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Clash der Welten – deutsche Kolonialisten in Südwest

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Mir sind zwei recht alte Bücher in die Hände gefallen. Das eine gab mir mein Nachbar, es ist 1913 erschienen und erzählt die Geschichte des deutschen Soldaten Alfred von Winkler aus Südpreußen, der Ende des 19. Jahrhunderts in Cuxhaven aufbricht, um bei der sogenannten Schutztruppe im damaligen Deutsch-Südwestafrika Dienst zu tun.

Das andere handelt von den Erfahrungen des Gustav Voigts aus Meerdorf bei Peine im heutigen Niedersachsen, den es zunächst nach Chile verschlägt, der aber, als dort 1891 eine Revolution ausbricht, ebenfalls nach Deutsch-Südwest kommt. Im Gegensatz zu von Winkler dient Voigts zunächst nicht als Soldat, sondern beabsichtigt von Anfang an, sich im Süden Afrikas eine Existenz aufzubauen. Er handelt mit Vieh, und im Lauf der Jahre gelingt es ihm, immer größere Ländereien in der deutschen Kolonie zu erwerben. 1926 beläuft sich sein Besitz schließlich auf 25 Farmen mit einer Gesamtfläche von 200.000 Hektar.

Von Winkler hingegen ist so angetan von Südwestafrika, dass er seinen kargen Lohn spart, um sich nach Ende seiner dreijährigen Dienstzeit ein vergleichsweise bescheidenes Landstück von 3.000 Hektar Größe in der Region Omaheke, dem Stammland der Herero, zu kaufen. Das gibt es für relativ kleines Geld und zudem zu äußerst günstigen Kreditbedingungen. Denn der deutschen Regierung ist daran gelegen, die Kolonie dauerhaft mit ihren Landsleuten zu besiedeln.

Die jungen Männer haben aber noch mehr gemeinsam. Voigts und von Winkler sind Bauernsöhne, und in ihrer Heimat ist es üblich, dass der elterliche Landbesitz an den jeweils Erstgeborenen fällt. Und das sind beide nicht. Voigts schildert recht anschaulich die Aussichtslosigkeit der Situation jüngerer Bauernsöhne. Um eine höhere Bildung finanzieren zu können, fehlt das Geld, außer einer einfachen Beamtenlaufbahn oder dem Amt eines Pfarrers bleibt ihnen nur die wenig verlockende Aussicht, ihr Dasein als niederer Knecht zu fristen. Viele Bauernsöhne jener Zeit suchen deshalb ihr Glück in der Ferne, mit der Hoffnung, dort zu eigenem Landbesitz zu kommen. Doch warum erwählen Voigts und von Winkler ausgerechnet Südwestafrika zu ihrer neuen Heimat, eine Region, von der wir wissen, dass sie hauptsächlich durch Wüste, Steppe und extremen Wassermangel geprägt ist? In der sie, wie beide eindrucksvoll schildern, dadurch bedingt mit schwersten Problemen zu kämpfen haben?

Schon ab dem 16. Jahrhundert hatten die Seefahrernationen Portugal und Spanien damit begonnen, Kolonien in Besitz zu nehmen. Ihnen folgten die Niederländer und ab dem 18. Jahrhundert die Franzosen, vor allem aber mit aufsteigender Macht die Briten. Auf dem Gipfel seiner territorialen Ausdehnung beherrschte Großbritannien zu Anfang des 20. Jahrhunderts ein Gebiet, das ein Viertel der Landfläche unseres Planeten ausmachte. Deutschland hinkte dieser Entwicklung hinterher. Denn bis zur Proklamation des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 bestand es aus einer Vielzahl von Fürstentümern und Reichsstädten, die untereinander mit so allerhand beschäftigt waren, doch bestimmt nicht damit, gemeinsam aufzutreten und Kolonien in der Ferne zu erobern. Als nun endlich ein gesamtdeutscher Staat aus der Taufe gehoben wurde, erstarkten politische Kräfte, die den völkischen Nationalismus zur verbindenden Ideologie erhoben, womit die bisherige kleinstaatliche Identität überwunden und in eine großdeutsche gewandelt werden sollte. Pathetische Nationaldenkmäler, die in dieser Zeit entstanden, zeugen noch heute von diesen Bestrebungen. Die Propaganda fiel auf fruchtbaren Boden, aus dem ein bis zur Überheblichkeit gesteigerter Nationalstolz erwachsen sollte.

Schnell erhoben sich Stimmen, die lautstark forderten, auch das Deutsche Kaiserreich müsse Kolonien haben, um damit seine Bedeutung in der Welt und seinen Anspruch als Großmacht zu untermauern. Dumm nur, dass die Sahnestückchen unseres Planeten zu dieser Zeit schon vergriffen waren. So fiel der Blick auf die verbliebenen Reste. Dazu gehörte ein Territorium im Südwesten Afrikas.

Schon lange zuvor hatten Portugiesen die Küste dieser Region besucht. Sie unternahmen sogar ein paar Erkundungszüge ins Landesinnere, denn es kursierten Gerüchte, dass die dort lebenden Herero über einen sagenhaften Reichtum an Rindern verfügten. Allerdings blieben diese Exkursionen erfolglos, genau wie die späteren Versuche der Briten, das Land an sich zu bringen. Britische Kolonialisten vereinnahmten die Walfischbucht und die Pinguininseln vor der südlichen Küste, hielten sich aber vom unwirtlichen Landesinneren fern. Hier zogen zwar einige Missionare und Händler herum, die um Schutz vor den Einheimischen baten, doch die Briten lehnten ihr Ersuchen rundheraus ab. Niemand schien also Ansprüche auf Südwestafrika zu erheben. Das machte es in den Augen der Deutschen zur Terra Nullius – einem herrenlosen Land.

Aus dieser Gemengelage wusste der Bremer Tabakhändler Adolf Lüderitz seinen Profit zu ziehen. 1883 erwarb er im Tausch gegen alte Gewehre und etwas Bargeld ein nach Meilen bemessenes Landstück an der heutigen Lüderitzbucht vom dort beheimateten Volk der Nama. Im Deutschen Kaiserreich feierte man Lüderitz flugs als Helden des Kolonialismus, ein Glanz, dem sich auch Reichskanzler Bismarck nicht entziehen wollte. Gewieft verfiel Lüderitz schon bald auf den Gedanken, das von ihm erworbene Land sei keineswegs nach englischen Meilen zu vermessen, ein Längenmaß, mit dem die Nama gut vertraut waren. Vielmehr setzte Lüderitz nun die viermal längere deutsche Meile als Maßstab an und beanspruchte somit ein 16-mal größeres Territorium als ursprünglich mit den Nama vereinbart. Prompt stellte Bismarck dieses Territorium unter den Schutz des Deutschen Kaiserreichs. Dieser Vorgang stellte den Startschuss für die Landnahme der folgenden drei Jahrzehnte dar.

Die deutschen Kolonialherrscher machten sich dabei geschickt die Reibereien zwischen den einheimischen Stämmen in Südwestafrika zunutze. Wie wir bereits wissen, wurde das Land ursprünglich von den Völkern der San und der Damara besiedelt, die als Jäger und Sammler lebten. Doch längst waren die Ovambo eingewandert, die als Bauern im äußersten Norden des Landes sesshaft wurden. Außerdem kamen die Herero mit ihren Rinderherden aus Richtung Norden in die Region. Ein Teil von ihnen blieb dauerhaft in deren nördlichen Bereichen, aus ihnen entwickelte sich das Volk der Himba, von denen viele noch heute als Nomaden im Norden Namibias leben.

Die meisten Herero zogen aber weiter südwärts. Als nomadisierende Viehhirten besaßen sie große Herden, die ihren ganzen Stolz darstellten. Sie ernährten sich im Wesentlichen von der Milch ihrer Tiere, Fleisch spielte nur eine untergeordnete Rolle. Individueller Landbesitz war ihnen fremd, das Weideland, das sie mit ihren Herden durchzogen, galt ihnen als Allgemeingut ihres Volkes.

Die San kannten ihrerseits ebenfalls keinen Rechtsanspruch auf Grund und Boden. Im Gegensatz zu den Herero war ihnen aber auch jegliches Eigentumsrecht gegenüber Tieren fremd. Sie vermochten deshalb keinerlei Unrecht darin zu erkennen, Rinder von den Herero zu erbeuten, zumal diese Tiere sich weit weniger scheu und deshalb deutlich leichter jagdbar zeigten als das Wild. Damit machten die San sich die Herero zu erbitterten Feinden. Die Herero, wehrhaft, von größerer Statur und höherer Anzahl, verdrängten die San, die sich mehr und mehr in die Kalahari zurückzogen. Ein ähnliches Schicksal erlitten die Damara, auf Afrikaans verächtlich als „Klippkaffer“ bezeichnet. Sie beherrschten allerdings die Kunst der Eisenherstellung, weshalb sie sich als nützliche Waffenschmiede erwiesen. Deshalb wurden sie von den Herero vielfach versklavt. Ihre Überlegenheit gegenüber den Jägern und Sammlern bestärkte die Herero in ihrem ethnischen Stolz.

Die Nama hingegen kamen aus Richtung Süden ins heutige Namibia, weil sie vor dem zunehmenden Siedlungsdruck der südafrikanischen Buren auswichen. Sie zählen zur Völkerfamilie der Khoikhoi, der „wahren Menschen“, welche die Buren abwertend „Hottentotten“ („Stotterer“) nannten. Aufgrund ihrer rotbraunen Hautfarbe bezeichnen die Nama sich selbst als „rote Menschen“, sie betrachten sich als Brudervolk der San. Wie die Herero züchteten auch die Nama Rinder und zogen mit diesen umher, durch den Kontakt mit den Kolonialisten kannten sie sich auch im Gebrauch von Feuerwaffen aus. Sie waren den aus Norden heranziehenden Herero, die damals die größte Volksgruppe in Südwestafrika stellten, zahlenmäßig allerdings weit unterlegen. Als schließlich die beiden um Weidegründe konkurrierenden Volksgruppen der Herero und der Nama aufeinandertrafen, blieben Konflikte nicht aus.

In dieser Situation erboten sich die Deutschen als „Schutztruppe“. Keinesfalls wollte Kanzler Bismarck den Anschein erwecken, hierbei handle es sich um eine Eroberungsarmee mit territorialen Ansprüchen. Die so harmlos wirkende Bezeichnung der Truppe sollte den Eindruck erwecken, hier ginge es um rein friedliche Absichten, nämlich den deutschen Handel zu schützen und die innere Ordnung in den betreffenden Gebieten zu wahren. Für eine Weile schien das ganz gut zu funktionieren. Hatten die Deutschen bereits 1884 einen „Schutzvertrag“ mit dem Anführer der Nama geschlossen, so folgte schon bald eine entsprechende Vereinbarung mit dem Oberhäuptling der Herero. Im Gegenzug für den „Schutz“ erhielten die Deutschen das Recht, Handel zu treiben und nach Bodenschätzen zu suchen. Von eventuellen Besitzansprüchen der Deutschen auf Ländereien in Südwestafrika war zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede.

Deutsche Geschäftsleute nahmen nun vermehrt den Handel mit Einheimischen auf. Sie tauschten Güter wie Zucker, Tabak, Alkohol, Kleidung, Stiefel und Sättel, Stoffballen, Blechschüsseln oder Kochtöpfe gegen Rinder. Diese Geschäfte stießen jedoch an ihre Grenzen, denn die einheimischen Viehzüchter trennten sich nur ungern von ihren Tieren. Stellten diese, insbesondere die von den Deutschen als Zugtiere und Fleischlieferanten begehrten Ochsen, doch ihren ganzen Stolz dar und galten als Statussymbol. Vor allem für die Herero bildeten Rinder den Mittelpunkt ihrer Kultur, als oberstes Ziel galt es ihnen, den Bestand zu erhalten und womöglich zu vergrößern.

Manche Herero begannen deshalb, Schulden anzuhäufen, zumal sich deutsche Händler auch erdreisteten, Waren unaufgefordert vor deren Wohnstätten abzustellen und hinterher die Bezahlung zu verlangen. Wollten oder konnten die Betroffenen keine Rinder hergeben, so bot man ihnen an, stattdessen Land als Zahlungsmittel zu akzeptieren.

Es kann sein, dass viele der Einheimischen zunächst gar nicht verstanden, worum es dabei eigentlich ging. Landbesitz oder gar Grenzen waren ihnen ja unbekannt, was die Deutschen von ihnen verlangten, mag manch einem völlig abstrakt erschienen sein. Erst als die frisch gebackenen Gutsbesitzer sie vertrieben, wenn sie mit ihren Herden auf den altgewohnten Wegen deren Ländereien durchquerten, als die Farmer begannen, Zäune zu ziehen und Wasserstellen gegen durstige Durchreisende zu verteidigen, mag so manchem allmählich aufgegangen sein, was hier gerade geschah.

Dass der Prozess trotzdem zunächst unaufhaltsam weiterging, lag daran, dass die deutschen Kolonialherren die Uneinigkeit der Clans und Stämme untereinander taktisch nutzten, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Dass dies noch weit größere Konflikte heraufbeschwören könnte, lag fern der Vorstellungswelt der Deutschen. Denn sie sahen sich einer völlig anderen Gesellschaftsstruktur gegenüber, deren Prinzipien für sie nicht nachvollziehbar waren und ihnen gänzlich unverständlich blieben.

Bei den Deutschen jener Zeit herrschte eine strikte Hierarchie. Sie waren es gewohnt, sich Autoritäten widerspruchslos unterzuordnen. Im Gegensatz dazu existierte bei den Herero ein Prinzip der Basisdemokratie. Zwar besaß im Zweifel stets ein Häuptling bei den jeweiligen Sippen das letzte Wort, und allen Herero gemeinsam stand wiederum der Oberhäuptling vor. Doch wurden Entscheidungen innerhalb der einzelnen Gruppen selbstständig getroffen, wobei viele Stammesmitglieder, auch die Frauen, ein Mitspracherecht besaßen. Hieraus resultierten meist endlose Diskussionen, was dem deutschen Untertanengeist jener Zeit komplett zuwiderlief und deshalb völliges Unverständnis unter den Kolonialherren hervorrief. Der rassistische Dünkel, der die Denkweise der weißen Kolonialisten damals ohnehin beherrschte, schien durch dieses ineffektive Verhalten der Schwarzen nur seine Bestätigung zu finden. Entsprechend überheblich traten viele Deutsche gegenüber den Einheimischen auf, womit sie natürlich gerade bei einem so stolzen Volk wie den Herero auf Abwehr und Widerstand stießen.

Der Konflikt wurde dadurch verschärft, dass der Oberhäuptling der Herero 1890 gestorben war und ein Nachfolger bestimmt werden musste. Diese Nachfolge unterliegt bei den Herero hochkomplizierten Gesetzen und wird keineswegs automatisch vom Vater auf den Sohn übertragen, was wiederum den Deutschen völlig selbstverständlich erschien. Doch stattdessen muss bei der Herero-Erbfolge sowohl das Recht der mütterlichen als auch das der väterlichen Linie berücksichtigt werden. Dabei ergeben sich komplexe Aspekte, die zudem nicht starren Regeln folgen. Die Deutschen bevorzugten Samuel Maharero, den Sohn des verstorbenen Oberhäuptlings, und unterstützten diesen. Es gab aber vier weitere mögliche Erben des Titels, sodass die Einmischung der Deutschen Zwist und Zwietracht unter den Herero nach sich zog. Dass die Deutschen Samuel Maharero militärisch gegen die anderen potenziellen Anführer beisprangen, verschlimmerte die Situation. Maharero galt fortan als von den Deutschen abhängiger Herrscher, die Herero blieben untereinander zerstritten. Genau das hatte allerdings auch in der Absicht Theodor Leutweins gelegen, des Kommandeurs der deutschen Schutztruppen. Ganz nach der Maxime „divide et impera“ – teile und herrsche.

In dieser verfahrenen Situation brach 1897 eine Heimsuchung über Deutsch-Südwestafrika herein. Aus Südafrika kommend bahnte sich die Rinderpest ihren Weg ins Land, ursprünglich eingeschleppt durch indische Tiere, die italienische Kolonialisten nach Eritrea importiert hatten. Während die deutschen Farmer eine Vielzahl ihrer Tiere durch Impfungen retten konnten, kostete die Seuche 70 Prozent des Viehbestands der Herero das Leben. Auch zahllose Wildtiere erlagen ihr. Aus Hunger und Verzweiflung verzehrten die Menschen verdorbenes Fleisch der verendeten Tiere, was schwere Infektionen nach sich zog. Die überall herumliegenden verwesenden Körper verseuchten zudem das Wasser. Hatten die Herero zuvor die vergleichsweise keimfreie Milch ihrer Tiere getrunken, so blieben ihnen nun vielfach nur die kontaminierten Wasserstellen. Eine Typhusepidemie war die Folge, unter den geschwächten Menschen breitete sich zudem noch die Malaria aus. Als wenn all das nicht schlimm genug gewesen wäre, ereignete sich im gleichen Jahr eine Heuschreckenplage biblischen Ausmaßes, und eine extreme Dürreperiode tat ihr Übriges. Die genaue Zahl der Opfer dieser Katastrophen ist bis heute nicht bekannt, doch das Leben der Herero sollte nie mehr so werden wie zuvor.

In ihrer Not nahmen etliche Herero Lohnarbeiten bei den deutschen Siedlern an. Hier aber wurden sie oft ausgesprochen schlecht behandelt, Erniedrigungen, brutale Prügelstrafen und sexuelle Übergriffe standen vielerorts auf der Tagesordnung. Zu diesen Demütigungen kam die weiterhin um sich greifende expansive Landnahme der Deutschen hinzu. Die Nahrungsmittelknappheit hatte zu einer gewaltigen Teuerung geführt, wer seine Schulden nicht zurückzahlen konnte, verlor erst sein noch vorhandenes Vieh, dann wurde Land konfisziert. Das machte es den Herero unmöglich, wie zuvor mit ihren Herden durch das Land zu ziehen und die Anzahl der Tiere allmählich wieder zu alter Größe heranzuzüchten. Ist es verwunderlich, dass die ihrer Lebensgrundlage beraubten Menschen eines Tages damit begannen, sich zu wehren?

Das Namibia-Lesebuch

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