Читать книгу Augenzeugenbericht des Häftling Nr. 738 im KZ Buchenwald 1937–1945 - Alfred Michael Andreas Bunzol - Страница 5

Vorwort

Оглавление

Vielleicht musste es erst heute werden, damit ich zu merken begann, dass eine späte Einsicht in mir herangereift war. So wie bei einem typischen Spätstarter. Nun aber teile ich euch die Geheimnisse dieser Einsichten mit, die meinem Verstand bisher verschlossen blieben, weil die Zeit dafür in ihm noch nicht gereift war. Wie auch der Pflanzenkeim auf dem Felde seine Zeit braucht, um sich zu entwickeln. Man muss ihn säen, das Feld gießen, Unkraut jäten, und nur dann wird er im Laufe der Zeit in seiner vollen Pracht richtig reif. Irgendwer mir zu sagen versucht, du kannst deiner Vergangenheit nicht davon laufen, geschweige sie ignorieren. Auch kannst du sie nicht ändern, nur daraus lernen. Irgendwann wird man eben von ihr eingeholt. Dafür offenbart sie sich mir jetzt wie eine informative Zeitreise durch das vergangene Jahrhundert unserer Familie. Es zeigt, wie die Geschichte eines ganzen Jahrhunderts, des 20. Jahrhunderts, an unserer Familienentwicklung mitschrieb, sie beeinflusste und prägte. Bis in unsere Gegenwart mitbestimmt. Übrigens schreibt man das Jahr 2006, als ich mit meiner Familiengeschichte begann. 2006, das war das Jahr an dem der Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“ auf dem Sundance Film Festival, von der Weltöffentlichkeit anfangs kaum beachtet, seine Premiere hatte. Sollten sich die darin aufgestellten Prognosen und Behauptungen bestätigen, tragen wir alle eine sehr hohe Verantwortung, wie keine bisherige Generation vor uns, gegenüber den nachfolgenden. Irgendwann ist die Zukunft unsere Gegenwart, wollen wir Veränderungen so müssen sie jetzt geschehen. Wir kommen um eine Veränderung unseres bisherigen achtlosen Umgangs mit der Natur nicht mehr herum, sonst berauben wir uns unsere eigene Lebensbasis. Machen wir so weiter, ist es durchaus möglich, die Erde auf Dauer für uns unbewohnbar zu machen, wenn wir nicht rechtzeitig genügend Überblick gewinnen, um das zu verhindern. Wir könnten unsere gewohnte Welt verlieren und die Welt könnte uns verlieren. Unsere vom Überfluss geprägte westliche Welt ist erbärmlich arm geworden. Gilt heutzutage der Konsumhunger nicht als Ausdruck individueller Selbstverwirklichung für uns alle? Ist er nicht zu einer tödlichen Sucht geworden? Haben wir uns nicht ein System geschaffen, das in seiner einzig logischen Konsequenz, die Umwelt zerstören, soziale Ungleichheit verschärfen, Kriege provozieren und das menschliche Leben in Formen pressen muss? Entscheidenden Problemen wie Krieg, Klimawandel, Armut und Perspektivlosigkeit begegnen wir alle mit staunender Unfähigkeit. Während der Großteil der Weltbevölkerung in Armut lebt und durch transnationale Konzerne ausgebeutet wird, kaufen wir alle wesentlich mehr, als wir tatsächlich benötigen, als für uns ausreichend wäre. Wir müssen anfangen zu lernen über den Tellerrand zu blicken. Der Leser möge mir verzeihen, schon in Vorwort mit solchen Themen bombardiert zu werden. Ich bin ganz gewiss kein Pessimist, aber man muss die Menschen wachrütteln, nur so kann sich überhaupt noch etwas ändern. Vielleicht gelingt es mir, mit unserer Familiengeschichte. Man sich unmittelbar nach dem Lesen der letzten Zeilen mit der tristen Realität, in der wir alle leben, etwas mehr beschäftigt. An sich die Frage stellt, was zählt heute mehr? Der Geldbeutel, das Aussehen, das arrogante Auftreten, die Gleichgültigkeit, das schauspielerische Talent, ja auch die Brutalität eines Menschen, oder die inneren Werte, wie Liebe, Glück, Frieden, Toleranz, Wahrheit, Zuverlässigkeit, Achtung, Demut, Respekt anderen gegenüber. 2006, das war aber auch das Jahr der Fußballweltmeisterschaft, als die ganze Welt für 4 Wochen auf Deutschland, als Austragungsland, schaute. 2006 bestand aber auch meine Tochter Steffi ihr Staatsexsamen an der Uni Jena als Jurist, die Vorraussetzung zur Prüfung als Volljurist. Meine Tochter Anja machte am Jahresende einen Schwangerschaftstest der positiv verlief, somit werde ich zum zweiten Mal Opa und sie zum zweiten Mal Mutter.

So, und nun kommen wir zu mir. Warum schreibe ich diese Geschichte? Hätte mir jemand vor einem oder zwei Jahren gesagt, daß ich damit anfangen werde eine solche zu schreiben, ich hätte Ihn ausgelacht. Hätte gesagt, daß ich es gar nicht kann, geschweige will, es für unmöglich hielt. Ich bin ja von Haus aus Diplom-Informatiker, also fachfremd. Und das schon mein Arbeitsleben lang, bis zum heutigen Tag und mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zu meiner Rente. Mein Spezialgebiet sind eigentlich Bits und Bytes. Aber irgendetwas treibt mich dazu, wie eine, durch Berührung, durch Gesten, durch Zufall entstehende Liebe, die man nie mehr verlieren will. Es ist ein Verlangen, eine Sucht in mir entstanden, die man schwer erklären kann. Vielleicht wird sie auch von außen gesteuert und mir der Willen und die Fähigkeit gegeben, es zu tun! In meinem Gehirn werden nach Mutters Tod (sie starb am 3. 1. 2006, 19.35 Uhr im Katholischen Krankenhaus Erfurt im Alter von 86 Jahren) immer wieder Gedanken produziert, denen ich nachgehen und sie aufschreiben muß. Sie sind ganz einfach da, ob ich will oder nicht! Ich muss sie mir von der Seele schreiben. Auch mache ich nun etwas, was ich noch nie in meinem Leben getan habe: Ich lasse euch gerne, so fern ihr es lesen wollt, daran teilhaben. Die Erteilung zum „teilhaben“ habe ich mir aber nicht so einfach gemacht, schließlich ermöglichen sie auch persönliche, intime und voyeuristische Blicke in unserer Familiengeschichte.

Anfangen werde ich mit dem Leben meines Vaters im 1. Teil der Geschichte. Erzählen werde ich Euch sein gequältes, gehetztes Leben, umrahmt von einer Überdosis Geschichte, einem Überschuss an Emotionen, die das menschliche Fassungsvermögen oft übersteigen. Von seinem Zuviel an extremen Ereignissen und tragischen Entwicklungen, Ängsten und lähmender Nüchternheit. Von seinem Übermaß an Erinnerungen, an enttäuschten Hoffnungen. Von seinem Schicksal, das in unserer Familie nicht seinesgleichen hat, das es ihn unmöglich zu machen schien, jemals ein gewöhnliches, normales Leben zu führen. Als Mensch, so wie du oder ich. Ich schreibe es aber auch gegen das Vergessen. Es ist ein Recht von mir, das ich als sein Sohn besitze und habe. Man möge beim lesen bedenken, daß ich kein Schriftsteller bin. Ich habe es so geschrieben wie ich es kann, aber Wahrheitsgetreu, versuche die Realität widerzuspiegeln. Die Geschichte Deutschlands, verpackt in unserer Familie, immer sachlich und ohne Scheuklappen zu sehen. Ansonsten hätte ich das Gefühl, das geschriebene hätte wenig Wert. Alles ist durch Recherchen, Dokumente und Aufzeichnungen untermauert. Bis auf den „Selbstmord“ von Vater, er ist von mir fiktiv gestellt, ich denke aber, so war sein Ende, alle Indizien deuten darauf hin. Der Leser möge sich aber darüber sein eigenes Urteil bilden. Aus juristischen Gründen habe ich lediglich die Namen der Zeugen geändert oder auch fiktiv handelnde Personen eingefügt. So zum Beispiel Major Kowulev vom NKWD, der in Rangsdorf wohnte. Das Schreiben hätte ich mir übrigens nicht so schwer vorgestellt. Vor allem die Gedanken, die man im Kopf hat, so auf Papier zu bringen, das sie dort für jedermann verständlich sagen was man will und denkt. Der gewählte Inhalt und die gewählte Form, ein Zusammenspiel von Dokumentation und Roman, realistisch bis zur Schmerzgrenze, ergaben sich einfach von Anfang an. Ich will nicht sagen wie von selbst, denn schließlich bin ich ja der Schreiberling und somit auch verantwortlich für Inhalt und Form. Doch genauso gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde die es einfach gibt, die aber schwer oder gar nicht zu erklären sind. Funktioniert nicht von Anfang an bei der Entstehung des Menschen auch alles wie von selbst. Wer ist hier eigentlich verantwortlich dafür? Für die Zeugung Mann und Frau und dann? Vielleicht ist in dieser Chronik nicht alles perfekt formuliert, ich bin ja auch kein perfekter Mensch. Aber wer ist dies schon? Denn schließlich gilt für uns alle: „nobody is perfect!“. Auch war es zu keinem Zeitpunkt meine Absicht aus der Geschichte unserer Familie einen Krimi oder ähnliches werden zulassen, womöglich dafür die geschichtlichen Fakten zu verlassen oder umzubasteln. Sie soll einfach nur unsere Familiengeschichte dokumentieren und zeigen. Ich denke aber, sie liest sich genau so spannend.

Ich sehe schon … nun aber genug gefaselt. Lest einfach den nachfolgenden Text, so wie ein neugieriges Kind und stellt euch Fragen, die ihr durch Nachforschungen im inneren und äußeren beantworten müsst. Auch lasst Vorurteile und scheinbare Argumente wie, die Menschheit ist halt so, das kann man doch nicht (so lange) geheim halten, das ist Zufall, das würden die doch nie machen, beiseite, denn sie dienen nur dazu, die Suche nach den wahren Zusammenhängen zu stören und zu stoppen. Für den Fall, dass ihr neugierig geworden seid, sollte man auf jeden Fall weiterlesen, zumindest es für sich im Auge behalten. Ich möchte euch jedoch, je nach Einstellung vorwarnen oder aufmuntern, man lernt fortan den Menschen in allen Formen und Auswüchsen kennen, als Bestie aber auch als Engel.

Alfred Michael Andreas Bunzol

Augenzeugenbericht des Häftling Nr. 738 im KZ Buchenwald 1937–1945

Подняться наверх