Читать книгу Regent der Begierde - Ally Park - Страница 6
Prolog
ОглавлениеVerflixt dieser Sommer so heiß in Südengland. Ergiebige Hitze, sie schwindet nicht, obwohl die Sonne in Torquay bereits untergegangen ist.
Die Lautsprecherbox hinter mir heizt den Beat vor sich her. Laut, verdammt laut der Pegel.
Der gebräunte Drummer der Band, dort schräg ober mir auf dieser Bühne? Ja, ich finde ihn cute. Das Wirbeln seiner trainierten Arme erzählt von seiner Leidenschaft.
Kühl, das Wasser aus der Flasche in meiner Hand. Im Gegensatz zu meiner dunklen Haarmähne, sie hält die Hitze in mir, nicht aber mein Beben. Manchmal könnte ich meine lange Haarpracht einfach nur abschneiden.
Wie lange lebe ich nun schon hier, und habe doch nicht gelebt? Ein Jahr.
Wow, ein ganzes Jahr dieser Gedankentwiste! Sie sind meine ewigen Begleiter seit dem Unfall-Tod von John. Bei jedem Mal, wenn ich den Strand entlanglaufe oder mit dem Surfboard eiskalte Wellen bezwinge.
„I never meant to cause you any sorrow, I never meant to cause you any pain, I only wanted one time to see you laughing, I only wanted to see you laughing in the purple rain, Purple rain, purple rain…“
[Ich wollte dir nie irgendwelchen Kummer bereiten. Ich wollte dir nie irgendwelchen Schmerz zufügen. Ich wollte dich nur einmal lachen sehen. Ich wollte dich nur einmal lachen sehen, im purpurfarbenen Regen. Purpur-Regen, Purpur-Regen], singe ich mit der Band den Text von Purple Rain – nur bestimmt nicht so wie PRINCE, aber wir geben unser Bestes! Ich weiß, mich trifft die Schuld am Unfall von John nicht, dennoch bin ich dafür verantwortlich.
„Honey, I know, I know, I know times are changin'. It's time we all reach out for something new, that means you too. You say you want a leader, but you can't seem to make up your mind. And I think you better close it and let me guide you to the purple rain. Purple rain, purple rain…“
[Süsse, ich weiss, ich weiss, ich weiss - die Zeiten ändern sich. Es ist an der Zeit, dass wir uns nach irgendetwas Neuem umsehen. Das bedeutet: Du auch. Du sagst, du brauchst einen, der dich führt. Aber du scheinst dich nicht wirklich entscheiden zu können. Ich denke, du solltest es besser genug sein lassen, und dich von mir zum purpurfarbenen Regen führen lassen. Purpur-Regen, Purpur-Regen Purpur-Regen, Purpur-Regen]
Ja, vielleicht sollte ich mich führen lassen, die Arme des Drummers sehen mich dafür vielversprechend an, was für ein Gedanke? Angie! Kurz, sehr kurz seine braunen Haare, jedenfalls wärmen die nicht so, wie meine. Er sieht schon scharf aus. Angie, es reicht! Und doch vergebe ich mir, ich muss wieder zu leben beginnen – definitiv und es ist bestimmt neu, da behält Prince Recht!
Die Menge tobt, die Hitze auch. Die Band begibt sich in eine wohlverdiente Pause. „Hi“, durchbricht der smarte Drummer meine Zweisamkeit mit der Box. „Netter Beat“, grinse ich. Ja, ich kann noch lächeln!
Er hält mit seiner rechten seine kalte Wasserflasche quer zu meiner, stößt an und kommt verdammt nahe an mein rechtes Ohr: „Hi, Angie, ich bin Larus. Larus Harmannson Endlich stehst du vor mir.“ Mein Gehör weckt meinen Verstand, woher kennt Larus meinen Namen.
Der Drummer lächelt und meine Augen signalisieren bestimmt meine Überraschung, denn er klärt mich auf: „Du läufst fast jeden Tag, bei jedem Wetter unten in der Bucht an einem bläulichen großen Haus mit weißer Veranda vorbei. Das ist meines. Wir sind fast Nachbarn. Seit einem knappen Jahr.“ Er nimmt einen Schluck von seinem Wasser, meine Gelegenheit: „Und was weißt du nicht über mich?“ Nun spricht die Überraschung aus seinen blauen Augen, zufrieden und stolz mein Empfinden, wenn auch keine Leidenschaft. „Nichts weiter. Weiß nicht, wer du bist oder woher du kommst? Nichts sonst weiß ich, du flitzt ja immer vorbei. Aber deine Figur, die erkenne ich auch bei Nebel, spitze!“, begeistert sich ein Mann.
Verlegen? Nicht ich: „Dann ist dir ja das Beste bislang entgangen!“, und nun nehme ich einen Schluck und verharre mit meinen Augen an den seinen.
Die Band muss zurück auf die Bühne. Eigentlich wollte ich nicht zu diesem „Dorffest“ und nun bin ich beruhigt, es gewagt zu haben.
Bis zum Ende halte ich in meiner Rokker-Jeans und dem schwarzen engen Trägertop durch. Ja, das Leben macht doch noch Spaß.
So schlendere ich zu meiner Boss Hoss. John hat sich das Teil im Frühling vor einem Jahr zugelegt und er hat immer gesagt, die zieht, da kann sich jede andere verstecken. Und jetzt weiß ich, dass sie wirklich zieht! Meine Erinnerung an das Harley-cruisen in den Dolomiten flammt auf, Ron liebt die Geschwindigkeit, nur eine Boss Hoss hat er nicht. Wieder lächle ich. Ich mach mich doch gut, beginne zu leben.
Meinen Helm erlöse ich aus dem Schloss an der Seite des Bikes und werfe meine langen Locken hinter mich, da erkenne ich Larus. Er steht auf der anderen Seite der Boss Hoss und mir gegenüber. „Geiles Gerät, du fährst schnell, hörst du? Ich habe dich beobachtet.“ Jetzt lächelt nur mein Gesicht. „Also weißt du ja eine Menge mehr!“, nicht vorwurfsvoll und doch mein Vorpreschen. Meinen Kopf neige ich zur Seite und ich versuche wieder zahm zu wirken. „Das Ding ist eben wie ich, rasant und gut in Form!“ Shit, das war nicht zahm, aber das Spiel gefällt mir – wohl immer noch.
Ich lege meinen Helm in diese Drummerhände. Schwinge mich aufs Bike und starte, ergreife das Monster von Lenker und dann schreie ich förmlich: „Ja, geiles Gerät, eben so eine Leidenschaft!“ Ich brause davon.
Kein Helm, nur das Bike und ich. Ich teile diese Nacht mit Leidenschaft. Im Rausch. Vielleicht auch mit Geschwindigkeit. Ich zügle nicht.
Hörst du, zwei Worte, die ich immer wieder hörte. Nur zwei Worte, die mich immer wieder an Grenzen brachten. Meine Hand am Gas und ich verspüre unbändigen Druck. Er presst mich fester und ich ziehe vorwärts. Die Straße verschwimmt im Licht des Scheinwerfers: Kurvig, nicht ganz so, wie einst auf Ibiza. Doch zumindest so, dass mich Kurven schüren. Mich zu konzentrieren, meine Schenkel zu kontrollieren.
Gedankentwist
Ibiza vorigen Sommer:
Ich fuhr den Caterham, der mir zuvor zum Verhängnis wurde, der Wahnsinn:
Neben mir?
Nicht Richy, Ivan hat seine Position eingenommen.
Barfuß, so frei fühlt sich also Aluminium an. Hart der Widerstand der Kupplung, doch ich trete härter. Kurz die Wege der Schaltung, kommt mir gerade recht. Ungeduldig die Kurven vor mir, jede will die Engste auf dieser Straße sein. „Ja, ich kann’s noch“, lächle ich nun doch wieder, nicht die Straße an, mehr Ivan, der sichtlich erstaunt mein Handeln verfolgt. Fest das kleine Lenkrad in meiner Hand. Gezügelt die PS in meiner Macht.
Fliehkraft zwingt mich, ihr entgegenzuhalten, um meine Gedankentwiste um Ron zu befreien.
Und ja, es gelingt ihr, ich habe Spaß an diesem Untersatz. Adrenalin, ich kann es nicht leugnen, es echauffiert, treibt mich. Rasanter das Tempo, energischer mein Temperament. Schier unverwüstlich diese Kurven, autoritär schalte ich zurück, um erbarmungslos die Fliehkraft in ihre Grenzen zu pressen. Ivans Blick, nicht mehr erstaunt, eher versteinert. Gnadenlos mein Blick, gerichtet auf den Verlauf der Straße. Kühn?
Gewagt?
Gebieterisch?
Da ist er wieder der Twist meiner Gedanken. Eine helle Fläche erliegt neben dem dunklen Bankett. Wahrscheinlich nur eine Werbetafel. Beinahe so, wie der Blondschopf vor einem Jahr in Kuba an Rons Lenden. Damals sagte Ron auch diese beiden Worte: Hörst du.
Gedankentwist
Kuba vor einem Jahr:
Nicht zu wissen was ich hier tue, gebe ich mich meinem Schicksal hin – habe ich eine andere Wahl?
Erwartung breitet sich über mich. Nicht meine Hände nur meine Augen werden nun von hinten befreit. Abrupt endet meine Leidenschaft. Vor mir erkenne ich Ron.
Mit Gewissheit schrecke ich zusammen.
Nein, ich blicke nicht hinter mich, zu weh tut mir, das was ich vor mir sehe. Big Joes Mädchen, ihr blonder Schopf spielt am Becken von Ron. In der nächsten Sekunde bäumt sich Ron auf, in der einen seine Zigarre in der anderen ergreift er den Blondschopf tiefer. Sichtlich zufrieden lehnt er sich wieder zurück und sieht mich an.
Meinen Blick wende ich zu Boden – erst jetzt. Die Blondine verlässt das Zimmer gemeinsam mit Ernesto. Zufrieden?
Bestimmt nicht, nie und nimmer. Immer noch gefangen, kommt Scham über mich, das wollte ich nicht. Das gefällt mir nicht. Langsam erhebt sich Ron und befreit mich – endlich. Nichts, ich sage nichts, hülle mich in eine Decke und verlasse den Raum, um nun auf die zuvor nicht erreichte Terrasse, ja es ist eine Terrasse, zu flüchten.
Ich weine. Nicht laut, aber intensiv. Alleine lausche ich der Meeresbrandung und fühle mich verlassen. Verlassen von all dem, das mir wichtig ist.
Ron steht hinter mir, nicht viel Raum ist zwischen uns, aber genug, um meinem Scham nicht zu nahe zukommen. „Ich war böse, es tut mir leid, aber Big Joe erwartet das von mir“, äußert ruhig formuliert Ron seinen Satz.
„Das ist eine jämmerliche Erklärung, lass mich alleine!“, pfaucht es aus mir und meine Tränen verstecke ich nicht.
…
„Angie, letzte Nacht, vergiss sie bitte, hier ist es gefährlich und ich muss diesmal auch auf dich achten“, Ron klingt tatsächlich besorgt, irgendwie eigenartig? Er setzt fort: „Damals habe ich meine Tochter verloren, Kim wird mir das nie verzeihen. Also bitte, wenn mir etwas passiert, traue nur den beiden, Lobato und Orta, hörst du?“ Ron wirkt offenherzig und sehr bestimmt, er nennt die Namen nochmals ganz langsam.
„Hörst du, hast du gestern auch gesagt und ich habe dir geglaubt und es tat weh, verdammt weh“, erdrückt mich die Erinnerung und bricht in den Wortwechsel herein.
Den breiten Lenker unter Kontrolle und die 8,2-Litermaschine ist mir ergeben. Hörst du. Einfache Worte! Sie verursachen Schmerzen in mir, nicht einfach zu ertragen.
Meine Hand, mein Griff. Der Schmerz am Gas und der Motor heult auf. Doch das ist alles hinter mir? Der Wind wirbelt meine Haare auf, wie Larus seine Sticks. Ruhe, ich finde sie nicht. Rasant. Die Boss Hoss zieht, gewiss!
Eine enge Linkskurve zwingt mich zur Balance. Ein Kick. Mein Blick – geradeaus. Offen mein Verstand und frei mein Gefühl. Nie wieder verfangen mit den Worten hörst du, nie wieder gefangen in einem Caterham auf Ibiza. Starr in meinen Gedanken und nicht erstarrt in der eisernen Hitze.
Die Dunkelheit zieht an mir vorbei. Kein Saum von Straßenleuchten, der mich umgibt. Eine letzte Gerade und meine Boss Hoss flieht. So finde ich mich in meiner Einfahrt wieder. Das Garagentor öffnet automatisch nach meinem Befehl. Im Tumult der Reste des heutigen Spaßes, stelle ich mein Bike zurück auf seinen Platz.
Die Surfsegel, sie hängen noch immer hier zum Trocknen? Meine Jungs, Sid und Aaron, schlafen heute auswärts, ich hätte die Segel abnehmen und wegräumen sollen. Das kann bis morgen warten, mein entschuldigender Gedanke und ich eile ins Haus.
Ruhig. Alles ist so dunkel und still. Eigenartig mein Gefühl. Licht, es muss hell werden, so tastet meine Hand nach einem Schalter. Endlich erkenne ich mein Reich. Was brauche ich noch? Eine kalte Dusche! Also raus aus den Motorrad-Klamotten, sie verbanne ich in die Garderobe, meine Lederboots werfe ich zur Seite und nehme die Treppe hinauf. Flink – wie ich – so auch die Dusche, denn die Türglocke unterbricht mich.
Rasch in ein Badetuch gewickelt, frottiere ich meine Haare beim Runtergehen. Wer mag da noch sein, hoffentlich ist nichts mit den Kids?
Kopflos öffnet die Mutter in mir die Tür.
„Dein Helm! Du solltest ihn besser aufsetzen!“, strahlt mich ein süßer Drummer an.
Kein hörst du, erleichtert verspreche ich: „Mache ich bestimmt! Einen Drink? Als Danke für die Mühe?“, lädt mein Mundwerk einen Wildfremden zu dieser Stunde in diesem Outfit ein?
Larus grinst. „Gerne, nach einem Jahr, darf ich wohl meine Nachbarin besuchen?“ Shit, da muss ich jetzt durch. Und eigentlich ist er doch zum Anbeißen, Angie!
„Ich war gerade unter der Dusche, ich gehe noch schnell…“, Larus steht breit vor mir und verschränkt seine Arme. Shit, sie sind muskulös.
„Ich kann mir das vorstellen“, lächelt der smarte Mann mich im Flur an. „Soll ich dir wieder etwas abnehmen? Wie vorhin? Nicht, dass du dich übernimmst, hörst du!“, wandert Larus mit seinem Blick spielerisch an meinem Handtuch entlang. Wild durchfahren mich diese Worte.
Ich bin Verfangen mit Gefühlen…? Liebe – sie umspielt so zart, Hass – er umschlingt so hart, schießt aber ein Pfeil dir mitten durchs Herz und schenkt dir das Glück, dass dir so fehlt – so ist es Adrenalin. Meine Motorradfahrt wirkt noch nach? Oder bin ich hier am Wahnsinn angelangt und es ist nicht bloß ein Gefühl?
Mein Badetuch übergebe ich geradezu förmlich, dennoch als Diva und betrachte seine Augen. Intensiv erkunde ich seinen Blick. Er schweift. Ein tiefer Atemzug eines Drummers.
„Wow“, lässt er mein Handtuch am Treppengeländer seinen Händen entgleiten. Verleiten, spricht meine Wut. Spielend rollen meine Gedanken, glitzernd tanzen meine Augen, verhelfen den seinen zu einem Lächeln. Stolz schweift mein Blick und ER bleibt entzückt. Will mich begleiten – gewagt dieses Verleiten! Endlich packen mich diese Arme, erkunden meinen Rücken, ergreifen meine Haare und ich fühle Lippen, die mich tollkühn sanft küssen.
Die Arme sind definitiv stark, sie heben mich an, um mich auf seinen Hüften zu tragen. Meine Beine verschränke ich hinter ihm und bin begeistert, der Mann trägt mich glatt die Treppe rauf. Stürmisch begeistere ich ihn und küsse nicht zart, nein: Wild.
Oben angekommen lehnt mich Larus mit dem Rücken gegen eine Wand und lässt mich bestimmt nicht von seinen Hüften. Seine Arme entledigen nun seinen Oberkörper, er steht den Armen um nichts nach. Seine Jeans? Akrobatisch presse ich meine Schenkel gegen ihn und werde so diesen Jeans Herr. Sich seiner Sache sicher, lässt er meine Beine zu Boden sinken. Was er wohl trainiert? Auch hier verfolgen mich Twiste meiner Gedanken! Larus muss gehört haben, was ich denke, er lenkt mich ins verborgene Bad.
Prickelnd diese Dusche.
Anregend mit diesem Mann.
Dynamisch unser Spiel.
Keine Musik begleitet mich, ein Drummer gibt den Beat hier an.
Neu? Ja, Prince behält Recht!
Wieder weilt mein Rücken an der Wand. Wieder umfesseln meine Schenkel, kämpfen um Balance. Larus verschränkt meine Arme über meinem Kopf, betörend dieses Gefühl. In dieser tiefen Enge. Empor steigt ein Feuer seiner Begierde. Sein Beat bewegt in seiner Dominanz. Erregt in seiner Laune. Pulsiert rasant. Unendlich widerfährt diese Gier. Energisch erfüllt uns eine Ekstase.
Ja, diese gewisse Männlichkeit, sie macht mein Leben lebenswert
Im Regenguss der Dusche nehme ich meine Hände und streife mir das Wasser vom Gesicht über die Stirn nach hinten. Bändige so auch meine nasse Mähne, Strähne für Strähne führe ich langsam wieder nach hinten. Larus lehnt mir gegenüber und sein Blick trifft.
„Was?“, mehr sagt er nicht. „Kein Warum?“, diesmal ist es nicht mein Mundwerk, das die Überholspur nimmt, nein, mein Verstand fordert grammatikalisch ein Warum, kein Was. Larus lächelt und streift mir eine letzte nasse Strähne aus dem Gesicht.
Seine Hand verweilt an der Seite meines Gesichtes. Ein angenehmes Gefühl. „Was hast du mitgemacht?“, jetzt bekomme ich doch einen Satz, nur warum diesen? „Warum denkst du jetzt nach, was ich irgendwann mitgemacht habe?“, verhelfe ich meiner Verwunderung in Worte.
„Angie, eine Frau, die so diszipliniert Sport betreibt, die dennoch so wild mit einem Motorrad umgeht, die gleichzeitig eine so einfühlsame Mutter ist und dann diese unbändige Leidenschaft lebt, die hat viel mitgemacht. Ich weiß, wovon ich rede.“
Mir ist kalt, der Regen schwindet und ich wickle mich erneut in ein Handtuch. Auch Larus packt seine gutgebauten Lenden und diesen repräsentativen Po in eines meiner Handtücher weg.
Beim Verknoten erhalte ich mehr Einblick: „Angie, ich bin Psychologe, ich unterrichte an der Uni in London und habe eine Praxis. Du kannst mir nichts vormachen. Ich werde schon noch dahinter kommen, das hat Zeit, viel Zeit. Ich gestehe, dein Anblick hat mich beim ersten Mal, als ich dich laufen sah, entzückt. Was eben passiert ist, habe ich nie für möglich gehalten. Ich habe nicht einmal davon zu träumen gewagt. Eigentlich habe ich das für mich vorher, als ich mich entschieden habe, dir den Helm zu bringen, ausgeschlossen gehabt. Deine Stärke, dieser energischer Wille, den ich zuerst im Flur gesehen habe. Der macht Männer verrückt. Hast du das noch nicht bedacht?“
Ein Psychologe? Und ich? Was Doris wohl sagt? Ein Lachen kann ich mir jetzt nicht verkneifen: „Ein Drummer und Psychologe, ich werde verrückt, wenn ich es nicht schon bin. Meine Schulfreundin Doris ist auch Psychologin. Aber das, nein, sie hat mir nie so etwas gesagt, sie hat aber mit mir auch nicht über mich gesprochen, mehr über…“ Jetzt hebt sich mein Kopf und meine Augen sinken in seine. Ich schmiege mich an ihn und fahre fort: „Du bist gut, bin ich schon deine Patientin?“
„Nein, nur, wenn du das willst und jetzt kann ich das sowieso nicht entscheiden, ich habe noch nie mit einer Patientin etwas gehabt. Hörst du, ehrlich nicht!“
Da entgegnet mein Verstand mit einem Ruck in mir: „Was meinst du mit etwas? Sex? Oder ein Verhältnis? Ich will kein Verhältnis, ich will keine Beziehung. Ich wollte bisher auch keinen Sex.“
Larus sieht mich beinahe forsch an: „Ich zwinge dich zu nichts. Hörst du, das macht dich wahnsinnig, diese Worte, du kennst sie, und verbindest damit nichts Gutes.“ Mein Blick senkt sich, ich nehme die Jeans von Larus und drücke sie ihm an seine Brust: „Larus, bitte geh, lass mich jetzt einfach alleine. Bitte!“
(Kurz danach bin ich endlich alleine in meinem Wohnzimmer)
Wie immer knipse ich Stehlampen und Tischlampen ein und fahre den PC hoch. Die Urne am Kamingesims ist Teil dieses Raums, sie beruhigt mich. John, er war Teil meines Lebens. Seine Asche, sie ist Teil meines Lebens.
Mein Buch, in meinem Kopf, ich will es endlich fertig schreiben, doch bisher habe ich kaum Zeit dafür gehabt. Jetzt will ich darüber nachdenken.
In mir wälzen sich Szenen meiner Vergangenheit, Peter und die Forensik, sie haben Hannibal immer in einem schlechten Licht dastehen lassen, irgendeine Softwaregeschichte. Dubios, doch richtig hinterfragt habe ich es nicht. Warum ist Natascha so gestorben? Kennert er steht auf dieser Tabellenspalte von Kim und doch arbeitet er mit Ron, habe ich dies hinterfragt? Warum musste Nicole so gehen? Warum kommt Leo in mein Leben und birgt das ein weiteres Unglück?
Ich blättere in Sonjas Nachrichten, da staune ich und lese, den Namen Robert Kern, was es mit diesem Umgang seiner Mutter Kim auf sich hat? Doch halt! Ron nannte seinen Sohn Mike? Welcher ist nun richtig? Oder gibt es gar beide?
Kim Baron? Ist sie die Leitfigur für alles? Führt sie mich zu allen offenen Antworten? Gelenkt wird die Wirtschaft zwar von Männern, aber dahinter stehen ihre Emotionen. Das hat mir Larus gerade bewiesen. Und wir Frauen wirken darauf ein, wie viel bewirken wir dann in der Wirtschaft?
Und Ron, Ron Kern, er regiert und provoziert. Er macht, was er will. Oder nicht? Larus, er wäre wohl jetzt nicht meiner Meinung? Shit, Larus hat das nicht verdient. Mich quält mein Gewissen und mein Blick schweift zum Kamin ab, jetzt erdrückt mich mein Gewissen. Ich bin zerrissen?
Da ertönt mein PC und verkündet den Eingang einer Email. Um diese Zeit? Aus Übersee. Kim schickt mir eine Videobotschaft. Ist ja ein Ding, wenn man vom Teufel spricht…
Ich öffne die Datei und diese wasserstoffblondierte opulente Kim, ihre Frisur immer noch kurz geschoren, spricht vor mir: „Angie, wenn du diese Nachricht erhältst, bin ich tot. Ich weiß nicht warum, aber glaub mir einfach. Ich weiß sehr wohl, welche Macht du auf Männer hast und du wirst lernen, damit umzugehen. Darling, ich vermache dir meine Anteile an Hannibal, du bist jetzt im Besitz der Mehrheit der Anteile dieser Firma. Ein Imperium. Ich lege es in deine Hände. Deine Macht in dieser Welt hat sich soeben potenziert. Glückwunsch, Darling! Ein Notar wird sich wegen des förmlichen Krams melden.
Eines noch: Halte Ron in Schach, gib ihm nicht alles und schon gar nicht dich, Darling. Denn er hat es nicht verdient!
Es herrscht Stille.
Ein Schrei der Ewigkeit.
Mein Leben ist zurück?
Mach Männer ungeduldig, ich weiß, sie erliegen dir! Waren das nicht meine Worte?
Kim, sie hat Ron gebunden, aber nicht gebändigt. Shit, was ist heute für ein Tag?
Um zu begreifen, verlasse ich meinen PC, gehe an einer Glasfront vorbei, hinter der sich das Meer im Dunklen versteckt. In der anderen Ecke des Wohnzimmers lasse ich mich auf einem Hocker nieder, stelle beide Beine breit auf den Boden, richte mich auf, nehme die Sticks und hebe meine Ellenbogen. Ich schließe meine Augen und Prince ist wieder da. In Gedanken summe ich heute noch einmal Purple Rain und drumme. Zugegeben es ist kein kostbares Drumset, aber es ist meines. Eine Snare-Drum, eine Bass-Drum, ein paar Toms und eine Hi-Hat.
Viel zu schnell der Beat, aber das brauche ich jetzt. Meine Hände wirbeln, wie der Wind meine Haare. Meine Sticks wirbeln wie die Erinnerung meine Gedanken.
„Honey, I know, I know, I know times are changin'…mhm… laughing in the purple rain. Purple rain, purple rain…“, mein persönlicher Auftritt hier und heute.