Читать книгу Islamische Kultur und Zivilisation - Али Акбар Велаяти - Страница 11
ОглавлениеZweites Kapitel: Grundlagen für die Entstehung und Entwicklung der islamischen Kultur
1. Stellung der Wissenschaft im Islam
Würde man alle Berichte über den Stellenwert von Wissen und Weisheit im Koran und der theologischen Überlieferung zusammentragen, könnten daraus mehrere Bücher entstehen. Hätten die islamischen Heiligen und Wortführer nicht wiederholt die hohe Stellung von Wissen so ausdrücklich betont, wäre niemals eine derart wichtige Kultur entstanden. Allein das Wort Wissen / Wissenschaft (ʿilm) ist - ohne abgeleitete Formen - ca. achtzig Mal im Koran mit unterschiedlichem Kontext belegt. Dagegen findet sich eine konkrete Bezeichnung für Verstand / Geist (ʿaql) im Koran nicht. Dennoch kann man einen anderen Begriff (ūlī l-albāb = Gelehrten, Weisen) im Koran finden, der auf den Intellekt bzw. den Besitzer von Intellekt hinweist. Außerdem wird im Koran von Begriffen wie Weisheit / Philosophie (ḥikma), Argument (burḥān), Geist / Überlegung (fikr) und (islamisches) Recht (fiqh) wiederholt Gebrauch gemacht. Gott verneint die blinde Nachahmung ebenso wie Verehrung ohne tiefgreifende Überzeugung. Im Koran werden Wissen (ʿilm) und Glaube (īmān) beispielsweise als gleichwertige Eigenschaften parallel verwendet:
Und diejenigen, denen Wissen und Glauben zugekommen sind, sagen: «Nach dem Buch Gottes habt ihr bis zum Tag der Auferweckung verweilt. Und das ist der Tag der Auferweckung. Aber ihr wußtet es ja nicht.»1
Der Koran beschränkt sich aber nicht auf eine allgemeine Verwendung dieser Begriffe. Vielmehr finden sich detaillierte Hinweise auf die Bedeutung des Erwerbs von Wissen, darunter in den Suren Al-i-Imran 190 (3:190), al-Anʿām (6:97) und Yunus (10:5). Auch finden sich in den erzählenden und mahnenden Versen Hinweise auf die Geschichtsschreibung und historische Ereignisse, die geeignet sind beim Leser Interesse an historischen Abläufen zu wecken:
Sprich: Zieht auf der Erde umher und schaut, wie das Ende derer war, die (die Botschaft) für Lüge erklärt haben.1
In den Überlieferungen des Propheten Muḥammad, der Ahl al-Bait (Familienangehörige des Propheten) und der Imāme gibt es zahlreiche Hinweise auf die besondere Bedeutung von Wissen und die Tugendhaftigkeit der Wissenschaftler. Der Prophet des Islams forderte alle Männer und Frauen dazu auf, sich Wissen anzueignen, denn er vertrat die Meinung, dass eine einzige Stunde, die man für seine persönliche Bildung aufwendet, viel wertvoller ist, als ein ganzjähriges Gebet. Auch unter den Imāmen, besonders bei Ǧaʿfar aṣ-Ṣādiq (gest. 703) gewann die Bildung an Bedeutung. Er betonte, dass die Schreibfeder der Gelehrten am Tag des Jüngsten Gerichts mehr Gewicht haben werde als das Blut der Märtyrer. Der Islam weist auf die enge Verbindung von Ethik und Wissen hin und verfolgt in Bezug auf Bildung eine eigene Ideologie. Dem Wissenschaftler kommt in der Vermittlung von Bildung eine besondere Verantwortung zu, da ein lasterhafter Gelehrter die Menschen auf den falschen Pfad führt.2
Überblick über die Schreibkultur in der islamischen Geschichte
Einige vereinzelte Informationen über die Araber im Zeitalter des Heidentums zeigen, dass ihnen Schreiben und Lesen nicht fremd war. Diese Fertigkeiten standen aber nicht im Mittelpunkt des täglichen Geschehens, denn ihre Geschichte und Kultur wurde in der Regel mündlich tradiert. In einigen Teilen der arabischen Halbinsel wurden Steintafeln mit Inschriften gefunden, deren Alphabet nach Meinung von Fachgelehrten mit der nabatäischen Schrift verwandt sei.3
Das Vorkommen bestimmter Wörter im Koran mit Hinweisen auf Schrift bzw. Schreiben zeigen, dass beim Aufkommen des Islams die Tätigkeit des Schreibers unter den Arabern bereits bekannt war. Selbst das Wort kitab (Buch, Schriftstück) weist in diese Richtung, auch wenn wir nicht wissen, ob es ursprünglich im heutigen Sinne verwendet wurde. Trotz der Neigung der Araber, ihre Überlieferungen auswendig zu lernen, ist die Niederschrift des Heiligen Korans der beste Beweis für die Beschäftigung mit Schrift zu dieser Zeit. Von besonderer Bedeutung ist die Feststellung, dass die Muslime von Anbeginn auf die Echtheit der Niederschrift bedacht waren.1 Als geeignetes Material für die Niederschrift erwies sich Leder, da es beständig ist. Da Leder jedochein sehr kostbarer Stoff war, wurden auch preiswertere Materialen, wie die Rinde und Blätter der Palme hinzugezogen. Die Kontakte mit den benachbarten Kulturen trugen dazu bei, neue Mittel und Wege der Schreibkunst kennenzulernen. Die Berührung der Araber mit den Ägyptern brachte ihnen Kenntnis vom Gebrauch des Papyrus, das ebenso wie Leder kostbar war. Auf die Bekanntschaft der Alternative Papier mussten die Muslime jedoch bis zur Eroberung Transoxaniens warten. Dessen Produktion wurde zunächst von einigen chinesischen Herstellern in Samarkand betrieben, von wo aus die Technik in die Welt des Islams Einzug hielt. Der hohe Bedarf an Papier in den ersten Jahrhunderten war ein Grund für die Herstellung verschiedener Papierqualitäten, die sich im Grad der Beständigkeit wie auch in Stärke, Helligkeit und Farbe unterschieden. Es gibt Hinweise, dass die Muslime sich mit der schlichten Produktion von Papier nicht begnügten, sondern zur weiteren Verfeinerung des Produkts beitrugen. Hergestellt wurde Papier in großen Mengen nun in den bedeutenden Zentren der islamischen Welt im Irak, Iran, in Ägypten und Andalusien. In Bagdad wurde auf Initiative von Faḍl ibn Yaḥyā, dem Wesir von Hārūn ar-Rašīd (gest. 809), die Produktion von Papier aufgenommen, welches bald das Leder ablöste. Im fünften Jahrhundert nach der hiǧra wurde diese Technik dann in Syrien eingeführt, wo sie eine erstaunliche Weiterentwicklung erfuhr. Der bekannte persische Reisender und Dichter Nāṣir-i Ḫusrau (gest. 1078) teilt in seinen Reisebeschreibungen (Safarnāmeh) über die Papierproduktion in der libanesischen Stadt Tripolis mit, dass „die Qualität des hiesigen Papiers mit der von Samarkand konkurrieren kann, ja sie sogar übersteigt!“ Die Papierherstellung fand über Ägypten und Andalusien später Zugang nach Europa, wo im 13. Jahrhundert in Italien die ersten Fabriken entstanden.1 Die Muslime haben somit bei der Weiterentwicklung und Verbreitung der Schrift und Entwicklung von Kultur einen wichtigen Beitrag geleistet.
2. Einzug der Wissenschaften in die Welt des Islams und deren Magnetwirkung auf die Gelehrten
Die Heimat der Wissenschaften, die in der islamischen Welt eingeführt wurden, liegt in Griechenland. Die meisten Schriften griechischen Ursprungs lagen in altsyrischer oder lateinischer Übersetzung vor. Ein Teil der Quellen erreichte die muslimische Welt über das ägyptische Alexandrien, wo die Schule von Alexandrien beheimatet war.2 Die Muslime eigneten sich das Wissen der Griechen über Mathematik, Astronomie, Medizin und die Naturwissenschaften an. Zahlreiche Werke islamischer Gelehrter lassen das Ausmaß erahnen, welchen Nutzen sie aus den Schriften der antiken Griechen wie Hippokrates, Galenos, Plato, Pythagoras und Aristoteles gezogen haben. Erste Bekanntschaft mit der griechischen Welt machten die Muslime nicht durch ihre Übersetzung von Schriften, sondern durch Ärzte, die in den von Muslimen eroberten Gebieten wie Syrien, der späteren Hauptstadt des islamischen Kalifats, lebten und wirkten. Andere Wissenschaften kamen aus Indien, wohin am Anfang der Abbasidenzeit Verbindungen hergestellt wurden, sodass einige Werke aus dem Bereich der Medizin und Astronomie ins Arabische übertagen werden konnten. Im Jahre 154 nach der hiǧra [771] wurde vom Kalifen al-Manṣūr (reg. 754-775) in Bagdad eine Delegation von indischen Gelehrten empfangen, zu denen auch einige wichtige Astronomen zählten. Er beauftragte sie, die Gelehrten seines Hofes mit den Grundzügen ihrer Wissenschaft vertraut zu machen und legte damit den Grundstein für die Einführung indischer Wissenschaften in die islamische Welt.
Als weiteres wichtiges Zentrum der Wissenschaften galt der Iran, von wo aus verschiedene wissenschaftliche Disziplinen in die islamische Welt Einzug hielten. Im Zentrum der damaligen sasanidischen Stadt Gond-e Schapur zwischen Dezful und Schuschtar spielte die Medizin eine herausragende Rolle. Unter Ḫosrau I. Anūšīrwān (reg. 531-579) wurden hier eine medizinische Schule und ein Krankenhaus gegründet, in welchen zahlreiche Mediziner und Gelehrte tätig waren. Ein Grund für die Entstehung und Weiterentwicklung dieser Einrichtungen war die Anwesenheit der Nestorianer, die aus Odessa vertrieben worden waren und hier Schutz suchten.1 Im Auftrag des persischen Herrschers übersetzten sie einige wichtige Bücher griechischer Gelehrter aus dem Altsyrischen ins Pahlawi, darunter auch Werke von Plato und Aristoteles sowie Abhandlungen von Griechen, die im Exil lebten. Nach der Eroberung Irans durch die Muslime wurden diese Werke unter abbasidischer Herrschaft aus dem Pahlawi ins Arabische übertragen, darunter auch ein wichtiger astronomischer Kalender eines iranischen Gelehrten namens Zīǧ Šahriyār2, der von Abū Sahl ibn Nūbaḫt (8. Jh.) übersetzt wurde und später zur Vervollkommnung der islamischen Astronomie beitrug.
Auch in den Naturwissenschaften und hier besonders in der Pharmakologie haben die Griechen eine wesentliche Rolle gespielt. Durch die Übersetzung des bekannten Werkes von Pedanios Dioskurides3 ins Arabische mit dem Titel Ḥašā’iš bzw. al-Hayūla fi aṭ-ṭibb gelangten die Erkenntnisse der Pharmakologie in die islamische Welt. Dank dieser Übersetzung und des Studiums weiterer bedeutender klassischer Werke erlangten die Muslime eine besondere Stellung in dieser Wissenschaft.1
3. Fortschritte in der Übersetzungstätigkeit
Nach den Eroberungszügen zu Beginn der islamischen Expansion und einer gewissen Stabilisierung der Verhältnisse keimte unter den Abbasiden-Kalifen2 das Interesse an den Wissenschaften, welche den Muslimen ursprünglich nicht zugänglich waren. Die Ermunterung zum Erwerb von Wissen ist mehrfach im Koran und in den Überlieferungen belegt. Von besonderer Bedeutung war in dieser Hinsicht die Eroberung des sasanidischen Irans und von Teilen des östlichen römischen (byzantinischen) Reiches. Beide Kulturkreise verfügten über alte Zivilisationen, von denen die islamische Welt profitieren konnte. Durch die Eroberungen Alexander des Großen (gest. 323 v. Chr.) in der ersten Hälfte des vierten vorchristlichen Jahrhunderts und die Herrschaft seiner Nachfolger haben philhellenistische Strömungen in Teilen des Orients Fuß gefasst. Die Muslime lernten rasch sich mit den besiegten Völkern zu arrangieren, deren Wissen und Weisheit sich anzueignen und aus dem großen Vielvölkerstaat eine Einheit zu bilden. Der Wissensdurst der höheren Gesellschaftsschichten mit seinen Regenten, Statthaltern, Richtern, Gelehrten und Liebhabern von Kultur war so groß, dass der Bedarf an Übersetzern sehr stark anstieg. Diese Zeit wurde später auch als eine Epoche der Übersetzungstätigkeit bezeichnet.
Die Aufnahme der Übersetzungstätigkeit der antiken Werke fiel in die Zeit der Umayyaden und erreichte ihren Höhepunkt zur Zeit der Abbasiden in Bagdad. Zunächst konzentrierte man sich auf Themen der Verwaltung und Hofzeremonie, der Politik und des Handels. Auch wurden Werke von kulturhistorischem Inhalt, hauptsächlich wegen ihrer militärischen oder verwaltungstechnischen Bedeutung übersetzt. Erst zur Zeit der Abbasiden wurde die wichtigste Epoche der Übersetzungstätigkeit erreicht, in welcher historische, medizinische, mathematische, philosophische, geographische und soziologische Traktate aus verschiedenen antiken Sprachen in großer Zahl ins Arabische übertragen wurden. Bereits unter dem zweiten Abbasiden-Kalifen al-Manṣūr begannen diese Aktivitäten, die ca. zwei Jahrhunderte andauerten, wobei von jedem Werk eine wörtliche und eine sinngemäße Übersetzung angefertigt wurde. In der ersten Phase übersetzten ehemals zoroastrische, zum Islam konvertierte Iraner in der Regel Werke der Pahlawi-Sprache ins Arabische. Als Beispiel sei das Kalīla wa Dimna angeführt, welches von dem Iraner ʿAbdallāh ibn Muqaffaʿ (gest. 757) übersetzt wurde. In den darauf folgenden Epochen erwarben die Übersetzer weitere Erfahrungen und verfassten von zahlreichen Werken aus dem Altsyrischen und Griechischen Übersetzungen ins Arabische. Von zentraler Bedeutung war der berühmte nestorianische Mediziner Ḥunain ibn Isḥāq (gest. 873), das Oberhaupt der Übersetzer, der die Sprachen Griechisch, Altsyrisch, Arabisch und Pahlawi beherrschte. Er sammelte eine Gruppe von Übersetzern und Schülern um sich, zu denen u. a. auch sein Sohn Isḥāq und sein Neffe Ḥubayš zählten, und verfeinerte die Technik der Übersetzungsarbeit. Auch verglich er Werke anderer Übersetzer mit dem Original und korrigierte sie bei Bedarf. Generell kann die Epoche der Übersetzungstätigkeit in verschiedene Phasen unterteilt werden, welche teils von unterschiedlicher Themenauswahl und teils vom Geschmack des jeweiligen Kalifen abhängig waren.
A) Die Zeit von Hārūn ar-Rašīd (reg. 786-809):
In dieser Periode wurden in der Regel wissenschaftliche Werke übersetzt. Dank der Bemühungen des Barmakiden-Wesirs Yaḥyā ibn Ḫālid wurden geeignete und fähige Übersetzer herangezogen. Aus den eroberten Gebieten wurden Bibliotheken nach Bagdad verlegt. Das Elemente von Euklid und das Almagest (abgeleitet vom Arabischen al-maǧisṭī / Griech. Mathematike Syntaxis) von Ptolemäus sowie einige indische Werke medizinischen Inhalts wurden in dieser Zeit übersetzt.
B) Die Zeit von Maʾmūn ibn ar-Rašīd (reg. 813-833):
Unter dem Kalifen standen die theologischen Themen und die damit zusammenhängenden Auslegungen der koranischen Überlieferung im Mittelpunkt. Daneben wurden auch zahlreiche philosophische Werke ins Arabische übersetzt.
C) Die Zeit nach dem Kalifen Maʾmūn:
Auch in der Nachfolgerzeit wurde die Übersetzungstätigkeit fortgesetzt. Ḥunain ibn Isḥāq gilt dabei als bekanntester Übersetzer unter dem Kalifen al-Mutawakkil (reg. 847-861). Nach der Verlegung der Hauptstadt von Bagdad nach Samarra durch Muʿtaṣim (reg. 833-842) verlor das Bait al-Ḥikma1 (Haus der Weisheit) in Bagdad an Bedeutung.
D) Ende der Übersetzungsaktivitäten:
Nach zwei Jahrhunderten aktiver Übersetzungstätigkeit verlor der Berufsstand in Bagdad aus Mangel an weiteren aktuellen Themen allmählich an Bedeutung, was aber nicht heißt, dass das Interesse an der Wissenschaft verloren gegangen wäre oder es an Übersetzern gefehlt hätte. Die Tätigkeit verlor ihre repräsentative Rolle in der Gesellschaft. Möglicherweise gab man sich nun mit den grundlegenden, bereits übersetzten Hauptwerken der Griechen und Inder zufrieden oder andere gesellschaftliche, politische sowie wirtschaftliche Themen standen im Mittelpunkt des Interesses. So schufen Gelehrte jetzt überwiegend eigene wissenschaftliche Abhandlungen in arabischer Sprache.2
4. Wissenschaftliche Zentren der islamischen Zivilisation
Mit der Stabilisierung des jungen islamischen Staates und dessen innerer und gesellschaftlicher Stärkung wurden allmählich auch Bildungszentren errichtet, deren Aufgabe darin bestand, die Menschen in die Wissenschaften und Techniken einzuweisen und gleichzeitig deren Verbreitung zu fördern. Das erste wichtige Zentrum dieser Art wurde mit dem Namen Bait al-Ḥikma (Haus der Weisheit) in Bagdad gegründet. Finanziert wurde es durch die Staatskasse (Bait al-Mal). Hier versammelten sich zahlreiche, fähige Übersetzer und Gelehrte, die naturwissenschaftliche und philosophische Werke des antiken Griechenlands ins Arabische übersetzten. Der Grundstein für diese erste islamische Bibliothek in Bagdad legte Hārūn ar-Rašīd. Bereits unter dem zweiten Abbasiden-Kalifen al-Manṣūr wurde die Übersetzungstätigkeit aufgenommen, sodass die ersten übersetzten Bücherbestände der Bibliothek vor deren Fertigstellung existierten. Unter Maʾmūn, der hundert Kamelladungen an Büchern nach Bagdad bringen ließ, wurde die Bibliothek erweitert, die er vom byzantinischen Kaiser Michael II. aufgrund eines Friedensvertrages erhalten hatte. Zudem gab Maʾmūn 300.000 Dinar für die Übersetzung von Büchern aus. Abgesehen von der Bibliothek zu Bagdad gab es auch weitere wissenschaftliche Einrichtungen, die Dār al-ʿulamā (Haus der Wissenschaftler) genannt wurden und als öffentliche Bibliotheken fungierten. Zu diesen Zentren zählte auch das fatimidische Dār al-ʿilm (Haus der Wissenschaft) in Kairo, gegründet im Auftrag des fatimidischen Kalifen al-Ḥākim (reg. 995-1021), in welchem eine Million Bücher beherbergt wurden. Auch in Mossul wurde durch Ǧaʿfar ibn Muḥammad Hamdān eine Bibliothek dieser Art errichtet, in der wissenschaftliche Bücher aller Richtungen vertreten waren. Ebenso befand sich im libanesischen Tripolis gegen Ende des zwölten Jahrhunderts eine Bibliothek mit 1,6 Millionen Büchern.1
Zu den weiteren Bildungszentren gehörten einige Niẓāmīya, welche von dem berühmten Seldschukenwesir Niẓām al-Mulk (gest. 1092) in Bagdad, Nischapur und anderen Orten gegründet wurden. In der im Jahre 1066 in Bagdad gegründeten Niẓāmīya unterrichtete der bekannte Gelehrte Abū Isḥāq aš-Šīrāzī (gest. 1083), dessen Nachfolger im Amt der namhafte Theologe und Mystiker Imām Abū Ḥāmid Muḥammad al-Ġazzālī (gest. 1111) war. Danach wurden im Auftrag des Wesirs im Herrschaftsgebiet der Seldschuken (reg. 1050-1195) auch weitere theologische Schulen errichtet, die nach ihm benannt wurden. Seine besondere Aufmerksamkeit richtete sich auf Nischapur, nicht zuletzt wegen der Nähe zu Isfahan, der Hauptstadt der Seldschuken, denen er als Großwesir diente. Aus dieser Schule gingen zahlreiche Persönlichkeiten wie Muwaffaq Nīšābūrī, ʿUmar al-Ḫayyām, Ḥasan Ṣabbāḥ, Muḥammad al-Ġazzālī und dessen Bruder Aḥmad al-Ġazzālī hervor, weswegen sie nach der Niẓāmīya von Bagdad an zweiter Stelle stand. Auch in der Niẓāmīya von Isfahan und Balch lehrten bekannte Wissenschaftler.
In der islamischen Welt hat es eine große Anzahl von Zentren der Wissenschaft gegeben. Zum wirkungsvollsten Bildungszentrum dieser Art zählte auch die Moschee, welche als Versammlungsort der Muslime der Verrichtung von Gebeten dient. Ihr waren zahlreiche Medresen und Bibliotheken angeschlossen, zu deren wichtigsten Vertretern die von Basra, Fustat, Qairuwan, Damaskus, Tunis, Fas und Isfahan1 zählten. In islamischen Krankenhäusern, die auch Māristān genannt wurden, hat man nicht nur Patienten behandelt. Sie waren auch mit Fachbibliotheken ausgestattet und dienten Ärzten als Aus- und Weiterbildungsstätten, vorrangig in Fustat, Kairo, Bagdad und Rey. Unter anderen wissenschaftlichen Einrichtungen können die islamischen Observatorien hervorgehoben werden, die zu den wichtigsten der Welt zählten. Hier wurden zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, mit deren Ergebnissen europäische Wissenschaftler sich Jahrhunderte später noch beschäftigten. In den berühmten Observatorien von Maragha2 und Samarkand experimentierten u. a. Astronomen und Wissenschaftler wie Naṣīr ad-Dīn aṭ-Ṭūsī (gest. 1274) und Uluġ Beyg (reg. 1447–1449).
Zu den Lehranstalten der islamischen Welt zählen auch zwei weitere bedeutende Einrichtungen, die Gelehrten und Wissenschaftlern die Möglichkeit zu Austausch und Forschung gaben. Es handelt sich dabei um die Kuppelbauten von Šanb Ġāzānī und das Bauwerk Rab’-e Rašīdī in Täbris. Letzteres wurde im Auftrag des berühmten Ilchaniden-Wesirs Rašīd ad-Dīn Faḍlallāh aus Hamadan errichtet.
1 Q 30:56. Übersetzung: Khoury: Der Koran, 1987.
1 Q 6:11.
2 Vgl. Ḥakīmī: al-Ḥayāt, Bd. 1.
3 Vgl. Krämer: Geschichte des Islam, S. 12 ff.. (DÜ)
1 Al-Ǧabbūrī: Al-Ḫaṭṭu wa al-Kitābat fī al-Ḥaḍārat al-ʿArabīya, S. 249 ff.
1 Vgl. Mūsawī Buǧnūrdī (Hrsg.): DMBI, Bd. 2, S. 2144.
2 Taqīzāde: Tārīḫ-e ʿulūm dar Islām, S. 30-31.
1 Die nestorianische Kirche und ihre Anhänger wurden vom Konzil in Ephesos 431 und im Zweiten Konzil von Konstantinopolis 553 der Häresie angeklagt und verurteilt. (DÜ)
2 Es empfiehlt sich, zum Thema folgende Seite im Internet über „die Geschichte der Astronomie im Iran“ in persischer Sprache zu lesen (تاریخ ن ر ایرا م د نجو): (DÜ)
3 Pedanios Dioskuriden (griech. Πεδάνιος Διοσκουρίδης) stammte aus dem Ort Anazarbos von Kilikien in Kleinasien. Der Grieche diente im ersten Jh. unter den römischen Kaisern Claudius und Nero als Militärarzt. Neben Galenos zählte er zu den berühmtesten Pharmakologen der Antike. Sein Hauptwerk trägt den Titel De Materia Medica (griech. Περὶ ὕλης ἰατρικῆς), d.h. „Über Heilmittel“ bestehend aus fünf Büchern, die verschiedene tierische und pflanzliche Heilmittel beschreiben. Auch bestimmte Mineralien und Nahrungsmittel werden vorgestellt. Es ist anzunehmen, dass Avicenna dieses Werk von Dioskurides kannte und es für seine Arbeit Qānūn fit-ṭibb (ب ی الط ن ف قانو) verwendet hat. (DÜ)
1 Mieli: ʿUlūm-e Islāmī wa naqš-e ān dar taḥawwulāt-e ʿilmī-ye ǧahān, S. 9-77.
2 Vgl. dazu Sharon 1983; Kennedy 2005. (DÜ)
1 Es handelte sich dabei um die große Bibliothek in Bagdad, die auf Befehl von Maʾmūn gegründet wurde. Hier waren zahlreiche Übersetzer und Gelehrte tätig. (DÜ)
2 Vgl. Gutas: Greek thought, Arabic culture, S. 151-152.
1 Alāmarwdaštī: Darāmadī bar Dā’erat al-Muʿāref-e Kitābḫāne-hā-ye ǧahān, S. 42f.
1 Rašīd: Qadīm Islāmī Madāris, S. 114-138.
2 Stadt in der iranischen Provinz Ost-Aserbaidschan 130 km südlich von Täbris. (DÜ)