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Die Patrouille

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Der Leutnant kommandierte leise: „Kompanie halt! — Gewehr zusammensetzen! Freiwillige vor!“

Zwölf Mann meldeten sich. Sechs wählte der Leutnant und schritt vorsichtig auf das Dorf zu.

Als die sieben Deutschen, von keinem Baum oder Strauch geschützt, eine weite Wiese überschreiten mussten, befahl der Leutnant: „Kriechen!“ Und einer hinter dem andern wand sich nun, mit Gewehr und Tornister bepackt, durch den Schnee.

Der Leutnant stockte, richtete sich vorsichtig auf und hielt mit seinem Fernglas Umschau: kein Russe weit und breit.

Jetzt war die Patrouille, alle sieben schüttelten den Schnee von Brust und Knien, aus den Taschen und Schlitzen, am ersten Haus von Rosillen. Der Leutnant klopfte leise ans Fenster, die Frau Pfarrer öffnete.

Als sie die deutschen Uniformen und die anheimelnden, rotgefrorenen Gesichter sah, strahlte sie:

„Seit gestern sind die Russen fort! Jenseits der grossen Landstrasse nach Memel. Christian — mach dir ein anderes Konzept für deine Sonntagspredigt. Die Unseren sind wieder da!“

Die Frau Pfarrer eilte in die Küche und befahl den beiden Mädchen, von den Resten der Speisekammer, die die Russen noch übrig gelassen hatten, das Beste für die so frohe Kunde durch ihr blosses Dasein bringende Patrouille zu bereiten. „Ruft die Soldaten draussen alle herein!“

Als sie mit Speise und Trank in das Wohnzimmer zurückkehrte, sah sie, dass die beiden Gesichter des Leutnants und des Pfarrers ernst vor sich hin blickten.

„Du freust dich nicht, Christian?“

„Die Russen haben sich nur zurückgezogen, um einen Generalangriff auf der ganzen Linie vorzubereiten. Sie wollen die grosse Chaussee drüben und damit alle Zufahrtswege nach Memel in die Hand bekommen.“

„Ja — dann —“

„Du denkst, sofort fliehen? Das ist bei den weittragenden Geschützen heute ein schwieriges Unternehmen, meint der Leutnant. Wir kämen wahrscheinlich in die Schlacht mitten hinein. Trotzdem, Herr Leutnant, wollen wir es versuchen. Wir sind im wesentlichen nur noch die Familie des Hauptlehrers und wir hier im Dorf — vielleicht noch ein paar andere, die sich ängstlich versteckt halten — jedenfalls füttern der Hauptlehrer und ich dauernd das zurückgelassene Vieh — wer weiss, ob es Zweck hat?“

Der Leutnant sagte, man sollte doch mit der Flucht abwarten. Wenn heute abend oder morgen früh die Landstrasse in deutschen Händen ist, dann wäre die Flucht überflüssig, ist sie von russischen Truppen überflutet, so wären die Fliehenden schnell von der flinken Kavallerie erreicht — und was dann geschieht, hängt von der Gnade des Siegers ab, der nicht immer von Barmherzigkeit erfüllt ist. Doch, Herr Pfarrer, ich muss weiter vor — bis —“

„Bis Sie Feuer bekommen?“

Der Leutnant schwieg.

„Das ist ja furchtbar, dieser Auftrag,“ rief die Frau Pfarrer. Sie reichte dem jungen blonden Leutnant, der noch keine zwanzig Jahre zählte, ein Glas Wein und streichelte ihn.

Bernhard, Adolf und Herbert waren auf das Dach des Schulhauses geklettert, um das Vorgehen der Patrouille zu beobachten. Der Pfarrer eilte sofort nach deren Abmarsch ins Schulhaus hinüber, um sich mit dem Vater zu beraten.

Die Patrouille schlich an der hohen Tannenhecke, die den Kirchhof einrahmte, vor, warf sich dann wieder in den Schnee und kroch, eine schwarzgraue Schlange, den Graben entlang.

„Jetzt sind sie nur noch fünfzig Schritt von der Landstrasse,“ flüsterte Bernhard erregt.

„Da — der Leutnant!“ rief Herbert.

„Er hält mit dem Fernglas Umschau.“

Tak — tak — tak — tak —

„Ein Maschinengewehr! Aus dem Tannenwäldchen jenseits der Landstrasse.“

Jetzt auch Gewehrgeknatter.

„Sie kriechen zurück — zwei bleiben liegen.“

Ein Sausen durch die Luft — ein Krach — eine Fontäne aus Eisensplittern und Erdstücken spritzt mitten in der weissen Wiese auf: Granate! Noch eine! Noch eine!

„Sie laufen zurück — da hinten aus dem Tannenwäldchen — Russen — so viele!“

Hinter der Tannenhecke halten ächzend drei von den sieben an, um sich zu verschaufen.

„Der Leutnant — Kopfschuss,“ sagte der eine und wischte sich mit der erfrorenen Hand den Schweiss von der Stirn.

„Das Wäldchen ist dick voll mit Russen, wir müssen es melden. Das wird schlimm.“

Am anderen Morgen, dem Märzsonntag, an dem der Frühling begann und sonst die jungen Mädchen an den eiszersprengenden Bach gingen und sich schön wuschen, da zogen in dicken schwarzen Kolonnen strassauf, strassab, zehntausende Russen, Infanterie, Artillerie und Reiterei.

Und nun erfüllte sich auch Annkes Schicksal.

Annke - Kriegsgeschichte eines ostpreussischen Mädchens (1914-1918)

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