Читать книгу Hörig - Alina Schumann - Страница 4
ОглавлениеKapitel 1
Die Sehnsucht nach Lust und Erschrecken.
„Ich will dich sofort nackt. Jedes Mal !“
Die Stimme der Frau im strengen Schneiderkostüm ist rasiermesserscharf. Jegliche Gegenargumente ausschließend, befiehlt sie: totale Nacktheit, völlige Unterwerfung, gezügeltes Verlangen. Da ist kein Vorspiel, kein Nachspiel, eine Zärtlichkeit. Da sind nur der Befehl und die Gehorsamkeit.
Zwei- oder dreimal in der Woche zitiert sie Peter A. (33)zu sich. Er kennt vorher weder den Tag noch die Stunde. Nur der Ort ist immer derselbe: eine Villa am Stadtrand von Nürnberg.
Oft kommen diese Anrufe, wenn er mitten in einem Kundengespräch ist. Trotzdem gibt es für ihn keine Sekunde des Zögerns. Er bricht jede Verhandlung ab. Mit feuchten Händen und klopfendem Herzen fährt er zu ihr. Den Wagen parkt er in einer Seitenstraße, weit genug von ihrem Haus entfernt.
Dort, in einer gediegenen Walmdachvilla, hinter bürgerlichen Raffgardinen, wartet sie – seine Domina. Ungeduld bereits durch die angelehnte Haustür signalisierend. Ihren telefonischen Anweisungen folgend, zieht sich Peter A. schon in der marmorgetäfelten Halle aus. Nackt, wie sie es verlangt.
„Mir ist jedes Mal schwindelig vor Erregung. Eine Woge scheint meinen Verstand wegzuspülen. Nur manchmal, ganz zu Anfang dieses Verhältnisses, regte sich etwas wie Scham in mir!
Er schämt sich vor ihren taxierenden Blicken. Vor der kalten Selbstverständlichkeit. Wie sie, in diesem untadeligen Schneiderkostüm, aufrecht in einem chintzbezogenen Sessel sitzend, ihn mustert. Streng, ohne Begehren. Bereit, ihn fallen zu lassen. Zurück zu stoßen in die Hölle seiner Begierden. In den Abgrund, aus dem nur e i n e Person ihn befreien kann. Wo nur sie die Lösungsworte kennt. Für seinen Kopf und seinen Körper. Für seine Seele und seine Sinne.
„Oft, sagt er, „tat sie nichts weiter, als mich nackt vor sich knien zu lassen. Ich durfte nur ihren Fuß berühren. Selbst die Fußsohlen verweigerte sie mir!
Peter A. verzehrt sich nach dieser Frau. Nach einer Person, die nicht jung , nicht schön und schon gar nicht liebevoll ist. Sie beherrscht ihn seit drei Jahren. Sie demütigt und erniedrigt ihn. Sie lässt ihn die Schattenseiten seiner Persönlichkeit erkennen. Aber sie beschert ihm auch Glücksmomente von nie erahnter Tiefe.
Als ich ihn, ein Jahr nach Beendigung dieses Verhältnisses treffe und wissen will, was denn so Besonderes an dieser Frau gewesen ist, reagiert er nahezu hilflos.
„Ich weiß es nicht, sagt er. „Da gibt es so viel Unerklärbares! Sie war damals Anfang Sechzig. Eine elegante Erscheinung. Zierlich, dunkelhaarig. Eine angesehene Ärztin. Ihr Mann, ein Wissenschaftler, hielt sich viel im Ausland auf.“
Sie war, wie Peter widerwillig zugibt, eine Frau, an die ein Mann, wie er, normalerweise nicht herankommt. Sophie gehört zu einer Gesellschaftsschicht, wo kein Porsche eine nicht vorhandene Kinderstube wettmacht. Wo es selbstverständlich ist, ein Ferienhaus in der Toskana zu besitzen, drei Fremdsprachen zu beherrschen und wo niemand ein ‚Eclair’ für eine Jeansmarke hält.
Zerstörerische Begierde
Ich ahne natürlich, dass er mir auf meine Anzeige in einer Tageszeitung, nicht nur geantwortet hat, um mir seine Geschichte zu erzählen, sondern auch weil er auf der Suche nach einer neuen Domina ist. Sein Brief war sachlich und etwas hölzern gewesen.
„Ich bin 33 Jahre alt,“ hatte er geschrieben, “selbstständiger Immobilienkaufmann, vermögend. Ich bin geschieden und Vater eines Sohnes. Meine Ehe ging wegen meiner Frauenbekanntschaften kaputt. Vor vier Jahren lernte ich eine Domina kennen. Ich wurde ihr hörig. Sie beendete dieses Verhältnis. Obwohl ich inzwischen ein junges Mädchen gefunden habe, das ich gern heiraten würde, komme ich von dieser Frau nicht los. Es belastet mich sehr!“
Am Telefon wirkte er offen und sehr locker. Wir verabredeten uns bei ihm zu Hause.
Seine Wohnung liegt in einer dieser postmodernen Wohnsiedlungen. Kaum Kinder, viele Singles, schnelle Autos. Zufällig stehen wir zur gleichen Zeit vor seiner Haustür. Er wirkt genauso gestylt und austauschbar wie seine Umgebung. Mittelgroß, schlank, kurz geschorener Kopf. Über dem Polohemd die teuere Lederjacke, eine Tennistasche unterm Arm.
Der Anlass unseres Treffens scheint ihm plötzlich Schwierigkeiten zu bereiten. Seine Stimme ist etwas zu laut, sein Lachen völlig unmotiviert.
Umständlich schließt er die Wohnungstür auf. Er deutet auf ein zweites Namensschild – das einer Frau – und lacht, wieder unangenehm laut.
„Meine Freundin, sagt er. Und:
„Sie ist nach unserem letzten Krach ausgezogen!“
Als ich Bedauern erkennen lassen, wiegelt er ab.
„Ist schon wieder in Butter. Ich hab alles geregelt!“
Er sagt das so wie einer, der gewöhnt ist, die Dinge wieder einzurenken.
Die Wohnung wirkt unbehaust. So, als würden hier nur Zwischenstopps gemacht: Kleidungswechsel, Post abholen, Schlafen.
In der viel zu mächtigen Bücherwand im Wohnzimmer stehen Trivialliteratur und Bildbände aus dem Versandhandel. Daneben Nippes und das Fotos eines sehr jungen, unscheinbaren Mädchens.
„Das ist sie,“ sagt er. Und als ich fragend schaue, fügt er hinzu:
„Die Freundin. Mein Schatz. Vielleicht auch meine Rettung! Wie Sie wollen!“
Er lotst mich in die Küche, dem anscheinend einzigen wirklich bewohnten Raum. Ich merke, wie die Fremdheit zwischen uns belastend wird. Ich sehe ihm an, wie er sich zu fragen scheint, weshalb er mir geschrieben hat, und spüre sein Zögern beinahe körperlich.
Ich versuche seine Unsicherheit abzufangen, in dem ich ihm von den anderen Interviews erzähle. Von den Schwierigkeiten meiner bisherigen Gesprächspartner. Von deren Beweggründen mir auf meine Anzeige zu antworten und schließlich sich mir, der völlig Fremden zu öffnen.
„Und warum,“ frage ich Peter A. dann, „haben Sie mir geschrieben? Waren Sie nur neugierig, wer sich hinter dieser Annonce versteckt?“
Er schüttelt den Kopf.
„Ich wollte endlich reden. Ich brauche dringend jemanden, von dem ich annehmen kann, dass er mich nicht verurteilt. Ganz gleich, wie schlimm meine Geschichte auch sein mag. Ich ersticke fast daran. Ich weiß nicht mehr, wie ich mit ihr weiterleben kann!“
„Und mit einem Therapeuten können Sie nicht...“
„Nein!“ Peter A. wird heftig. „Mit einem Mann kann ich schon überhaupt nicht reden. Und wie so mit einem Therapeuten? Bin ich denn Ihrer Meinung nach krank?“
Was soll ich ihm sagen?
Ist es krank, als 33jähriger attraktiver Mann an einer inzwischen 65jährigen Domina zu hängen? Ist es krank, sich zu wünschen beherrscht zu werden und sexuelle Befriedigung nur in Erniedrigung zu verspüren?
Vielleicht ist es die Konsequenz dieser Leidenschaft, die ihn so fertig macht – diese Angst vor der Entdeckung, dieses ewige Versteckspiel, diese Lebenslüge.
Als Peter A. spürt, dass es mehr geben muss „als dieses eintönige Familienleben,“ ist er 27 Jahre alt.
„Ich bekam neben den normalen Pornoheften ein Spezialheft in die Finger. So was mit Sado, Maso und dem Kram.“
Und er lernt ganz andersartige Erregungen kennen. Allein das Betrachten der Fotos macht ihn scharf.
„Sie waren für mich die Bestätigung, dass es viel geilere Sachen gab, als alles was ich mir bisher vorstellen konnte!“
Die Angst vor Entdeckung
Diese neuen sexuellen Fantasien beschäftigten Peter unausgesetzt. Sie hinderten ihn daran, das gewohnte Sexleben mit seiner Frau weiterhin zu führen. Sie vergifteten ihm auch den Spaß an seinen zahllosen, aber konventionellen Seitensprüngen. Alles wird für ihn fad und flach. Er hat nur noch einen Wunsch: etwas ganz und gar verrücktes zu erleben.
Der Tag, an dem Sophie B. in sein Immobilienbüro kommt, soll sein zukünftiges Leben verändern.
„Sie hatte eine Selbstverständlichkeit, eine Ausstrahlung von Macht und Wissen, die mir fast den Atem nahm. Dabei sah sie überhaupt nicht atemberaubend aus. Klein, dunkelhaarig – aber sie trat so verdammt sicher auf!“
Am Abend nach diesem Treffen beginnen die Fantasien von Peter.
„Ich war elektrisiert. Ich stellte mir diese Frau nackt vor. Selbst der Sex mit meiner Frau wurde wieder besser!“
Ein paar Tage danach ruft ihn Sophie B. an. Sie bestellt ihn zu sich nach Hause.
„Weil ich noch einige Fragen zu der von Ihnen vorgeschlagenen Immobilie habe,“ sagt sie kühl.
Peter fährt zu ihr. Völlig aufgewühlt. Mit klopfendem Herzen.
„Wie betäubt stand ich vor ihrem Haus.
Das Gespräch ist zunächst rein sachlich. Die Dame des Hauses bietet Kaffee an. Scheinbar ungeschickt gießt sie diesen über die Hose ihres Gastes.
„Und als sie sich dann über mich beugte, ohne Ziererei, einfach so an mir herum rieb, glaubte ich, ohnmächtig zu werden. So direkt hatte mich noch keine Frau angefasst.“
Sophie weiß was sie will. Sie will ihn nackt.
„Ich saß vor ihr. Ohne Slip. Mein Schwanz war erigiert. Ich war rot im Gesicht und wartete.“
Doch Sophie tut als interessiere sie das nicht. Sie spricht nur über Belangloses. Wie in Gedanken streicht sie hin und wieder über sein Geschlecht. Ganz nebenbei bemerkt sie:
„Es regt mich auf, dich so sitzen zu sehen!“
Peter A. kommt es nicht in den Sinn aufzustehen, sich die doch so auffordernde Gastgeberin zu schnappen und seinen sexuellen Wünschen nachzugeben.
„Ich blieb wie gelähmt sitzen geblieben, wartete darauf, dass sie mich berührte und war unglaublich geil!“
Sophie B. schickte ihren Gast weg.
Ohne Erklärung, nur mit der kurzen Ansage:
„Am Mittwoch um 14 Uhr, bei mir!“
Kein freundliches Lebwohl, nichts.
„Diesen Mittwoch konnte ich kaum erwarten!“ sagt Peter A. „Ich reagierte wie ein Hund auf eine läufige Hündin: brünstig und dumpf!“
Die Treffen wiederholten sich Woche für Woche.
„Ich lebte nur für diese Verabredungen. Ich war wie im Fieberrausch.“
Sophie verhält sich ihm gegenüber immer abweisend. Kühl befiehlt sie, wie er sich zu verhalten hat. Kühl reicht sie ihm ihre Hand zum Kuss, kühl lässt sie ihn vor sich knien.
„Meine Fantasien überschlugen sich. Ich war stets nackt und sie bekleidet. Äußerlich immer Dame. Immer untadelig.“
Dann nach vier Monaten verbindet sie dem nackten Sklaven die Augen. Sie befiehlt ihm sich zu ihr zu legen. Sie ist jetzt ebenfalls nackt – aber er darf sie weder sehen noch berühren. Sie nimmt seinen Kopf und öffnet ihre Schenkel. Er darf sie mit der Zunge verwöhnen. Drei Stunden lang müht sich der Sklave Peter ab. Drei Stunden in denen er ihr einen Orgasmus nach dem anderen beschert. Er selbst allerdings findet keine Befriedigung. Völlig außer sich vor Lust und Gier nach
ihr, befiehlt sie ihm:
„Zieh dich an und geh!“
Peter tut was Sophie will. Ihre Grausamkeit kann er nicht begreifen. Zu Hause legt er Hand an sich.
„Ich hasse Selbstbefriedigung. Es war eine weitere Demütigung von ihr!“
Und trotzdem geht er wieder hin. Ohne auf seine beruflichen Verpflichtungen Rücksicht zu nehmen. Ohne zu merken, dass seine Ehe langsam kaputt geht. Ohne zu sehen, dass es für ihn kaum mehr ein Maß gibt. Nur sie zählt noch. Sie lässt ihn betteln, knien, flehen. Lässt ihn ihren Urin schlürfen, ihre Fesseln lustvoll spüren, ihre Absätze als Liebkosung empfinden.
„Mich hatte eine Raserei, eine Leidenschaft gepackt, wie ich sie bisher nicht kannte. Ich gehorchte Sophie, ohne dass ich je die Chance gehabt hätte, sie zu besitzen.“
Sophie zieht sich in den ersten Monaten dieser Begegnung nie vor ihm aus. Sie lässt sich dort berühren, wo sie es will. Sie befiehlt ihrem Sklaven sie zu küssen – dort wo sie einen Kitzel empfindet. Und er?
Herrin und Hund
Weshalb versucht er nicht wenigstens, seine Wünsche anzumelden?
„Wie hätte ich das wagen sollen?“ fragt er mich erstaunt. „Nur was sie befahl, geschah. Ohne Fragen, ohne Gegenargumente!“
Um sich zu beweisen, dass er zu normalem Sex noch fähig ist, reißt Peter A. wahllos Mädchen auf. Hektisch springt er von einem Bett ins nächste. Hetzt zwischen beruflichen Terminen, den Anrufen seiner Domina und seinen Neuerrungenschaften hin und her.
„Es war schrecklich. Ich lag mit einer Frau im Bett und versuchte mir vorzustellen, es wäre Sophie. Wenn es mir gelang, ihr Bild zu reproduzieren, ging es umso schneller.“
Bei diesen Quickys zählte nur seine Befriedigung, die Frauen waren ihm gleichgültig.
Schließlich verlässt ihn seine Frau. Sie hat genug von dem Getuschel der Freunde. Genug von dem scheinbar unstillbaren sexuellen Heißhunger ihres Mannes.
„Ich litt darunter. Besonders weil ich meinen Sohn sehr liebte. Auf der anderen Seite war ich froh, dass sie nicht hinter die wahre Geschichte gekommen war.“
Die ‚wahre Geschichte,’ wie Peter sein Verhältnis zu Sophie bezeichnet, kennen auch seine Freunde nicht. Für sie ist er der tolle Hecht: der Typ der jeden Rock bekommen kann. Der nach eigenen Aussagen mindestens ’hundert Weiber hingelegt’ hat.
Die Angst vor der Entdeckung seiner Sucht, die Furcht, dass man seine Abhängigkeit bemerken könnte, lässt es ihn immer toller treiben. Niemand soll auf die Idee kommen, dass es diese ältere Dame gab. Diese Frau, vor der er sich windet wie ein Wurm. Die ihn treten darf. Deren Füße er demütig ableckt. Deren Bild sich in seinen Fantasien festgesaugt hat wie ein Blutegel.
Es dauert eineinhalb Jahre, bis er zum ersten Mal die Augenbinde abnehmen darf.
„Ich weinte vor Erregung und Dankbarkeit. Ich wusste, welche Auszeichnung das war. Zum ersten Mal gab sie sich mir hin!“
Aber auch diesmal hat Sophie eine Quälerei eingebaut.
„Ich durfte nicht zum Orgasmus kommen. Ich musste sie zum Höhepunkt bringen und musste dann sofort das Haus verlassen.“
Nur zweimal in diesen drei Jahren erlaubt sie ihm, was sie für sich ständig einfordert: die sexuelle Befriedigung.
„Für diese vage Hoffnung ließ ich mich dann gern wieder erniedrigen. Dafür hätte ich alles getan. Ein Leben lang. Oder richtiger: so lange sie es wollte.“
Er schweigt und wartet. Wartet auf die Frage, vor deren Beantwortung er selbst zurück schreckt. Der er ausweicht und die ihn doch so sehr quält: die Frage, wo die Grenzen dieser hörigen Beziehung liegen. Ziemlich hilflos sagt er:
„Ich weiß es nicht. Ich ließ Dinge mit mir geschehen, die mich noch vor Jahren angewidert hätten. Das einzige, dessen ich mir einigermaßen sicher war, ist, dass ich keine großen Schmerzen ertragen würde.“
„Aber auch das,“ fügt er nach einer Pause hin zu, “auch das kann sich vielleicht noch ändern.“
Das Verhältnis mit Sophie schwebt wie ein Damoklesschwert über ihm. Die Angst vor dem Spott seiner Freunde. Und davor, als pervers abgestempelt zu werden. Diese Angst verfolgt Peter A. bis in seine Träume.
Doch dann scheint sich alles zu lösen. Sophie teilt ihm ohne jede Emotion mit, dass sie in eine andere Stadt ziehen werde.
„Zuerst geriet ich in Panik.“ sagt Peter A. “Doch dann dachte ich: jetzt habe ich endlich wieder die Chance normal zu leben.“
Eine neue feste Beziehung scheint die Rettung zu sein.
Eine, die ihn nicht beunruhigen muss. Mit einer Frau, die er dominieren kann. Wo er König und nicht Sklave ist.
Das Mädchen, das er sich aussucht ist 22 Jahre alt. Streng katholisch, unberührt und aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Eine, die zu ihm aufschaut. Jene unscheinbare Blonde aus dem Bilderrahmen im Bücherbord.
„Ich liebe sie,“ sagt Peter A. „wir wollen heiraten. Ich möchte noch ein paar Kinder!“
Zu eindringlich, zu bemüht spricht er über dieses Mädchen. Darüber, wie froh er ist, sie gefunden zu haben. Wie aufrichtig sie sei, wie naiv.
„Und im Bett?“
Er zögert. Dann sagt er:
„Ach das wird schon!“
„Kein Gedanke mehr an Sophie B.?“
“Doch immer dann, wenn ich mit meiner Freundin im Bett liege. Dann stell ich mir die vergangenen Situationen vor. Aber es gelingt mir sehr selten. Außerdem...“
„Ja?“
„Außerdem schlafe ich nur einmal im Monat mit meiner Freundin. Sie nimmt aus religiösen Gründen die Pille nicht. Sie hat auch beim Verkehr Schmerzen. Eigentlich hat sie auch nie richtig Lust. Ich merke, dass sie es nur meinetwegen tut!“
Und plötzlich bricht es aus ihm heraus.
„Herrgott,“ sagt er, „ ich halte das nicht mehr aus. Ich habe gehofft, von meinen Fantasien befreit zu sein, wenn diese Frau weg ist. Aber mir geht es schlechter als zu vor!“
Und er erzählt, wie ihm Sophie Geld geschickt hat mit dem Befehl, zu einer Domina zu gehen. Wie er dieses Geld angenommen hat und die Dame, deren Adresse ihm seine Herrin mit lieferte, aufsuchte. Wie er plötzlich Angst bekam. Wie das Folterwerkzeug dieser Professionellen ihn erschreckte.
„Ich bin vor mir selbst geflohen,“ sagt er, „aber meine Fantasien haben mir keine Ruhe gelassen. Ich habe mich nach dieser Art Sex verzehrt. Ich weiß jetzt, dass ich es brauche. Ich brauche die Bestrafung, die Erniedrigung, um Lust zu empfinden.“
Monatelang gibt er Anzeigen in einschlägigen Magazinen auf. Dann hat er eine Frau gefunden. Der Gedanke an dieses Abenteuer lässt ihn erschaudern.
„Sie war einfach nur ordinär. Sie hat Worte benutzt, die mich nicht angemacht haben. Hat die Fesseln zu streng angezogen, hat die Peitsche völlig unsensibel geschwungen. Es war furchtbar.“
Eine zweite behandelte ihn wie einen Schulbuben.
„Wie einen achtjährigen Grundschüler,“ sagt er. „Nicht einmal meine Mutter hat so mit mir gesprochen damals...“
„Was war damals?“
„Nein, nein, ich hab’ keinen Mutterkomplex, wenn Sie das meinen.“
Rituale bizarr und prägend
Peter A. war ein uneheliches Kind. Er lebte mit der Mutter und der Großmutter in einer Wohnung.
„Wir waren sehr arm,“ sagt er.“ Meine Mutter hat als Verkäuferin bei den Amis gearbeitet. Mit 800 Mark mussten wir auskommen. Aber es war schön!“
„Wer hat Sie aufgeklärt?”
„Die Freunde und die Leute auf der Straße. Nein, meine Mutter war überhaupt nicht prüde. Ich habe sie schon als kleiner Bub nackt gesehen. Sie hat auch heute noch eine prima Figur.“
Mit zwölf zog er mit der Mutter aus der engen großmütterlichen Wohnung aus.
„Wir konnten uns endlich eine eigene kleine Wohnung leisten. Es war herrlich. Nur meine Mutter und ich. Ich hab im Wohnzimmer geschlafen.
Wenn die Mutter ihre Männer mitbrachte, versuchte der Bub nicht zu Hause zu sein. Für Verletzungen sei ihr Verhältnis viel zu innig und zu offen gewesen.
“Meine Mutter hat mir ja auch gar nichts verheimlicht. Sie hat mir im Gegenteil haarklein erzählt, wie’s mit den Kerlen war.“
Mit 14 wusste Peter, dass seine Mutter Männer mit Haaren auf der Brust und an den Armen am liebsten hatte. Sie erzählte ihm auch, welcher ihrer Freunde es besonders gut konnte. Welcher einen Orgasmus bekam, wenn er sie nur von weitem sah.
„Meine Mutter ist eine sehr herzliche Frau. Sie hat oft mit mir gekuschelt und mich in den Arm genommen. Zum Spaß hab’ ich mich immer dagegen gewehrt. Dann hat sie mich bestraft. Es war so ein Spiel, das ich sehr gern hatte.“
Es gab viele Spiele und Rituale zwischen den beiden. Meistens war die Mutter die Bestimmende, die Unnachgiebige.
Sie inszenierte strenge, rituelle Spiele, die ihn lustvoll erregten. Heiß auf kalt. Ein Wechselbad der Gefühle. Wenn nach dem jähen Schrecken das befreiende Lachen kam, fühlte sich der Bub ganz besonders gut.
Die Offenheit in der die Mutter ihn an ihren sexuellen Abenteuern teilhaben lässt, verstärkt bei den Knaben die Vorstellung, dass es nur die älteren, dominanten Frauen sind, bei denen man diese wunderbare Lust empfinden kann.
„Ich wusste natürlich, dass sie nur ganz junge Männer mochte. Und dass die sich auch sehr viel von ihr gefallen lassen mussten.“
Er bekam auch mit, dass es stets seine Mutter war, die den Sex diktierte. Die, wie er sagt „sich von keinem dieser Männer etwas anschaffen ließ.“
Und die, ihre Erfahrungen an den Sohn weitergab.
„Sie hat mir erzählt, dass sie es gern französisch hat. Und mich gefragt, ob ich das denn auch gern täte.“
Einmal habe er der Mutter im Vertrauen gesagt, dass er eigentlich auf ältere Frauen stehe. Und ob sie das schlimm finde.
„Wieso denn,“ habe seine Mutter geantwortet. “Du siehst ja an mir, dass die auch noch ganz flott sind. Außerdem lernt ein junger Mann bei einer älteren Frau fürs Leben!“
Als mich Peter A. zur U-Bahn bringt, wieder ganz der starke Typ mit Porsche und Ray-Ban-Sonnenbrille, wirkt er erleichtert.
„Nehmen Sie mir wenigstens endlich ab, dass ich keinen Mutterkomplex habe?“ fragte er.
Wochen später treffe ich ihn in einem Cafe der Münchner Innenstadt. Er will nochmals dringend mit mir reden.
Ich habe den Eindruck er verwechselt mich mit einem Therapeuten. Als ich ihm das sage, wird er unwirsch.
„Eigentlich ist es doch ein Kompliment,“ raunzt er mich an. “Wenn ich lieber mit einer Journalistin als mit einem Arzt spreche!“
Dann fügt er etwas freundlicher hinzu:
„Sie haben bei mir genau den Punkt getroffen. Ich habe Vertrauen zu Ihnen. Ich weiß auch, dass ich Hilfe brauche. Ich muss endlich mein Leben in den Griff bekommen! Ich will doch nur Ihren Rat.“
Vergeblich versuche ich mich aus dieser Umklammerung zu befreien. Meine Argumente lässt er nicht gelten.
„Nach unserem Gespräch war mir klar, dass ich eigentlich eine ältere Frau brauche. Eine, die mindestens zwanzig Jahre mehr Erfahrung hat. Eine, die mir sagt, wo’s lang geht. Die aber diskret ist und über unser Sexleben nicht redet. Außerdem müsste ihre Liebe so unverrückbar sein, wie die Liebe meiner Mutter.“
Ob er jemals mit seiner Mutter über die damaligen Rituale und wie sehr sie ihn geprägt haben, gesprochen hat, will ich wissen.
„Nein , nein – weshalb denn?“ fragt er entsetzt.
„Ich habe Ihnen nur von meiner Mutter erzählt um Ihnen zu zeigen, dass ich nicht verklemmt aufgewachsen bin!“
Monate waren vergangen, als ich ihn auf meinem Anrufbeantworter finde.
Er wolle mir nur sagen, dass seine Ehe schon nach zwei Monaten gescheitert ist. Seine Mutter hätte sich mit der jungen Frau nicht verstanden. Sie sei spießig und bigott, habe sie moniert. Aber jetzt sei auch die Mutter an Krebs verstorben.
„Jetzt habe ich niemanden mehr der mich versteht und nicht verurteilt.“
Als ich seine Geschichte schreibe wird mir bewusst, welch gefährliche Spiel seine Mutter mit dem Knaben getrieben hatte. Wie sie ihn quasi konditioniert hat
Auf Erniedrigung und Schrecken.
Die frühe Lust, die er bei den sadomasochistischen Spielen mit seiner Mutter erlebte und wieder verdrängt hatte, kehrte zurück als er Sophie kennen lernte. Ich bin mir nicht sicher, ob ihm bewusst ist, dass dieses Sehnen seinen Ursprung in seiner frühen Jugend hat. Und, dass auch die geplante Heirat mit der prüden jungen Frau ebenfalls eine Wiederholung des demütigenden Verweigerungsspiels seiner älteren Geliebten Sophie ist. Nur einmal im Monat darf er mit ihr aus religiösen Gründen verkehren. Wieder stellt er seine eigenen Bedürfnisse zurück.
Die Muster gleichen sich.
Peter A. hat Angst vor dem Verlust worum er, das uneheliche Kind aus der Sozialsiedlung hat hart kämpfen müssen: um den scheinheiligen Mantel der Wohlanständigkeit. Deshalb wird er auch das Mädchen, das er weder liebt noch begehrt, heiraten.
„Sie gibt mir den richtigen Rahmen, den ich brauche, um nicht entdeckt zu werden, sagt er.
Im Schutz dieser Ehe kann er sich eine neue Domina suchen.
Als ich Peter A. beim Abschied gefragt habe, ob es nicht weniger quälend wäre, seine Obsession zu leben, statt sich den Zwängen einer unbefriedigenden Ehe unterzuordnen, antwortet er:
„Dieses Unglück kann ich wenigstens noch einigermaßen in den Griff bekommen!“