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Emotionsfokussierte Psychotherapie

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Grundlage der in der zweiten Buchhälfte vorgestellten emotionsfokussierten Psychotherapie ist die Intensive Dynamische Kurzpsychotherapie, ISTDP (Intensive Short-Term Dynamic Psychotherapy), die von Prof. Dr. med. H. Davanloo begründet wurde. Er war ursprünglich Neurochirurg, wechselte in die Psychiatrie, erlebte seine eigene Analyse bei Helene Deutsch und nutzte die Psychoanalyse als therapeutische und wissenschaftliche Grundlage für sein Wirken als Lehrstuhlinhaber an der McGill Universität in Montréal. Von 1960 an zeichnete er seine Therapien audiovisuell auf. Anhand der Videos studierte er akribisch, welche Interventionen erfolgreicher waren als andere. Auf der Basis seiner Videoanalysen entwickelte er die ISTDP, welche eine einfache und verständliche Neurosenlehre mit differenzierten psychotherapeutischen Interventionstechniken verbindet. Die Anwendung dieser hochwirksamen Therapie erfordert ein hohes Maß an Supervision und Selbstüberprüfung, sodass auch für die Evaluation des Therapieprozesses die Dokumentation der Behandlungsstunden mittels Ton- und Bildaufzeichnung erforderlich ist. Bei der Datenspeicherung sind höchste Anforderungen an die Datensicherheit zu stellen.

Die meisten Patienten kommen in Therapie, weil sie leiden. Sei dies psychisch oder rein körperlich. Bei vielen Körperbeschwerden wird kein körperlicher Auslöser für das Leid gefunden. Die Ursache der Symptome liegt oft in unbewussten Gefühlen, die mithilfe von Abwehren verdrängt werden. In der Kindheit hat das geholfen, sich besser an die Umgebung anzupassen, Spannungen weniger bedrohlich werden zu lassen, Situationen zu deeskalieren und existenzielle Konflikte mit den primären Bezugspersonen zu vermeiden. Auf Dauer können diese Anpassungsmechanismen zu Symptombildung und einem Andauern des Leidens führen.

Das neugeborene Kind sucht die liebende Verbindung zu seinen Bezugspersonen, den Eltern. Wird die Liebe durch Vernachlässigung, körperliche oder seelische Verletzungen gestört, reagiert das Kind, das im frühen Alter nur emotional und nicht kognitiv gesteuert kommunizieren kann, mit Trauer und Wut. Die Wut wiederum löst Schuldgefühle aus, denn es ist wütend auf einen Menschen, den es liebt und braucht, der durch sein Verhalten seine Liebe verletzt hat. Das Kind in der frühen Entwicklungsstufe kann wütende Impulse in seiner Erinnerung nicht von aggressiven Taten unterscheiden, sodass bereits aggressive Handlungsphantasien als reale Tat wahrgenommen werden und zu massiven Schuldgefühlen führen können. Dies geschieht insbesondere dann, wenn die Bezugsperson das Kind durch seine eigene Präsenz und Zuwendung nicht von seiner lebendigen Unversehrtheit überzeugt, sondern sich entzieht.

Das Kind macht die unbewusste Erfahrung, dass es mithilfe von Abwehrstrategien seine gemischten Gefühle vermeiden kann und dadurch nicht mehr von diesen bedrängt wird. Dieser seelische Vorgang hilft ihm auch, sich an die Situation zu adaptieren und die lebensnotwendige Bindung aufrechtzuerhalten. Da der Mensch auf liebende Verbindungen angewiesen ist, sucht er auch als Erwachsener danach. Dadurch setzt er sich der Gefahr aus, alte Erfahrungen zu wiederholen und erneut verletzt zu werden. Durch das Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Nähe werden nicht nur die gemischten Gefühle aus der zurückliegenden Lebensgeschichte mobilisiert, sondern auch die Angst davor und damit die in der Kindheit gelernten Abwehrstrategien. Werden die Abwehrstrategien aktiviert, führen sie oft zu einer Einschränkung der Lebensentfaltung, zu seelischen Leiden und körperlichen Symptomen.

Zu Beginn der Therapie steht die Exploration der Symptome. Dabei versucht der Therapeut zu erfahren, seit wann die Symptome bestehen, wie oft und wie stark sie den Patienten beeinträchtigen und unter welchen Umständen sie auftreten. Während der Exploration erlebt der Therapeut, welche Gefühle der Patient meidet, welche Abwehrstrategien er dazu einsetzt und wie hoch seine Angst ist, wenn es darum geht, mit seinen Gefühlen wieder in Kontakt zu kommen. Wir laden den Patienten ein, sich für sein körperliches Erleben seiner Emotionen, seiner Ängste und Abwehrstrategien zu interessieren. Gelingt es dem Patienten, die Angst vor seinen Gefühlen zu überwinden, seine Abwehrstrategien zu erkennen und abzubauen, kann er seine eigenen Gefühle erleben. Das führt dazu, dass seine Angst im Alltag und mit ihr die Symptome zurückgehen oder sich vollständig zurückbilden. Er lernt, seine Gefühle adäquat zu erleben, ohne sie ausleben zu müssen oder in Form der selbstdestruktiven Abwehrmuster gegen sich selbst zu richten.

Eine wichtige Orientierungshilfe in der ISTDP ist das Konfliktdreieck nach Ezriel (1952) und Malan (1979), das von H. Davanloo und A. Abbass übernommen wurde. Dabei stellt sich stets die Frage: Was zeigt der Patient im Kontakt mit dem Therapeuten? Sind es Gefühle, eine Angst oder eine Abwehrstrategie?


Abb. 1: Das Konfliktdreieck

Zu den Gefühlen zählen wir: Wut, Schmerz, Trauer, Liebe, existentielle Angst.

Angst betrachtet die ISTDP als Aktivierungsmuster des Körpers. Davon werden einerseits Ängstlichkeit und Befürchtungen abgegrenzt, die als Gedanken und Kognitionen eingeordnet werden. Andererseits die existentielle Angst, welche im Zusammenhang mit einer lebensbedrohlichen Situation auftritt. Das Erleben von Angst hat ein körperliches Korrelat. Wenn wir Angst spüren, sind das somatische und das autonome Nervensystem aktiviert. Eine wichtige Entdeckung von Davanloo sind die drei unbewussten Ausbreitungswege der Angst.


Abb. 2: Ausbreitungswege und Symptome unbewusster Angst (modifiziert nach Pfaundler und Quade 2014)

Die Angst kann sich in der quergestreiften Muskulatur niederschlagen (willkürliches Nervensystem), eine Modulierung der Aktivität der glatten Muskulatur (autonomes Nervensystem) bewirken oder sich als eine kognitiv-perzeptive Störung (zentrales Nervensystem) zeigen. Es ist für die Behandlung von fundamentaler Bedeutung, den Ausbreitungsweg der Angst zu erkennen, denn die Auswahl der Interventionen in der ISTDP hängt unmittelbar davon ab. Ist der Therapeut damit vertraut, seine Interventionen auf die körperliche Manifestation der Angst abzustimmen, kann die ISTDP mit ausreichender Sicherheit angewendet werden.

Patienten, bei denen die quergestreifte Muskulatur aktiviert wird, sind in der Sitzung angespannt. Die hauptsächliche Abwehrstrategie ist die Isolierung des Affektes. Diese Menschen wissen z. B., dass sie wütend sind. Ihre Körper sendet aber Angstsignale aus. Ihre Symptome zeigen sich v. a. in der Skelettmuskulatur, was zu Beschwerden im Bewegungsapparat führt. Die Patienten sind in der therapeutischen Situation in der Lage, einen hohen Anstieg an Gefühlen zu tolerieren. Der Therapeut hat also grünes Licht für die weitere Fokussierung auf das emotionale Erleben, da die Gefahr einer psychischen Dekompensation nicht gegeben ist.

Patienten, deren Angst sich in das autonome Nervensystem entlädt, leiden an Symptomen der inneren Organe wie Migräne, Magen-Darm-Störungen, Störungen des Urogenitaltraktes und andere. Die hauptsächliche Abwehrstrategie ist die Repression, die Verdrängung oder Unterdrückung der Gefühle, was mit einer Beeinträchtigung der Selbstwahrnehmung einhergeht. Diese Menschen spüren und merken nicht, dass sie wütend sind. Sie zeigen auch keine Zeichen der Angst in der quergestreiften Muskulatur, sondern sie aktivieren unmittelbar bei einer Änderung der Gemütsbewegung psychische Symptome und körperliche Reaktionen. In dieser Konstellation ist es unabdingbar, bei der Fokussierung auf das emotionale Erleben und der Gefahr einer Angstüberflutung immer wieder durch kognitive Einordnungen eine Entlastung des Patienten herbeizuführen und damit zunehmend eine Desensibilisierung gegenüber seinen gefürchteten Affekten zu erreichen. Der Therapeut muss die weitere Fokussierung sehr zurückhaltend anwenden und gegebenenfalls angstsenkende Methoden einsetzen, da eine Überforderung durch zu intensive Fokussierung zu einer Verschlimmerung der Körpersymptomatik führen kann.

Patienten, deren Angst sich ins zentrale Nervensystem entlädt, zeigen Wahrnehmungsstörungen wie verschwommenes Sehen, Tunnelblick, auditive oder haptische Phänomene und kognitive Beeinträchtigungen in Form von Konzentrationsstörungen, Gedankenabreißen, Blackout oder dissoziativen Symptomen. Auch diese Menschen merken nicht, dass sie wütend sind. Sie sind bereits bei geringer Affektmobilisation von Angst überflutet und können nicht mehr funktionieren. Es liegt auch hier eine Beeinträchtigung der Selbstwahrnehmung vor, Impulse können häufig nicht ausreichend wahrgenommen und in der Folge nicht kontrolliert werden. Die Kommunikation nach innen gelingt kaum. Hier liegt oft eine erhebliche Beeinträchtigung der strukturellen Integration im Sinne der OPD-2 (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik, 3. Auflage, Huber) vor. Die hauptsächlichen Abwehrstrategien sind unreife, d. h. entwicklungsgeschichtlich frühe Abwehrstrategien: Projektion, Externalisierung, Spaltung. Bei diesen Patienten kommen wir rasch in eine rote Zone mit Gefährdung der inneren Kohäsion. Das heißt, wir müssen den Prozess stoppen, die Abläufe gemeinsam mit dem Patienten kognitiv analysieren, damit dieser einen Überblick und eine Orientierung über seine inneren Abläufe gewinnen kann. Diese Menschen geraten durch die Fokussierung auf die Gefühle sehr rasch in eine Angstüberflutung und können dann nicht mehr auf perzeptive, kognitive und exekutive Funktionen zugreifen.

Während die Patienten mit aktivierter quergestreifter Muskulatur eine hohe Toleranz haben, Angst auszuhalten, benötigen Patienten mit Angstentladung in das autonome Nervensystem oder mit kognitiv-perzeptiver Störung zunächst die Fähigkeit, sich vor einer Angstüberflutung schützen zu können. Ihre Ich-Struktur ist zu zerbrechlich und bedarf zunächst eines Aufbaus und einer Stärkung der Abwehrstruktur. Dieses Merkmal wird als Fragilität bezeichnet.

In der psychotherapeutischen Arbeit begegnen uns eine Vielzahl von Abwehrstrategien. Gewisse sind offensichtlicher, andere verborgen.

Die etwas leichter zu erkennenden Abwehrstrukturen sind:

• Obsessive Abwehren: Intellektualisieren, Ruminieren, Rationalisieren, Verneinen. Affekt und Kognition sind voneinander isoliert.

• Regressive Abwehren: Weinerlichkeit, Klagen, Opferhaltung, Unterwerfung, vorwurfsvolle Haltung, oberflächliche Schuldproblematik, Passivität, Panikattacken, Depression, Somatisierung.

• Taktische Abwehren: sich nicht festlegen (vielleicht, möglich, eventuell, vermeidend)

• Maligne Abwehren: Trotz, Provokation, Sarkasmus, vordergründige Unterwerfung, passiv-provokatives Verhalten.

• Unreife/Frühe Abwehren: Projektion, Spaltung

Hinter diesen rasch in der Beziehung deutlich werdenden Abwehren sind zentrale Abwehren verborgen:

• Der Widerstand gegen das Erleben von Gefühlen.

• Der Widerstand gegen Intimität und emotionale Nähe

• Der Über-Ich Widerstand: Sich entwerten, hohe Maßstäbe

• Der Widerstand gegen den eigenen Willen, selber zu entscheiden, die Verantwortung zu übernehmen: Keinen Entscheid fällen, es anderen zu überlassen.

• Der Widerstand gegen das Selbst: Sich selber aufgeben, sich in die zweite Reihe stellen.

In der Behandlung der psychophysiologischen Störungen trifft man all die oben erwähnten Angstmuster und Abwehrstrategien in unterschiedlicher Ausprägung an. Das rasche Erkennen der Abwehr und der Ausbreitung der Angst erlauben einen raschen und effektiven Zugang zum Unbewussten, den verdrängten Gefühlen des Patienten. Werden diese erlebt, führt das zu einer vertieften Lebenseinsicht, einem Verständnis der eigenen Geschichte und oft zu einer raschen Linderung des psychischen Leidens und der körperlichen Symptome.

So einfach die theoretischen Grundlagen sind, so herausfordernd und faszinierend ist die Arbeit nach ISTDP. Kein Patient ist gleich, keine Reaktion ist gleich. Das Tempo ist rasch, da das Gehirn immer und rasch reagiert. Es ist stets faszinierend, die verbale und körperliche Sprache des Patienten zu beobachten und zu verstehen. Die ISTDP orientiert sich an dem, was sich zeigt. Sie ist nicht ein passives Zuhören, sondern eine aktive Interaktion zwischen Patient und Therapeut. Es wird viel Wert auf die körperlichen Kommunikationssignale und die inneren körperlichen Zeichen gelegt, da sie uns eine Orientierung geben, wo das Innere, das Unbewusste des Patienten, sich gerade befindet. Ausbildung und Supervision stützen sich daher auf die Analyse von Bild- und Tonaufzeichnungen der therapeutischen Sitzungen. Ist man vertraut mit dem körperlichen Ausbreitungsweg der Angst und den sich zeigenden Abwehrstrukturen, hat man eine gute Orientierung über das psychische Geschehen und kann dies dem Patienten, der den Prozess selbst erfährt, vermitteln. So beginnt der Patient das Konfliktdreieck zu verstehen. Das gibt ihm Orientierung, Sicherheit und Selbstvertrauen.

Psychophysiologische Störungen

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