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Ohnmächtig im Strudel negativer Gedanken Keine psychische Erkrankung ist so häufig wie die Depression. Innere Leere, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen: Wer Anzeichen früh erkennt, kann das Leiden beherrschen.
VON JULIA VÖLKER
Оглавление"Inzwischen gehe ich so offen mit meiner Depression um, dass ich darüber reden kann", sagt Louisa Kaiser*. "Meine Umwelt aber verkraftet es häufig nicht, dass ich psychisch krank bin. 'Aber du bist doch total normal?', heißt es dann. Sie schauen mich mit großen Augen an, wenn ich von meiner Krankheit erzähle."
Louisa Kaiser ist 27 Jahre alt, die Depression zieht sich seit mehr als zehn Jahren durch ihr Leben. Viele psychische Krankheiten sind stetige Begleiter. "Irgendwann ist es schwer, sich an den Alltag davor zu erinnern", sagt Kaiser. Aber mithilfe von Pyschotherapie oder Medikamenten ist es möglich, die Erkrankung schließlich als solche anzuerkennen und nicht sein gesamtes Leben durch sie bestimmen zu lassen. "Heute kann ich auch wieder lachen, ohne affektiert zu wirken. Die Depression ist ein Teil von mir, den ich akzeptieren muss."
Depressionen können jeden treffen, sie zählen zu den häufigsten psychischen Krankheiten in Deutschland. Eine von acht Frauen leidet im Lauf ihres Lebens daran, aber nur etwa einer unter 20 Männern. Typisch ist das episodenhafte Auftreten der Symptome – sie können für Wochen und Monate verschwinden und dann plötzlich wieder in voller Intensität da sein. Die Ursache dafür ist vermutlich ein Ungleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn: Ein Mangel an Noradrenalin und Serotonin wird für die Symptome der Erkrankung verantwortlich gemacht. Zudem treten Depressionen oft in Verbindung mit anderen Krankheiten auf.
Ist ein Mensch auffallend oft traurig und unzufrieden, kaum zu motivieren und desinteressiert können das erste Anzeichen sein. In diesen Phasen lassen sich Betroffene kaum aufmuntern, die negative Grundstimmung hält unabhängig von äußeren Ereignissen an. Depressive Menschen sind wie gelähmt. Sie fühlen sich innerlich leer, verbunden mit einer tiefen Hoffnungslosigkeit. Die schlechte Stimmung schlägt auch auf den Körper: Betroffene schlafen oft schlecht und haben kaum Appetit. Häufige Erkältung, Magenprobleme und Kopfschmerzen sind körperliche Leiden, die häufig mit einer Depression einhergehen – sind dann also psychosomatisch bedingt.
Manche greifen auch zu mehr Alkohol oder zu Medikamenten. Dies ist Teil der als ausweglos empfundenen Situation. "Ein Schub kündigt sich meist dadurch an, dass ich mich zurückziehe, mich immer öfter dabei ertappe, die Wand anzustarren, ja geradezu selbst zu erstarren", sagt Louisa Kaiser über ihre eigenen Gefühle.
Ständig niedergeschlagen, selbst ohne erkennbaren Grund
Bei ihr begann es mit 16 Jahren. Auslöser waren Probleme in der Familie oder durch die Pubertät, dachte sie zuerst. Vermutlich hatte beides Anteil, sagt sie heute. Bis dahin war sie eine Musterschülerin, brachte nur gute Noten nach Hause, sei "ehrgeizig, aber normal" gewesen. Sie war nie eine Außenseiterin, hatte Freunde, war teil der Klassengemeinschaft. Aber als sie dann doch aus der Reihe fiel, bröckelte diese Gemeinschaft. Von den Lehrern kam auch keine Hilfe. "Sie ignorierten mein Weinen, machten mich sogar noch weiter fertig", erzählt Kaiser. Der Vertrauenslehrer habe sich über ihren Plan, die Schule zu wechseln, nur lustig gemacht: "Wir haben schon Wetten abgeschlossen, wann du wieder zurück kommst."
Wenn sich die Stimmung immer weiter verschlechtert und die Gedanken immer wieder um dieselben Dinge kreisen, droht in schweren Phasen der Selbstmord. Jeder zweite Depressive hat irgendwann Suizidgedanken. 15 von 100 Personen mit einer schweren Depression versuchen dann tatsächlich, sich umzubringen. Kaiser würde diesen Schritt nicht wagen, "dafür ist mein Verantwortungsgefühl gegenüber Familie und Freunden zu groß", sagt sie. Aber theoretisch durchgespielt hat sie diesen Gedanken schon: "Natürlich habe ich mir überlegt: 'Wie würde ich es machen?'. Foren im Internet bringen die Betroffenen auch immer wieder auf solche Ideen. Deswegen halte ich mich bewusst davon fern. Natürlich wäre es einfacher, wenn ich nicht mehr da wäre, diese Krankheit nicht ertragen müsste."
Dennoch ist Kaiser froh, dass sie durchgehalten hat, auch dann, als ihr Leben aus den Fugen geriet. "Und jedes Mal aufs Neue muss ich lernen, den nächsten Schub zu akzeptieren, mich für das Leben motivieren, mir erklären, dass ich kein Freak bin, dass es einen Sinn hat, auf dieser Welt zu sein, einfach krank zu sein", sagt sie. "Alleine hätte ich das wahrscheinlich nicht geschafft, auch nicht mit Ehrgeiz. Die Depression ist zu stark, sie hält einen gefangen."
Der Schritt, sich Hilfe zu suchen, fällt schwer. "Es dauert lange, bis man endlich so weit ist, den eigenen Stolz und die Lähmung durch die Depression zu überwinden." Doch dann kommt die nächste Hürde, mit der man in diesem Moment nicht rechnet: vier Monate Wartezeit bei den meisten Therapeuten – das kostet Energie, oft die letzten Reserven. Ein Teufelskreis.
Trotzdem nicht aufzugeben kann schwerfallen. "Ich habe mir oft Hilfe gewünscht in der Zeit zwischen dem Hilferuf und dem Beginn der Therapie", sagt Louisa Kaiser. Unterstützen können dabei vor allem Angehörige und Freunde, psychologische Notfallambulanzen oder auch der Hausarzt. Vielen können auch Medikamente helfen, das Chaos der Botenstoffe im Gehirn wieder zu ordnen.
Bei der Wahl des richtigen Psychotherapeuten ist die Beziehung zueinander sehr wichtig. "Besonders schwer fällt es, offen gegenüber dem fremden Menschen zu sein, der da vor einem sitzt und nun der Ratgeber fürs eigene Leben sein soll", sagt Kaiser. "Am Anfang war ich nicht zu hundert Prozent ehrlich, so etwas baut sich erst mit der Zeit auf ." Deshalb sollte man versuchen, bei einem Therapeuten zu bleiben. Wenn es zwischenmenschlich nicht passt, kann aber auch ein Wechsel sinnvoll sein.
Louisa Kaiser hatte Glück mit ihrer ersten Psychotherapeutin. Die unterstützte ihren Ehrgeiz, trotz der schlechten Noten und der Konzentrationsprobleme das Abi zu schaffen. Es folgten ein Schulwechsel und ein Intelligenztest mit dem Ergebnis "Hochbegabung". "Sie gab meiner 'Störung' auch einen Namen. Irgendwann habe ich mal im Bericht das Wort Depression gelesen. Von da an wusste ich, dass ich etwas habe, das andere auch haben. Das war eine Erleichterung, kein Schock."
Seitdem hat sie die Depression akzeptiert. Mittlerweile hat sie mit Erfolg ihr Masterstudium abgeschlossen – auch wenn sie sich immer wieder Auszeiten für die Krankheit nehmen musste. "Ich habe eingesehen: Es ist erlaubt, krank zu sein! Außerdem ist es mir wichtig, dass ich vor meinen Freunden so sein darf, wie ich will, und mich nicht zusammenreißen muss", sagt Kaiser. "Dieses Verständnis hilft, die eigene Krankheit als Teil des Selbst anzunehmen. Kommt dann wieder eine Episode, sieht zwar alles schrecklich aus, aber irgendwo weiß ich doch, dass ich wieder 'gesund' werde – zumindest soweit das möglich ist."
*Name von der Redaktion geändert