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Kapitel 2

Die Faszination der Gosse.

„Wenn du mich liebst, dann tust du es!“

Seine Stimme hatte diesen kalten, metallischen Klang. Sie klingt immer so, bevor er bösartig wird. Christiane hat Angst davor. Nicht, dass er sie schlagen würde. Er beschimpft sie. Mit Worten, die Christiane mehr verletzen als Schläge.

Zwei Stunden später ist sie auf der Reeperbahn. Davidstrasse. Zweihundertfünfzig Meter hoch, zweihundertfünfzig Meter runter. Es regnet leicht. Christianes Stilettos klacken auf dem Pflaster. Der enge Rock ist schenkelkurz. Drei Mädchen, die an der Hauswand lehnen, schielen mit bösen Blicken zu ihr hin.

„Wenn sie mich vertreiben würden“ denkt Christiane“, wäre dieser Spuk vorbei!“

Als das erste Auto am Bordstein hält, läuft eines der Mädchen hin. Der Fahrer schüttelt den Kopf. Er deutet auf Christiane. Sie sieht es aus den Augenwinkeln. Möchte weglaufen.

„Der will dich“, zischt das Mädchen, als es auf seinen Standplatz zurückgeht. „Haste überhaupt ’n Bockschein?“

Christiane geht zu dem dunkelblauen BMW. Sie beugt sich hinunter.

„Wie viel?“ fragt der Fahrer.

Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Spürt wie ihr die Tränen den Hals zuschnüren, die Handflächen feucht werden.

„Jetzt“, denkt sie,“ jetzt kann ich noch weglaufen.“

Aber irgendwo auf der anderen Straßenseite steht Kevin. Er will, dass sie es tut. Sie darf nicht kneifen.

„Dreihundert“, sagt sie.

Der Fahrer pfeift durch die Zähne.

„Du spinnst wohl, du dumme Kuh“, sagt er und gibt Gas.

Christiane wagt nicht, zu Kevin hinüber zu schauen. Beim dritten Freier klappt es.

„Hundert im Auto“, sagt der Fahrer knapp. Er öffnet die Beifahrertür. Sie steigt ein. Nach zehn Minuten Fahrt hält er neben einer Großbaustelle.

„Nun mach schon“, knurrt er, als Christiane zögert.“ Zum Quatschen hab ich keine Zeit!“

Als Christiane vier Stunden später die Wohnung in Hamburg-Eppendorf aufsperrt, hat sie vier Freier bedient. Zwei im Auto und zwei in der Pension am Hans-Albers-Platz. Sie ist total fertig. Ihre Glieder schmerzen. Die Füße brennen. Sie sehnt sich nach einem heißen Bad und dann nur noch schlafen.

„Alles vergessen wie einen bösen Traum“, denkt sie.

Da hört sie die Stimme von Kevin.

„Scheint dir ja Spaß gemacht zu haben!“ sagt er. Diesmal wirkt er zufrieden.

Bevor Christiane in die Badewanne steigt, nimmt sie das Geld aus der Handtasche. Vierhundert Euro hat sie verdient. Sie geht in die Küche, öffnet den Abfalleimer und zerreißt die Scheine.

Kevin lehnt im Türrahmen und lacht. Am liebsten würde sie ihm ins Gesicht schlagen. Aber sie hat Angst vor ihm.

Aus Scham verkriecht sich Christiane in der Wohnung. Sie ekelt sich vor ihrem Spiegelbild. Sie wäscht sich vier- fünfmal täglich. Schrubbt ihre Haut, bis diese blutig ist. Nachts, wacht sie schweißgebadet auf. Sieht Gesichter, hört keuchenden Atem, spürt rohe Umarmungen.

„Warum hast du mich dazu gezwungen?“ fragt sie Kevin immer wieder. „Warum?“

„Es war doch nur ein Spiel“, antwortet er. „Nichts weiter als ein Liebesbeweis. Es kann doch nicht so schlimm gewesen sein!“

Christiane bekommt hohes Fieber. Sie phantasiert. Wenn Kevin sie in den Arm nehmen will, wehrt sie ihn schreiend ab. Apathisch liegt sie im Bett. Sie isst nicht. Schläft kaum. Ihr Kopf ist schwer und dumpf.

Fliehen ist auch keine Lösung

Es gibt darin nur einen Gedanken:

„Ich muss weg hier!“

Aber sie kann nicht. Sie ist zu schwach, zu müde, zu traurig. Sie weiß nicht, wie lange sie so gelegen hat. Eine Woche? Vielleicht sogar zwei. Als Kevin geschäftlich für ein paar Tage verreist, ruft sie eine Freundin an.

„Hol mich ab!“ bittet sie weinend. Ohne viel zu fragen nimmt diese Freundin sie auf.

Ich treffe Christiane zum ersten Mal in einem Café in der Hamburger Innenstadt. Ein gemeinsamer Freund hatte mir von ihr erzählt. Als ich sie anrief und fragte, ob sie mir im Rahmen meiner Recherche . Sie war ängstlich und misstrauisch. Schließlich verabredeten wir ein erstes Treffen.

„Ich muss Sie kennenlernen“, sagte sie. „Erst dann kann ich entscheiden, ob ich mit Ihnen reden möchte!“

Christiane R. (26) ist ein schönes Mädchen. Groß, schlank, mit schulterlangen, blonden Haaren, großen blauen Augen und einem schmalen Gesicht. Sie ist sehr edel und teuer gekleidet. Der Typ junge, selbstständige Frau, den man in den feinen Clubs der Hansestadt häufig trifft.

Christiane ist nervös. Ihre Hände sind dauernd in Bewegung. Sie schiebt die Teetasse wie eine Schachfigur auf dem Marmortischchen herum. Um sie zu entkrampfen, erzähle ich von meinen anderen Gesprächspartnern. Von den Schwierigkeiten, die fast alle hatten, sich einer Fremden anzuvertrauen. Sie hört wortlos zu. Manchmal schaut sie mich prüfend an. Nach geraumer Zeit sagt sie:

„Okay. Ich glaube ich kann Ihnen trauen!“

Sie lächelt nicht, macht nicht einmal den Versuch einer freundlichen Geste. Christiane steht auf und schiebt mir einen Zettel zu.

„Das ist die Adresse meiner Freundin. Können Sie morgen Abend kommen?“

Christiane ist das mittlere Kind einer Beamtenfamilie. Mittlere Kinder sind schwierig. Sie glauben sich benachteiligt, weniger geliebt und weniger beachtet als das ältere oder jüngere Geschwister. So auch Christiane.

„Ich musste mich immer besonders anstrengen“, erinnert sie sich. „Meistens nahmen meine Eltern erst Notiz von mir, wenn ich wieder etwas angestellt hatte.“

In der Familie herrschten die eisernen Regeln des Patriarchats. Der Vater, Oberregierungsdirektor im Senat der Hansestadt, war ein strenger und lustfeindlicher Mann. Sein Lebensmotto: Disziplin und Ordnung.

Als kleines Mädchen hat Christiane sehr um die Gunst ihres Vaters gebuhlt. Sie brachte ihm die Hausschuhe, stopfte ihm die Pfeife und saß zu seinen Füßen, wenn er die Sportschau sah. Schon bevor er es ausgesprochen hatte, wusste sie, wann er ein neues Bier oder die Zeitung wollte. Einmal sagte er lachend:

„Du bist meine kleine Sklavin! Wenn nur alle Frauen so wären wie Du!“ Das fand sie wunderbar.

Dieser Satz, des geliebten Vaters brannte sich in ihrem Unterbewusstsein ein. Kleine Sklavinnen wurden geliebt!

Mit der Mutter kam sie nicht so gut zurecht. Sie erschien ihr als Konkurrentin. Meistens war sie es auch, die die Zweisamkeit Vater-Tochter störte. Außerdem:

„Mami bevorzugte meine beiden Brüder, mich ließ sie meistens links liegen.“

Als Christiane in die Pubertät kam änderte sich auch ihr Verhältnis zum umworbenen Vater. Er konnte plötzlich wenig mit diesem kratzbürstigen, aufsässigen Mädchen anfangen. Zwar gab es immer wieder mal Momente der Nähe mit ihm. „Aber irgendetwas hatte sich total verändert!“

Die kleine Sklavin war auf dem Weg einen eigenen Kopf zu haben.

Christiane fühlte sich, ohne die vertrauten Rituale mit ihrem Vater einsam und isoliert. Plötzlich spürte sie die Enge ihres Elternhauses.

Sie begann sich zur Wehr zu setzen, wurde unpünktlich, schwänzte die Schule und ‚trieb sich in schlechter Gesellschaft’ herum. Im Grunde

Im Grunde, waren all diese Eskapaden nur der Versuch wieder die volle Aufmerksamkeit ihres Vaters zu erlangen. Doch der Draht zu ihm schien völlig angebrochen. Er kam mit diesem aufmüpfigen, pubertierenden Mädchen nicht zurecht. Das heimische Barometer stand dauernd auf Sturm.

„Ich konnte ihnen überhaupt nichts mehr recht machen“ erzählt Christiane.

Ihren Vater empfand sie jetzt als grauenvollen Spießer. Seine Lebensphilosophie von ‚law and order’ verachtete sie. In ihrer Mutter sah Christiane nur noch die schwache, ewig nachgebende und sich unterordnende Frau.

Wie die Mutter wollte sie nicht werden

Überhaupt fand sie die Vorstellungen, die ihre Eltern von ihrer Zukunft hatten, als schrecklich.

„Meinen Eltern ging es nur darum, dass ich einen Mann aus einer guten Familie abbekäme. Damit ich ein anständiges Leben, in einem anständigen Haus, mit anständigen Kindern führen könnte. Das kotzte mich an!“

Nach dem Abitur machte Christiane die Aufnahmeprüfung zur Kunstakademie. Für ihre Eltern war diese Entscheidung gleich bedeutend mit einer Kriegserklärung.

Neben dem Studium jobbte Christiane in einer Diskothek. Sie wollte Geld sparen um so schnell wie möglich von zu Hause ausziehen zu können.

„Mein Vater hat nur verächtlich von meinem Studium gesprochen. Meinen Job bezeichnete er als Animierjob. Er tat so, als wäre ich eine Nutte auf St. Pauli!“

In der Diskothek lernt sie Kevin kennen. Einen Mann Mitte Vierzig, dem das Geld sehr locker sitzt. Meistens kommt er in Begleitung, immer spät in der Nacht. Die Mädchen sind schrill und tief dekolletiert, die Männer Halbseide.

„So mit goldenen Kettchen und der diamantbesetzten Rolex!“

Christiane, das Mädchen aus dem gehobenen Bürgertum, hat noch nie solche Leute getroffen. Sie sind laut, ordinär und ohne den geringsten Anflug von guten Manieren. Das fasziniert sie.

Als Kevin sie zu einem Glas Champagner einlädt, lehnt sie nicht ab. Sie ist neugierig. Aber Kevin hat nicht vor mit ihr Konversation zu machen. Er reicht ihr das Glas und vergisst sie im gleichen Augenblick.

„Ich war beleidigt. Er behandelte mich wie eines seiner Flittchen.“

Trotzdem geht ihr dieser Mann nicht aus dem Kopf. Er ist schon äußerlich ein Typ, wie sie ihn noch nie getroffen hat. Groß, dunkel, mit streichholzkurzem Haar, einem breiten Kreuz und einer schmalen Taille. Seine hellen Augen haben stets einen wachen, lauernden Ausdruck. Wolfsaugen, denkt sie. Am wenigsten passen seine Hände zu ihm. Es sind lange schmale Pianistenhände.

Christiane denkt sehr oft an ihn. Einmal versucht sie, ihn aus dem Gedächtnis zu zeichnen. Nur die Hände gelingen ihr. Sie überlegt, ob sie ihm die Skizzen zeigen soll.

„Nein“, entscheidet sie dann. “Das wäre zu aufdringlich.“

Eines Abends fragt Kevin sie nach ihrem Vornamen. Als sie ihn sagt, lacht er.

„Das passt zu dir“, sagt er. „So anständig und bieder!“

Cristiane ist tief gekränkt. Sie beschließt ihn nicht mehr zu beachten. Trotzdem nimmt sie ein paar Wochen später seine Einladung zu einer Party an.

Es ist ein wildes Fest. Der Koks steht in großen silbernen Schalen offen herum. Der Champagner scheint aus Fässern zu fließen. Als eines der Mädchen zu strippen beginnt, will Christiane gehen.

„Hab dich nicht so, du Betschwester!“ fährt Kevin sie an. Und sie bleibt. Für Christiane ist jener Abend der Beginn einer jahrelangen Abhängigkeit und Unterdrückung.

In dieser Nacht schläft sie mit Kevin. Er muss sich seiner Sache sicher gewesen sein, denn er hatte im Hotel eine Suite bestellt.

Für Christiane ist es, als habe sie durch ihn den Sex neu entdeckt. So aufregend, so zärtlich, so einfallsreich und ohne Tabus hat sie die Liebe noch nie erlebt. Als sie im Morgengrauen nach Hause geht „Wusste ich, dass ein neuer Abschnitt meines Lebens begonnen hat“.

Am Abend fiebert sie Kevins Erscheinen entgegen. Er kommt nicht. Sie ist enttäuscht. Als er sich am Tag darauf nicht zeigt, fragt sie seine Freunde nach ihm.

„Der ist verreist“, hieß es da lapidar. „Wann und ob er überhaupt wiederkommt – keine Ahnung!“

Christiane fühlt sich elend. Hat diese Nacht für Kevin gar nichts bedeutet? Ist sie ihm so gleichgültig, dass er ohne ein Wort verschwindet? Er verhält sich völlig anders als ihre bisherigen Lover. Aber das ist es auch, was Christiane so sehr anzieht.

Nach einer Woche ist er wieder da. Sie hat Herzklopfen. Freut sich. Er beachtet sie kaum.

„Hallo Kleine“, sagt er nur und lacht ihr flüchtig zu. Stunden später fragt er:

„Hast du morgen Zeit? Ich mach bei mir zu Hause ein Fest!“

Die Party bei Kevin unterscheidet sich nicht von der ersten. Wieder gibt es Berge von Koks, wird der Champagner in Strömen ausgeschenkt. Christiane fühlt sich wie der Kuckuck im falschen Nest.

Knastbrüder und Ganoven

Diese Leute haben eine seltsame Anziehung für sie. Kevins Bemerkung, dass hier hundert Jahre Knast versammelt wären, macht sie noch neugieriger. Sie schaut sich in Kevins Wohnung um.

‚Eine merkwürdige Behausung’, denkt sie. Kein persönlicher Gegenstand liegt herum. Die Möbel sind teuer und sehen aus, als habe sie ein Innenarchitekt arrangiert. Nirgends kann sie Bücher entdecken.

Sie probiert zum ersten Mal Koks. Der Sex mit Kevin ist dadurch noch aufregender. Als sie am nächsten Vormittag nach Hause kommt, weiß sie, dass es Ärger geben wird. Ohnehin ist sie längst entschlossen auszuziehen. Zwei Wochen später findet sie ein kleines Appartement in der Nähe der Akademie.

Mit Kevin trifft sie sich inzwischen regelmäßig. Sie ist noch immer fasziniert von ihm. Von diesem Mann, von dem sie nichts weiß. Er handle mit Immobilien, sagt er. Große Projekte, international. Christiane spürt, dass dies nicht die Wahrheit ist. Dass er ausweicht. Dass er nicht über seine Geschäfte sprechen will.

„Es war mir auch egal“, sagt sie. “Ich wollte mit ihm zusammen sein, Um jeden Preis!“

Kevin ist ein Typ, der keine Widersprüche duldet. Als er Christiane befiehlt ihren Job aufzugeben, tut sie es. Sie zieht zu ihm, in diese unpersönliche Luxusabsteige. Um ihre Eltern nicht zu beunruhigen behält sie ihr kleines Appartement bei.

Kevin kleidet Christiane neu ein. Es kann nicht teuer genug sein. Während er auffällig wie ein Papagei herumstolziert, legt er bei ihr Wert auf Eleganz. Er stilisiert sie so sehr zur ‚höheren Tochter’, dass beide durch ihr gegensätzliches Äußeres Aufsehen erregen. Ihm scheint das einen zusätzlichen Kick zu geben.

„Klasse“, sagt er voller Besitzerstolz. “ Ist eben angeboren. Die kann man nicht mit Kohle kaufen!“

Stundenlang kann er sich Christianes Familienstorys anhören.

„Am liebsten waren ihm Geschichten über meine Oma. Die hatte ein großes Saatgut und einen Adelstitel. Das hat ihn unwahrscheinlich angemacht.“

Von seiner eigenen Familie spricht Kevin selten.

„Da gibt’s nichts zu erzählen“, wehrt er ab.“ Ich komme aus der Gosse. Meine Mutter war eine arme Sau. Mein Vater ein widerlicher Alkoholiker. Geschwister hab ich keine.“

Christianes Leben hat sich total verändert. Zur Akademie geht sie selten. Meistens ist sie morgens viel zu müde. Die Nächte mit Kevin sind lang.

„Du bist mein Talisman“, sagt er.

Vor seinen Freunden gibt er an mit ihr. ‚Meine Gräfin’ nennt er sie. Anfangs stört das Christiane sehr. Es ist ihr peinlich, aber sie gewöhnt sich daran.

Inzwischen ist sie völlig auf ihn fixiert. Findet gut, was ihm gefällt. Verurteilt, was er nicht mag. Ihre eigenen Freunde sieht sie kaum noch. Zu langweilig und bürgerlich erscheinen sie ihr. Wie viel aufregender sind dagegen die Leute um Kevin.

Christiane begleitet Kevin jetzt auf seinen Reisen. Meistens nach Marbella, ein paar Mal nach London. Bei diesen Gelegenheiten dringt Kevin darauf, dass sie sich besonders elegant kleidet. Oft verlangt er, dass sie getrennt von ihm fliegt. First Class , selbstverständlich. Sie wundert sich, fragt aber nicht nach. Tut einfach, was er möchte. Manchmal versteckt sie kleine Päckchen in ihren Koffern.

„Devisen“, sagt Kevin. „Dich durchsucht doch niemand!“

Auch ihr Reisegepäck hat Kevin ausgesucht. Es sieht besonders edel aus. Vor jeder Reise überprüft er es.

„Es darf nie beschädigt wirken“, sagt er. Einmal fragt Christiane im Scherz:

„Bin ich etwa dein Kurier?“

Da werden Kevins Wolfsaugen zu Schlitzen.

„Sag das nie wieder!“ droht er.

Ihre Familie sieht Christiane in diesen Jahren sehr selten. Sie hat gelernt, zu Hause perfekt zu lügen. Zwar erzählt sie von ihrem Freund. Aber in ihren Berichten ist er ein spanischer Maler, der ihr bei der eigenen künstlerischen Entwicklung hilft. Auf der Kunstakademie, schwindelt sie, könne sie nichts mehr lernen. Jetzt brauche sie Praxis.

„Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke“, sagt Christiane.

“Dann scheint es mir als habe ich nur den Kopf in den Sand gesteckt. Als wollte ich mir meine Illusionen auf keinen Fall zerstören lassen. Kein einziges Mal bin ich aus diesem Traum aufgewacht!“

Der Sex mit ihrem Freund ist für sie immer wichtiger.

Sex als Druckmittel

„Ich war süchtig nach seinem Körper. Keinen Tag ohne ihn glaubte ich ertragen zu können!“

Für Kevin allerdings scheint sich der Reiz Christianes langsam abzunutzen. In Hamburg lädt er plötzlich zwei Araber ins heimische Bett ein.

„Ich war entsetzt, wollte aber nicht spießig wirken“, sagt Christiane.

Sie macht mit, weil sie spürt wie sehr Kevin solche Situationen erregen.

„Ich brauche neuen Kitzel. Ich will dich dabei sehen, wenn du andere Männer befriedigst!“ begründet Kevin diese sich häufig wiederholende Triolen.

Christiane widert die Geilheit und Lust der anderen Männer an.

„Ich fühlte mich erniedrig!“ sagt sie heute. Um überhaupt mitmachen zu können, zieht sie sich vorher eine Linie Koks rein.

Als Kevins Wünsche immer unmäßiger werden, will sie mit ihm brechen. Sie verkriecht sich in ihrem Studenten-Appartement. Drei Tage später ist sie wieder bei ihm.

„Er hat geweint und versprochen, dass alles anders wird“. sagt sie.

Doch der alte Kreislauf beginnt nach Wochen erneut: Partys, Reisen, Sex. Anfangs sind sie im Bett allein.

„Es war so schön wie früher“, schwärmt Christiane. „Ich war glücklich!“

Doch Kevin will mehr. Bald sind die Sex-Spielchen zu dritt, viert oder fünft wieder an der Reihe. Christiane kann diese Nächte nur noch mit Koks ertragen. Manchmal, wenn ihr Kopf klar ist, fragt sie sich, was sie bei Kevin hält. Ihr Studium hat sie abgebrochen. Zukunftspläne macht sie seit langem nicht mehr. Sie lebt in den Tag hinein und von seinem Geld.

„Ich ließ mich aushalten“, stellt sie nüchtern fest. „Ich war jemand, der keinerlei Rechte hatte. Von dem Kerl abhängig, mit dem ich zusammen war.“

Christiane will ausbrechen. Zuerst versucht sie mit Kevin darüber zu reden. Sie möchte ihr Studium fortsetzen. Eine Ausbildung machen. Kevin lacht sie aus.

„Du hast doch alles“, sagt er verständnislos. „Wenn du eigenes Geld willst, richte ich dir ein Konto ein!“

Ein anderes Leben – aber welches?

Mit dem Wort ‚Zukunft’ kann er nichts anfangen.

„Woher soll ich wissen, was morgen ist, ich bin nicht der Typ, der heiratet und Kinder hat. Das muss dir doch klar sein!“

Christiane wagt nicht ihm zu sagen, dass es ihr darum überhaupt nicht geht. Dass es diese Art von Leben ist, was sie nicht mehr erträgt.

Einerseits hat sie Angst ihn zu verlieren. Andererseits versucht sie ihn zu verlassen. Er holt sie jedes Ml zurück. Einmal gelingt es ihr, sich für zwei Wochen bei einer Freundin zu verstecken. Sie leidet, weil sie ihn vermisst. Aber diesmal will sie durchhalten. Zwingt sich, ihn nicht anzurufen, wenn ihre Sehnsucht zu groß wird.

„Wenn ich es schaffe, ihn einen Monat nicht zu sehen, dann bin ich über dem Berg! hofft sie.

Als sie hort, dass er krank ist, eilt sie sofort zu ihm. Sie bleibt. Kevin geht es tatsächlich nicht gut. Er hat einen Leberschaden. Und zum ersten Mal, scheint er finanzielle Probleme zu haben.

„Du musst mir helfen“, beschwört er sie. „Mach ein paar Fahrten für mich. Du weißt schon. Nichts Schlimmes. Devisen transportieren!“

Christiane fliegt nach Marbella, London und Lima. Sie weiß nicht genau, was in ihren Koffern versteckt ist. In den vorbestellten Hotels wird sie stets erwartet. Die Koffer werden ausgetauscht. Christiane fliegt mit einem identischen Exemplar zurück. Wie immer bei diesen Trips bucht sie First Class, ist hochelegant gekleidet. Eine junge, reiche Frau auf Reisen. Als sie aus Lima zurückkommt wird sie zum ersten Mal aus der Schlange heraus gewinkt.

„Was suchen Sie denn“? frag sie den Zöllner am Frankfurter Flughafen.

„Rauschgift“, antwortet er.

„Bei mir? „fragt Christiane ungläubig und hat dieses mädchenhafte, unschuldige Lächeln. Es verfehlt seine Wirkung nicht. Ich Koffer bleibt ungefilzt.

In Hamburg will sie von Kevin wissen, was sie transportiert hat. Ihr Freund macht Ausflüchte. Als sie insistiert, sagt er schließlich:

„Meistens Kokain. Manchmal Heroin!“

Christiane hatte es geahnt. Sie weiß, dass sie benutzt wird und sie weiß auch, dass sie aussteigen muss. Sofort, bevor es wirklich zu spät ist. Aber, sie ist längst abhängig von Kokain. Sie braucht ihre Dosis. Und die bekommt sie von Kevin. Ohne ihn läuft in ihrem Leben nichts mehr.

„Hilf mir heraus“, bittet sie Kevin.“ Ich muss weg von dem Zeug. Lass mich jetzt nicht im Stich!“

Kevin denkt nicht daran.

„Ich brauche dich!“ sagt er, und wird zum ersten Mal deutlich:

„Wenn du nicht parierst, wirst du ganz andere Seite von mir kennen lernen!“

Seine Stimme hat diesen bösen Klang. Christiane hat Angst. Wo soll sie hin? Ihre Eltern haben sie längst abgeschrieben. Ihre alten Freunde würden die Situation nicht verstehen. Außerdem wären sie Kevins Rache ausgesetzt. Das kann sie nicht riskieren.

Das Verhalten ihres Lovers ist wie Zukerbrot und Peitsche. Er droht und streichelt. Setzt sie unter Druck und lässt locker. Heiß und kalt sind seine Gefühlsduschen. Und dann kommt dieser Abend an dem er sie zwingt, auf den Strich zu gehen. Ganz tief unten, will er sie sehen.

„Er hat geglaubt“, sagt Christiane, „wenn ich das tue, dann hat er mich völlig gebrochen. Dann bin ich seine Leibeigene. Seine Sklavin für immer!“

Im Laufe unserer Gespräche ist Christiane krank geworden. Sie hat hohes Fieber bekommen. Ich schlage vor, dass wir die Interviews später fortsetzen, wenn sie sich wieder besser fühlt.

„Nein“, sagt Christiane fast flehend.“ Ich will es jetzt zu Ende bringen. Will alles abschließen und nie mehr daran denken müssen!“

Sie hat sich entschlossen eine Therapie zu machen. Ich kann ihr die Adresse eines hervorragenden Psychiaters geben. Sie will sich sofort einen Termin machen. Ich freue mich, denn diesmal scheint sie wild entschlossen sich aus dieser fatalen Beziehung zu befreien.

Drei Monate später rufe ich bei Christianes Freundin an.

„Christiane hat die Therapie nach zwei Monaten geschmissen. Sie hat behauptet, dass ihr das nichts bringt“, erzählt mir die Freundin.

„Und wie geht es ihr jetzt?“ frage ich leicht beunruhigt.

„Sie ist in Malaga. Kevin wurde mit Drogen erwischt und sitzt dort im Gefängnis. Als sie das erfuhr, ist sie sofort zu ihm gefahren. Sie versucht ihn mit Hilfe eines Anwalts freizukaufen!“

Sie seufzt und sagt dann:

„Ich glaube nicht mehr daran, dass sie je von diesem Menschen los kommt!“

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