Читать книгу Schön und ermordet: Zwei Kriminalromane - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 9

II

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Dieter Nelles blieb ruhig auf dem breiten Bett liegen, als er hörte, wie ein Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür gesteckt wurde. Nur seine Rechte glitt unter die Tagesdecke und zog den Revolver darunter hervor.

Zwischen den angezogenen Knien her zielte er auf die Zimmertür, die langsam in den Raum schwang.

Bernd Makowski blieb in der Tür stehen. Sein ausdrucksloses Gesicht vermochte den Ärger, den er bei Nelles' Anblick empfand, nur unvollkommen zu verbergen. Nelles' Schuhsohlen hatten große schmutzige Abdrücke auf der neuen Tagesdecke hinterlassen.

»Du versaust mir das Bett«, sagte er.

Ohne die auf ihn gerichtete Waffe zu beachten, machte er einen Schritt in das Zimmer hinein, in dem es durchdringend nach frischer Farbe roch.

Nelles zog mit dem Daumen den Hammer zurück, und Makowski blieb wieder stehen. Seine Nasenlöcher blähten sich unter stoßweisen Atemzügen.

Makowski besaß die perfekte Athletenfigur. Seit Heinen, der Hai, ihn zu seinem Vertrauten gemacht hatte, hüllte er die breiten Schultern und die kräftigen Arme in gut geschnittene Sakkos und bei gegebenem Anlass auch in feine Nadelstreifenjacketts. Seinen Spitznamen, Bernd, der Macker, hatte er längst abgelegt, obwohl er nach wie vor dem alten Gewerbe nachging, wenn auch auf einem höheren Niveau als vor zwei, drei Jahren, als seine Hühner noch am Hans-Albers-Platz an der Mauer standen.

»Woher weißt du von dieser Wohnung?«, fragte er.

Nelles grinste Makowski über den Revolverlauf hinweg tückisch an. »Ich habe Freunde auf dem Kiez«, sagte er. »Hast du daran nicht gedacht?«

»Was willst du damit sagen?«

»Bin ich abgeschrieben?« Lauernd sah Nelles den anderen von unten herauf an.

»Wie kommst du darauf?«

»Weil mich jemand linken wollte.«

»Was du dir einbildest! Jemand hat dich erkannt, wie du dich da unten rumgetrieben hast ...«

Makowski verstummte, als Nelles sich jäh im Bett aufrichtete. Nelles' schmaler, scharfer Mund verzerrte sich.

»Jemand hat mir die schärfsten Bullen auf den Hals gehetzt, die auf dem Kiez rumlaufen! Willst du mir erzählen, dass das Zufall war? Bekomme ich keinen Schutz mehr vom Boss, nach allem, was ich für ihn getan habe?«

»Sei vernünftig«, sagte Makowski. »Steck erst mal die Kanone weg!«

»Wo ist deine?«

Makowski schlug sein Jackett zurück und griff mit der linken Hand hinter sich, um die flache Pistole aus der Gürtelhalfter zu ziehen. Er legte sie auf die zierliche Kommode vor dem Fenster.

Nelles steckte den Revolver ein und rollte vom Bett, wobei er darauf achtete, Makowski nicht zu nahe zu kommen.

»Na, was war mit dem Schutz?«, fragte Nelles herausfordernd. »Wieso funktioniert der ausgerechnet bei mir nicht? Zwei Tage nach der Sache mit Adolphi ...«

»Sei still!«, befahl Makowski scharf.

»Schon gut, schon gut!« Nelles lachte. »Ein Glück, dass mich dieses rote Reklamelicht nervös machte. Und dass ich das Zimmer mit diesem Kanaken getauscht hab'.« Er grinste gefühllos. »Der sprach kein lausiges Wort deutsch«, sagte er dann, immer noch staunend. »Der dachte wahrscheinlich, ich gehöre zu dem Saftladen.«

Nelles sah sich um.

Makowski deutete in die Diele.

»Gehen wir nach nebenan«, schlug er vor.

Auch im Wohnraum roch es nach frischer Farbe. Teppichboden, Fenstervorhänge, die Couch und der senffarbene Sessel, der niedrige Couchtisch und die Videoanlage waren funkelnagelneu.

»Deine Hühner haben's gut«, stellte Nelles fest. »Schöne Bude.«

»Man muss was tun für die Kundschaft. Es läuft entweder da, wo's billig ist, oder oben in der Luxusetage. Alles andere ist Mist. Diese Nacht kannst du von mir aus hier schlafen, wenn du dir die Schuhe ausziehst, bevor du ins Bett gehst. Morgen um elf bist du raus. Die Mädchen kommen am Nachmittag.«

Dieter Nelles wirbelte auf dem Absatz herum. Seine Finger grüben sich in Makowskis Jackenaufschläge.

»Du vergisst wohl, wer den Müll für dich und deinen Boss wegräumt! Damit ihr ungestört abkassieren könnt, du und dein Boss!« Nelles keuchte. »Ihr könnt mich nicht einfach abbraten, nur weil ihr mich nicht mehr braucht!«

Makowski ließ die Arme herabhängen, auch als Nelles ihn heftig gegen die Wand stieß.

»Bist du fertig?«, fragte er beherrscht. »Was willst du eigentlich?«

»Ich will mit dem Boss sprechen!« Nelles machte eine heftige Bewegung, als Makowski zu einer Antwort ansetzte. »Ich weiß, dass er Haftverschonung kriegt, komm mir also nicht mit irgendwelchem Quatsch, dass er verhindert ist!«

»Er bekommt Haftverschonung! Das bedeutet aber nicht, dass er sich mit dir treffen kann!«

»Weil ich heiß bin, ich weiß. Aber er kann hierherkommen! Ist doch 'ne feine Adresse. Unten der Zahnarzt und der Heilpraktiker, darüber das Finanzierungsbüro, und hier oben die Nutten!«

Makowski hob die Hände und schob sie zwischen Nelles' Arme. »Ich sage es ihm.«

»Ich bleibe hier, bis er kommt.« Nelles deutete auf das Telefon. »Wenn die Freier anrufen, sage ich ihnen, dass sie von mir bedient werden, wenn sie Wert darauf legen.«

»Geh nicht an den Apparat«, warnte Makowski. »Überspann den Bogen nicht.«

»Denk du auch daran. Sonst werde ich weiter über die Frage nachdenken, wer den Bullen den Tipp gegeben hat! Aber zum Glück bin ich nicht nachtragend.«

Makowski zog sein Jackett zurecht und ging zur Tür. Nelles folgte ihm.

»Der Kühlschrank ist leer«, sagte er. »Ich brauche Brötchen, Käse, etwas Obst, ein paar Teebeutel.«

Makowski nickte. »Sonst noch was?«

»Und eine Flasche Cognac. Deine Kanone kannst du mitnehmen, wenn du mir die Sachen bringst. Denk dran - du und kein anderer.«

Nelles zerrte den Revolver heraus und zog den Lauf über die Wand. Das Korn riss eine tiefe Kerbe in die helle Strukturtapete und den darunterliegenden Putz.

Makowskis Gesicht wurde weiß, die Kiefermuskeln zeichneten sich scharf unter der glatten Haut ab.

»Blut hinterlässt immer so hässliche Flecken«, sagte Nelles. »So'n Kratzer lässt sich leicht reparieren, wenn's nicht mehr werden.«

»Du bist und bleibst die Ratte aus der Gosse«, sagte Makowski beherrscht, als er die Wohnungstür öffnete.

»Weißt du, was dein Problem ist?«, fragte Nelles. »Dass du nicht mehr der kleine Macker bist, der du mal warst. Damals hattest du nichts als ein paar Hühner und die Rolex an der Hand.«

»Und was hast du?«

»Ich bin frei, Macker! Eine Ratte hat nichts als ihr Leben. Nichts Überflüssiges, verstehst du? Und jetzt verschwinde! Aber lass den Schlüssel hier!«

Nelles grinste überlegen, als Makowski ihm den Schlüssel des Apartments zuwarf.

*

Kriminaloberrat Otto Peikert warf Roths Bericht auf die Seite seines Schreibtisches. Er brauchte ihn nicht zu lesen. Was Roth geschrieben hatte, unterschied sich nicht von dem, was er gestern bei der Vernehmung vor dem Staatsanwalt und vor Kriminalhauptkommissar Tondorf, seinem unmittelbaren Vorgesetzten, ausgesagt hatte.

»Ich habe heute Morgen schon mit dem Staatsanwalt gesprochen«, sagte Peikert. »Es wird nicht zu einem förmlichen Strafverfahren gegen Sie kommen. Aber um die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens werden Sie nicht herumkommen. Sie nicht, und Gräfe ebenfalls nicht. Dort wird unweigerlich von Neuem die Frage auftauchen, die Sie und Gräfe auch gestern nicht beantworten wollten oder nicht beantworten konnten — warum Sie den Leiter der Sonderkommission Heinen nicht über Ihren Einsatz informiert haben!«

Weil Volker Gräfe nicht von der Überzeugung abzubringen ist, dass es eine sehr intensive illegale Verbindung zwischen hohen Amtsträgern der Polizei und den Drahtziehern der kriminellen Szene gibt. Korruption, Herr Oberrat.

Peikert beugte sich plötzlich vor. Er war ein untersetzter Mann, dem meistens ein freundliches, unverbindliches Lächeln im Gesicht klebte. Jetzt verschwand sein Lächeln, die Augen blickten kühl und scharf.

»Warum wollen Sie nicht darüber sprechen? Jetzt? Was Sie mir hier sagen, wird nie außerhalb dieser vier Wände wiederholt werden, wenn Sie es nicht wollen!«

Ich will nicht als der Mann dastehen, der sein eigenes Nest beschmutzt. Und ich will weder mein eigenes Leben noch das meines Freundes in Gefahr bringen. Es hat schon zu viele Tote gegeben, Herr Oberrat. Gräfe hat eine Frau und zwei Kinder.

Es war schon schlimm genug, dass Gräfe sich selbst um Kopf und Kragen redete.

Peikert schlug mit der Hand auf den Tisch.

»Mann, Roth, laufen Sie nicht wie das personifizierte schlechte Gewissen herum! Sie sind Polizeibeamter, und Sie werden es bleiben, dafür stehe ich ein. Ihnen ist passiert, was jedem von uns jederzeit auch passieren kann!«

Aber mir ist es passiert.

Er hatte einen Menschen erschossen. Einen Unbeteiligten. Er war gezeichnet. In der Halle ging man ihm aus dem Weg, im Aufzug sahen sie an ihm vorbei.

Peikert lehnte sich zurück. Das unverbindliche Lächeln erschien wieder in dem flachen Gesicht mit der eingedrückten Nase, die den ehemaligen Boxer verriet. Irgendwo hatte Roth einmal die alten Plakate gesehen, auf denen Peikerts Name stand. Bevor er von der Schutzpolizei zur Kripo wechselte, hatte er in der Boxstaffel der Polizei geboxt. Er war ein gefürchteter Mittelgewichtler gewesen, davon wussten nicht nur die älteren Kollegen zu erzählen.

»Ihnen ist sicher klar, dass ich Sie von der Soko Heinen abziehen muss, Gräfe natürlich ebenfalls. Sie kehren beide bis auf Weiteres in ihre alten Abteilungen zurück, und bis zum Abschluss des Disziplinarverfahrens versehen Sie ausschließlich Innendienst. Das ist die Bedingung, um eine Suspendierung bis zur Klärung eventueller Dienstvergehen zu vermeiden.«

Peikert sah Roth an, als ob er Fragen oder Einwände erwartete, doch Roth schwieg. Er hatte nicht die Kraft, zu kämpfen. Im Übrigen hätte er auch nicht gewusst, gegen wen, wofür oder worum er hätte kämpfen können.

»Ich nehme an, dass in den nächsten Tagen noch Fragen auftauchen werden, es ist also sinnvoll, wenn Sie sich zur Verfügung halten. Danach machen Sie am besten Urlaub. Sie hatten dieses Jahr noch keinen, soviel ich weiß?«

Roth schüttelte den Kopf.

»Das trifft sich also gut. Spannen Sie aus, suchen Sie Abstand. Ich möchte Sie übrigens nicht im Betrugsdezernat bei der Bearbeitung von Bagatelldelikten versauern lassen. Ein Mann mit Ihrer Erfahrung kann seine Fähigkeiten an anderer Stelle besser entfalten. Ich denke an eine Tätigkeit als Sachverständiger im Erkennungsdienst, in der Aus- und Fortbildung oder in der Logistik. Denken Sie über mein Angebot nach, aber lassen Sie sich Zeit. Erst der Urlaub, dann sehen wir weiter.«

Roth fühlte sich benommen, als er aufstand. Er hatte mit seiner Suspendierung gerechnet, sie unbewusst vielleicht sogar erhofft, stattdessen wurde ihm nach Jahren des Stillstands noch einmal die Aussicht auf eine Karriere eröffnet.

»Und vergessen Sie nie - wir stehen alle hinter Ihnen«, sagte Peikert, bevor Roth den Raum verließ.

*

Hans-Walter Heinen war auch körperlich ein mächtiger Mann. Seine Rückkehr in seine Büroräume hoch oben im 19. Stock der Alsterresidenz geschah mit der Wucht eines Panzervorstoßes.

Trotz der sommerlichen Temperaturen trug er seinen pelzgefütterten Ledermantel mit dem Lammfellkragen, was Makowski daran erinnerte, dass es Winter und lausig kalt gewesen war, als man den Boss abgeholt hatte.

Heinen schleuderte den Mantel auf die helle Ledercouch in seinem Arbeitszimmer, bevor er sich umwandte und Makowski ansah. Von den Blumen auf dem Glastisch nahm er keine Notiz.

»Wo steckt Valeria?«, fragte er ungeduldig.

»Sie ist schon unterwegs«, versicherte Makowski schnell. »Es kam alles so plötzlich ...«

»Hast du den Sekt kalt gestellt?«

»Natürlich«, antwortete Makowski, ohne das Gesicht zu verziehen.

Mit einem kleinen Räuspern machte sich Volprecht bemerkbar. Der weißhaarige Anwalt hatte Heinen persönlich am Untersuchungsgefängnis abgeholt.

»Haftverschonung ist kein Grund zum Feiern«, mahnte er.

Heinen fuhr herum. Sein fleischiges Gesicht mit den tiefen Falten verriet versteckte Grausamkeit, die auch der breite, zu einem starren Lächeln verzogene Mund nicht zu mildern vermochte.

»Ich gehe nie wieder rein, nie wieder, verstehen Sie?« Seine Stimme kam wie ein tiefes Grollen aus der breiten Brust, die selbst einen abgebrühten Mann wie Bernd Makowski frösteln ließ.

»Wir dürfen auch die Möglichkeit einer Strafhaft nicht von vornherein ausschließen«, sagte der Anwalt unbeirrt.

Heinen wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen, eine Geste, die mehr als Nervosität verriet.

»Ich dachte, es sei alles erledigt? Adolphis Unfall ...« Er sah Makowski an. »Wann ist die Beisetzung?«

»Morgen Vormittag um elf«, antwortete Makowski.

»Besorg mir einen Kranz!«

»Ja, Chef.«

»Den größten, den sie je gemacht haben, verstanden?« Heinen wandte sich an Volprecht. »In welcher Form können wir für die Witwe sorgen?«

»Ich bin der Ansicht, Adolphi hat genug verdient, um Rücklagen geschaffen zu haben. Und dann hat sie ja noch die Rente ...«

Heinens Gesicht lief rot an. »Adolphi hat 28 Jahre seines Lebens für mich gearbeitet! Achtundzwanzig Jahre! Er hätte mich nie freiwillig verraten. Aber er ist alt geworden, und er hatte Angst vor dem Gefängnis. Irgendwann hätte der Staatsanwalt ihn rumgekriegt. Er war mein Freund!«

Auch Bernd Makowski kannte den Hai nun schon seit mehr als zehn Jahren, aber dennoch hätte er sich beinahe verwundert die Augen gerieben. Der meint, was er sagt, stellte er verwundert fest.

»Ich wünsche, dass Sie sich mit ihr in Verbindung setzen«, sagte Heinen schroff. »Ich will, dass sie gut versorgt wird!«

»Wie Sie wünschen«, meinte Volprecht.

Heinen richtete den Blick erneut auf Makowski. »Warum erfahre ich nicht von dir, was mit Nelles passiert ist? Im Untersuchungsgefängnis wussten sie alle Bescheid. Nur ich nicht.«

Makowski rollte unbehaglich die Schultern. »Ich bin noch nicht dazu gekommen, Chef«, sagte er. »Es hätte ihn beinahe erwischt ...«

Heinen nickte ungeduldig. »Das weiß ich! Ich will wissen, wie das passieren konnte!«

Makowski hob die Schultern. »Er traut keinem«, sagte er vorsichtig. »Deshalb besteht er darauf, sich seinen Unterschlupf jeweils selbst auszusuchen.«

»Wem traut er nicht?«, fragte Heinen. »Dir nicht?«

»Mag sein. Er will Sie sprechen. Sie persönlich.«

»Er wird also ebenfalls zu einem Problem«, stellte Volprecht, der Anwalt, beinahe zufrieden fest. Er sah Heinen an, sein zerfurchtes Gesicht mit dem sorgfältig frisierten weißen Haar glich einer zersplitterten Tonmaske.

»Was ist los, Konrad?«, fragte Heinen.

Volprecht zog überrascht die Brauen hoch. Es geschah nur selten, dass Heinen ihn mit dem Vornamen anredete. Volprecht war nie dahintergekommen, wann der Hai zu der vertraulichen Anredeform überging. Ob er damit eine menschliche Beziehung herstellen wollte oder eine neue Teufelei plante.

»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, antwortete er deshalb reserviert.

»Irgendetwas bereitet Ihnen Sorgen«, stellte Heinen fest. »Sehen Sie mich schon hinter Gittern? Endgültig, meine ich?«

»Da ist noch die Freundin des Journalisten«, sagte Volprecht.

»Nelles bildet sich ein, dass sie ihn erkannt hätte«, ergänzte Makowski.

»Sowie die Polizei Nelles einsackt, wird sie ihn ihr gegenüberstellen«, fuhr der Anwalt fort. Heinen ließ sich langsam hinter seinem Schreibtisch nieder, wobei er Volprecht unentwegt anstarrte. Der Anwalt hielt dem Blick der kleinen scharfen Augen nur mit Mühe stand.

»Ich dachte, das Problem sei längst erledigt?« Heinens Stimme klang jetzt flach.

»Ein gelöstes Problem reißt meistens ein oder mehrere neue auf«, sagte Volprecht.

»Verschonen Sie mich mit Ihrer Philosophie! Was für Probleme denn noch? Himmel, Blume hat es längst erwischt, und die Frau hat nie ein Sterbenswörtchen davon gesagt, dass sie jemanden gesehen hätte! Oder haben Sie etwas übersehen, Herr Volprecht?«

»Nein, ich habe nichts übersehen. Aber die Freundin ist untergetaucht.«

»Na und?«

»Warum wohl?«

»Warum, warum!«, grollte Heinen. »Machen wir hier ein Quiz?«

»Die Tatsache, dass sie untergetaucht ist und ihre Spuren sehr sorgfältig verwischt hat, beweist doch, dass sie mehr weiß, als sie bisher zugegeben hat. Und dass ihr bewusst ist, was dieses Wissen bedeutet. Schließlich hat sie lange genug mit Blume zusammengelebt. Niemand kann mit Sicherheit sagen, dass er nicht doch noch über Aufzeichnungen verfügte, von denen wir nichts wissen. Es geht doch nicht um Nelles«, schloss der Anwalt. »Begreifen Sie das denn nicht?«

Dumpfes Schweigen breitete sich aus, das nur von einem schrillen Quietschen unterbrochen wurde, als Makowski eins der Fenster öffnete. Er musste an das Aufsehen zurückdenken, das der brutale Mord an dem angesehenen Journalisten erregt hatte.

Hilmar Blume war ein leidenschaftlicher Segler gewesen. Nelles hatte ihn in dem kleinen Jachthafen oben bei Ovelgönne ertränkt, kurz bevor Blume mit Sigrid Wolf, seiner Freundin, zu einem zweitägigen Segeltörn in die Nordsee aufbrechen konnte. Sigrid war noch einmal zum Clubparkplatz zurückgegangen, weil sie ihre Sonnencreme in Blumes Wagen vergessen hatte. Ihre Aussage war klar und nicht zu erschüttern gewesen - sie habe nichts und niemanden in der Nähe des Bootes gesehen.

Und jetzt hatte es plötzlich den Anschein, als sei sie ein raffiniertes Luder, das genau wusste, wann es zu schweigen hatte - und warum.

Jahrelang war Blume verbissen der Frage nachgegangen, weshalb Polizei und Justiz nie ernsthaft etwas gegen Heinen ausrichten konnten. Seine anklagenden Berichte hatten wie Stachel gewirkt, die sich tiefer und tiefer in Heinens Fleisch gruben. Bis Heinen keine Wahl mehr blieb, als sich durch einen Gewaltakt von dem hartnäckig bohrenden Schmerz zu befreien.

Dank der besonderen Verbindungen, über die Heinen verfügte und deren Vorhandensein Blume so verbissen nachzuweisen versucht hatte, waren keinerlei Aufzeichnungen, die dem Hai hätten gefährlich werden können, im Nachlass des Journalisten gefunden worden. Es war, als hätte Blume niemals Material besessen, um seine Anklagen zu untermauern.

Langsam schwang Heinen mit seinem Sessel herum. Er sah Makowski an, der am offenen Fenster stand und gierig die Luft einatmete, die hier oben kühl war und frisch schmeckte.

»Was meinst du, Bernd?«, fragte Heinen.

Makowski wusste, dass der Hai jetzt eine ernstgemeinte Antwort von ihm erwartete, auch wenn er seinen Vorschlag, wie immer er lauten mochte, später zurückweisen würde, weil er Entscheidungen nur akzeptierte, wenn sie von ihm selbst kamen.

»Ich meine, dass Nelles überflüssig ist«, sagte er. »Er wird irgendwann durchdrehen. Dann ist er gefährlich.«

Heinen befeuchtete die aufgeworfenen Lippen, und seine Augen begannen zu glitzern. »Bist du bereit, den Job zu übernehmen?«, fragte er.

Makowski hielt dem Blick der glitzernden Augen stand. Er spürte einen kurzen Krampf zwischen den Schulterblättern, der jedoch sofort wieder wich. Er hatte immer gewusst, dass diese Frage einmal an ihn gerichtet werden würde, und er wusste auch, dass er dieser Frage eines Tages nicht mehr ausweichen konnte.

War dieser Tag jetzt gekommen?

Er stellte sich Nelles vor, wie er sich auf dem neuen Bett breitmachte, wie er die schmutzigen Füße auf die Tagesdecke stellte oder die Wände ruinierte. Die Einrichtung der Wohnung hatte ihn lockere 60000 gekostet. Die mussten erst mal wieder reingeholt werden. Und dann machte sich dieses Vieh darin breit ...

»Ja«, sagte er. Seine Stimme klang fest.

Heinen grinste kurz, bevor er den Blick von Makowski ließ und sich Volprecht zuwandte.

»Was schlagen Sie vor, Konrad?«, fragte er.

»Das ist nicht meine Abteilung, Herr Heinen«, antwortete er kühl.

»Aber Rechnungen schreiben, das fällt in Ihr Ressort.«

»Dafür bekommen Sie Gegenleistungen«, konterte der Anwalt. »Unternehmen Sie etwas wegen der Frau. Dieser Rat ist kostenlos. Und schieben Sie es nicht auf die lange Bank. Irgendeine Anklage wird zusammenkommen, die Staatsanwaltschaft kann nicht sämtliche Anklagepunkte fallen lassen, wenn sie nicht Gefahr laufen will, die Rechtsprechung in dieser Stadt auf den Kopf zu stellen. Ich möchte dann nicht mit Überraschungen rechnen müssen.«

Volprecht nahm seinen Aktenkoffer und wandte sich zum Gehen. An der Tür blieb er stehen und wandte sich noch einmal um.

»Verhalten Sie sich absolut unauffällig. Denken Sie an die Auflagen. Wenn man Sie nur beim Falschparken erwischt, sitzen Sie sofort wieder im Loch.«

»Ist das alles, Konrad?«, fragte Heinen sanft, weil der Anwalt immer noch zögerte. »Brauchen Sie etwas? Bares? Oder ein Mädchen?«

Volprecht schüttelte angewidert den Kopf. »Die beiden Beamten, die Nelles beinahe festgenommen hätten, gehören der Sonderkommission an, die gegen die organisierte Kriminalität eingerichtet wurde.«

»Die Soko Heinen«, sagte Heinen amüsiert. »Reden Sie doch Klartext!«

»So wird sie nur inoffiziell genannt«, beschwichtigte Volprecht.

»Ja, und?«

»Sie heißen Gräfe und Roth. Es ist aber vor allen Dingen Gräfe, der keine Ruhe gibt. Bei jeder Gelegenheit redet er von Verbindungen zwischen der Unterwelt und der Polizei. Er gibt einfach keine Ruhe ...«

»Wie waren die Namen?«

Makowski kam dem Anwalt zuvor. »Gräfe und Roth, die schärfsten Bullen vom Kiez.« Er grinste. »Roth hat aus Versehen einen Seemann umgelegt. Der ist fertig, kaputt, erledigt.«

»Sie sind Freunde, unzertrennlich«, sagte Volprecht.

Heinen betrachtete den weißhaarigen mit einem erstaunten Blick. »Nanu, Konrad, verlassen Sie jetzt doch Ihre Abteilung?«

»Ich habe nicht die Absicht, Herr Heinen, irgendwann wäre das Gerede auch Ihnen zu Ohren gekommen. Aber die beiden sind nicht wichtig genug, um eine unwiderrufliche Maßnahme zu rechtfertigen. Und damit die Öffentlichkeit aufs Neue gegen uns aufzubringen.«

»Ich soll ihn also reden lassen?«, vergewisserte sich Heinen.

»Sorgen Sie dafür, dass sie getrennt werden und keinen Schaden anrichten können. Diesen kleinen Gefallen wird Ihnen der Mann im Präsidium sicher gerne tun.«

Der Anwalt verließ den Raum.

»Diesen und noch mehr«, sagte Heinen leise zu sich selbst, während er den Telefonapparat zu sich heranzog. Er sah zu Makowski hinauf. »Ist dieser Anschluss überprüft worden?«, fragte er.

»Heute Morgen erst. Die Leitung ist absolut sauber.«

Heinen nahm den Hörer ab, aber er wählte noch nicht.

Makowski öffnete die Tür. Er wusste genau, dass der Hai jetzt allein sein wollte.

»Wenn Valeria kommt, schick sie sofort rein!«, rief Heinen ihm nach. Seine Stimme verriet den Ärger. Nachher würde sie ihm erzählen, dass sie sich unbedingt in irgendeiner Boutique hatte neu einkleiden müssen, für ihn. Aber auch Valeria musste wissen, dass es ihm nach acht Monaten verdammt egal war, ob ihr weißer Hintern in schwarzer oder roter Wäsche steckte.

Mit heftigen Bewegungen begann er zu wählen. Die Nummer hatte er im Kopf. Sie gehörte zu einem Büro im Polizeipräsidium ...

Schön und ermordet: Zwei Kriminalromane

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