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Wenn das Ich sich selbst attackiert Für Menschen, die an Schizophrenie erkranken, verschwimmen Realität und Fiktion. Alltägliches wird zur Verschwörung gegen das Ich. Das kann lebensgefährlich werden.
VON JULIA VÖLKER
ОглавлениеBjörn Hofmann* hatte gerade sein Mathematikstudium begonnen, als seine Gedanken außer Kontrolle gerieten. War er es noch, der sein Leben lenkte oder jemand anderes? Hofmann wurde zum Hauptdarsteller seiner persönlichen Truman Show, einer Realityshow, die es gar nicht gab. "Es kam so weit, dass ich nicht einmal mehr sagen konnte, ob ich selbst real bin oder nicht."
Die Psyche lässt sich nur schwer verbildlichen. Am ehesten kann man sie sich wie ein Meer aus Gedanken vorstellen. Wie ein Fischer, der sein Netz auswirft, schöpfen wir jene Gedanken ab, die uns wichtig sind. So sortieren wir Wichtiges heraus und werfen Unwichtiges zurück in den Strom.
Wenn die Maschen des Netzes zu groß werden, fällt alles einfach durch. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Der Filter im Kopf versagt, alles dringt einfach ein, es herrscht Chaos. Unzusammenhängendes gerät zusammen. Orientierung geht verloren. Eine Psychose entsteht. In Deutschland leiden nahezu eine Million Menschen unter diesem Durcheinander der Geisteswelt, schätzen Fachleute: einer Schizophrenie.
Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Meist sind die Betroffenen zwischen 15 und 30 Jahren alt, wenn sie zum ersten Mal bemerken, dass ihre Wahrnehmung gestört ist. Die Ursachen für die Schizophrenie sind nicht eindeutig geklärt. Eine erbliche Veranlagung – wobei bei Weitem nicht jeder, der vorbelastet ist erkrankt – , traumatische Situationen im Leben oder ein schwieriges familiäres Umfeld spielen offenbar eine Rolle. Messbar sind bei Schizophrenie-Patienten veränderte Botenstoffe und Strukturen im Gehirn – ob sie eine Folge oder eine der Ursachen der Erkrankung sind, wird diskutiert.
Björn Hofmann ist heute 26 Jahre alt, er promoviert in Mathematik. Die Ziele können für ihn kaum zu hoch gesteckt sein, seine Ansprüche erreicht er immer, zumindest wenn es um die in seinem realen Leben geht. Daneben gibt es für ihn aber auch noch die andere Welt seiner Gedanken. An manchen Tagen kann er sie nicht von der Realität unterscheiden. Auch ein seinen Erinnerungen mischt sich, was in seinem Kopf passiert, mit dem, was sich draußen abspielt.
Eine verzerrte Wahrnehmung, die Angst macht
Dazu kommen Wahnvorstellungen, die die Wirklichkeit zusätzlich verzerren: Hofmann dachte, dass andere Menschen sich über ihn lustig machten, bezog alles auf sich selbst, fühlte sich durch Gesten und Worte Fremder angegriffen. "Wenn mich jemand angelächelt hat, hat sich das in meinem Kopf zu einem höhnischen Lachen verzogen", sagt er.
Beziehungswahn nennen Experten diesen krankhaften Ich-Bezug. Im Kleinen kennt jeder solche Gedanken, vor allem in Situationen der Unsicherheit. Zum Beispiel mit der neuen Frisur, dem ersten Mal auf hochhackigen Schuhen, dem schlecht sitzenden Anzug beim Bewerbungsgespräch, dem auffälligen Muttermal am Hals, dem geröteten Gesicht in stressigen Situationen. Es drängt sich das oft unbegründete Gefühl auf, jeder der diesen Makel sähe, würde darüber reden oder lachen.
Für Schizophrene geht diese Unsicherheit viel weiter und löst sich sogar davon: Unbedeutende Zufälligkeiten wie das Krähen eines Raben, die rote Farbe des vorbeifahrenden Autos oder der verspätete Sommeranfang richten sich vermeintlich gegen die eigene Person.
Viele Betroffene hören zusätzlich Stimmen, fühlen sich gezwungen, sich von diesen unsichtbaren Begleitern lenken zu lassen und handeln deshalb für Außenstehende "verrückt". Optische Halluzinationen können hinzukommen und Schizophreniekranke in Todesangst versetzen, weil sie nicht erkennen können, wie real eine Gefahr ist, die sie wahrnehmen.
Manche fühlen sich nicht einmal mehr in ihrem Selbst sicher. "Ich bildete mir ein, dass andere Leute meine Gedanken lesen und beeinflussen könnten und dass meine Mitmenschen alles über mich wüssten", sagt Björn Hofmann. Begonnen hatte dieser Verfolgungswahn als er von zu Hause ausgezogen war, um zu studieren. Woche um Woche wurde seine Entfremdung von der Realität schlimmer, der Alltag zu einer stetigen Bedrohung. "Ich konnte den Gedanken nicht loswerden, dass um mich herum eine große Verschwörung bestünde, die es auf mich abgesehen hat", sagt er.
Überall wittern Schizophrene Angriffe auf das Ich
Eines Tages, als der Postbote ein Paket für den Nachbarn bei ihm abgegeben hatte, war er felsenfest davon überzeugt, dass darin eine Bombe sei und ein Anschlag auf ihn verübt würde. "Deswegen habe ich das Paket schnellstmöglich entsorgt", sagt er. "Das Ende der Geschichte war, dass ich dem Nachbarn Schadensersatz zahlen musste. Dennoch zeigte ich keine Reue, denn das Paket war gefährlich für mich."
"Als selbst die mathematischen Formeln an der Uni versteckte Botschaften enthielten, habe ich gemerkt, dass es mit mir so nicht weitergehen kann", sagt Björn. Nach etwa zwei Semestern Studium unter Extrembedingungen ging er zu einem Arzt. "Die Krankheit schaffte es immer weiter, mein eigentliches Ich zu zerstören und zu verdrängen." Für manche Betroffene endet das im Suizid. Fast zehn Prozent der Erkrankten töten sich selbst. Björn Hofmann suchte sich rechtzeitig Hilfe. Er entschloss sich, in eine psychiatrische Klinik zu gehen.
Damals, 2007, wurde Hofmann mit Neuroleptika behandelt. Das sind Psychopharmaka, die dabei helfen, die wirren Gedanken zu zügeln und den Kranken aus der Gedankenwelt zurück in die Realität zu holen. Viele Patienten benötigen zusätzlich eine Psychotherapie, die dabei unterstützt, die Erkrankung besser zu verstehen und auch mit ihren sozialen Folgen umzugehen: Denn Menschen mit Schizophrenie haben häufig Probleme, Emotionen zu kanalisieren und mit Mitmenschen in Kontakt zu treten.
Geht der Wahn langsam zurück, müssen sie zunächst einmal erkennen, dass sie eine echte Erkrankung haben, während dies für Außenstehende vielleicht längst sichtbar war. Nicht selten haben sie in den Fängen ihrer gestörten Wahrnehmung Dinge getan, die weitreichende Folgen für das eigene Leben haben, nicht selten ist die ganze Familie von den Auswirkungen der Erkrankung traumatisiert.
Hier setzt die psychologische Unterstützung an, die – je nach Therapiekonzept – auch ergründet, in welcher Lebenssituation und durch welche möglichen Mitauslöser die Krankheit ausgebrochen ist. Stabilisiert sich die Situation, können manche nach einiger Zeit wieder auf Medikamente verzichten – oder erste Warnsignale eines Rückfalls erkennen und dann eingreifen.
Im Fall von Björn Hofmann waren die Wahnvorstellungen stärker als die Medikamente. Sie verfolgten ihn auch bis auf die Station: "In der Psychiatrie wirkte alles wie ein abgekartetes Spiel. Ich dachte, dass es das eigentliche Ziel der Psychiater ist, mich zu vergiften."
"Am Anfang konnte ich nicht begreifen, dass ich wirklich krank bin. Ich wusste nicht, was eine Schizophrenie ist", sagt Hofmann. Vielen hilft es, viel über die Krankheit zu lesen und mit anderen Betroffenen zu sprechen. Hofmann begann eine Liste über seine Gedanken zu führen. "Ich wollte mein Denken kontrollieren und analysieren, es von außen anschauen."
Nach drei Monaten mit Medikamenten und der Liste schaffte es der Mathematikstudent, sich von seinen Gedanken zu distanzieren. Die Ärzte entließen ihn. "Heute weiß ich, wie wichtig es ist, den Kampf mit den eigenen Gedanken durchzustehen – zur Not auch stationär gegen den eigenen Willen."
Seitdem läuft es für Hofmann wieder besser, bis auf die Nebenwirkungen der Neuroleptika: Müdigkeit, Gewichtszunahme und Gehstörungen heißen Björns neue Widersacher. Dies nimmt er in Kauf, denn die Medikamente bieten für ihn die einzige Chance, die Schizophrenie in den Griff zu bekommen. "Wenn ich sie absetze, werde ich zu schwach und die Schizophrenie kann sich wieder durchsetzen."
*Name von der Redaktion geändert
Informationen für Betroffene und Angehörige bietet das Kompetenznetz Schizophrenie an. Die Schweizer Guido-Fluri-Stiftung setzt sich vor allem für die Integration schizophrener Menschen ein. Am Universitätsklinikum Dresden gibt es eine Ambulanz zur Früherkennung psychischer Erkrankungen. Einen ähnlichen Service bietet das Früherkennungs- und Therapiezentrum für beginnende Psychosen Berlin-Brandenburg an.
Der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker gibt auf seiner Website an, wo es regionale Selbsthilfegruppen und weitere Informationen gibt. Hier finden auch Kinder, Eltern, Geschwister oder Partner von Betroffenen Unterstützung. Ein telefonischer Notdienst – das SeeleFon – ist dort ebenfalls erreichbar.