Читать книгу Die drei Sprünge des Wang-lun - Alfred Doblin - Страница 7
ОглавлениеChu sprach leise: „Da niemand vor der Türe horcht, will euer Diener reden. Wir müssen verschwiegen darüber sein, werte Herren, nicht meine ich aus Angst und Besorgtheit, die gar nicht angebracht ist bei Leuten, welche nichts zu besorgen haben, sondern aus Gründen. Euer Diener Chu hat viele Gründe, leise zu sprechen und die Türe zu versperren, und wenn die werten Herren ihn ruhig angehört haben und ihm zustimmen sollten, so werden sie wie er leise sprechen. Ich habe gute Beziehungen zu Po-schan, meiner Heimatsstadt in Schan-tung, wo meine Neffen und Geschwister meinen Besitz verwalten. Was der geliebte Bruder Wang erlitten hat und was die Einwohner Kwan-juans erlitten haben, ist uns vielmals begegnet da. Schöne Sachen sind uns begegnet, schöne Sachen, aber das Kind, das vor euch steht, will nicht vor alten Kennern schwatzen. Seht einmal: wie oft tritt in den südlichen reichen Provinzen der Gelbe Fluß über die Ufer, und wie oft wirft sich das Meer mit einer weißen Brust über das Land und erdrückt Häuser und Mann und Frau und Kind? Wie oft läuft der Taifun die wimmelnde Küste herunter, tanzt über das gelbe Meer, und alle Dschunken, Boote, großen Segler bekommen plötzlich Beine und tanzen mit ihm auf eine barbarische grausige Art mit. Und das kleine Kind will gar nicht sprechen von den bösen Dämonen, die den Mißwachs auf den Äckern bringen, daß die Hungersnöte ausbrechen. Aber seht, die Menschen wollen es den großen Gewalten nachtun; und wer ein großer Herr ist, will ein größerer sein. Und da treiben Menschen, von Müttern geboren, in den achtzehn Provinzen herum, die die Macht in Händen haben, und werfen sich wie die finstere See über das flache, sorgsam bebaute Land hin und quetschen mit ihrem breiten Leib den Reis und alle Früchte zusammen. Da gibt es Herren, die drehen sich wie die dunkelfarbigen Sandstürme über ganze Städte und bewohnte Dörfer und reißen im Drehen soviel Sand wie Menschen mit, daß alle das Atmen vergessen. Und am schlimmsten wütet eine Springflut, die vor langer Zeit über das kostbare Land, über die Blume der Mitte, gefallen ist, ihr die Blätter und Blüten abreißt. Von Norden ist die Springflut gekommen und brandet über unsere fetten Äcker und Städte. Sie hat den Schlamm und das spitze Geröll auf unsere fetten Äcker und friedreichen Städte geworfen, und sie nennt sich Tai-tsing, die reine Dynastie. Und von ihr will ich etwas erzählen.“
Wang hatte sich längst hochgerichtet, sah den Alten mit aufgerissenen Augen an, stellte sich ihm gegenüber. Die andern reckten die Hälse, rückten näher an die Tür; die Pulse rollten voller durch ihre Schläfen; sie sahen den Alten, sie waren seine Beute.
„Ich will euch nichts von ihr erzählen, denn die alten Herren wissen alles selbst. Wenn der Tiger heult, dringt der Wind in die Täler. Die Mandschus, die harten Tataren, die aus ihren nördlichen Bergen geradewegs von der Fuchsjagd über unser schwaches Land gefallen sind, werden nicht bis zum Eintritt der Ewigkeit über uns leben. Unser Volk ist arm und schwach, aber wir sind viel und überleben die stärksten. Ihr wißt, was man macht, wenn man am Meere wohnt und die sieben ruhigen Jahre sind vorbei, die Regenzeit und der Nordweststurm ist vorbei, das Unglück ist geschehen, was man macht, wenn man noch lebt? Bauen, Dämme bauen, Tag und Nacht, Pfähle rammen, den Lehm häufen, Ruten, Stroh dazwischen, Weiden anpflanzen. Die klugen Männer werden mich unbescheiden nennen, wenn ich sie in dem fremden Hause frage, welche Dämme sie gebaut haben, weil sie sich doch vor der Springflut fürchten und weil sie die Wasser aus dem Lande zurückdrängen wollen? Aber andere haben langsam und leise den Lehm in den Händen zusammengetragen, haben Stroh gestohlen von dem und dem, zu einer Zeit, wo keiner auf sie achtete, haben heimlich feine Weidenschößlinge gesetzt und sie geschützt. Es gehen schon unsichtbar Wälle und Dämme durch das Land, mit Schleusen und Abzügen, die wir schließen, wenn der Augenblick gekommen ist: das Wasser kann nicht zum Meer zurück, das Land ist nicht ersoffen; wir verdunsten unter dem Feuer langsam das Wasser wie die Salzpfänner und behalten die Körner zurück. Ich bin aus Po-schan; wir haben nicht soviele Fruchtbarkeit wie am gelben Sandfluß; aber bei uns blüht zwischen den Kohlen seit langer Zeit eine Blume, heimlich, aber wohl geschützt: die Weiße Wasserlilie.“
Keiner der Männer saß mehr an der Erde; „die Weiße Wasserlilie“ stießen sie erregt aus, um Chu sich stellend, klopften ihm freudig die Hände, blitzten ihn aus ihren schwarzen Augen an. Sie waren entzückt über die Verwandlung des trotteligen Katers. Sie lachten mannigfach, befriedigt leise, meckernd und mit Herausforderung, wie Hornsignale klar und triumphierend; Ma-noh glucksend, aber unsicher. Ihre Lippen waren naß, die Münder voll Speichel. Unter ihren Backen glühten dünne Heizplatten. Der Magen schlingerte sanft hin und her.
„Wir sind, alte Herren, zur Beratung hier. Jeder kann beitragen, soviel er im Kopf hat. Wang hat geredet, was ihm mit einem ernsten Su-koh in Tsi-nan-fu begegnete. Ich bin nicht weit her von Tsi-nan, aus Po-schan. Ich habe nicht gewartet, bis mich ein flinker Freund rächen brauchte, und hätte vielleicht nicht gleich einen so raschen gefunden. Steht hinter meiner Straße auch schon die kleine getünchte Mauer, die für mich bestimmt war. Hat die leblose Hand des Himmelssohns schon den roten Todeskreis hinter meinen Namen gemalt. Das Urteil war schon fertig, das nötig gewesen ist, meinen Mund zu versperren.“
Der Alte wollte weiter stammeln; Wang unterbrach ihn. Er nahm ihn stark bei der Schulter, preßte ihn neben sich auf den Boden. Wang streichelte dem Alten die Wangen und die knotigen Hände, bot ihm heißen Tee. Der schluckte noch, schnappte, schlug mit dem Unterkiefer, sah aus geröteten Augen geradezu, hatte gellende Ohren.
Die Vagabunden, von Grimm ausgehöhlt, schluchzten ihren Ballast von sich. Die Arme wurden in einem Wirbel herumgerissen. Die heiße Wut wurde in die Hälse gepreßt, über einen blechernen Resonanzboden geledert, und schnarrend, tremolierend weg in die Luft geprustet. Sie kamen sich bloßgelegt bis auf die Blutröhren, die Lungenbläschen, vor, ihr Rätsel war von Chu gelöst: sie waren Ausgestoßene, Opfer; sie hatten einen Feind und waren glückselig in ihrem schäumenden Haß.
In dieser Minute gab sich Ma-noh an Wang verloren. Ma erlebte die mitleidigen, umdunkelten Blicke Wangs, fühlte, wie Wang innerlich diese rasenden Tiere an sich zog, furchtlos begütigte und küßte; und jäh riß ein Faden in ihm. Was kam nun? In ihm war keine Besinnung. Was lag an ihm! Was lag an dem Prior, an den Buddhas, an den Freudenhimmeln! Versagen aller Bremsen, Niederschmettern aller Widerstände. Verächtliches Lippenzucken über die Vagabunden; ihre Not belanglos gegen das, was in Wang vorgeht. Frösteln. Eine stählerne fremde Sicherheit, von innen heraus zielend. Schwindelloses Fallenlassen in einen Schlund. Schwaches federleichtes Hinlegen vor Wangs Fuß.
Wang bemühte sich stumm, traurig um den Alten. Er sah schon sie alle mit Messern zwischen den Zähnen den Berg herunterlaufen. Sie entglitten ihm.
Er sprach erst, als sie unruhig seine veränderte abwesende Miene bemerkten. Sein Gesicht war noch naß von den Tränen. Er redete müde, er murmelte vor sich hin, zuckte oft zusammen: „Das nutzt alles nicht. Das nimmt kein Ende, und wenn wir zehnmal hundertmal so viel wären als wir sind. Was sind wir? Weniger als die Freunde früher des Chu, und Chu sitzt bei uns und muß sein Herz aufreiben. Eine Schar von Bettlern aus den Nan-kubergen. Es wird Mord auf Mord kommen.“ Der listige Erzähler von Kwan-juan überschrie ihn. Seine vorhin höhnende harte Stimme klang bewegt, weich und leicht zornig. Wang und er rangen mit den Blicken. Sie seien keine faulen Bettler. Wer dies erlebt hätte, was sie, sei kein bloßer Wegelagerer. Ja, sie seien arme ausgestoßene Menschen, die kaum mehr widerstreben könnten, halbtote, denen man rasch einen Schluck Wasser einflöße und die man dann mit Fußstößen aufjage, rasch, damit sie nicht vor der Tür stürben. Ihre vier Brüder seien verloren, bald käme die Reihe an sie. Wieder funkelten seine Augen.
Wang zog seine Beine an, ging vorsichtig zwischen ihnen durch, umfaßte vorübergehend Ma-noh und blieb ganz im Hintergrund an der Wand stehen, wo man ihn kaum sah; nur wenn die dunkle Glut auf dem Herd heller aufschlug, erkannte man, daß er mit gesenktem Kopf stand, mit den Händen nach rückwärts die Bildsäule eines Buddha berührte. Ma-noh neben ihm. Wang fühlte sich schwimmen auf einem tobenden Meer. Es schien ihm, als ob er, schwankend zu sterben oder zu leben, plötzlich die Arme niedergeschlagen hätte auf ein Floß, sich mit dem Leib drüber wegzog und zu Ertrinkenden sprach, mit den Beinen sein steinsicheres Floß an Land steuernd.
„Man hat nicht gut an uns getan: das ist das Schicksal. Man wird nicht gut an uns tun: das ist das Schicksal. Ich habe es auf allen Wegen, auf den Äckern, Straßen, Bergen, von den alten Leuten gehört, daß nur eins hilft gegen das Schicksal: nicht widerstreben. Ein Frosch kann keinen Storch verschlingen. Ich glaube, liebe Brüder, und will mich daran halten: daß der allmächtige Weltenlauf starr, unbeugsam ist, und nicht von seiner Richtung abweicht. Wenn ihr kämpfen wollt, so mögt ihr es tun. Ihr werdet nichts ändern, ich werde euch nicht helfen können. Und ich will euch dann, liebe Brüder, verlassen, denn ich scheide mich ab von denen, die im Fieber leben, von denen, die nicht zur Besinnung kommen. Ein Alter hat von ihnen gesagt: man kann sie töten, man kann sie am Leben lassen, ihr Schicksal wird von außen bestimmt. Ich muß den Tod über mich ergehen lassen und das Leben über mich ergehen lassen und beides unwichtig nehmen, nicht zögern, nicht hasten. Und es wäre gut, wenn ihr wie ich tätet. Denn alles andere ist ja aussichtslos. Ich will wunschlos, ohne Schwergewicht das Kleine und Große tragen, mich abseits wenden, wo man nicht tötet. Ja, dies will ich euch von der Kuan-yin und den anderen goldenen Fos sagen, die Ma-noh verehrt; sie sind kluge und gereifte Götter, ich will sie verehren, weil sie dies gesagt haben: man soll nichts Lebendiges töten. Ich will ein Ende machen mit dem Morden und Rächen; ich komme damit nicht von der Stelle. Seid mir nicht böse, wenn ich euch nicht zustimme. Ich will arm sein, um nichts zu verlieren. Der Reichtum läuft uns auf der Straße nach; er wird uns nicht einholen. Ich muß, mit euch, wenn ihr wollt, auf eine andere Spitze laufen, die schöner ist als die ich sonst gesehen habe, auf den Gipfel der Kaiserherrlichkeit. Nicht handeln; wie das weiße Wasser schwach und folgsam sein; wie das Licht von jedem dünnen Blatt abgleiten. Aber was werdet ihr mir darauf sagen, liebe Brüder?“
Sie schwiegen. Chu seufzte: „Du mußt uns führen, Wang. Tu, wie du willst.“
Wang schüttelte den Kopf: „Ich führe euch nicht. Wenn ihr meinen Willen habt, will ich euch auch führen. Ihr müßt mir zustimmen, gleich und in diesem Augenblick. Und ihr werdet nicht zögern, und die im Dorfe sind, werden nicht zögern, denn im Grunde spricht ja keiner von euch anders. Ihr schäumt nur noch so, wie ich selber früher, liebe Brüder. Geht mit mir. Wir sind Ausgestoßene und wollen es eingestehen. Wenn wir so schwach sind, sind wir doch stärker als alle anderen. Glaubt mir, es wird uns keiner erschlagen; wir biegen jeden Stachel um. Und ich verlaß euch nicht. Wer uns schlagen wird, wird seine Schwäche fühlen. Ich will euch und mich schützen; ich werde nach Schan-tung wandern und den Schutz der Brüder von der Weißen Lilie erbitten, wie Chu will. Aber ich beschütze keine Räuber und Mörder. Wir wollen sein, was wir sind: schwache hilfsbedürftige Brüder eines armen Volkes.“
Ma-noh hielt den großen Wang an den Schultern umschlungen; er flüsterte heiß: „Und ich will mit dir wandern; ich will ein schwacher armer Bruder sein unter deinem Schutz.“ Die andern hatten still dagesessen, sich lange angeblickt. Dann warfen sie sich, erst Chu, darauf die vier vor Wang mit der Stirn an den Boden.
Die Hütte des Ma-noh leer.
Die Krähen und großen Raben hüpften über die Stiegen durch die offene Tür, saßen auf dem Herd, der noch warm war, zerrten mit ihren Schnäbeln an den dicken Binsenmatten. Zwei graue Zibetkatzen ließen sich an den Schwänzen vom Dach herunter, warfen sich mit einem Schwung langgestreckt mitten in die aufgehäuften Tuch- und Pelzlagen, wühlten unter ihnen herum; unter den Reflexen des Abendlichts blitzte ihr glanzvolles fleckiges Fell. Ein dicker Rabe schaukelte auf dem leeren Regal und sah nach unten; als die größere der beiden Katzen an die Wand gedrückt kurzbeinig sich in die Höhe zog, rauschte er unter ängstlichem Flügelschlagen und grellem Krächzen auf, an die Decke, zur offenen Türe hinaus.
Im Dorfe gingen um dieselbe Abendstunde die Wegelagerer einer hinter dem andern in das Haus des Bauern Leh, das zu den vier Häusern gehörte um die Eiche am Eingang des Dorfes. Auf dem hinteren Hofe stand eine weite leere Scheune, die von den Bauern zu Versammlungen benutzt wurde. Die offenen breiten Tore an den Längsseiten ließen weite Lichtmassen herein.
Was auf dieser Versammlung besprochen wurde, in der Scheune, in welcher ein schwerer Geruch von verfaultem Stroh, muffigen Menschenkleidern und Ochsenmist herrschte, ist kurz berichtet. Wang war nicht anwesend; Ma-noh hatte ihn den langen Weg, wo sie zusammen die goldenen Buddhas und die süß lächelnde Kuan-yin aus Bergkristall heruntertrugen, nicht allein gelassen; sie saßen in jener Gerätekammer zusammen und sprachen.
Ma-noh war von einer Kette losgebunden; überglücklich, ungeschickt und possierlich. Seine alte Gereiztheit klang peinlich in seiner Stimme; er hatte einen Kampf zu bestehen mit seinen Grimassen, seiner Redemanier, plötzlichen Affekten, die bodenlos geworden waren, und die er mit sich herumschleppte, wie ein krankes Tier seinen Winterpelz in das Frühjahr. Er kannte mit dem feinsten Gefühl seine Aufgabe, Wang zu beobachten; sah mit Angst die Gefahren, die Wang drohten; sah im Hintergrund die Furcht Wangs vor der Anbetung der Vagabunden. Sie blieben bis in die Nacht in der dunklen kalten Kammer. Ma-noh konnte mit Freude verfolgen, wie sich in Wang das väterliche und herrschaftliche Gefühl für die Brüder, die ihm vertrauten, fest und fester setzte.
In der Scheune berichteten die fünf Abgesandten, was sie mit Wang-lun beraten hätten und was ihnen Wang gesagt hätte. Vermochten fast Wort für Wort zu wiederholen. Sie standen in der Mitte des zugigen Raums; die Männer drängten sich um sie. Was die Boten berichteten, wirkte ungeheuer.
Neuer Überfall, Bogenschüsse in ihre Masse hinein hätten nicht so stark erregen können. Bei einigen, die sich abseits von den übrigen zu bewegen pflegten, kamen hohnvolle Bemerkungen auf von Bonzenwirtschaft; sie hielten sich geduckt, als sie sich umringt fanden von leidenschaftlichen Gebärden, stillem Vorsichhinstarren, hastigem Ausfragen, gedankenvollem Hin- und Herspazieren.
Die von Ma-nohs Hütte herunterkamen, strömten eine unablenkbare Sicherheit aus; sie standen eingekeilt; aus dem Haufen klang immer ihr: „Wang hat recht.“ Diese Boten, vom alten Chu bis zu dem ungeschlachten langen Burschen, welcher das blutige Fell in Ma-nohs Hütte getragen hatte, wurden angestarrt, umgangen von ihren Bekannten; man faßte sie an die Hände, man lechzte sie aus, staunte ihre Ruhe an. Wang, der ein paar Häuser entfernt in der Kammer hockte, an die jetzt alle dachten, rief man nicht; man hätte ihn ungern gesehen; er sollte dies alles nicht ansehen, dieses Herumgehen, dieses Zweifeln, diese Ratlosigkeit; man fürchtete das Auslöschen aller Lampen durch ihn.
Den meisten kam Wangs Plan wie ein Rausch, dessen man sich erwehrt. Es war eine Generalabsolution, die ihnen erteilt wurde. Sie sollten, geschützt einer durch den andern, durch die Provinz wandern, betteln, arbeiten, an keinem Ort sich lange aufhalten, in keinem geschlossenen Hause wohnen, keinen Menschen töten; sie sollten niemandem wehtun, keinen betrügen, nicht rachsüchtig sein. Wer will, solle die mildesten Götter anbeten, die Götter des Cakya-muni, die Ma-noh und Wang vom Berge heruntergetragen hätten. Man würde Großes, so Großes erreichen durch dies alles, daß es gar nicht ausgesprochen werden könne: die Augen der fünf Sprecher wurden klein vor Überschwenglichkeit und Heimlichkeit. Besonders der ungeschlachte Bursche hatte jetzt etwas Hölzernes, Ungelenkes in seinem Wesen, sprach abgerissen, war stark gebunden in seiner Haltung, als wäre er plötzlich versunken, fände sich in seiner Haut nicht zurecht. Die andern fragten, was man denn erreichen werde, nicht neugierig oder skeptisch, sondern lüstern, aufgewühlt; aber die Boten Wang-luns schnitten darauf nur ein befangenes Lächeln; es schien sich um Geheimnisse zu handeln, in die auch sie noch nicht eingeweiht waren oder die so stark waren, so stark. Die Frager schwiegen selbst, im Gemüt beängstigt und zugleich erschauernd.
Sie hatten das Gefühl der Rückkehr und zugleich des Abkettens. Die sich nicht beherrschen konnten und Opfer ihrer Begierden geworden waren, diese verbrauchten Weltverächter und kalten Ironiker, wurden am ehesten gepackt von dem Plane. Sie waren leer, trieben und rollten sich durch ein wechselvolles erbärmliches Leben, gutmütig, an vielem interessiert. Diese waren einer Bannung am ehesten zugänglich, denn sie verloren und gewannen nichts, waren völlig widerstandslos, da sie nichts beschäftigte. So tapfer sie sich in den furchtbarsten Lagen benahmen, so unerschrockene Beschützer, Angreifer sie waren, so waren sie am wehrlosesten, wo sich eine ernsterstarrte Miene zeigte und ein Gefühl strömte. Es wickelte sie ein; sie liefen ihm nach, sie bettelten hinter ihm her; sie tobten in Wut und glaubten sich um ihr Eigentum betrogen und verloren, wenn es vor ihnen auswich. Sie waren die verlässigste Avantgarde jeder, jeder Lehre. Sie gingen in der Scheune herum, witzelten unverändert. Sie konnten kaum die Worte der Boten lange hören, sie waren so innig gefangen, gequält von jedem Zuviel; sie schämten sich ihrer Veränderung.
Die Glücklichen, die aus dem Drangsal des Bürgerlebens geflohen waren, hörten erregt, daß man zurückkehren wolle. Sie sollten verzeihen, sie wurden gedrängt, sich zu erinnern. Sie waren es, die tief beschäftigt herumgingen, oft zuhörten, oft sich umsahen und die Stirnen falteten. Sie empfanden ganz leise einen Puff: man drängte sie. Der wüste Schwall ihrer Erlebnisse und Verwicklungen stand vor ihren Augen; sie hatten einen Ekel davor wie vor einer Schlangengrube. Sie sollten verzeihen, niemandem wehtun: das sollte die ganze Wirrnis lichten. Sie hielten sich an die Boten, sie hingen an ihren Lippen, klagten innerlich. In ihnen tauchte das Rachegefühl auf, heilend, versöhnte sie mit sich und den andern; sie würden durch die alten Gassen gehen, Brüder eines geheimen Bundes, furchterregend, ohne wehezutun. Es zog sie in dem Augenblick, wo sie daran dachten, an die Orte hin, sie sahen sich wandern; die Rolle des Anklägers verlockte sie. Sie sollten zurückkehren; das gab ihnen den Schwung der Erwartung; sie hielten sich an die Boten, hingen an ihren Lippen, sehnten sich.
In den Ecken standen mürrische Gesichter; junge und ältere, die miteinander nicht sprachen, an den Knöcheln kauten, Stückchen Stroh vom Boden aufhoben und zwischen die Lippen zogen. Solche finsteren Gruppen bildeten die verjagten Gesellen, welche sich elend unter den Vagabunden fühlten, denen sie sich notgedrungen anschlossen und die bösartig unter ihnen geworden waren. Ihnen konnte man eine offene Quelle zeigen, und sie wagten nicht durstig sich hinzustürzen, sooft waren sie schon zerschlagen worden; sie sahen in einer gewohnheitsmäßigen Verbissenheit ruhig zu, wie die andern tranken, sie, unter den Ausgestoßenen Ausgestoßene. Sie wußten nicht ob sie mitgalten, ob sie Brüder von Brüdern sein dürften. Erst als sich die lächelnden verschämten Witzbolde unter sie mischten, wo sie sich am sichersten fühlten, lösten sich ihre Mienen. Es gab unter allen, die in der Scheune Wangs Botschaft, diese alten herzlichen Dinge, hörten, keinen, dessen Herz sich mit ihrem an Verlassenheit und Weiche hätte vergleichen lassen. Wo man an ihre Herzen mit einer Nagelspitze ritzte, sprang alles Blut hervor. Sie waren unendlich verschüchtert. Sie schmolzen unter Wangs Worten; es gab unter ihnen einige ältere, die sich umarmten und mit ihrem Schluchzen die tönende Scheune erfüllten. Mit einer jungfräulichen Zagheit ließen sie zu, daß die andern sich ihnen näherten, und hatten noch später eine erinnerungsschwere Scheu vor ihren neuen Brüdern. Einige von ihnen, außer sich über das, was ihnen zuteil wurde, knieten vor den Boten nieder, nachdem sie sich durch den Knäuel geschoben hatten, bogen die Leiber zur Erde, sprachen unverständlich. Die Verzückung befiel sie, wo sie Brüder, schwache hilfsbedürftige Brüder schlimmer Vagabunden sein durften.
Die Wartenden, die Verführten, die Heimatlosen und Krüppel aßen Worte und Mienen wie ein süßes Gebäck. Sie fühlten sich wohlgeleitet; sie fühlten, ihnen geschähe Recht und man führe ihre Sache würdig vor aller Welt. Sie waren es, die schon lange am innigsten zu Wang standen und am meisten von ihm erwarteten; er war, wie sie glaubten, ihr Bruder mehr wie der der andern. Sie träumten mit offenen Augen und frohlockten innerlich.
Kein einziger von den vier, fünf Raubtiermenschen, die mit ihnen auf den Bergen gehaust hatten, befand sich mehr im Dorfe. Sie waren einzeln, sobald es wärmer geworden war, nach oben geschlichen, trabten auf den verschneiten Wegen, gruben ihre Höhlen und Hütten frei und warteten, warteten.
Als die fünf Boten spät in der Nacht in Wang-luns Haus traten, und ihm in der warmen Wohnstube, derselben, in welcher er mit dem Lederbeutel gescherzt hatte, zu erzählen anfingen von der Versammlung und dem Verlauf, sank Wang zitternd gegen den Tisch, hörte ohne zu fragen einen nach dem andern an.
Er sagte ihnen dann, was er vorhätte und was sie in den nächsten Wochen tun sollten. Er würde allein nach Schan-tung wandern; es würde Wochen, vielleicht einen Monat dauern, bis er sie wiedersehe. Prägte ihnen ein, sich zu zerstreuen, nur an einem oder dem andern Tage zusammenzukommen, sich nirgends lange aufzuhalten, aber immer voneinander zu wissen. Es stünde ihnen frei, andere, die ihresgleichen wären und sich zu ihnen hingezogen fühlten, aufzunehmen in ihre Gemeinschaft; aber darauf sollten sie keinen Wert legen, neue Brüder zu gewinnen. Sollten keine Früchte von den Bäumen reißen; sollten warten, bis sie selber fallen. Nur um sich sollten sie sich kümmern, dies könnte er ihnen nicht tief genug einprägen. Und dann sprachen sie den Rest der Nacht, ehe sie schlafen gingen, noch Geheimes und Himmlisches.
Es war keine Besprechung mehr. Nach den Erregungen des letzten Tages saßen sie in dem halbdunklen niedrigen Zimmer um den leeren Holztisch herum, die Arme aufgestemmt, mit dem Kopf ermüdet nach vorn übergesunken, starrten vor sich hin, atmeten. Sie schwiegen, und dann redete einer für sich, spann seine dunklen Gedanken aus, schwieg. Sie hatten manches gehört auf ihren Fahrten; es hielt sie wach, kundschaften zu gehen auf dem neuen Gebiet.
Einer erzählte von den großen Meistern Tung-gin und Ta-pe, welche auf Wolkenwagen stiegen, auf dem Regenbogen gingen und dann sich verirrten im Schoß des Nebels. Sie erreichten den Scheitel des Weltalls, ohne eine Fußspur zu hinterlassen im Schlamm und Schnee, sie warfen keine Schatten. Sie schritten über Berge und Felsen, bis sie zum Kun-lungebirge kamen, an die Pforte des Himmels; sie drangen in seine Umzäunung ein, sahen den Himmel über sich, einen Baldachin, die Erde unten, eine Sänfte.
Geheimnisvoll fing Wang selber an, leise zu sprechen von den Spitzen der Welt und den drei Juwelen. Er verstummte bald, wandte den Kopf wie beirrt suchend zur Seite zu Ma-noh. Ma-noh im Klostersingsang: „Cakya beschützt alle; der Maitreya kommt nach ihm, den erwarten die Frommen, des kostbaren Mondes weißen, majestätisch stillen König.“ Er summte entrückt von den Verwandlungen.
Jeder saß mit sich beschäftigt.
Als es hell am Morgen geworden war, nahm Wang Abschied nur von Ma-noh. Er lehnte ohne Begründung ab, sich begleiten zu lassen. Vor Ma tat Wang in der engen leeren Kammer das schweigende Gelübde; ließ sich die Scheitelhaare sengen, hielt seine Finger über eine Flamme, warf sein letztes Geld auf den Boden.
An demselben Tage, an dem die Bettler das Dorf verließen und sich nordwärts zerstreuten, trat Wang-lun seine Reise nach Schan-tung zu den Brüdern von der Weißen Wasserlilie an. Er wanderte ununterbrochen, oft sechzig bis siebenzig Li den Tag. Ein furchtbarer Schneesturm hielt ihn zwei Tage im Gebirge fest, ehe er in das Hügelland und die Ebene eintreten konnte.
Auf seiner beschwerlichen Wanderung brach dann der Frühling an. Die Stadt Yang-chou-fu sah den Bettler und beachtete ihn nicht; sie sah nicht lange später Anhänger dieses Mannes Entsetzliches in ihren Mauern leiden, fiel halb in Schutt. Er setzte über große Flüsse, über den Kaiserkanal und übernachtete einmal in Lint-sing, der Stadt, in der er sterben sollte. Während es Frühling wurde, näherte er sich den reichen, ihm wohlbekannten Gefilden am Westfuß des Tai-ngan. Man schälte noch auf den Winteräckern die Binsen ab, zog die langen Markstangen heraus; er dachte an Tsi-nan-fu, das nicht mehr fern war, und an Su-koh. Als der erste Regen fiel, begannen sie die Aussaat auf den Feldern, warfen Raps, Bohnen, Weizen. Das Brüllen der starken Pflugtiere, die nahen und weiten Lieder der Saatwerfer begleiteten Wang. Er zog weiter, südlich und östlich, umging das brausende Tsi-nan.
Seine Nahrung gewann er durch Betteln, Trägerdienste; auf dem Felde half er. In den größeren Dörfern und Städten trat er als Geschichtenerzähler auf, trug das Weckholz, den Würfel in der Hand, das ihm ein großer Lehrer namens Ma-noh verliehen habe; er hörte die Leute aus, warf seine Saat mit großer Kraft.
Er hatte Tschi-li verlassen, war wieder in Schan-tung, dem Lande, das den großen weisen Kung-fu-tse geboren hatte, den Wiederhersteller der alten Ordnung, die stählerne Mittelsäule des Staatsgebäudes; dem Lande, das auch durch Jahrhunderte die Geheimbünde hervorbrachte, welche Kaiser stürzten und furchtlos das notwendige Gleichmaß wiederherstellten, dessen dies Gebäude bedurfte. Das Land hatte einen ungeheuren Toten geboren, bot nun unablässig Lebendige auf, um zu bewirken, daß sein Fleisch, seine riesenhaften Knochen die Erde düngten, nicht breit auf dem kostbaren Boden laste. Die Geheimbünde waren die Spitzhacke, die Schaufel, die Barke der Provinz. Sie überlebten Regierungen, Dynastien, Kriege und Revolutionen. Sie schmiegten sich elastisch und windend allen Veränderungen an, blieben völlig in jeder Drehung unwandelbar und dieselben. Die Bünde waren das Land selbst, das sich mit blinden Augen lang hinstreckte; die Leute schacherten oben, feierten ihre Feste, vermehrten sich, besänftigten ihre Ahnen, Heerführer kamen, Soldatenvölker, kaiserliche Prinzen, Feuersbrünste, Schlachten, Sieg, Niederlage; nach einiger Zeit, einer unbestimmten Zahl von Monaten zitterte das Land in kleinen Schwingungen, Vulkanaugen warfen flammende, nicht zärtliche Blicke, Ebenen senkten sich; ein breitmäuliges Donnern; und das Land, beunruhigt, hatte sich auf die andere Seite zum Schlafen gelegt; es war alles wieder gut geworden. Es waren Jahrhunderte her, als die Mingherrschaft, die vom Volk getragene, echt chinesische, schwächer wurde, sich drehte, langsam verzuckte. In die schwere Zerrüttung des Reiches, bereitet durch Verbrüderung von Ohnmacht, Verbrecherwesen, Eunuchentum, griffen die Bünde ein; sie nahmen eisig den Hohn der Höflinge hin, die einen Knaben auf den Thron setzten. Dann erklärten sie ihm öffentlich den Krieg, bemächtigten sich des Landes; erschreckend weiß schimmerte in die Provinzen hinein die Wasserlilie Schan-tungs. Die Bünde hatten die glückliche Zeit der Mingkaiser nicht vergessen in den Jahrhunderten. Sagen schlangen sich um ihre Namen. Die Mandschus drückten nicht schwer; sie ließen das Volk gehen, wenn es sich nur beherrschen ließ. So große Kaiser die Mandschus dem Reiche gaben, die Unvergängliches schufen und unterstützten, so blieben sie den starren Genossenschaften Fremde, die nicht Recht haben durften. So milde, liebevoll und selbstvergessend die starken Fremden sich um das Volk bemühten, sie vermochten kein aufrichtiges Lächeln auf den Lippen der Frau zu erwecken, die sie auf Tod und Leben in den Armen hielten. Die Mandschu mußten erkennen, daß ihnen diese Herzen verschlossen waren. Es kam zu keiner Rachsucht. Sie hielten das Volk unter dem Schwert. Es fing an Gewalt mit Gewalt zu ringen. China, die Witwe, die sich in einer aussichtslosen Sehnsucht verzehrte, sammelte Freunde gegen den ernsten Gemahl. Zur Kühle trat Zorn, zur Enttäuschung trat Zorn.
Wang umging die grünen Weinberge am Westfluß des Tai-ngan. Als er die ersten Hügel des Gebirges hinter sich hatte, rastete er bei seinen alten Freunden aus der Tsi-nanzeit einige Tage. Einen verschmitzten jungen Töpfer, den er bei ihnen vorfand, schickte er nach Tsi-nan herunter mit einem Gruß an den Bonzen Toh, den Verwalter des Tempels des Musikfürsten Hang-tsiang-tse. Die Rückkehr des Boten konnte Wang dann nicht mehr erwarten. Der Töpfer fand den Bonzen nicht im Tempel; er hatte nach Wangs Mord an dem Tou-ssee seine Kammer verlassen und hielt sich in der Stadt verborgen, erst in den grünen Häusern, wo ihn eine Wang befreundete Dirne aufnahm, dann in einem Dörfchen jenseits des Flusses, wo er seine Fähigkeit des Ziselierens an Zinngefäßen auszuüben begann. Hier traf ihn der gewandte Töpfersmann. Der Schreck und die Freude bei der Nachricht ließ Toh den Stahlgriffel aus der Hand fallen. Er forschte bei versperrter Tür den jungen Menschen aus, der von Wangs ernstem, ja ehrfurchtgebietenden Auftreten berichtete und dessen Mission in Schan-tung ahnte. Beide, Toh und der Töpfer, gingen frühmorgens aus dem Dörfchen heraus. Als sie im Gebirge eintrafen, waren vier Tage seit der Abreise des Töpfers verstrichen und Wang einen Tag weitermarschiert, ohne zu sagen wohin. Erst viel später, in den Zeiten der letzten Not, sah Wang noch einmal seinen Lehrer und lernte noch einmal seine Anhänglichkeit kennen.
Die Birken und das lichte Haselgehölz in der schönen Berglandschaft, die der Mann aus den Nan-kubergen durchwanderte, schlugen aus. Kraniche segelten durch die Luft. Das Stoßen und Verhalten des Windes nahm ab; die Felsen wurden höher und kahler. Das Kohlengebiet von Po-schan kam näher. Ab und zu begegneten ihm lange endlose Züge von Maultieren, die kandierte Datteln, die süßen roten Früchte, in die Ebene hinunter schleppten.
Dann verbreiterten sich die Wege; auch die Berge traten auseinander. Dunkle weite Felder dehnten sich mit unregelmäßigen Löchern, Püngen, in denen die abgebaute Kohle zu Tag lag. Die Luft wurde, selbst bei Sonnenlicht, dichter und dunkler. An vielen Orten stiegen Rauchsäulen in die Luft, wie Balken, die das Gebiet abgrenzten und eingitterten. Die Straße war hart; runde Granitblöcke lagen herum. Der Boden ging wellig. Auf der nackten steinernen Ebene stand die große Stadt Po-schan.
Wang hatte von Chu die Adresse eines reichen Grubenbesitzers erhalten. Er traf den Mann in seinem ungeheuren festen Hause nicht an; er bereiste zu Handelszwecken, hieß es, die Nachbarschaft. Wang mußte seine Rückkehr abwarten. Er ging hinaus und vermietete sich als Arbeiter bei einer Grube. Sie standen zu fünf und zehn an den tiefen Schachten, mit geschwärzten Oberkörpern, zogen an mächtigen Winden. Im Takt, Hand hinter Hand an dem schlüpfrigen Lederriemen, zogen sie; ihr Gesang fiel gleichmäßig von Höhe zu Tiefe und stieg an, wie der Eimer mit Wasser und Kohle. Sie wohnten in der Ebene dicht zusammen in Lehmhütten.
Abend um Abend ging Wang herüber in die Stadt. Zwischen den Kohlenhaufen mußte er sich durchwinden, die wie spitze Hüte aussahen. Dann kamen leere abgezäunte Flächen, über denen ein erstickender Säuregeruch stand; hier kristallisierte in großen Gefäßen das Schwefeleisen an der Sonne, das sie aus einer Lauge von Schwefelkies gewannen. Am sechsten Tage traf der Besitzer ein, er hatte schon von dem fremden Arbeiter gehört, der Tag für Tag nach ihm fragte.
Chen-yao-fen war groß und breitschultrig, mit starkknochiger Stirn; hatte ein energisches Wesen, sprach in den kurzen dringlichen Sätzen der vielbeschäftigten; seine Fragen griffen unmittelbar an. Wang hatte solchem Manne noch nicht gegenüber gestanden. Er schwankte im Beginn des Gespräches; seine Sicherheit verließ ihn einen Augenblick; einige dunkle Erinnerungen aus seiner Betrügerzeit in Tsi-nan überhuschten ihn; er kam sich ertappt vor. Erst als er den Namen Chus ausgesprochen hatte, der Kaufmann verblüfft an ihn herantrat, und er, Wang mit Chen zu verhandeln anfing, schwieg alles unter kalter aufmerksamer Ruhe. Chen stand geraume Zeit, die linke ringgeschmückte Hand am Mund, still da, von dem Schicksal Chus erschüttert. Dann versperrte er die Türe, hieß den Gast, dessen Wünsche er nicht begriff, sich an einem kleinen Tisch vor dem Hausaltar setzen, bot ihm seine eigene Teetasse an. Wang, dessen Gesicht und Ohren Reste von Kohlenstaub bedeckten, trug sein Anliegen vor, knapp und einfach; welche Not sie in den Nan-kubergen gelitten hätten diesen Winter, wie sie in das kleine Dorf eingedrungen wären, wie die Bettler sich verbrüdert hätten und ihm folgten, was der Unterpräfekt von Cha-tuo gegen sie unternommen hätte. Sie würden untergehen, bäten um den Schutz der Vaterlandsfreunde, denn sie seien schuldlos, wie Chu.
Der Kaufmann, der die aufgerissenen Augen nicht von dem Mann ließ, welcher mit hängenden Armen und geschwollenen Fäusten dasaß und seine Sache hersagte, wie wenn es sich um eine Schale Reis handle, fragte nur, welcher Art der Schutz sei, den man ihnen gewähren sollte. Er erhielt zur Antwort: Druck auf die Behörden; im Notfall unmittelbare Aufnahme der Verfolgten und Eintreten für sie. Dann bat er schon mit leisen Worten Wang zu gehen, um keinen Verdacht zu erregen; morgen würden sie bei den Laugetöpfen, an denen er ein neues Verfahren ausprobe, das er auf seiner Reise kennen gelernt habe, sich in Ruhe weiter sprechen können. Wang verneigte sich und schwang die Hände, nachdem er auf das stündlich Dringende seiner Sendung hingewiesen hatte.
Der Kaufmann keuchte, als er allein war. Er verstand dies alles nicht, verstand nicht, warum Chu, der Schweigsamste von allen, der Hab und Gut liegen gelassen hatte, ohne ein Wort zu verlieren, sich diesen Vagabunden offenbart hätte, sie alle verraten hätte. Er warf sich in der Nacht. Als er sich morgens ankleidete, steckte er ein kurzes breites Messer in seinen Tabaksbeutel am Gürtel; wenn es sein müßte, wollte er den Sendboten bei den Laugetöpfen beseitigen. Chen war nichts weniger als totschlaglaunig; diese Sache erforderte ein augenblickliches Eingreifen. Um keinen weiter zu belasten, suchte er seine Freunde und Gildengenossen nicht auf. Er zündete Räucherkerzen an vor der Ahnentafel in seinem Wohnzimmer, gelobte hundert Täls zum Bau einer Pagode beizutragen, wenn diese Angelegenheit gut abliefe, rief seine Träger.
Seine Sänfte trug ihn bis an die Abzäunung der Felder. Dann schleppten die Träger zu zweien große eigentümlich geformte Tonkrüge mit einer bleischweren Masse gefüllt hinter ihm her, setzten sie auf seinen Ruf neben eine der flachen Laugeschalen ab, die groß wie ein Zimmer war. Eine schwarzbraune Flüssigkeit bedeckte ihren Boden, atmete einen zusammenziehenden ätzenden Dunst aus. Die Träger schickte Chen weg mit einer Handbewegung.
Wang kam, hockte auf Chens Wink neben ihn vor der Schale nieder. Beide wanden sich dünne Seidenschals, die neben Chen lagen, vor Mund und Nase.
Wieviel sie auf den Nan-kubergen seien?
Hundert, als er wegging, jetzt vielleicht vierhundert, vielleicht tausend.
Warum so ungewiß, vielleicht vierhundert, vielleicht tausend? Wodurch könnten sie sich so rasch vermehren?
Sie seien einer Ansicht. Sie litten alle viel. Sie beschützten sich gegenseitig.
Noch einmal, wer er sei, woher er stamme, welche Rolle er bei ihnen spiele?
Er heiße Wang-lun, sei der Sohn eines Fischers, aus Hun-kang-tsun im Distrikt Hai-ling, Schan-tung, gebürtig. Er führe sie; er hätte ihnen geraten, nichts zu tun gegen Bedrückungen, sondern als Ausgestoßene zu leben ohne Widerstand gegen den Weltlauf.
Was er damit bezwecke, der Führung, dem Raterteilen, was er mit alledem bezwecke? Warum sie sich denn nicht einfach in die acht Himmelsrichtungen zerstreuten, so lebten, ganz so lebten, wie er meine und wie es ja wohl entsprechend sei; statt sich zusammenzutun, die Aufmerksamkeit der Ortsbehörden auf sich zu lenken, Schutz fremder Genossenschaften zu verlangen und all das.
Wer sich zerstreue, verkäme, meinte Wang. Auch er hielte es für gut, daß die Brüder zusammenhielten; sie wären sonst in Kürze wieder Mörder, Seeräuber, Frauenschänder, Einbrecher. Es sei nicht genug, Wegelagerer zu sein, sondern man müsse wissen, auf welchem Wege man zu lagern habe.
Jetzt erst befiel den entschlossen dasitzenden Kaufmann ein Erstaunen. Er betrachtete den Mann neben sich, der ruhig Antwort erteilte und immer in die schwarzbraune saure Galerte blickte.
„Du hast deine Lauge vier Tage lang stehen, Chen. Es genügt nicht, daß du den Kies, den wir aus der Grube holen, wäschst. Du hältst die Lauge tagelang unter dem Sonnenlicht. Ein Kristallschwefel nach dem andern schießt auf, je mehr das Wasser abdunstet. Gieß deine Lauge in einen Bach: es wächst kein Kristall, Chen.“
An den nächsten Tagen stundenlange Unterhaltungen der beiden. In der letzten spielte Wang seinen Trumpf aus; daß er wohl den Schutz der Weißen Wasserlilie für seine Brüderschaft erbitte, aber nicht mit leeren Händen komme. Denn er bringe dem Bund ein ständig wachsendes Heer, auf das Verlaß sei. Wenn man die Saiten des Juch-kin zu stark spanne, hören sie auf zu klagen und zu tönen, springen wie ein Schwärmer um Neujahr dem Spieler an die Wange, pfeifen eine blutige Strieme hin.
Schwer entschloß sich Chen am Spätabend des vierten Tages Freunde zu sich einzuladen zu einer Mahlzeit auf den folgenden Tag. Und nachdem sie, sechzehn an der Zahl, drei Stunden diniert hatten, viele seltene Gemüse, Krebsschwänze, Pasteten, Hahnenköpfe, Hammelklößchen, gedünstete Nudeln, nachdem das zarte Gebäck, die Weine, Liköre und der Essig von den kleinen Tischen geräumt waren, mußte Chen seinen rauchenden Freunden von dem seltsamen Bettler aus den Nan-kubergen in Tschi-li erzählen.
Er erzählte erst scherzweise, anekdotenhaft von ihm, dann als die Gäste auf andere Dinge übergehen wollten, hielt er fest, und plötzlich war der Ton ihres Gespräches, nach ganz unmerklichen Wendungen, geändert, und das Gurgeln der Wasserpfeifen ließ nach. Es trat alles ein, was Chen gefürchtet hatte. Es gab Lachen, Entrüstung, Befremdung über seine Rolle; bei manchen, den klügeren, Angst und Versteinerung.
Sie saßen um die kleinen, dicht aneinander geschobenen Tische in dem prunkhaft erfüllten Wohnzimmer. Bunte Teppiche und Bambusmatten wärmten den Fußboden. Dunkel gebeizte Holzsäulen, zwei Reihen, stützten eine fein gefelderte Decke, von der eisengetriebene Lampen und Laternen herunterhingen an den Füßen von Greifen, aus den Mäulern von Drachen. Fleckige Orchideen lagen an jedem Platz. Ein ausgezogener prachtvoller Wandschirm verkleidete den Achtgenientisch an der Hinterwand des Hauses vor dem Hausaltar. Ein ungeheurer meterhoher Prunkspiegel war nach der Wand zu gedreht und zeigte auf seinem glanzigen schwarzen Holz Reiher, die über Wellen hinziehen, auf Felsen am Ufer sitzen, ganz klein am Firmament gegen Sonnenstrahlen auffliegen.
Chen-yao-fen saß in einfachem schwarzen Seidengewand unter seinen bunt geschmückten Gästen. Sie naschten Süßigkeiten, schluckten aus winzigen Teetassen, brachen Nüsse. Sie genossen die Weichheit und Leichtigkeit der Stunde, warteten auf die Schauspielerinnen, die Chen aus der Stadt zu mieten pflegte, und waren gar nicht geneigt, an Bettler aus den fernen Nan-kubergen zu denken. Als dann der Name Chus fiel, und daß Chu in den Nan-kubergen anscheinend von ihnen gesprochen hatte, wurde die Erregung, das Aufspringen, das Drängen um Chen allgemein. Das Klappern der feinen Bonbonschälchen hörte auf. Sie scharten sich an dem Wandschirm vor Chens Hausaltar zusammen.
Pelien-kao, die Weiße Wasserlilie, tagte.
Die Flüche auf Chu wurden laut. Man wollte Näheres, Näheres, Näheres wissen. Was denn, wie denn, warum denn? Die Erklärungen Chens wiederholten sich; man sollte die Anhänger der Wasserlilie in Tschi-li orientieren, auf die Entwicklung der Dinge aufmerksam machen, sie veranlassen, ihren Einfluß geltend zu machen, daß nichts gegen den neuen Bettlerbund geschehe, die Bettler im schlimmsten Fall selbst aufnehmen und verbergen.
Durch den heftigen Widerspruch der andern wurde Chen, der nicht ganz sicher sprach, gereizt, sprach mit großer Kraft und nicht ohne Spitzen. Man trennte sich auf das Verlangen vieler, die sehr bestürzt waren, kam überein, sich abends noch einmal zu treffen.
Es war Furcht, was die meisten dieser sechzehn Männer beherrschte. Ihre Sache sollte plötzlich ein Gesicht bekommen. Plötzlich: das war das Wesentliche; ohne Not, ohne Grund. Die Regierung Khien-lungs dauerte lange. Der Kaiser hatte eine harte, nicht ungerechte Hand. Es war gefährlich, aussichtslos gegen ihn Aufruhr zu erheben. Es war nicht die Zeit.
Abends flackerten die bunten eisengetriebenen Laternen und Lampen von der getäfelten Decke. Die Vorwürfe, die einzelne gegen Chen vorbrachten, waren heftiger als mittags. Daß er sich eingelassen hätte mit diesem Sendling, statt einem raschen Mann fünf Schnüre Käsch zu geben, dazu ein kleines scharfes Messer. Einer jammerte, weinte, gab sich und seine Familie verloren.
In der Finsternis schlug mit einem verabredeten Zeichen Wang an die Hintertür des Hauses. Neben dem Altar kam der große lumpenbekleidete Mensch hinter dem Wandschirm hervor, stand unter den erregten Kaufleuten. Er sagte fast wörtlich, was er Chen erzählt hatte. Als sie in ihn drangen, berichtete er, wie sie vom Berg laufen mußten, die armen und kranken Männer, die mit ihm auf dem kahlen Nan-kugebirge wohnten. Er sprach, als ob es ihn nicht beträfe. Einigen von den stolzen Kaufleuten kam der Gedanke: man füttert diesen verhungerten Burschen aus und schickt ihn mit ein paar Täls nach Hause. Sie beruhigten sich bei seinem Anblick, den sie genossen. Er sah wahrhaft nicht ängstlich aus, sie lächelten leise und nickten sich mit den Köpfen zu. Es mag sein, daß es ihm und den andern schlecht ging; die armen Teufel sollten nicht verkommen, keineswegs. Aber wozu dieser Lärm? Wegen ein paar Hungerleider bemüht man nicht Kaiser und Zensoren; wenn der Hwang-ho übertritt, kommen in einer Stunde zwanzigtausend Menschen um, und das Reich zittert nicht, und der Himmelssohn fährt sich nur einmal fragend über die Stirn. Es war ein Irrtum Chus, die Weiße Wasserlilie für eine Wohltätigkeitsanstalt zu halten. Wer wußte, was Hunger und entartete Gesellschaft aus ihm gemacht haben.
Die Erregung flaute ab, das Kopfschütteln wurde allgemein. Sie unterhielten sich miteinander, während Wang diesem und jenem Auskunft gab. Es war lächerlich dieses Argument, daß sich ihnen Scharen kräftiger Menschen anschlössen, wo sie doch nicht wußten, was mit ihnen tun. Man ließ sich nicht von hundert, von tausend Menschen hinreißen zu Dingen, die man nicht billigte.
Wang schwitzte, wischte sich nach Bauernart mit dem Handrücken Nase und Stirn, verbreitete unter die exquisiten Parfüme den beleidigenden Geruch der Landstraße. Er begriff die Lage völlig. In Chen, der gewohnt war zu befehlen, stieg der Zorn über seine Brüder auf, die sich in einer ihm unfaßlichen Weise abwandten, als bestünde keine Gefahr für sie, untereinander schon plauderten und herumgingen, als überließen sie den Mann und seine Sache ihm. Wangs und Chens Blicke begegneten sich.
Plötzlich lächelte der große zerlumpte Mensch, als er über die feinen Konfitüren auf den fünf runden Tischchen inmitten des Saals blickte. Pfiffig verbreiterte sich sein Mund, die gelben Zähne traten hervor; er drehte grinsend den Kopf nach beiden Seiten, indem er langsam unter höflichen Verneigungen die plaudernden Herren zerteilte und mit der Hand über eine gefüllte Porzellanschale fuhr, wie man das nackte Köpfchen eines Säuglings streichelt. Er hockte auf einem geflochtenen Schemel neben den Tisch nieder, aß mit feuchtem Schmatzen die Schale leer. Die Herren hinter ihm gurrten, kicherten, lispelten, stellten sich in kleinen Gruppen um ihn herum, boten ihm von einem Nachbartisch eine neue Schale, die er dankend abnahm. Er erzählte, wie schön und ausgewählt der Geschmack dieser Bonbons sei, nahm auf den Rat der Herren besondere Stücke aus der Schale und aß. Chen stand am Wandschirm still; die Blicke der lächelnden Herren kreuzten sich; man blinzelte sich an; es wurde vergnüglich.
Dann ließ Wang seine Beine herunter, ging um sein Tischchen herum und nötigte einen feinen Herrn, der ihm am freundlichsten Stücke angeboten hatte, — es war der jüngste, eben der, welcher sich über die neuste Wendung der Sache herzlich freute —, sich auf seinen strohgeflochtenen Schemel zu setzen. Der Herr ging amüsiert mit um das Tischchen, drehte aber vor dem Schemel, stehen bleibend und sich verfinsternd, den Kopf zur Seite und wandte Wang den Rücken. Der sprang vor ihn unter vielen Verbeugungen, wies mit unverändertem Lächeln auf den besetzten Tisch, pries die auserwählten Süßigkeiten. Als der Herr kalt ein paar Schritte an ihm vorbeiging, folgte Wang mit entzücktem Kopfnicken, bot ihm den Arm zur Stütze und die Schultern, um ihn zu dem Platz zu führen an dem Tisch mit den ganz unübertrefflichen Bonbons. Der streifte wortlos mit einer raschen Handbewegung Wangs Ellenbogen. Da umfaßte ihn seufzend der knochige Bettler aus den Nan-kubergen von hinten, trug ihn unbekümmert um sein kinderhaftes Schreien und Strampeln an den Schemel, setzte ihn mit einem Krachen darauf, drückte ihm die aufstrebenden Schultern herunter. Mit dem linken Arm umschlang er dem Herrn von hinten den Hals. Er wandte das wutkalte Gesicht nach allen Seiten, in Fischerplatt drohend, hielt in der rechten Hand das schmale fein ziselierte Messer, das der Herr zum Schmuck an seinem Gürtel getragen hatte, im Kreis um sich schlagend. Immer wieder lud er den jungen Herrn ein, zu fressen; bis der, gedrängt durch die halblauten Zurufe der andern, einen Bonbon nahm und schluckte. Wang zog seinen Arm von dem Hals des Mannes, rekelte sich offen und gähnte. Er spuckte einem fettleibigen älteren Herrn, der in der Mitte des Saales ganz allein erstarrt stand, den halbzerkauten Rest einer Dattel auf die bemalten Schuhe. Er begrüßte unter Totenstille den Hausherrn, den hohen ernsten Chen-yao-fen im schwarzen Seidenkleid, verneigte sich grinsend, versprach morgen wieder die Ehre des Empfanges zu erbitten, schlich um den Wandschirm und war zur Tür hinaus. Das Messer des angefallenen Herrn klirrte, geworfen gegen den Ebenholzrahmen des Wandschirmes.
Chen war der einzige, der während des Spiels alles erfaßt hatte; aber auch die andern, sofern sie nicht vor Bestürzung ohne Gedanken dastanden, wußten etwas Neues, was nicht sich deckte mit ihren Gesprächen. Es krachte im Zimmer, ein dumpfes Aufwuchten; der junge Herr war von dem Schemel, auf dem er noch hockte, ohnmächtig hintenüber gefallen; der umgestürzte Schemel lag halb unter seinen Beinen. Man lief zusammen, bemühte sich um den Bewußtlosen, der plötzlich erbrach, bald die Arme bewegte, sich hoch richtete und die trüben Augen zwinkerte. Es kam zu keinem lauten Gespräch. Die reichen Herren stellten, als wären keine Diener im Haus, peinlich die Ordnung im Zimmer wieder her, beseitigten mit seidenem Schal das Erbrochene. Man ging hin und her.
Chen-yao-fen, mit energischer klarer Stimme, sagte, es würde ihn beglücken, wenn die kostbaren Herren morgen oder in den nächsten Tagen wieder den Fuß über seine verwahrloste Schwelle setzen würden; heute bäte er sie nur noch, bei ihm zu speisen. Einer nach dem andern dankte; man konnte sich schwer trennen, schurrte zerstreut zu den Sänften.
Wang berührte mit keinem Wort den Vorgang in Chens Wohnung, als er den Kaufmann am folgenden Tag auf den Schwefelfeldern traf. Er setzte ihm auseinander, daß kein Mißverständnis darüber herrschen möge: die Brüder aus den Nan-kubergen bäten um keinen Schutz, sondern um Anerkennung und Brüderschaft. Sie seien an sich stark, aber sie könnten gefährlich werden: und dies sollte verhindert werden. Während sie Zusätze zur Lauge in die Pfannen gossen, drang Chen tiefer in die Vorstellungen Wangs ein; seine Ansichten über die Armut, sein Glauben an die goldenen Buddhas wurde ihm deutlicher; er dachte, während er sich vor den blauen Dämpfen das Gesicht mit dem Schal einhüllte, über das Tao, jenen starren unbiegsamen Weltlauf nach, der Anfang und Ende von Wangs nicht ganz klaren Gedanken war. Es waren Schwärmer, die unter der Not, den Behörden, den stolzen Kung-fu-tseanhängern bald Entsetzliches leiden würden. Das heimische alte Tao klang ihm so freudig aus Wangs Gesprächen entgegen.
Als sie nach stundenlangem schweigenden Dahocken und Rühren aufstanden und Chen die Hände schwang, wußte Wang, daß er die Weiße Wasserlilie gewonnen hatte.