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Alfred Schmidt
und die Authentizität Kritischer Theorie

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Die hier von Schmidt zum Ausdruck gebrachte Identifikation mit materialistischer Aufklärung verweist auf das originäre sozialphilosophische Erfahrungsumfeld, in dem er sich bewegte, von dem sein Selbstverständnis inwendig geprägt wurde: Alfred Schmidt ist authentischer Repräsentant jener Kritischen Theorie, die in den frühen dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts entstand und ihre Konturen gewann einerseits als ein Forschungsprojekt zur Aufklärung des faschistischen Traumas und andererseits als das Modell eines interdisziplinären Materialismus, das philosophische Reflexion und einzelwissenschaftliche Sozial- und Kulturforschung in Beziehung zu setzen suchte, um so den Tendenzen der Gegenwartsgesellschaft auf die Spur zu kommen. In seinem ersten hier abgedruckten Beitrag, den Überlegungen anlässlich des 100. Todestages von Karl Marx, notiert Alfred Schmidt: »Die vom Kreis um Horkheimer während der dreißiger Jahre in der Zeitschrift für Sozialforschung entworfene Kritische Theorie gehört zu den fruchtbarsten Versuchen, Marxsche Kategorien in die Problematik unseres Jahrhunderts einzubringen.«9 Vor allem die Schriften und das Lehrangebot des 1949 an die Universität Frankfurt zurückgekehrten Max Horkheimer zogen den jungen Schmidt in Bann und es dauerte nicht lange, bis aus dem Schüler ein produktiver Mitarbeiter der Repräsentanten der Gründergeneration der Frankfurter Schule wurde. Wie aus einem Ende 1956 verfassten Empfehlungsschreiben Horkheimers an die Studienstiftung des Deutschen Volkes hervorgeht, arbeitete Schmidt bereits Mitte der fünfziger Jahre im Rahmen der von ihm angefertigten »Seminararbeiten […] über Fichtes Wissenschaftslehre, über den Ideologiebegriff des jungen Marx«10 und setzte sich – Horkheimer attestiert seinem Schüler »Leidenschaftlichkeit für Wissen und Wahrheit«11 – mit Grundintentionen materialistischer Philosophie auseinander, hier schon auf das Problem der Konstellationen von Natur und Geschichte stoßend. Schon in den sechziger und frühen siebziger Jahren entstanden aus Schmidts Feder einführende Aufsätze zu den Denkmotiven von Horkheimer und Adorno und profunde Kommentare zum Projekt der Zeitschrift für Sozialforschung 12; Schmidt übersetzte zudem Horkheimers Eclipse of Reason (1947)13, dann auch zentrale Schriften von Herbert Marcuse; mit ihm gemeinsam verfasste er die 1973 erschienene Studie zur Existenzialistischen Marx-Interpretation.14 Und nicht nur in seinen universitären Anfangszeiten erarbeitete Schmidt luzide Darstellungen zu Geschichte und Bedeutung Kritischer Theorie; lebenslang war er daran interessiert, zur Verdeutlichung und Verbreitung der Positionen seiner früheren Lehrer beizutragen. So erschienen etwa im Jahre 2002 – Schmidt war längst Emeritus – sowohl eine wichtige Studie zu Adornos Spätwerk15 als auch ein achtzig Seiten umfassender Aufsatz, in dem er »Herbert Marcuses politische Dechiffrierung der Psychoanalyse« zum Thema machte.16 Kein Zweifel: Willem van Reijen hat recht: »Von den Philosophen der zweiten Generation«, stellt der holländische Sozialphilosoph in seiner Einführung in die Kritische Theorie fest, »hat Alfred Schmidt als Herausgeber und Übersetzer von Aufsatzsammlungen und Büchern sicher am meisten dazu beigetragen, daß die frühe kritische Theorie einen bleibenden Einfluß auf Philosophie, Sozialwissenschaften und insbesondere auf die Weiterentwicklung der kritischen Theorie behalten hat.«17

Tatsächlich war Schmidt, wie er in seinem Anfang der siebziger Jahre verfassten Lebenslauf vermerkte, »bestrebt, den Frankfurter Ansatz einer kritischen Theorie der Gesellschaft angesichts heutiger Probleme sowie des internationalen Standes der Diskussion neu zu durchdenken und weiterzuentwickeln.« Sein besonderes Augenmerk richtete er dabei – so ist im zitierten Kontext zu lesen – auf das ihn »seit seiner Dissertation bewegende Gebiet einer – kritizistisch begründeten, die tragfähigen Resultate von Kant bis Hegel bewahrenden – materialistischen Erkenntnistheorie, die als Konstitutionslehre zugleich ein geschichtsphilosophisches und sittliches Vernunftinteresse verfolgt.«18 Ein ambitioniertes philosophisches Programm, das bereits in der Doktorarbeit Konturen gewann, denn Schmidts Dissertationsschrift Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx ist weit mehr »als ein Stück Marx-Philologie«, wie dies Horkheimer und Adorno in ihrer Vorbemerkung19 nahelegten. Vielmehr avancierte gerade diese Abhandlung, die mittlerweile in 18 Sprachen übersetzt vorliegt und jüngst in der fünften Auflage erschien, zu einem der wichtigsten Beiträge des sogenannten »westlichen Marxismus«, zum Modell einer unorthodoxen, philosophisch ambitionierten Auseinandersetzung mit dem Marxschen Werk.

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