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Buddhismus und Moderne

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Wenn auch Erlösungsbedürftigkeit in diesem Sinne der gemeinsame Nenner aller Traditionen ist, die sich seit dem Wirken des Buddha gebildet haben, sind doch ihre Unterschiede so groß, dass die Forschung angeregt hat, man solle von Buddhismen sprechen. In den 2500 Jahren, in denen buddhistische Vorstellungen und Glaubensinhalte in immer neue Gesellschaften und Kulturen fanden, hat sich die Überlieferung ständig verändert. Vieles davon ist wiederum selbst Tradition geworden. Es hat einen Platz in Glaubenssätzen und Philosophien erhalten, ist zu Regeln und Vorschriften geronnen, hat Ausdruck in Architekturen und Artefakten gefunden und sich zu Gebeten und Gesängen verschiedener Strömungen, Schulrichtungen und Traditionslinien verdichtet. Sie alle gehen mit dem Problem der Leidhaftigkeit menschlicher Existenz und seiner Lösung jeweils unterschiedlich um.

Einmal mehr befördert wurde die komplexe Gemengelage durch Entwicklungen in der Moderne. Zwar sind wohl bereits in der Antike und Spätantike buddhistische Anschauungen vereinzelt auf Wegen von Indien über Baktrien bis nach Alexandrien gelangt – und später durch Handelsreisende wie Marco Polo (1254–1324) und Missionare wie Matteo Ricci (1552–1610) nach Europa. Doch in der westlichen Hemisphäre Fuß gefasst hat der Buddhismus erst durch kolonialistisch bedingte Begegnungsszenarien des 19. Jahrhunderts.

Infolgedessen ist der Buddhismus im 21. Jahrhundert aus der religiös-weltanschaulichen Landschaft Europas nicht mehr wegzudenken. Dabei fällt sein Erscheinungsbild mitunter vielfältiger aus als in asiatischen Ländern. Ist er doch, anders als in Asien, in Europa innerhalb eines Landes, ja einer Stadt, oft in seiner ganzen Bandbreite süd- und ostasiatischer wie tibetisch-mongolischer Traditionen vertreten. In dieser Pluralität am stärksten präsent ist er in Frankreich. In Österreich genießt er seit über 30 Jahren Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts, und auch in Deutschland bildet der Buddhismus die erklärte Religion von, je nach Statistik, 200 000 bis 300 000 Menschen. Ihr Dachverband ist die Deutsche Buddhistische Union (DBU). Sie ist wiederum Mitglied der Europäischen Buddhistischen Union (EBU), die 1975 als Dachorganisation nationaler, später auch anderer buddhistischer Organisationen, Zentren und Gruppen in Europa gegründet wurde.


Besondere Anziehungskraft hatte der Buddhismus in Europa zunächst für Intellektuelle, namentlich Künstler und Philosophen verschiedenster Richtungen, die in ihm eine Alternative zum Christentum sahen. Zu den frühesten Befürwortern zählen etwa der Dichter Friedrich Schlegel (1772–1829), der meinte, in Sanskrittexten die verlorene, authentische Spiritualität Indiens wiederentdecken zu können; der Philosoph Arthur Schopenhauer (1788–1860), der in der buddhistischen Lehre – er sprach von »Buddhaismus« – eine Bestätigung seiner eigenen Philosophie fand; der Pali-Forscher Thomas W. Rhys Davids (1843–1922), der 1881 die Pali Text Society gründete und so substantiell zur wissenschaftlichen Erschließung des Buddhismus beitrug; und der Musiker Anton W. F. Gueth (1878–1957), der von Ceylon, heute Sri Lanka, aus maßgeblich die sich in Deutschland formierende buddhistische Bewegung beeinflusste.

Gueth gehörte zu den ersten buddhistischen Ordinierten europäischer Herkunft. Nach seiner Mönchsweihe 1904 in Birma übersetzte er unter seinem Ordensnamen Nyanatiloka wichtige buddhistische Texte ins Deutsche und gründete 1911 in Südceylon das Kloster »Island Hermitage«, das zu einem Zentrum für europäische Buddhisten in Südasien wurde. Ebenfalls von Ceylon aus wirkte der singhalesische Buddhismus-Reformer David Hewavitarne (1864–1933), der sich selbst Dharmapala (›Dharmaschützer‹) nannte und zu einer Führungsfigur der geistigen Erneuerung des Buddhismus mit Einfluss weit über Asien hinaus wurde.

In diesen Verflechtungsdynamiken, die David L. McMahan in The Making of Buddhist Modernism (2008) beschrieben hat, ist ein moderner Buddhismus rationalen Zuschnitts entstanden. Er ist heute – nicht zuletzt dank Zeitungen und Zeitschriften, Film und Fernsehen, Internet und Social Media – weltweit verbreitet. Sein Buddhabild ist das eines rationalen Analytikers, sein Verständnis des Buddhismus das einer Philosophie oder Vernunftreligion.

Diese Sichtweise entstand im Zusammenwirken europäischer Indologen wie Eugène Burnouf (1801–1852) und Hermann Oldenberg (1854–1920), deren Namen für die Entmythologisierung des Buddhismus in der Moderne stehen, mit asiatischen Mönchen und Intellektuellen, denen die populären Formen buddhistischer Religiosität als reformbedürftig erschienen.

Das spirituelle Angebot für den modernen aufgeklärten Menschen, das daraus hervorging, bestimmt die Wahrnehmung des Buddhismus vor allem im Westen bis heute. Praktiken der gelebten Religiosität werden tendenziell als überholt, ja mitunter gar als Abirrungen einer vermeintlich ursprünglichen philosophischen Lehre abgetan. ›Reiner‹ Buddhismus, so heißt es gerne, beruhe nicht auf Glauben, sondern auf Erkenntnis und Erfahrung. Indem er Dogma und Ritual ablehne, ermögliche er jedem einzelnen Menschen, sich mit geeigneten Mitteln wie Meditation eigenverantwortlich zu verändern. Soziales Engagement und die Suche nach Lösungen für globale Probleme wie Umweltzerstörung, Überbevölkerung, Armut und Menschenrechtsverletzung gehören ebenfalls zum modernen Bild des Buddhismus.

Maßgebliche Faktoren dieser Entwicklung sind die gesellschaftlichen Megatrends Individualisierung, Säkularisierung und Kommerzialisierung. Meditationstechniken, wie sie in der globalen Achtsamkeitsbewegung vermittelt werden, legen den Akzent auf Individuum und Selbsterfahrung. Befürworter eines säkularen Buddhismus wie Stephen Batchelor (geb. 1953) treten für eine ›ursprünglich rationale Lehre des Buddha‹ ein und deuten Glaubensinhalte früher Lehrtexte als behelfsmäßige Zugeständnisse an die damalige Umwelt. Kommerzialisierte buddhistische Bilder und Gegenstände, die einstmals für Rituale gedacht waren, dienen, wie Bekleidung und Möblierung von Privatwohnungen über Bars bis zu Wellness-Oasen bezeugen, als Accessoire. Dadurch sind bestimmte Inhalte und Praktiken des Buddhismus (wie Buddha-Bilder und Meditationsformen) Teil einer »unsichtbaren Religion« im Sinne der Metapher von Thomas Luckmann (1927–2016) geworden. Zwar sind sie als solche durchaus sichtbar, ja erhalten mitunter gar besondere öffentliche, vor allem mediale Aufmerksamkeit. Ihre religiösen Funktionen werden aber zunehmend von nicht-religiösen Strukturen getragen. Aus herkömmlichen Organisationsformen des Buddhismus in andere Kontexte verschoben, treten sie in einer sozialen und kommunikativen Form auf, die nicht mehr als religiös erkennbar ist.

Fahren wir dagegen in buddhistische Länder, erleben wir etwas anderes. Zwar ist der Buddhismus auch dort, je nach Kontext auf andere Weise, Teil des Marktgeschehens, und es lassen sich Rückwirkungen der drei Megatrends beobachten, in denen herkömmlich institutionalisierte Formen des Buddhismus von neuen Formen der Religiosität durchsetzt und um diese ergänzt werden. Letztlich herrschen in Asien aber vom buddhistischen Orden getragene Organisationsformen vor, in denen die Vermittlung von Dogmen, gelebte Religiosität mit Altarpflege, Gebeten und Niederwerfungen, regelmäßige Morgen- und Abendzeremonien sowie öffentliche Feste im Vordergrund stehen. Sie sind integraler Bestandteil einer öffentlich sichtbaren Religion – und dies nicht nur in Ländern, in denen der Buddhismus (wie in Kambodscha, Thailand und Bhutan) Staatsreligion ist.

Auch in der Volksrepublik China etwa gibt es – bedingt durch die Reform- und Öffnungspolitik der Kommunistischen Partei seit 1978 – einen institutionell um den buddhistischen Orden herum organisierten Buddhismus, der von glaubensgeführten Aspekten und Formen religiösen Vollzugs bestimmt ist. Seine öffentliche Sichtbarkeit steigt in dem Maß, in dem er ausdrücklich dem Wohlergehen der Gesellschaft dient und im Einklang mit den Vorgaben und Sicherheitsbestrebungen des Staats steht. So gehört zu den besonders erfolgreichen Akteuren des Wieder- und Neuaufbaus des chinesischen Buddhismus nach der Kulturrevolution der Mönch Jinghui (1933–2013), der die in China traditionsgängige Synthese von Chan-Schule (chin. Chanzong) und Reines-Land-Schule (chin. Jingtu zong) mit dem Postulat eines lebensnahen, den politischen Gegebenheiten entsprechenden Buddhismus verband. Legitimationsgrundlage seines »Lebens-Chan« (chin. shenghuo chan) war das in China gängige Konzept des »humanistischen Buddhismus« (chin. renjian fojiao; ›Buddhismus für die Menschenwelt‹), das an reformorientierte Vorbilder des frühen 20. Jahrhunderts anknüpft und den Zweck hat, den Buddhismus an die Moderne anzupassen. Insbesondere lehnte sich Jinghui an die Forderung des Chan-Mönches Taixu (1890–1947) an, ein »Reines Land auf Erden« (chin. renjian jingtu) zu verwirklichen, indem er den gelebten »Sozialismus chinesischer Prägung« zu einem solchen erklärte.

Vergleichbare Formen erklärter Weltzugewandtheit sind im chinesischen Buddhismus der Volksrepublik keine Seltenheit, ohne dass dadurch die übliche Klosterpraxis beschnitten oder der Buddha eine rationale Deutung erfahren würde: Der Chan ist in einen devotionalen Tempelkult um den »Buddha des grenzenlosen Lichts« Amituofo (Buddha Amitābha) eingebettet, die Geschichte von Shijiamunifo (Buddha Śākyamuni) ein Akt im kosmischen Heilsdrama. Darin bemühen sich verschiedene »Erwachte«, die Lebewesen aus dem endlosen, leidvollen Kreislauf von Karma und Wiedergeburt mit seinen Himmeln und Höllen zu retten. Einige dieser Gestalten, wie der Medizin-Buddha Yaoshifo (skt. Bhaiṣajyaguru), der alle Krankheiten heilt, sind besonders populär, ihre Kultstatuen fehlen in keinem Tempel. Dazu gehören auch die drei, die regelmäßig um Shijiamunifo gruppiert sind: In seinem Rücken, am Ufer des Meeres meditierend, sieht man Guanyin (skt. Avalokiteśvara), Verkörperung des Mitgefühls; zu seiner Linken, auf einem Löwen reitend, Wenshu (skt. Mañjuśrī), der Weisheit und Gelehrsamkeit repräsentiert; zur Rechten, auf einem Elefanten, Puxian (skt. Samantabhadra), den geistigen Zwillingsbruder Wenshus. Eine weitere populäre Gestalt ist Dizang (skt. Kṣitigarbha), Oberherr der Höllenbereiche, der die Menschen aus Pein und Grauen errettet – erkennbar am langen Stab, den er hält. Alle vier werden in China mit einem der vier heiligen Berge identifiziert, die beliebte buddhistische Pilgerstätten bilden: Wenshu mit dem Wutaishan in der Provinz Shanxi, Dizang mit dem Jiuhuashan in Anhui, Puxian mit dem Emeishan in Sichuan und Guanyin mit dem Putuoshan, einer Insel der Provinz Zhejiang.

Zum Erscheinungsbild und der Haltung, in denen diese Kultfiguren dargestellt sind, gibt es überall in Asien, wo sie angerufen werden und Verehrung erfahren, zahllose Glaubensgeschichten. Wie auch die Andachten, rituellen Gesänge und Opfergaben auf Altären und in Räuchergefäßen dienen die Bildnisse dem tiefen menschlichen Anliegen, mit unserem kurzen und oft schmerzlichen Leben zurechtzukommen.

Buddhismus. 100 Seiten

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