Читать книгу Mutter werden – Mutter sein - Alisa Kersch - Страница 8

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Nachdem der Entschluss gefasst und der richtige Zeitpunkt ausgetüftelt war, kam endlich der aufregende Teil der Babyplanung. Ganz stolz und ein bisschen wehmütig habe ich meine letzte Pille geschluckt. Am Küchentisch verkündete ich Thomas ganz freudig: „Es ist vollbracht, jetzt kann es dann endlich losgehen!“ In seinem Gesicht konnte ich ein wenig Anspannung wahrnehmen, denn wie jeder weiß, ist Kinderkriegen manchmal doch nicht so einfach. Unfruchtbarkeit ist in unserer Gesellschaft schon lange kein Tabuthema mehr. Ich kenne etliche Frauen, die Schwierigkeiten haben, schwanger zu werden oder einen Fötus bis ins überlebensfähige Alter auszutragen. Es schmerzt sehr, zu sehen, wie Paare vergeblich versuchen, ein Baby zu bekommen und mit diesem Druck oft nicht fertig werden. Tatsache ist, dass in Mitteleuropa jedes sechste Paar Schwierigkeiten hat, ein Kind zu zeugen. Ist man früher unbeschwert „zur Sache“ gegangen, ist schon der erste fruchtbare Zyklus ein Kampf, ob man auch wirklich zeugungsfähig ist und seinem Partner und sich selbst ein Kind schenken kann. Man macht sich schon vor dem Sex Gedanken, ob es wirklich etwas wird. Mein Mann hatte leichte Bedenken, zeugungsunfähig zu sein, hatte er doch im Jugendalter angeblich zu enge Unterhosen getragen, die möglicherweise eine Unfruchtbarkeit zur Folge haben können. Auch ich hatte meine Sorgen. In der Schule habe ich das Handy in der Hosentasche aufbewahrt, um mit der Vibrationsfunktion ja keine „wichtige“ SMS zu versäumen. Heutzutage weiß man, dass sich Handys schädlich auf die Fortpflanzungsfähigkeit auswirken können, sowohl bei Frauen als auch bei Männern.

Neben diesen Faktoren war ich auch noch sehr sensibilisiert durch Arbeitskolleginnen und Bekannte. Vier Frauen zwischen 27 und 43 Jahren versuchten zeitgleich mit uns, eine Babyplanung zu starten und scheiterten. Ich habe miterlebt, wie nicht nur der partnerschaftliche Druck zunahm, sondern auch der soziale. Andauernd wurden die betroffenen Frauen angesprochen, ob es denn schon funktioniert hätte beziehungsweise welche Methoden und Schritte ihrerseits eingeleitet wurden, um den Babywunsch nun tatsächlich zu erfüllen.

Ich habe oft versucht, mich in die Haut dieser Frauen hinein zu versetzen. Und jedes Mal bin ich zu dem Schluss gekommen, dass durch Druck und Stress die Babyplanung in eine klassische Negativspirale mündet. Je mehr Stress und je mehr Versagensängste, umso schwieriger wird es, ein positives Endergebnis zu erhalten. Das ist wissenschaftlich bewiesen und nicht nur bei der Babyplanung schlagend, sondern in allen Bereichen des Lebens. Kommen dann noch physische Faktoren hinzu, die eine Schwangerschaft erschweren, wird es oft zu einem aussichtslosen Kampf, ein Kind zu bekommen. Die Folge sind meistens kostspielige Arztbesuche, um den Zyklus genau zu diagnostizieren und den bestmöglichsten Befruchtungszeitpunkt zu ermitteln. Andere Frauen geben sich und die Partnerschaft auf, verfallen in eine posttraumatische Belastungsstörung, suchen den Ausweg in massenhaft Arbeit oder verfolgen ein neues Lebensziel: Karriere statt Kind.

Als ich die Pille absetzte, hatte ich gerade einen Routinetermin bei meinem Gynäkologen. Ich erzählte ihm davon und machte meinen Wunsch deutlich, ein Baby bekommen zu wollen. Der erste Kommentar von ihm war, ob es meine eigene Entscheidung sei, ein Kind zu bekommen oder ob dieser Schritt mit dem Partner abgesprochen sei. Nachdem ich verblüfft aufschaute, offenbarte er mir, dass die Mehrheit der Frauen ihre Männer nicht in den Entscheidungsprozess mit einbeziehen, sondern diese vor vollendete Tatsachen stellen. Wahrscheinlich wirkte ich sehr betreten oder ich bin in diesem Punkt zu altmodisch und naiv. Solche Geschichten hört man zwar immer wieder oder man sieht sie in B-Movies am Donnerstagabend im Fernsehen. Aber in meinem Freundeskreis ist mir so eine Tat noch nicht untergekommen. Ich bin sehr froh darüber, diesen Schritt gemeinsam unternommen zu haben. Eine alleinige Entscheidung greift die Vertrauensbasis einer Partnerschaft stark an. Möglicherweise leidet auch das Verhältnis zwischen Vater und Kind, je nachdem wie sehr sich der überrumpelte Mann dann tatsächlich auch als Vater sieht und diese Rolle akzeptiert.

Als nächstes Thema sprach ich, durch die Leidensgeschichte meiner Arbeitskolleginnen geprägt, die Zeugungsfähigkeit eines Paares an. Mein Arzt meinte, dass es durchschnittlich bis zu einem Jahr dauern könne, schwanger zu werden. Dieser Zeitraum sei durchaus normal und realistisch. Ohne Druck, Stress und Sorgen sollten wir uns innerhalb des nächsten Jahres also wieder sehen. Dieses Statement beruhigte mich ein wenig, denn ein zeitlicher Horizont von einem Jahr nimmt die Versagensängste und lässt Spielräume offen, in denen man noch nicht an sich zweifeln muss.

Mein Interesse bezüglich Unfruchtbarkeit wuchs. Heutzutage ist erwiesen, dass zirka zehn Prozent der Paare länger als zwei Jahre an einem Baby „basteln“ müssen. Nur drei bis vier Prozent bleiben tatsächlich kinderlos.

Gestärkt von diesen Aussichten und mit einer Packung Folsäurekapseln in meiner Handtasche ging ich zufrieden nach Hause. Ich wartete freudig aufgeregt, bis mein Mann endlich von der Arbeit zurück war. Die Fakten und neuen Erkenntnisse sprudelten nur so aus mir heraus. Ich versuchte Thomas zu zeigen, dass wir keinen Stress im Zeugungsprozess hatten, sondern alles gelassen und ruhig angehen konnten. Aber er kennt mich wohl zu gut und wusste nach sieben gemeinsamen Jahren, dass mein Nervenkostüm trotz allem angespannt war und das Baby so schnell wie möglich passieren sollte. Ich selbst machte mir so viel Druck und der Kinderwunsch stieg minütlich mehr. Unbedingt wollte ich im ersten fruchtbaren Zyklus schwanger werden. Nach außen spielte ich die Gelassene. Aber die eigenen Ängste, Bedürfnisse und Wünsche kann man nicht immer mit Verstand und Fakten austricksen.

Im ersten empfangsbereiten Monat gab es sowohl am Küchentisch als auch beim Abendessen kein anderes Thema als das ersehnte Baby. Ich habe Thomas in diesen paar Wochen sicherlich zu Tode genervt und überstrapaziert. Täglich habe ich angekündigt, wie viel Zeit uns noch zu den vier bis fünf fruchtbaren Tagen des Zyklus bleibt. Ein Countdown, der den Schwangerschaftsdruck doch eher auf- als abbaut, aber ich konnte in meiner Euphorie nicht anders. Jede freie Minute habe ich damit verbracht, Ratgeber zu lesen, wie man am besten und schnellsten schwanger wird. Dabei lernte ich, wie die fruchtbaren Tage berechnet werden und an welchen Reaktionen man seinen Eisprung erkennt. Ich kann verraten, es ist gar nicht so einfach nach Jahren der Pillenabhängigkeit zur Verhütung wieder auf seinen Körper und auf sogenannte Fruchtbarkeitssignale zu achten. Fälschlicherweise ging ich ursprünglich von dem Gerücht aus, dass man nach der langjährigen Einnahme der Pille mehr Zeit benötigen würde, um Kinder zu bekommen. Mein Gynäkologe hat mir aber verraten, dass Frauen, die mit der Pille absetzen eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit haben, in den ersten drei Monaten danach schwanger zu werden. Angespornt durch diese Aussicht habe ich alle Fakten zur Einnistung eines befruchteten Eis in mich aufgesogen. Ich wollte doch als Erste erkennen, ob ich nun tatsächlich schwanger bin oder nicht.

Jeden Tag bin ich vor dem Spiegel gestanden und habe meine Brustwarzenvorhöfe inspiziert. Laut Literatur sind vergrößerte Brustwarzenvorhöfe ein mögliches Schwangerschaftssignal. Weiters können die Brüste gespannt sein und voller wirken. In meinem Spiegelbild erblickte ich einen „normalen“ und einen „möglicherweise größeren“ Brustwarzenvorhof. Dies wusste ich natürlich nicht zu deuten. Daher habe ich Thomas nach seiner Meinung gefragt. Ich glaube, er war noch überfragter als ich und hat ausweichende Kommentare geschoben. Diese machten mich nur grantig und schmollend.

Ein weiteres Signal, welches ich an einem Tag verspürt habe, war ein extremes Ziehen in der Leistengegend. Ich konnte nicht einmal die Stufen in den ersten Stock gehen – musste also schmerzverzerrt in den Lift steigen. Es hätte aber genauso gut ein extremer Eisprung nach langer Pilleneinnahme sein können und war daher für mich kein Schwangerschaftsanzeichen.

Als ich dann noch in der Arbeit, nach einem sehr aufwühlendem Gespräch mit meiner Chefin, aufs WC ging, habe ich mir an den Bauch gegriffen und dem (nicht)vorhandenen befruchteten Ei zugesprochen: „Es ist alles in Ordnung. Reg dich nicht auf, Mama regt sich genug auf!“, ich musste Gewissheit über mein Stadium haben. So konnte es einfach nicht mehr weitergehen. Ich war keine „eingebildete Kranke“, sondern eine (möglicherweise) „eingebildete Schwangere“.

Am Weg nach Hause habe ich mir einen Früherkennungsschwangerschaftstest gekauft, damit ich mich endlich wieder normalisiere. Ich bin davon ausgegangen, dass ich mir diese ganzen Schwangerschaftssignale nur einbilde, weil man sie einfach in jeder Broschüre über Schwangerschaft und Babys liest. Auch im Internet findet man in jedem Forum, dass werdende Mütter einfach „wissen“, dass sie schwanger sind beziehungsweise die ganzen Anzeichen „früh“ erkennen und oft gar keinen Schwangerschaftstest benötigen, um sicher zu sein.

Aus heutiger Sicht bin ich davon überzeugt, dass es sicherlich vereinzelt Frauen gibt, die ihren Körper tatsächlich so gut kennen. In Ratgebern und auf Internetplattformen wird gerne alles so dargestellt, als müsste man als „perfekte“ Frau jedes Anzeichen richtig deuten können. Man fühlt sich dann schnell eigenartig und anders, wenn dem nicht so ist. Schon hier wird meiner Meinung nach für die weitere Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung die Weiche einer vorgegebenen Norm gestellt. Man darf es sich schon bei der Früherkennung nicht leisten, gegen den Strom zu schwimmen. Da ich gerne gegen die Norm aufbegehre, habe ich mich bereits in diesem Stadium entschieden, anders zu sein und mich auf „Fehler“ einzulassen. Aber ist das nicht etwas, was uns menschlich macht und von Computern und Robotern unterscheidet?

Der „Schwangerschaftsspuk“ wurde schlagartig abgedreht, als dieser Früherkennungsschwangerschaftstest negativ ausgefallen ist. Die anfängliche Euphorie und Suche nach Signalen wurde eingestellt. Eine depressive und gereizte Stimmung hat sich bei mir selbst und zwischen Thomas und mir breit gemacht. Sex habe ich sofort eingestellt. Warum auch? Es waren keine fruchtbaren Tage in Sicht. Der Höhepunkt der negativen Stimmung war erreicht, als ich am nächsten Morgen aufstand und ein paar Tage zu früh sogar noch Blutungen hatte. An diesem Tiefpunkt habe ich mich mit Freundinnen getroffen, mein Leid geklagt und ein paar Cocktails getrunken. Und in meinem Elend habe ich mir oft immer wieder die Frage gestellt, wie Partnerschaften diesen „Befruchtungshorror“ über längere Zeit überstehen können. Wahrscheinlich nur deshalb, weil der Sex, wenn man vermeintlich ein Kind bewusst zeugt, besonders intensiv und wunderschön ist!

Mutter werden – Mutter sein

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