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Maienwirbel

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Der alte Laurinavičius beobachtet alle von oben. Da kommt Svatukas auf dem Fahrrad angefahren, er tritt schwer in die Pedale, hat eine Sense am Fahrrad festgebunden: Wahrscheinlich ist er auf dem Heimweg aus Batanava, dort haben viele in unserem Städtchen Heuwiesen. Den Blick richtet er beim Fahren zu Boden. Die Leute heben den Kopf selten an, meist wühlen sie wie die Ferkel vor den Füßen herum. Die haben wenigstens ein Ziel – sie suchen nach Wurzeln.

Die Žvainys-Kinder laufen durch die Gegend – sind die lärmig, sie können nicht ruhig sitzen, sind nie still, obwohl auch Vater Žvainys nicht gerade der ruhigste Nachbar ist: Stimmt er abends ein Lied an, so geht es los mit dem Wolfsgeheul, sogar die Spatzen flüchten sich in den Himmel. Dann vergiss nicht, dass er die ganze Nacht durch einen Heidenlärm machen wird – Zahltag. Wenn Zahltag ist, dann kannst du nichts machen, und du musst es auch nicht, denn man wird ja wohl noch ein wenig Spaß haben dürfen, und wann, wenn nicht am Zahltag, ist die Zeit dafür da? Obwohl der alte Laurinavičius kein großer Liebhaber des Gläschens ist, toleriert er das bei anderen immer, und warum hätte er das nicht sollen, wer hat denn gesagt, man müsse so und nicht anders leben? Natürlich ist es abscheulich, wenn jemand kein Musikgehör hat und laut heult, dass es durchs ganze Städtchen hallt, aber Musikgehör kann man nun mal nicht mit dem Schöpflöffel eintrichtern, es ist, wie es ist. Jetzt findet es Laurinavičius auch nicht mehr so wichtig, wer wo heult oder singt – er hört nicht mehr gut: Offenbar wacht Gott über seine letzten Tage, raubt ihm nach und nach das Gehör, dreht es ab wie den Regler des Fernsehers, dafür gibt er ihm Ruhe. Er hört nichts und ist ganz ruhig. Obwohl, der Regler des Fernsehers lässt sich auch wieder aufdrehen – bis zur vollen Lautstärke. Dann zetert Malenija, er werde taub davon und würde auch die anderen taub machen – sie hat es einfach zu schimpfen, sie ist ja acht Jahre jünger. Wart nur, die Zeit wird schon kommen, wo auch du den Regler voll aufdrehst.

Brrr… brrr… brrr…, donnert der junge Laginauskas auf seinem Motorrad vorbei, dass die Hühner vor Angst den Verstand verlieren und nach allen Seiten aufstieben – ja, Typen wie ihn, die sollte man ins Kittchen stecken. Bei Wasser und Brot würde er schon verlernen, die Menschen zu erschrecken und das Städtchen zu verpesten. Ist das ein Liederjan, der Sohn des Laginauskas, der wäre fast ins Gefängnis gekommen. Hat dem Sohn des Pauga, dem mit dem Herzleiden, die Nieren kaputtgeschlagen, aber der hat einen guten Vater, der landet nicht hinter Gittern: Wer Geld hat, ist im Recht.

Die Hauptstraße ist wieder leer, nur die sanften Frühlingswinde wirbeln Unrat durch die Gegend – Bonbonpapierchen und Pappelsamen, die behaarten Würmern gleichen. Eigentlich ist der Mai ein Monat, in dem das Gras alles verschlingt: Es schießt in die Höhe und drückt die Zeitungen zu Boden, verbirgt Eisensplitter, alte Blätter, die Halbschuhe, die irgendwer verloren hat; lässt du im Garten etwas fallen, dann solltest du besser nicht danach suchen, sondern lieber die Sense zur Hand nehmen und ausholen, vielleicht entreißt du es ja dem gefräßigen Schlund. Manchmal lachst du auch nur – etwas ist verschwunden, weg, und schon brauchst du es nicht mehr, vielleicht ist es auch ein wenig schade drum, aber wer weiß schon, wo es verschwunden ist, und dann gehst du hin und mähst das Gras in deinem kleinen Garten, und zack, die Klinge der Sense trifft auf etwas, und dann siehst du, dass der vermisste Spaten, der verlorene Hebebock oder weiß der Teufel was deiner Sense die Zähne ausgeschlagen hat. Alles, ja, alles verschlingt das Gras. Und erst im Hochsommer wird der Wind auf den von der Dürre versengten Höfen Sandkörner ausstreuen, Staub herumwirbeln und mit Strohstoppeln um sich werfen, jetzt aber ist alles noch grün und hübsch. Rund und irgendwie … stramm – wie die Waden der jungen Mädel.

Oh, da ist der Danius, der vom Prancisius. Der ist wirklich ein Nichtstuer, ein richtiger Faulpelz, solche Kerle kann der alte Laurinavičius gar nicht riechen. Die anderen aber, die arbeiten, die müde werden, die manchmal vielleicht gar ein wenig abgestumpft sind, die vielleicht schon seit zehn Jahren kein Buch mehr aufgeschlagen haben und auch in der Zeitung nur das TV-Programm durchsehen oder auf dem Kalender nachschauen, in welcher Phase der Mond gerade ist, die gehen oder kriechen mit gesenktem Blick, der hier aber, der muss seinen Blick unbedingt nach oben richten, unbedingt den alten Laurinavičius entdecken, ihm unbedingt entgegenrufen, sodass es das ganze Städtchen hört: Grüß Gott, Onkel Adolfas! Grüß Gott, wird der alte Laurinavičius stolz erwidern. Was tun Sie da, so weit oben?, wird Danius nicht von ihm ablassen. Und was soll er ihm antworten? Er wird doch nicht jedem, der vorbeigeht, seine Angelegenheiten und Sorgen erörtern, und dann auch noch diesem Rotzbengel, Säufer und Faulpelz, der noch kein einziges Mal für seine Mutter Kartoffelkraut geschnitten oder Holz gehackt hat, aber für eine Flasche Hinz und Kunz zu Hilfe eilt, wenn diese Hilfe auch mehr darin besteht, rumzulabern, anstatt sich wirklich nützlich zu machen. Soll ihn doch der Henker holen, der soll besser seiner eigenen Wege gehen, er wird ihm nicht erzählen, warum er hoch oben in einer Linde sitzt wie in einem Nest, warum er der Linde den Wipfel abgesägt hat, warum er nicht herunterkommt. Nur kommt da auch schon die Malenija, schon wieder mit ihrem „Jesses Maria“ und der nervigen Frage, ob die Beine auch nicht eingeschlafen sind. Sind sie nicht, sind sie nicht, und wenn schon, du kannst mir ja sowieso nicht helfen. Die sehen alle so lustig aus von hier oben, Pilzen ganz ähnlich – Kopf und Schultern, und unter dem Kopf ragen die Beine so merkwürdig hervor.

Man kann nicht sagen, es sei angenehm, hier zu sitzen, hier auf dieser Linde, aber immer noch besser, als vom frühen Morgen an aus dem Küchenfenster zu starren und den Hühnern zuzusehen, wie sie am Zaun scharren. Heute ist ein Unglückstag. Erstens wegen des Katers. Es tut im Herzen weh, aber was kann man machen, wenn das Tierchen so ein Dummerchen ist. Da kriech mir mal einer in die Iltisfallen. Aber in der Scheune war es dunkel, was hätte er da schon sehen können mit seinen bereits fast erloschenen, wenn auch noch sehr hellen Augen eines alten Katers. Er hat sie in der Dunkelheit nicht gesehen, und dann hat der Halunke auch noch geschwiegen – nicht das leiseste Miau. Laurinavičius stülpte einen Sack über die Falle, hob das Gitter an, schüttelte den „Iltis“ in den Sack – woher hätte er auch wissen sollen, dass es kein Iltis war –, einmal rund um den Kopf und klatsch auf den Zementboden, mit voller Kraft – Laurinavičius hatte seine Lektion gelernt. Wie hätte es anders sein können: Schon seit so vielen Jahren fing er auf Bitte sämtlicher Nachbarn Iltisse – er war ein echter Profi. Alles hatte er schon erlebt: Einmal hatte er den, wie es schien, schon totgeschlagenen Iltis im Sack auf eine Bank gelegt, und als er zurückkam, um ihm das Fell abzuziehen, da war der wieder putzmunter, lief quiekend und stinkend über die Wände, wie der Teufel durch die Außenküche, immer im Kreis herum, um dann durch das Fensterchen (dem ein Stückchen Scheibe fehlte) zu entkommen, es regnete Glassplitter, und auf Nimmerwiedersehen. Kein Iltis und nichts mehr. Seither ging er anders vor, erschlug die Iltisse und ließ sie noch ein wenig im zugeschnürten Sack liegen, damit das Scheusal von einem Räuber nicht wieder zu sich kam. Doch jetzt hatte er ihn auf den Boden geknallt, und wie! Seinen eigenen Kater! Jesses Maria, Malenijas getigerten Liebling. Und als er auf dem Boden aufschlug, begann der zu schreien, er erkannte seine Stimme gar nicht mehr, miaumiaumiau und uhuhuuh und weiß der Teufel was noch für Laute er von sich gab, der alte Laurinavičius erschrak fast zu Tode. Er schleuderte den Sack von sich, band ihn auf, und sein getigerter Kater sprang schreiend heraus, hätte ihm beinahe die Augen ausgekratzt, ein, zwei Sätze, dann blieb er taumelnd stehen. Stand da und taumelte, ein Ohr hing irgendwie herab, Blut strömte über die Lippen. Rainiuk, mein lieber Rainis, näherte Laurinavičius sich ihm, doch er ließ ihn nicht an sich heran – weiter, immer weiter, durch einen Spalt im Zaun in den Garten der Balsienė, dann – weiß der Henker, wohin. Er konnte doch der Balsienė nicht weismachen wollen, dass er in ihrem Garten oder in ihrer Scheune seinen Kater einfangen wollte. Wozu?, würde sie fragen. Was sollte er dann sagen? Dass er alter blinder Vollpfosten seinen Kater erschlagen hatte? Damit ihn dann alle auslachten? Nee. Malenija wollte er es erst auch nicht sagen, gestand es ihr aber dann doch – wie sollte er auch anders nach über sechzig Jahren Ehe. Komme es, wie es wolle, sagte er zu sich. Und nichts Schlimmes geschah. Wer würde ihm schon abnehmen, dass Malenija sich nicht um den Kater, sondern um ihn Sorgen machte, um seine Gesundheit, seine Nerven. Und Malenija hatte recht: Warum zum Teufel hat er keinen Laut von sich gegeben? Nicht miaut? Das macht mich fuchs teufelswild. Wie kann man nur jemanden so erschrecken? Und Mäuse fängt der Faulpelz auch keine. Da hat er nun seine gerechte Strafe … Er wird schon nicht verrecken – die Kater sind zäh. Aber ob er ihn wohl je wieder an sich heranlassen würde? Auf seinen Schoß springen und seine Litaneien miauen würde, wenn er an kalten Winterabenden fernsah?

Eigentlich saß Laurinavičius gar nicht gern vor dem Fernseher, nur wurde es im Winter so früh dunkel und zu schlafen hatte er noch keine Lust, doch Arbeiten hatte er auch keine. Dann saß der Alte eben da und schaute „Panorama“, die Abendnachrichten, dann noch irgendwas, eigentlich schaute er sich weniger den Film an, als dass er sich in Erinnerung rief, was er noch zu tun hatte, was ihn morgen erwartete, womit er beschäftigt wäre. Laurinavičius konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen als Nichtstun. Dasitzen und Däumchen drehen war für ihn die allergrößte Qual. Arbeit machte ihm Spaß. Alle Arten von Arbeiten. Er scheute sich vor keiner, beherrschte alle möglichen Arbeiten – in seiner Jugend hatte es kaum eine Arbeit gegeben, die er nicht ausgeführt hätte: Bäume fällen, Häuser bauen und auch Eisen schmieden. Natürlich nicht wie Zigma, nein, aber mit dem Eisen konnte er umgehen, alles, was er brauchte, hatte er selbst gefertigt … Oder repariert … Wenn jemand darum bat … Dann, als die Last der Jahre immer schwerer wurde, läutete er die Kirchenglocken (der alte Ustinavičius, der vorherige Glöckner, war gestorben). Diese Glocken waren sicher mit daran schuld, dass der liebe Gott ihm den Lautstärkeregler zudrehte. Aber schön war das – bei jedem zweiten Zug dröhnte die Glocke und sang der ganzen Umgebung. Man hörte ihren Ruf zur Messe oder ihre Mahnung an den Tod noch in fünf Kilometer Entfernung. Je nach Anlass läutete Laurinavičius anders, zumindest glaubte er das. An Sonntagen hallte die Glocke fromm, an den großen Ablassfesten voller Stolz, und trauererfüllt, wenn jemand seine letzte Reise antrat … Der Kirchturm war weiß und erhob sich weit über die Pappeln und Linden des Kirchhofes hinaus. Der alte Laurinavičius betrachtete gern von ganz oben die Umgebung. Sie raubte ihm den Atem – nein, nein, nicht die Furcht, der Alte hatte keine Höhenangst, sondern die Schönheit der Erde. Der Alte war noch nie mit dem Flugzeug geflogen und, wenn wir ehrlich sein wollen, auch noch nie mit dem Zug gefahren, doch wenn er in den Kirchturm hinaufstieg und von dort ganz weit oben, in unerreichbaren Höhen das winzige Kreuzlein eines seine weiße Dunstflagge hinter sich herziehenden Flugzeugs erblickte, überkam ihn stets große Traurigkeit. Wenn von der Spitze des Kirchturms alles so schön aussah, wie schön musste es dann erst aus dem silbernen Flugzeug anzuschauen sein. Einmal wäre Laurinavičius fast geflogen. Er wäre wirklich geflogen, warum auch nicht, als sein Sohn ihn mit dem Hubschrauber besuchte. Sein Sohn Aleksas war Milizionär. Polizist heißt das, glaube ich, heute … Er rief völlig überraschend an – Mama, Papa, ich komme … Malenija freute sich sehr, sie redete und redete und lachte und lachte am Telefon. Malenija hatte die Kinder schon immer verhätschelt. Laurinavičius dagegen war stets strenger gewesen, denn im Umgang mit den Kindern ist Strenge unverzichtbar. Und die Strenge hat sich ausgezahlt – seht nur, der Aleksas ist, wie schon gesagt, Polizeihauptmann, Saulė arbeitet bei einer Firma als Buchhalterin oder etwas Ähnliches und Nijolė hat einen tollen Mann, drei Kinder, ein schönes Haus, zwei Autos, nur wohnt sie weit weg, im äußersten Nordwesten bei Skuodas. Kaum hatte sie aufgelegt, schickte Malenija Laurinavičius unter die Dusche, ließ ihn ein weißes Hemd anziehen und sich eine Krawatte umbinden. Was soll das jetzt wieder?, fragte sich der Alte. Ist denn ein Ablassfest? Nein, kein Ablassfest, unser Sohn kommt zu Besuch. Und nicht einfach so, nein, mit dem Hubschrauber kommt er, gleich ist er da, denn am Himmel geht es viel schneller als zu Lande, wie der Wind ist der Hubschrauber im Nu hier oder dort – genau da, wo die Passagiere hinwollen. Noch während ihr Mann sich ankleidete, hatte Malenija auch schon alle Nachbarn besucht und ihnen die Neuigkeit voller Stolz erzählt. So ist es nun mal Mode bei den Weibern, was soll man da machen, erfährt eine etwas, so wissen es bald alle. Wann war das denn? Vor fünf Jahren? Ja, vor fünf Jahren, er feierte gerade seinen achtzigsten. Das war denn der Grund für den Besuch seines Sohnes – er wollte dem Geburtstagskind gratulieren. Seine Glückwünsche damals waren wirklich rührend, sogar „Armonika“ spielte im Fernsehen für Laurinavičius auf, zuvor aber sprach Aleksas ihm seine Glückwünsche aus. Wer weiß, vielleicht flog er ja auch so vorbei? Wie auch immer, Laurinavičius und seine Frau traten Hand in Hand aus dem Haus, trotz der Hitze – es war zu einer ähnlichen Zeit wie jetzt – der Alte im dunklen Anzug, weißen Hemd mit Manschettenknöpfen, Krawatte, Lackschuhen, Malenija im blauen Kleid, mit grauem, nur mit einem Haarreif befestigtem Haar. Sie spazierten die Hauptstraße hinunter, und Laurinavičius fühlte sich nicht ganz wohl, denn den Straßenrand säumte eine große Menschenmenge, wie es schien, sämtliche Nachbarn, die auf geheimnisvolle Weise (auf welche, ist doch völlig klar: Weibergewäsch) vom bevorstehenden Ereignis erfahren hatten und den Hubschrauber zu sehen begehrten. Malenija errötete wie in ihrer Jugend, sie war einst ein hübsches Mädel gewesen. Sie schritt durch das Städtchen, gefolgt von den Kindern, vorbei am Haus der Kultur, an der Kirche, am Exekutivkomitee (jetzt ist dort das Büro des Vorstehers des Städtchens), bog in das Sträßchen zum auf zwei Seiten von alten Bäumen, Linden, Ahornen und Pappeln, auf der dritten, der Schulseite, von dicht wachsenden Mirabellenbäumen umstandenen Schulstadion ab. Um das Stadion herum versammelten sich die Nachbarn. Noch war am Himmel nichts zu erkennen. Keine Anzeichen, dass jemand angeflogen käme. Laurinavičius dachte gar, wie das denn aussähe, wenn niemand kommen würde, falls Malenija Aleksas’ Worte falsch verstanden hatte – eine Riesenschande wäre das. Aber schon nach wenigen Minuten konnte man ein Klopfen hören. Da kommt er, dachte der Alte. Er kam, ein Raunen ging durch die unter den alten Bäumen der Schule versammelte Menge. Der Hubschrauber erschien hoch am Himmel, drehte eine Runde über dem Schulstadion, über den Bäumen. Offenbar suchte er nach einem geeigneten Landeplatz. Das Himmelsgefährt war weiß mit roten Streifen, zuoberst drehten sich riesige Rotorblätter, die einen solchen Wind verursachten, dass Laurinavičius’ Haarpracht (Malenija hatte ihn geheißen, sich hübsch zu frisieren) für die Katz war. Die Leute aus dem Städtchen bestaunten das unerhörte Wunder mit offenem Mund. Seine riesigen Rotoren drehten sich noch, als plötzlich eine kleine Tür aufging und eine Menschengestalt eine Leiter herabstieg. Oder war da vielleicht gar keine Leiter? Da musste eine sein … da war sicher eine. Laurinavičius und Malenija, die sich bei ihm eingehakt hatte, traten näher. Obwohl die Rotorblätter sich weit über ihnen drehten, war es ihnen nicht ganz geheuer und sie wollten sich unweigerlich bücken. Aus dem Hubschrauber stieg ihr Sohn Aleksas, offenbar in Paradeuniform. Er wandte sich zur Hubschraubertür um, jemand übergab ihm etwas Großes, das Laurinavičius umgehend als Brotlaib identifizierte. Nur war er so groß, rund, gar nicht so wie im Laden, größer auch als die Laibe, wie sie Malenija früher zu Hause backte. Aleksas hielt ein hübsches Leinenhandtuch in Händen, auf dem das Brot lag, und schritt so stolz und militärisch daher, dass es dem Alten, dass es ihm ganz den Atem verschlug – war das ein Sohn, sollen nur alle sehen, was für einen Sohn er großgezogen hatte. Laurinavičius nahm das Brot, er hörte gar nicht, was ihm sein Aleksas, der Hauptmann, sagte: Glückwünsche, noch etwas. Er gab ihm einen Kuss. Und auch der Mutter gab er einen, wechselte ein paar Worte mit ihnen, sagte, er würde am Wochenende zu Besuch kommen, dass alle seine Kinder ihn besuchen wollten, auch einen Musikanten mit Akkordeon hätten sie angestellt – das gebe ein Fest zu Papas rundem Geburtstag. Während er zum Stadion spazierte, hatte der alte Laurinavičius sich vorgestellt, wie er mit dem Hubschrauber flog, sein Sohn könnte ihm doch seine Bitte nicht ausschlagen und würde den alten Vater wenigstens einmal am Himmel über das Heimatstädtchen fliegen. Doch als das Gefährt gelandet war, als sein Sohn mit dem Brotlaib erschien, vergaß er vor lauter Aufregung und Rührung – wie einen General ehrte man ihn – ganz, worum er seinen Sohn hatte bitten wollen, und als es ihm später wieder in den Sinn kam, war Aleksas schon wieder auf dem Weg zurück zum Hubschrauber und er konnte den Lärm des Gefährtes nicht überschreien. Und irgendwie, kam es Laurinavičius in den Sinn, irgendwie schämte er sich auch, den Sohn mit den Launen des Alten zu belästigen. Der Sohn winkte zum Abschied, die Hubschraubertür ging zu, die Rotorblätter surrten noch lauter und wirbelten Staub auf, der ihm in die Augen geriet. Und so flog Laurinavičius auch diesmal nicht, aber beide kehrten sie voller Stolz nach Hause zurück – er und auch Malenija.

Hoch fliegen diese Hubschrauber, die silbernen kleinen Flugzeuge vielleicht noch höher – die sind so klein, es dünkt einen ganz seltsam, dass darin Menschen sind. Aber auf dieser Linde, was ist das schon für eine Höhe? Wäre er jünger, er würde mit einem Satz hinunterspringen, aber jetzt gehorchen ihm seine alten Knochen nicht. Ach, der Wind, er bläst am Boden entlang und höher, in kleinen Wirbeln. Fast wie bei der Landung des Hubschraubers. Der Wind hüllt alle in ein blaues Frühlingsgewand, so etwas wie Nebel oder Hitzedunst. Alles vibriert und rotiert, und durch dieses Windesblau sieht er unten Prancisius’ Sohn lächeln und Malenija herumrennen. Wozu durch die Gegend laufen? Wozu die Aufregung – der Alte geht nun in sich, ruht sich ein wenig aus und wird schon irgendwie aus dieser Lebenssituation, aus der überraschenden Lage herausfinden, die mehr auf dem Alter als auf Zufall beruht. Nur keine Gaffer, bitte. Der Daniokas soll schneller nach Hause gehen. Was steht er denn überhaupt da? Mit wem unterhält er sich? Mit einem unbekannten jungen Mann im karierten Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Vielleicht hatte er ihn auch schon gesehen, wer kann sich schon an alle erinnern: Die Kinder wachsen heran, werden zu Männern, beenden die Schule, kehren aus der Armee heim, wie sollte man sie auch alle kennen? Und dann sind da auch noch die vielen wer weiß woher Zugezogenen, früher musste man nicht einmal die Tür abschließen, aber man versuche das heute mal. Jetzt kann man den Menschen nicht mehr trauen, die haben doch alle ein wenig einen an der Birne, laufen alle dem Geld hinterher, jeder versucht jeden übers Ohr zu hauen. Danius und der Unbekannte lachen. Und die Kinder sitzen im Gras. Auch sie lachen. Worüber lachen sie wohl? Wahrscheinlich über ihn, den alten Laurinavičius, dass er wie ein Storch in seinem Nest hoch oben auf dem Baum sitzt. Es war dumm gewesen, die Klettereisen hinunterzuwerfen, aber die stören nur im Lindengeäst, die würden ihm jetzt nicht helfen, wie sollte er die auch hier oben festbinden, wie mit den Klettereisen aus dem Geäst herauskommen? Da sitzt er nun, der Laurinavičius, hoch oben, sieht sich um und fragt sich, wozu er überhaupt auf den Baum gestiegen ist. So ist nun einmal sein Charakter, er kennt ihn ja, lernt aber nie daraus, vergisst stets etwas mitzubedenken, bald das Alter, bald die Kräfte. Aber was wäre das auch für ein Leben, wenn man alles in Erwägung zöge und sich vor allem und jedem behütete, nur dasäße und Tee tränke und nichts unternähme. Da wäre man ja tot. Er hätte nur noch eine Wahl: sich auf die Bahre zu legen und den Pfarrer zu rufen. So sah Laurinavičius auch heute Mittag, als er sich so wegen seines getigerten Katers aufregte, zum Fenster hinaus, lief im Hof herum (der verdammte Kater ist bis jetzt nicht wieder aufgetaucht), denn er konnte nicht einfach nichts tun und dasitzen. Und auf dem Hof der Nachbarn waren weder Bäume zum Zersägen noch zersägte zu sehen. Alle hatten schon zu Beginn des Frühlings für die Wärme im Winter gesorgt. Man muss Laurinavičius nicht darum bitten, seine Säge mit den zwei Griffen in die Hand zu nehmen, für die Nachbarn sägt er gratis und franko Brennholz, einfach so, nur, um nicht Däumchen drehen zu müssen. Wenn er nicht wäre, würde der eine oder andere Faulpelz vielleicht die Stämme aus dem Wald ein halbes Jahr faulen lassen, jetzt aber kommt der Alte und zerschnippelt sie mit seiner Säge. Langsam, ganz langsam schmilzt der Haufen dahin. Der Holzbesitzer hält es nicht mehr aus und legt selbst Hand an, nicht immer ist er zufrieden, aber man kann doch keinen alten Mann anschreien. Oder dann sieht Laurinavičius jemanden beim Holzspalten. Dann geht er hin und erzählt ihm, wie man das Holz richtig und gut spaltet und dabei auch noch möglichst wenig Kraft braucht. Er muss lachen, wenn er sieht, wie die Jungen mit der Axt weit ausholen und zuschlagen, doch der Klotz will einfach nicht in zwei Teile zerspringen – wahrscheinlich sind ihre Kniehöhlen schon ganz verschwitzt, aber der Klotz ist noch immer nicht gespalten. Man braucht doch für alles Grips und nicht nur Muskeln – ziele genau auf die Mitte, ins Zentrum des Marks. Er weiß genau, was er rät: Stets von oben, nicht vom dickeren Teil spalten, und wenn jemand ein zu dickes Scheit auf den Haufen werfen will, weist er ihn zurecht – es braucht doch einen Aufpasser, heute ist es vielen völlig schnuppe, wie sie das Holz spalten, ob das Scheit gut brennt oder nicht, sie denken nicht darüber nach, es kümmert sie nicht. Der eine oder andere wird gar böse, aber Laurinavičius ist das ziemlich egal – er brachte ihnen nichts Schlimmes bei, gewöhnte sie nicht an den Schnaps, nur ans sorgfältige Arbeiten, damit alles schön und gut herauskommt. Ekelhaft, wenn nach getaner Arbeit eine Unordnung zurückbleibt. Vielleicht sagt dann einer, er komme gerade von der Arbeit, sei müde, erledige das am nächsten Tag. Das hat der Alte noch nie begriffen: Wie kann man etwas auf morgen verschieben, wo man doch nicht wissen kann, ob man morgen auch aufwachen wird? So auch heute wieder. Als er die Gegend absuchte und darauf wartete, dass sein Kater zurückkehren würde, zog aus irgendeinem Grund eine Linde, die ganz nah bei der Straße emporragte, seinen Blick auf sich. Die unteren Äste wuchsen so krumm und unordentlich, und auch der Wipfel war nichts Halbes und nichts Ganzes und erreichte schon fast die Stromleitung. Laurinavičius hatte die am falschen Ort gepflanzte Linde, direkt an der Stromleitung, schon lange bemerkt, aber heute entschied er, dass er Ewigkeiten auf die Elektriker warten könne – er hatte es doch dem Vincas gesagt, und was war passiert? Nichts. Und was, wenn die Leitung kaputtgeht, wenn es einen Kurzschluss gibt, wenn die Kabel bei Sturm und Regen wild herumtanzen und Funken sprühen? Dann würden sie alle ohne Strom dasitzen und sagen: Da war nichts zu machen, man kann doch nicht alles voraussehen, der Strom ist doch Technik. Da zurrte der Alte seine Klettereisen fest, packte eine kleine Säge und stieg auf den Baum. Auf dem Weg nach oben beschnitt er die unteren Äste, dann kappte er die Spitze der Linde. Den ganzen Wipfel samt den Ästen, die auf den Kabeln lagen. Im Ast- und Blätterdickicht kam er mit den Klettereisen nur schwer voran und so warf er sie zur Erde. Und jetzt sitzt er auf dem Baum und kommt nicht mehr runter. Unten läuft Malenija hin und her und ruft ununterbrochen „Jesses Maria, Jesses Maria“. Man soll doch die Namen der Heiligen nicht so oft in den Mund nehmen. Das will er sagen, er möchte mit ihr schimpfen, nur kann er jetzt nicht laut rufen – eine Menschenmenge hat sich unten versammelt. Sieh mal einer an, der Laurinavičius ist zum Zirkusartisten geworden. Er ist schließlich nicht einfach so hinaufgeklettert – er hat Erfahrung. Vor ein paar Jahren hat er doch bei der Branienė eine Esche gefällt. Das hat er, niemand anders wagte das, denn die Esche wuchs ganz nahe bei der, man könnte gar sagen, fast in der Scheune, denn das Strohdach umarmte den Stamm geradezu. Die Esche wuchs und wuchs, war schon groß und breit, aber dann geschah irgendetwas und sie vertrocknete. Vielleicht eine Krankheit, vielleicht die Kälte, oder jemand hatte sie mit Säure begossen, wer weiß das schon, aber der gigantische Baum vertrocknete und ragte jahrelang wie ein Skelett zum Himmel. Die Rinde schälte sich, die Äste hatten sich über dem Scheunendach nach allen Seiten ausgebreitet, und was am schlimmsten war, über Strom- und Telefonkabel: Genau an dieser Stelle befand sich nämlich ein Schnittpunkt mehrerer Linien oder etwas in der Art, denn von allen Seiten führten Kabel dorthin. Da packte der Alte dann wie jetzt seine Klettereisen (seit damals besaß er sie), stieg, so hoch er konnte, hinauf und ließ vorsichtig erst einen Ast herunterfallen, dann den zweiten, dann den dritten. Nach und nach zersägte er die ganze Esche, vom Wipfel bis zum Boden, wobei er stets darauf achtete, dass nichts auf die Kabel fiele und er dem Schilfdach nicht schadete. Das ganze Städtchen schaute damals zu und nickte zustimmend. Was nickt ihr da? Könnt ihr denn keinen Baum entfernen? Der alte Laurinavičius, ja, der kann das. Der Mensch kann alles, wenn er nur den Kopf gebraucht, wie vorgesehen, und hartnäckig genug ist. Damals lachte Laurinavičius zufrieden, jetzt aber lachen sie über ihn. Über wen denn sonst? Vielleicht lachen sie ja auch gar nicht und es ist nur der Wind, der in ihren Gesichtern spielt, vielleicht kitzelt ja die Natur, ohne dabei zu erröten, all diese Menschen, Nachbarn und Freunde und auch Feinde.

Aber warum versammeln sie sich hier, als gäbe es hier etwas zu sehen? Sogar die Žvainienė, auch die kommt angekeucht, hat ihr Asthma vergessen, und mit ihr noch eine andere Frau. Ja, kommt nur alle angerannt, lauft nur, der Zirkus ist hier.

Da er die Gaffer nicht anschauen will, hebt der Alte den Blick – über den Bäumen zur Rechten ragt weiß der Kirchturm empor. Wie weiße Schafe hüpfen die Wolken von den Maiwinden getrieben an ihm vorbei. Der alte Laurinavičius bedauert, dass das alles schon so weit zurückliegt – das fast tägliche Emporsteigen der alten Wendeltreppe, das Dröhnen der Glocken. Auch heute läutet man die Glocken, lädt zum Gottesdienst, nur anders – jetzt bewegt Elektrizität die Glocke. Jetzt klingt sie immer gleich und irgendwie leblos. Rhythmisch und leblos. Bim, bim, bim. Wie ein riesiger Eimer.

„Da hast du dir aber wieder mal was ausgedacht“, hört Laurinavičius die Stimme seines Nachbarn Baliesius.

„Der Baliesius hat eine Leiter gebracht“, ruft von unten seine Malenija, „schau mal, ob du sie irgendwie zu packen kriegst.“

Wie sollte er auch, die unteren Äste hat er zurückgestutzt, die Leiter ist kurz, die reicht nur bis in den Dachstock. Der Alte spürt, dass sein Hintern hart wie Holz ist, versucht sich anders hinzusetzen, die eingeschlafenen Beine anders zu platzieren. Plötzlich verliert er beinahe das Gleichgewicht, eine Welle der Angst peitscht ihm ins Gesicht, das Herz fängt vor Angst an, wie wild zu schlagen, mit Unterbrechungen.

„Jesses, fall nur nicht runter!“, hört er die Stimme seiner Frau rufen. „Pass auf, bleib ruhig sitzen, der Danius vom Prancisius hat Vincelis angerufen, die Feuerwehr kommt.“

Die Feuerwehr kommt, sieh mal einer an, sie werden ihn wie eine Katze von der Linde holen. Nein, er wird sich nicht wie ein kleines Kind vom Baum heben lassen, wie ein abgenutztes Ding. Das Herz in seiner Brust flattert, dann beruhigt es sich wieder, wird ganz leicht. Der Alte steht im Geäst auf, hebt die Beine ruhig über einen krummen Ast – alles in Ordnung, er ist noch gar nicht so alt, nicht so ungelenk. Und wenn schon … Zieht man zehn Jahre ab, würde er wie sein getigerter Kater flink vom Baum klettern, obwohl auch der einst im Baum stecken blieb. Plötzlich zerzaust der Wind Laurinavičius’ Haar, wirbelt durch das Geäst. Das Hemd des Alten flattert wild.

Das ist der Wind!

Das ist der Maienwirbel!

Der Alte würde gern mit ihm davonfliegen.

Aber was ist das, das durch das Heulen des Windes an seine Ohren dringt?

Die Feuerwehr.

Die Feuerwehr schimmert riesig und rot zwischen den Bäumen hindurch.

Nein, erst hört er die Sirene. Sie heult so laut, dass gar die Fenster im Städtchen erzittern. Natürlich ist das Absicht. Vincelis macht Radau. Um sich über den Alten lustig zu machen – Achtung!, eine wichtige Meldung, ich hole den Blödmann von Laurinavičius von der Linde herunter. Die Menge teilt sich, die Feuerwehr bleibt seitlich neben dem Baum stehen, Vincelis machte die Sirene aus, steigt aus und sagt etwas zu Laurinavičius, aber der hört nichts, nur das Pfeifen des Windes. Dann bildet der Feuerwehrmann mit den Händen einen Trichter vor dem Mund und brüllt.

Und plötzlich spürt Laurinavičius, wie der Wind ihn emporhebt. Ja, in die Lüfte – das Hemd empfängt den Wind wie ein Segel, wie ein Drachen. Der Alte bekommt es mit der Angst zu tun, er hält sich an einem Ast fest, doch dann fasst er sich ein Herz: Er wollte doch schon immer fliegen, ist noch nie geflogen, jetzt aber ist er dazu entschlossen. Die werden staunen! Wozu die Feuerwehr rufen, wozu all der Lärm, der alte Laurinavičius ist selbst auf den Baum gestiegen und kann doch so lange dort oben hocken, wie es ihm gefällt, und dann wieder selbst heruntersteigen. Oder herunterfliegen – nach eigenem Gutdünken. Der Alte lässt den Lindenast los und erhebt sich ganz langsam, ganz ohne Eile in die Lüfte, die Maienwirbel tragen ihn. Er lacht glücklich, er freut sich, als er sieht, dass unten alle verstummen, so ein Wunder haben sie noch nie gesehen, sie lassen die Arme sinken, den Mund vor Staunen weit offen. Der Alte denkt nicht daran, wie er landen oder wohin er fliegen wird, das kommt ihm unwichtig vor. Er erhebt sich über die Linde hinaus, fast hätte er die Stromleitung berührt, er erschrickt ein wenig, doch dann gibt er sich erneut dem Wind hin und fliegt immer höher. Die ganze Umgegend tut sich in ihrer vollen Schönheit vor seinem Blick auf. Alles ist hier, alle Pfade, an einige kann er sich kaum mehr erinnern. Auch die Kirche. So weiß, das Dach so rot – ein herrlicher Anblick für den Herrn des Hauses, denkt Laurinavičius bei sich. Er hätte weinen können, doch der Wind trocknet seine Augen.

Vögel fliegen vorbei. Schnelle und glückliche Tauben.

Löwenzahnflaum fliegt vorbei. Winzig, wie kleine Fallschirme.

Die Zeit fliegt vorbei. Die vergessene und wieder erwachte Jugend.

Der Mond fliegt vorbei. Die gewetzte Sichel des Halbmonds.

Ist das ein Wind, denkt Laurinavičius, ist das ein Wind … Ach Malenija, wenn du wüsstest, dass du mit mir fliegen könntest. Jetzt weiß Laurinavičius, jetzt weiß er genau, was sein Aleksas fühlt, wenn er mit dem Hubschrauber fliegt.

Was noch fliegt vorbei? Sein getigerter Kater. Gut, dass er am Leben ist, das liebe Dummerchen. Herrgott, war das ein Wind, sogar seinen Kater hat er gepackt und wirbelt ihn herum – als wäre die Physik außer Kraft gesetzt.

Die Leute stehen da und staunen, die Münder weit geöffnet. Die Köpfe in den Nacken geworfen, sie atmen kaum. Laurinavičius sieht sie an und lächelt. Ihm kommt das merkwürdig vor – was tun sie nur hier? Warum sind sie hier zusammengekommen? Wegen eines einfachen fliegenden Menschleins, das den Iltissen das Fell abzieht, das sich um alle kümmert, da jemand das tun muss?

Was sehen sie, woran denken sie, voller Staunen und Ernst? Warum winken sie jetzt und wozu raten sie Vincelis, der die rote Feuerwehrleiter mit den Beinen umklammert. Wen holt er da vom Baum herunter? Wer ist der Alte mit dem Hemd, aufgeblasen wie ein Segel?

Laurinavičius sieht, wie der alte Mann mit großer Mühe aus der Linde klettert, wie die Feldscherin dem glatzköpfigen Alten zu Hilfe eilt. Er sieht, wie sich die Nachbarn über diesen alten, unbekannten Mann beugen. Er sieht, wie jener wieder zu sich kommt und leer dreinblickt. Man fragt ihn etwas. Offenbar antworten die Nachbarn.

Schön, alles von oben zu betrachten. Und gut. Der Mond, dieser Frühlingsmond, lässt Leben und Kraft auf und ab wogen. Trägt sie mit den Winden fort.

Ach, die Maienwirbel!

Der Regengott und andere Erzählungen

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