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Nein, ganz war Horst Buschinski noch nicht bereit.

Er aß unten im Speisezimmer erst noch seine Wurstschnitte und genehmigte sich anschließend noch zwei Obstler. Trotz der Schwüle des Sommerabends, die nach Gewitterluft roch, hielt er die innere Erwärmung für unumgänglich. Sie erst machte ihn für sein Vorhaben richtig fit.

„Nun geh nicht zu schnell, Horst, damit du nicht außer Atem kommst und wieder ins Schwitzen gerätst!“, mahnte Claudia, als er sich vor der Flurgarderobe den steifen schwarzen Hut auf den Schädel gedrückt hatte und abmarschbereit war.

„Ich weiß!“, winkte Buschinski ab.

Doch zwischen Tür und Angel fiel ihm noch ein, dass es kein Mitglied seiner Familie für nötig hielt, als Zuhörer an der Ratssitzung teilzunehmen.

Missbilligend meinte er deshalb: „Du hättest heute ausnahmsweise ruhig mal mitkommen können, liebe Claudia. Bedauerlich, dass du an meiner Tätigkeit zum Wohle unserer Stadt so gar keinen Anteil nimmst! Wirklich bedauerlich!“

„Aber, Horst, wer sagt, dass ich keinen Anteil daran nehme?“, widersprach sie mit gespielter Verwunderung.

„Ich sehe es doch! Jede andere Frau würde es für selbstverständlich halten, die großen Stunden ihres Gatten im Stadtparlament mitzuerleben. Du aber? Du interessierst dich nur für die Kekse und Kuchen, die ich in meiner Fabrik erzeuge. Was ich aber sonst noch leiste, lässt dich vollkommen kalt. Den Verein der Freunde Hans Carossas nennst du eine langweilige Gesellschaft. Und für meine parlamentarische Tätigkeit hast du höchstens spöttische Bemerkungen übrig. Das kränkt mich, liebe Claudia. Gerade du müsstest mir besonderes Verständnis entgegenbringen.“

„Ach, Horst, du missverstehst mich!“, suchte Claudia zu beschwichtigen. „Ich interessiere mich sehr für deine öffentliche Arbeit. Nur mag ich meine Anteilnahme nicht zur Schau stellen – verstehst du das nicht?“

„Hm. Nun ja, dein empfindsames Seelchen!“, lächelte er, von ihren Worten angenehm berührt. „Ich gebe zu, dass es dir schwer fallen mag, zwischen den Zuhörern zu sitzen, wenn ich den neureichen Leutchen vom Residenzplatz die Leviten lese. Doch, doch, ich verstehe dich. Ich will es gelten lassen, wenn auch wehen Herzens. Aber – was macht unser Herr Sohn? Wo steckt er denn wieder?“

„Marvin ist vorhin mit seinem Wagen fortgefahren.“

„So ist’s richtig! Während sich der Vater mit den Andenkensschändern seines großen Ahnen herumschlagen muss, macht der Herr Sohn unbekümmert einen Autobummel! Das ist also der Dank dafür, dass ich ihm den Wagen zu seinem Doktorexamen schenkte!“

„Aber, Horst, warum eireiferst du dich immer gleich? Marvin ist erst wenige Wochen wieder zu Haus. Kannst du erwarten, dass er mit seinen sechsundzwanzig Jahren darauf erpicht ist, einen Samstagabend als Zuhörer im Rathaussaal zu verbringen? Denk mal zurück, ob du in seinem Alter schon so bescheiden warst, dein Vergnügen an den Debatten kleinstädtischer Volksvertreter zu suchen!“

„Bescheiden? Vergnügen? Kleinstädtischer...? Also, Claudia, du hast eine Art, die Dinge ins Lächerliche zu verdrehen, dass ich rasend werden könnte! Ist das nicht wieder Spott und Hohn? Offenbar kannst du gar nicht anders, als meinen so ernsten und verantwortungsvollen Dienst am Wohle unserer Stadt bei jeder Gelegenheit zu ironisieren. Und auch mein Sohn und Erbe hat nicht das geringste Interesse dafür. Soll ich mich darüber freuen?“

„Du siehst alles zu schwarz, Horst“, entgegnete Claudia einlenkend. „Wenn wir auch nicht Zeuge deines Triumphes über Herrn Kälberer und Genossen sein werden, in Gedanken sind wir bestimmt bei dir. Du wirst uns doch wohl auch alles genau berichten, nicht wahr? Und außerdem können wir’s morgen doch auch haarklein im PNP lesen.“

Buschinski schnaufte erregt. Aber er wusste, dass er gegen die ruhige Bestimmtheit seiner Frau in dieser Sache nichts erreichen konnte. Sie hatte nun mal ihren Kopf für sich. Zudem drängte die Zeit.

„Na, schön!“, meinte er schließlich versöhnlich. „Vielleicht würde mich eure Anwesenheit unter den Zuhörern bei der Auseinandersetzung auch nur irritieren. Wünsch mir wenigstens einen großartigen Erfolg, Claudia!“

„Ja, von ganzem Herzen!“, rief sie lachend. „Und nun geh, lieber Horst! Ich glaube, draußen wartet man schon auf dich.“

In der Tat, vor der Villa pendelten seit einer Viertelstunde zwei Herren in eifrigem Gespräch auf und ab. Es waren der hochaufgeschossenen, unheimlich dürre Studienrat Dr. Franz Weißnicht, Deutschlehrer an der Passauer Oberschule für Mädchen, und der ebenfalls spindeldürre, aber von einen Kopf kleinere Reiner Hohn, Abteilungsleiter der Keksfabrik Buschinski. Beide gehörten zu den treusten der Freunde Hans Carossas, der Studienrat als Beisitzer und der Abteilungsleiter als Schriftführer.

Als sie hörten, dass endlich die Tür der Villa Buschinski ihr melodisches Geläut ertönen ließ, schossen sie wie der Blitz an die Gartenpforte. Mit gezogenen Hüten und vielen Verbeugungen begrüßten sie hier den heraustretenden Ratsherrn.

„Na, meine Herren?“, fragte Horst Buschinski leutselig. „Haben Sie noch letzte Informationen für mich?“

„Nein, verehrter Herr Buschinski, das nicht“, entgegnet der Studienrat schnell mit seiner stadtbekannten Fistelstimme. „Aber wir hielten es für unsere Pflicht, Sie als Vorstandsmitglied des Vereins der Freunde Hans Carossas zur heutigen Ratssitzung untertänigst zu begleiten. Sie gestatten doch, verehrter Herr Buschinski?“

Der Ratsherr rückte schmunzelnd an seiner Hornbrille. „Gewiss, gewiss, meine Herren! Es freut mich, dass Sie sich herbemühten. Haben Sie auch dafür gesorgt, dass unsere Gesinnungsfreunde unter der Zuhörerschaft nicht in der Minderheit sind?“

„Wir werden mindestens eine Zweidrittel–Majorität bilden, verehrter Herr Chef“, versicherte in näselndem Tonfall der tüchtige Reiner Hohn.

„Erfreulich, meine Herren, erfreulich!“, rief Buschinski und setzte sich in Richtung Rathausplatz in Bewegung.

Claudia war inzwischen in der Villa hinter die Gardinen eines Fensters der Straßenfront getreten, von wo aus sie die drei urkomischen Männergestalten draußen an der Vorgartenpforte unauffällig beobachten konnte. Das Bild, das sie sah, rührte offenbar an die heiterste Seite ihrer empfindsamen Seele. Sie begann zu kichern. Ihr Kichern wurde schließlich zu klingendem Lachen, als ihr Horst, dick und plump, zwischen den beiden Vorstandsmitgliedern die Allee hinauf davonging.

Sie sah, dass er sich schon nach wenigen Schritten gewaltig in die Brust warf, während die ihn flankierenden dürren Wichte gleichsam mehr und mehr zu wandelnden Strichen zusammenschrumpften.

„Oh Gott“, entfuhr es ihr da, „wenn er heute Abend nur nicht platzt!“


Horst Buschinski hatte kein Auto. Nicht, weil er sich diesen mehr oder weniger kostspieligen Luxus nicht hätte leisten können. Oh, nein, seine Keksfabrik florierte so sehr, dass er zu den geldschwersten Bürgern der Stadt Passau zählte.

Aber er hatte eine unüberwindliche Scheu davor, seine gewichtige Persönlichkeit einem so unsicheren Verkehrsmittel anzuvertrauen. Zum Chauffieren fehlte ihm das Geschick, die Ruhe und überhaupt alles, was dazu nötig ist. Und als Fahrgast im Fond litt er einfach unter einer ständigen, nervenzermürbenden Furcht vor einem jähen Lebensende. Kurzum, nach einigen Probefahrten, zu denen ihn vor rund zwanzig Jahren seine Frau und ein Autohändler überredet hatten, war er zu dem Entschluss gekommen, dass es für ihn eine Art Schicksalsbestimmung sei, ein für alle Mal auf einen eigenen Wagen zu verzichten.

Diesem Entschluss war Horst Buschinski treu geblieben. Nur ein Zugeständnis an den Zug der Zeit hatte er sich jüngst hin abgerungen: Als Marvin, sein Sohn, als junger Doktor der Rechtswissenschaft von der Universität München heimkehrte, um nun, geistig und charakterlich wohlfundiert, als Juniorchef in die Leitung seines künftigen Erbes einzutreten, da war ihm in der Freude und den Stolz über den ersten Doktorhut, der je in seiner Sippe errungen worden war, die Zusage entschlüpft: „Dafür kriegst du einen Wagen!“

So war denn der frischgebackene Doktor und nunmehrige Juniorchef der Keksfabrik Buschinski in den Besitz eines flotten weinroten Cabriolets gekommen. Und in eben diesem Cabriolet juckelte er in derselben Stunde, in der sein Vater zu der bedeutsamen Ratssitzung marschierte, draußen vor den Toren der Stadt wohlgemut durch die sommerabendstille Landschaft. Das heißt, er juckelte nicht mehr planlos umher. Seit gut fünf Minuten fuhr er vielmehr auf einer schmalen Straße, die nach einem einsamen Dorf hinausführte und dabei einen herrlichen Buchenwald durchquerte, nur noch im Schneckentempo.

Der Grund war eine junge Radfahrerin. Deren Beine waren nämlich so makellos geformt und strahlten einen so bezaubernden Reiz aus, dass es kein junger Mann mit Schönheitssinn fertig gebracht hätte, sich durch einen Druck auf den Gashebel diesen köstlichen Anblick entgehen zu lassen.

Marvin Buschinski aber hatte sogar einen ausgeprägten Schönheitssinn. Außerdem war er im Gegensatz zu seinen cholerischen Herrn Papa immer in jener herzgewinnend frischer Laune, die der gesunden Jugend zusteht und die jederzeit zu einem munteren Jux bereit ist.

Als Marvin die Radlerin überholen wollte und hinter ihr so nahe heran war, dass ihm die klassischen Formen ihrer Beine ins Auge stachen, hatte er jedenfalls sofort die Geschwindigkeit gedrosselt und sich sozusagen an das Katzenauge ihres Fahrrades geheftet.

Seitdem fuhr er also im Schneckentempo und genoss mit strahlenden Blicken die nylonbestrumpften Beinchen der jungen Unbekannten, die sich ihm im rhythmischen Strampeln immerhin bis über die wunderbar gerundeten Knie darboten.

Doch er genoss noch mehr: er genoss auch die sportlich ranke Figur der Radlerin, die in einem hübschen Sommerkleid steckte, ihre goldblonden Locken, die dauergewellt und sichtlich wohlgepflegt bis auf die Schultern herabhingen, und nun auch das überaus anmutige Profil ihres Gesichts, das sie immer öfter sehen ließ.

Die Radlerin hielt sich, seit er, im Begriff zu überholen, ein kurzes Hupensignal ertönen ließ, hart am rechten Straßenrand. Da sie aber vergeblich darauf wartete, dass sie wieder frei weg auf der Straßenmitte fahren konnte, wurde sie augenscheinlich nervös und ungehalten.

Marvin sah, dass sie ihm ärgerlich Zeichen machte, doch endlich vorbeizufahren. Aber das reizte ihn nur noch mehr, seine genießerische Position vorläufig beizubehalten. Spitzbübisch feixend saß er also in seinem offenen Wagen hinter dem Steuer, achtete behutsam darauf, dass er ihr dicht auf den Fersen blieb, und dachte im Übrigen: Wenn sie abspringen sollte, um mich vorbeizulassen, stoppe ich. Mit diesem hübschen Käfer muss ich unbedingt bekannt werden!

Nun sie sprang nicht ab. Aber als sie sich wieder einmal rückblickend umwandte, rutschte plötzlich ihr Rad von Rand des Pflasters in eine tückische Rille. Es schwankte kurz und kippte dann scheppernd zu Boden. Die Fahrerin selbst kam noch rechtzeitig auf die Füße.

Doch ihr Verfolger brachte seinen Wagen nicht in gleichen Augenblick zum Stehen, sondern erst, als das rechter Vorderrad bereits auf das Fahrrad geprellt war. Das Fahrrad wurde kräftig verbeult. Und außerdem landeten ein kleines Dutzend appetitlicher Bockwürste auf dem Pflaster. Sie stammten aus einem geplatzten Karton, den die Radlerin auf dem Vorderrad–Gepäckträger mitgeführt hatte.

„Oh, verdammte Scheiße!“, rief Marvin. Mit einem Satz war er dann aus dem Wagen. „Sind Sie verletzt?“

„Es ist gut gegangen“, entgegnete die Radlerin verwirrt.

Doch gleich darauf starrte sie ihn an, als hätte sie nach diesen Worten die Sprache verloren. Natürlich war sie über ihr Missgeschick bestürzt und voller Zorn auf den Mann, der es durch seine Unverfrorenheit verursachte. Aber, seltsam genug, sie brachte weder eine Klage noch einen Vorwurf heraus. Sie stand nur da und staunte.

Allerdings gab es auch einiges zu bestaunen. Marvin Buschinski war ein gut aussehender und sehr flotter junger Mann. Und er nahm den Zwischenfall auch keineswegs tragisch. Im Gegenteil! Mit einer geradezu diebischen Freude zerrte er das ramponierte Fahrrad unter seinem Wagen hervor, lehnte es ohne ein Wort des Bedauerns an den nächsten Baum und machte sich alsdann an das Aufsammeln der Bockwürste.

„Vier, sechs, neun, zehn!“, zählte er laut. In die elfte biss er herzhaft hinein und ließ es sich gut schmecken.

Fassungslos stand inzwischen die Radlerin dabei. Aber ihr Schock und ihr Zorn schienen sich überraschen schnell gelegt zu haben. Jetzt strahlte ihr Gesicht in einer verblüffenden Heiterkeit.

„Sagen Sie“, rief sie auflachend, „sind Sie immer so dreist und unbeschwert, wenn Sie einen Verkehrsunfall verursacht haben?“

„Je nachdem!“, entgegnete er kauend. „Es gibt Unfälle, die einem willkommen sein können. Im Übrigen ist dies der erste, den ich jemals verschuldete.“

„Donnerwetter, welche erstaunliche Offenheit! Mein Pech war Ihnen also willkommen, und Sie geben ohne weiteres zu, schuld daran zu sein?“

Marvin grinste. „Ohne weiteres! Das heißt – dass ich schuldig wurde, das machten nur die Beine von Dolores!“

„Wieso Dolores? Ich heiße Amelie.“

„Amelie – großartig! Ich nenne mich Marvin.“

Belustig schüttelte sie den Kopf. „Aber – wieso Beine?“

„Ich konnte mich nicht satt daran sehen.“

„Puh! Und deshalb brachten Sie mich so in Verwirrung? Da sehen Sie, was dabei herausgekommen ist: ein kaputtes Fahrrad und verdorbene Bockwürste! Hoffentlich sind Sie nun auch bereit, den Schaden zu tragen.“

„Bedenkenlos, Fräulein Amelie! Das Rad werde ich in Passau wieder aufs Beste herrichten lassen, und die Würste bezahle ich gleich. Es sind elf Stück. Wie viel macht das?“

„Nein, ich nehme kein Geld! Regeln Sie das lieber mit Gastwirt Hackauflauf drüben in der Waldschenke. Bei dem sollte ich das Paket Bockwürste nämlich abliefern.“

„Schön, ich werde sogleich dorthin fahren. Und Sie, Fräulein Amelie?“

„Ich muss auch zur Waldschenke.“

„Ausgezeichnet! Doch warum stehen wir noch hier? Bitte, steigen Sie ein!“

Nur einen Augenblick zögerte sie. Doch als er die Wagentür aufgerissen hatte, nahm sie ohne Widerrede Platz. Marvin geriet vor Freude darüber fast aus dem Häuschen. Hurtig hob er das beschädigte Fahrrad auf das zusammengerollte Verdeck, befestigte es mit einigen Riemen, die er glücklicherweise zur Hand hatte, und setzte sich dann wieder hinter das Steuer.

„Wohnen Sie etwa in der Waldschenke, Fräulein Amelie?“, fragte er unvermittelt.

„Nein, ich wohne in der Stadt. Ich muss nur hinaus, weil mein Tennisclub heute Abend dort ein internes Vergnügen feiert. Dazu hatte, nebenbei gesagt, Herr Hackauflauf auch die Bockwürste bestellt.“

„Aha! Aber Tennisclub sagen Sie? Richtig, Dennis wollte ja auch hin. Vorgestern erzählte er mir das. Kennen Sie Dennis Schläger?“

„Den jungen Rechtsanwalt? Natürlich! Er ist ein eifriges Mitglied unseres Clubs.“

„Und mein bester Freund. Wir haben zusammen in München studiert“, setzte Marvin Buschinski frohlockend hinzu. „Na, das nenne ich Glück!“

Amelie sah ihn forschend von der Seite an. Zum Kuckuck, überlegte sie, er ist ein Freund von Dennis, und ich kenne ihn nicht?

„Warum nennen Sie das Glück?“, fragte sie in wachsender Neugier.

„Wo Dennis Vergnügen feiert, da kann auch ich mitmachen“, erklärte Marvin zu ihrer Überraschung. „Hoffentlich schwingt Ihr Club heute Abend auch das Tanzbein!“

„Selbstverständlich!“

Er warf sich in die Brust und deutete einen Bückling an.

„Wenn dem so ist, gnädiges Fräulein – darf ich mir dann erlauben, Sie schon um alle Tänze zu bitten, die man dort aufs Parkett zu legen geneigt ist?“

„Oh, Sie sind ja recht bescheiden!“

„In diesem Fall auf keinen Fall!“, dozierte er. „Außerdem habe ich nach der schuldhaften Demolierung ihres Fahrrades doch auch die Verpflichtung, Ihnen zur Rückkehr nach Haus meinen Wagen zur Verfügung zu halten.“

„Wahrhaftig! Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Aber wollen Sie nicht endlich losfahren?“

„Bei Gott, ja! Mir kribbeln jetzt schon die Tanzbeine! Nur schnell noch eine Frage, Fräulein Amelie: Ich bin etliche Jahre von Passau abwesend gewesen und kenne mich unter den fünfzigtausend Einwohnern nicht mehr recht aus – wo wohnen Sie, bitte?“

„Am Residenzplatz“, antwortete sie wahrheitsgemäß.

„Sieh an! Im Angesicht des heißumstrittenen Denkmals unseres Dichterfürsten Hans Carossa also! Gestatten Sie? Ich bin der Urenkel dieses unsterblichen Passauer Dichters – Marvin Buschinski, seit zweieinhalb Monaten Doktor der Rechte und Juniorchef einer nicht unbekannten Keksfabrik.“

In diesem Augenblick wurde Amelie ganz blass.

„Du liebe Zeit – Marvin Buschinski?“, stammelte sie bestürzt.

„So heiße ich, seit ich vor sechsundzwanzig Jahren getauft wurde“, beteuerte er arglos.

„Nein, welch ein verrückter Zufall! Wissen Sie, wer neben Ihnen sitzt?“

„Ein bezauberndes Menschenkind, dem ich mein Herz zu Füßen legen möchte!“, jubelte Marvin.

„Spaßen Sie nicht, Herr Doktor Buschinski! Dieses Menschenkind ist nämlich – Amelie Kälberer, Tochter jenes garstigen Metzgermeisters am Residenzplatz, der sich wegen besagten Denkmals Ihren Herrn Vater zum Erzfeind gemacht hat!“

„Nee ...!“, fuhr Buschinski Junior da auf. „Tatsächlich? Das ist wahr? Dann – dann sind wir beiden die Kinder feindlicher Väter?“

Und kaum hatte er begriffen, dass hier der Zufall eines seiner wunderlichsten Spiele arrangiert hatte, da überkam ihn eine unwiderstehliche Lust, es aufzunehmen und weiterzutreiben. Ein so schallendes, zwerchfellerschütterndes Lachen platze dabei aus ihm heraus, dass auch Amelie Kälberer tränenden Auges mit einstimmen musste. Minutenlang schüttelten sie sich im Überschwang unbändiger Heiterkeit.

Dann hielt Marvin jäh inne.

„Dies ist ein Spaß des Schicksals, den wir nicht verderben dürfen“, rief er atemlos. „Die väterlichen Streithähne in grimmiger Parlamentsfehde und die Kinder unterdessen einträchtig bei fröhlichen Tanz! Fräulein Kälberer, nicht wankelmütig werden! Wenn die Alten sich hassen, sollen die Jungen sich lieben – machen Sie mit?“

„Das Schicksal will es wohl so!“, hauchte sie hingerissen.

Da gab Buschinski Junior Gas, und in einem besinnungslosen Rausch des Übermutes fuhren sie in der sinkenden Dämmerung des schwülen Sommerabends dem gemeinsamen Vergnügen entgegen…

Der Stadtrat in Passau

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