an seinem eigenen Hof das Exorzisten-Kolleg des Vatikans tätig werden zu lassen.

Mit großem Erfolg, wie der Kardinal meinte. Obwohl ihm zu Ohren gekommen war, dass inzwischen das Kolleg beim König nachhaltig in Ungnade gefallen war. Dieser hatte sogar eine Abordnung entsandt, um beim Vatikan offiziell Beschwerde darüber einzulegen.

Da Papst Innozenz XI. sowieso mit völlig anderen Dingen ganz und gar beschäftigt war, hatte es dem Kardinal mit Leichtigkeit gelingen können, die Abordnung abzufangen und das Ganze für den Papst unbemerkt bleiben zu lassen. Ja, der Papst wusste noch nicht einmal, dass es am Hofe Frankreichs überhaupt ein Exorzisten-Kolleg gab, das ganz im Sinne des Kardinals handelte und keineswegs im Sinne dessen, was der Papst selber vertat.

Dieser hatte sich ja seit seiner Amtsübernahme zum obersten Ziel gesetzt, das Christentum gegen alle Gewalten zu verteidigen. Dabei sah er leider nur mehr die Gewalten, die von außen das Christentum bedrohten. Wie beispielsweise die immer wieder aufmarschierenden türkischen Armeen, die ja nicht zum ersten Mal versucht hatten, Wien einzunehmen und darüber hinaus ganz Österreich. Um sich letztendlich von dort aus nach und nach über Europa ergießen zu können.

Diesmal war es erneut gelungen, die Türken in ihre Schranken zu verweisen beziehungsweise sie blutig zurückzudrängen.

Für wie lange?

Niemand wusste ja zu diesem Zeitpunkt, dass es erst im September 1683 zur alles entscheidenden Schlacht gegen die Türken kommen würde. Praktisch an derselben Stelle wie dieses Mal, aber noch blutiger und vor allem noch entscheidender.

So nachhaltig entscheidend zumindest, dass die Türken niemals wieder Interesse daran bekommen würden, auf diesem Wege Europa erobern zu wollen, um es vom Christentum zu befreien, wie sie meinten.

Auch der Kardinal ahnte noch nichts von diesem in naher Zukunft noch stattfindenden Großereignis, das ausgerechnet ihm selbst am meisten dienen würde – ihm und seinen Plänen. Während er die ansonsten alles entscheidenden Fäden längst in beiden Händen hielt.

Als Bedrohung aus dem Innern wohlgemerkt, mit Zentrum in unmittelbarer Nähe eines Papstes, der davon noch nicht einmal etwas zu ahnen vermochte, während er alle Gefahren stets nur von außen kommen sah.

Der Kardinal hatte aus seinem Schatten heraus im Verlauf der vergangenen Jahre ein Netz gewoben, das unzerreißbar geworden war. Außer, wenn die türkischen Heerscharen es geschafft hätten zu siegen, was sie nach Lage der Dinge dank Papst Innozenz XI. niemals schaffen würden.

Ein Netz aus Intrigen, Versprechungen, aber auch von brutaler Gewalt und tödlichem Terror. Dort zumindest, wo es nach Meinung „Seiner Schwarzen Eminenz“ Kardinal Francesco Cagliarini unumgänglich wurde.

Es war jetzt abzusehen, dass sein besonderer Schützling Monsignore Rafaelo Santorini, den nicht etwa der Papst zum Führer des Kollegs gemacht hatte, sondern natürlich der Kardinal höchstpersönlich, alsbald des Hofes von Frankreich verwiesen werden würde mitsamt seinen Exorzisten. Allerdings war das für den Kardinal nicht im Geringsten eine Niederlage, sondern ganz im Gegenteil: Das hatte er von vornherein mit einkalkuliert. Aus diesem Grund allein durfte der Monsignore alle Mittel einsetzen, die ihm angebracht erschienen. Um in Wahrheit vom eigentlichen Ziel abzulenken, von dem niemand etwas ahnte, außer eben den ganz wenigen Eingeweihten.

Die wichtigste Eingeweihte dabei war eine Frau, die sich Madame de Maintenon nannte. Während sich das Exorzisten-Kolleg durch sein rigides Vorgehen einen üblen Ruf verschafft hatte am Hofe Frankreichs, war es gelungen, sie immer näher an König Ludwig XIV. heranzubringen. Inzwischen so nah, dass sie bevorzugte Mätresse des Königs werden konnte.

Es war der Beginn des eigentlichen Sieges über die Gunst des Königs. Um etwas zu erreichen, was vordem sogar Madame de Montespan nicht hatte gelingen können. Zumal sie auf dem Höhepunkt ihres Scheiterns für immer vom Hofe verbannt worden war.

Nein, Madame de Maintenon würde bedeutend erfolgreicher werden. Weil sie viel geschickter vorging. Immerhin mit einer Macht hinter sich, die der Kardinal als Schwarze Eminenz verkörperte und die unvergleichbar geworden war.

Ja, er durfte zufrieden sein, denn sogar die lästigen Störenfriede, die es ja immer wieder mal geben musste, hatten im Grunde genommen, ohne es selbst auch nur zu ahnen, in seinem Sinne gehandelt.

Am Beispiel von Priester Etienne Guibourg: Er hatte sich allzu sehr zum blinden Fanatiker entwickelt, vor allem, nachdem er gezwungenermaßen in den Untergrund gegangen war. Seine Schwarzen Messen hatten überhandgenommen, was ihn mehr und mehr zu einem Risiko hatte werden lassen.

Ein Problem allerdings, das inzwischen ja nicht mehr bestand, ganz ohne das Eingreifen des Kardinals oder eines seiner blindloyalen Getreuen. Das hatte ein gewisser Robert de Malboné viel besser lösen können. Nachdem Guibourg den Fehler gemacht hatte, dessen Geliebte zu entführen, um sie während der nächsten Messe Satan zu opfern.

Als hätte dies Guibourg überhaupt mehr Macht verleihen können ... Nicht nur, dass dies ganz und gar gegen die erklärten Absichten des Kardinals verlaufen wäre, es hätte nur unnötig ein Menschenleben wie das jener Comtesse Marie de Chambourac gekostet. Denn niemand vermochte es mehr, die Gunst Satans für sich selbst zu beanspruchen. Weil ein ganz Bestimmter all jenen schon sehr lange zuvor gekommen war. In einem Maße, die jenseits jeglicher Vorstellungskraft lag:

Kardinal Francesco Cagliarini höchst persönlich!

Ja, er allein hatte die Gunst Satans erhalten. Er allein hatte es geschafft, mit ihm den ewigen Pakt zu schließen, damit Satan mittels der sterblichen Erscheinungsform des Kardinals auf Erden jene Macht erlangte, die ihm bislang verwehrt geblieben war.

Ausgerechnet eben über einen der höchsten Würdenträger des Vatikans, der sich somit mächtiger dünken durfte, als es der Papst selbst je hätte werden können.

Und dennoch in Deckung bleibend, im Schatten des Papstes, um aus diesem Schatten heraus sein wahrlich satanisches Werk zu vollenden.

Was ihm unweigerlich eine gewisse Unsterblichkeit verleihen würde, wie vom Satan verbindlich zugesagt. Zumindest jedoch eine Lebensspanne, die deutlich über die jedes normalen Menschen lag.

Jedenfalls war Kardinal Francesco Cagliarini vollkommen überzeugt davon, dass es genauso war. Obwohl beispielsweise ein gewisser Robert de Malboné als sogenannter Aufgeklärter darüber höchstens erschüttert den Kopf geschüttelt hätte – erschüttert ob so viel Wahnsinn eines einzelnen Menschen.

Obwohl er dennoch nicht hätte leugnen können, dass die Macht des Kardinals in der Tat alle bislang denkbaren Grenzen sprengte.

Denn Kardinal Francesco Cagliarini war nicht nur der selbsterklärte Avatar des Leibhaftigen auf Erden, sondern als Schwarze Eminenz der heimliche Anführer auch des Circle Rufucale, des Zirkels also der gefürchteten okkulten Verschwörer.

Obwohl es einem Unbedarften wie ein Widerspruch erscheinen mochte, war er doch gleichzeitig der Anführer der „Ritter Christi“. Aber es war ja gerade das, was die wahren Satanisten auszeichnete: Sie kehrten das christliche Prinzip ganz einfach um.

Was im Falle des Kardinals hieß: Er repräsentierte offiziell die Macht des christlichen Glaubens nach katholischer Prägung und zelebrierte dabei lediglich die Macht des größten Widersachers des christlichen Gottes in der Vorstellung aller Gläubigen: Eben die Macht des Teufels.

So beteten seine Anhänger in Wahrheit niemals Gott an, sondern eben den Teufel, um ihn um Beistand zu bitten, was seinen Einfluss auf Erden endgültig und entscheidend mehrte.

Egal, ob sie nun meinten, zugehörig zu sein dem Orden der Ritter Christi oder des Circle Rufucale oder Exorzisten waren aus dem Exorzisten-Kolleg, für das nur offiziell Monsignore Rafaelo Santorini zuständig war, gewissermaßen als Marionette des eigentlichen Drahtziehers Kardinal Cagliarini.

Kein Wunder mithin, dass Kardinal Francesco Cagliarini sich derzeit so zufrieden zeigte, ja, nachgerade euphorisch sogar.

Im Zentrum der Verschwörer: Die Seherin von Paris 6

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