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Prolog

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In den eineinhalb Jahren, seit Dell Greenwood die Position als Kameramann in der Internet-Porno-Firma seines Onkels angetreten hatte, hatte er viele wunderschöne Männer in ihr gemeinsames Haus kommen sehen. Wunderschöne Männer aller Größen, Gestalten und Ethnien. Er hatte sie am Set nackt gesehen, beim Wichsen und in verschiedenen Konstellationen fickend. Aber in den ganzen achtzehn Monaten hatte ihn kein Gesicht so sehr gefesselt wie in dem Moment, als ihm Taro Ichikawa vorgestellt wurde.

Taro betrat das Haus der Greenwoods mit seinem besten Freund Cris Sable, der der Grund war, aus dem sich an diesem Abend bereits neun Personen versammelt hatten. Heute war Cris' Geburtstag und da er ein langjähriger Angestellter von Dells Onkel Charles Greenwood war – auch bekannt als Pornoproduzent Chet Green –, hatte Onkel Charles entschieden, eine kleine Geburtstagsparty für Cris bei ihnen auszurichten.

Als Knicks vor Cris' offener und stolz gelebter Bisexualität hatten sie das Untergeschoss in Pink, Violett und Blau dekoriert. Dell hatte oft festgestellt, dass er merkwürdig neidisch auf Cris war, weil er genau wusste, wer er war und es nicht verbarg. Dasselbe galt für Dells offen schwulen Onkel Charles.

Genau genommen waren alle Gäste der Party entweder schwul, bi oder hinterfragten sich noch. Dell dagegen war schlicht… unsicher. An manchen Tagen stresste ihn sein Mangel an offensichtlicher Anziehung zu irgendjemandem, egal, ob männlich oder weiblich. Heute war einer dieser Tage, da er sich von verliebten schwulen Paaren umringt sah.

Na gut, umringt traf es nicht, denn es gab nur zwei Pärchen, aber diese waren so unübersehbar verliebt, dass es irgendwie erstickend war. Nicht, dass Dell sich jemals beklagen würde. Immerhin hatten sich diese Paare ihr Happy End schwer erkämpfen müssen. Nein, er musste sich auf die Tatsache konzentrieren, dass die Mehrheit im Haus alleinstehend war. Und lächerlich gut aussehend, was logisch war, da mehr als die Hälfte aus derzeitigen oder früheren Models bestand.

Sie hatten sich alle früh versammelt, sodass das Geburtstagskind um sieben seinen großen Auftritt bekam. Dell ging an die Tür, als es klingelte, und auch wenn ihm gesagt worden war, dass Cris seinen besten Freund eingeladen hatte, hatte er nicht geahnt, dass dieser Mann so wunderschön sein würde. Dell öffnete die Haustür und es geschah etwas, das ihm seit seinem zwölften Lebensjahr nicht mehr passiert war.

Er stotterte. »Äh, hallo, herzlichen G-G-Glückwunsch, C-C-Cris.«

Cris schenkte ihm ein schiefes Lächeln. »Hallo, du. Dell, das ist mein bester Freund Taro Ichikawa. Taro, Chets Neffe, Dell Greenwood.«

»Nett, dich kennenzulernen«, sagte Taro und lächelte strahlend.

»E-ebenso.« Verdammt, Dell musste sich zusammenreißen. Das Stottern trieb ihm Säure in den Magen, auch wenn sein Vater Hunderte von Meilen entfernt in Georgia war. Niemand hier würde ihn mit einem Gürtel schlagen, bis er nicht länger wie ein Idiot klang und seine Familie blamierte.

Dell trat zurück, um sie hereinzulassen, und bald verschwanden die beiden zwischen den Begrüßungen und Happy Birthday-Rufen der anderen.

Zweifelsohne passte Taro in die Gruppe gut aussehender Männer im Haus. Rund eins neunzig groß und superschlank, dazu schwarzes Haar, bronzene Haut und die schärfsten Wangenknochen, die Dell je bei einem Mann gesehen hatte. Oder einer Frau. Er blieb dicht bei Cris, als er vorgestellt wurde, und wirkte sowohl selbstsicher als auch leicht verlegen.

Vielleicht ist er es nicht gewohnt, von so vielen Pornodarstellern umringt zu sein.

Es reichte jedenfalls, damit jeder Hetero-Mann sich unbehaglich fühlte. Es war nicht fair von Dell zu vermuten, dass Taro hetero war. Doch während er Taro dabei beobachtete, wie er mit den Gästen umging, fiel ihm auf, dass Taro nicht offen flirtete oder die anderen abcheckte, wie ein schwuler Mann es getan hätte.

Vielleicht gefällt es ihm auch einfach nicht, viele neue Leute auf einmal kennenzulernen.

Das konnte Dell nachempfinden. Er hasste es, in große Gruppen von Unbekannten zu geraten, denn irgendwann kam immer die Vergangenheit zur Sprache. Die Leute fragten dann scheinbar harmlose Sachen wie Warum trinkst du nichts? oder Woher kommst du? Dell dachte nicht gern an sein Leben vor dem vergangenen Frühling.

Wie jedes Mal stieg Dankbarkeit in ihm auf, als Dell an die unerwartet gespendete Niere dachte, die er Anfang März erhalten hatte – eine Niere, die ihm das Leben gerettet hatte. Da die Spende anonym vorgenommen worden war, würde Dell nie die Gelegenheit erhalten, seinem heldenhaften Lebendspender zu danken. Alles, was er tun konnte, war, zu Ehren dieses Menschen das beste Leben zu führen, das ihm möglich war, und seine zweite Chance zu nutzen.

In der Diele ging die Musik an, irgendetwas Lautes, zu dem sich gut tanzen ließ. Dell schob das Essen auf dem Tresen umher, arrangierte unnötigerweise die Tabletts mit den Snacks um und lauschte abwesend einer nahen Unterhaltung über Strandhäuser und Roadtrips. Die Salsa stand nicht nah genug bei den Tortilla-Chips, daher stellte er den Zwiebeldip auf die andere Seite der Schüssel mit den Kartoffelchips.

»Ich an deiner Stelle«, sagte eine warme Stimme hinter ihm, »würde die Schüsseln mit den Chips in die Mitte schieben und die Dips außen herum drapieren.«

Dell drehte sich um und stellte leicht überrascht fest, dass Taro hinter ihm stand. Er lächelte schüchtern. »Dann b-b-bedien dich«, antwortete er.

Du hast seit acht Jahren nicht gestottert.

Reiß dich mal zusammen!

Taro trat neben ihn und bewegte ein paar Gegenstände. Das neue Arrangement sah gut aus und sorgte außerdem dafür, dass die Chips einem Farbschema von hell zu dunkel folgten.

»G-gibst du viele Partys?«, fragte Dell.

»Nie, und ganz bestimmt nicht bei mir. Nein, das liegt an meiner Zwangsstörung. Sie hat meine Mutter wahnsinnig gemacht, wenn sie Dinnerpartys gegeben hat, weil ich das Essen immer nach Farben arrangieren wollte statt nach der Servierreihenfolge, die sie geplant hatte.« Taros Lächeln bröckelte ein wenig.

Dell erkannte die Trauer und fragte nicht nach Taros Eltern. Er war in seinem Leben oft genug bedrängt worden, um zu wissen, wann er sich zurückhalten musste. »Ich weiß die Hilfe zu schätzen. I-ich habe keine Zwangsstörung, aber ich bin nicht sehr gut darin, mich auf Partys zurechtzufinden. Daher hat es mir etwas zu tun gegeben, das Essen anzurichten.«

»Ich bin darin auch nicht besonders gut, aber ich habe Cris versprochen zu kommen. Er ist ziemlich entschlossen, wenn es da-rum geht, mich aus meiner Komfortzone zu schubsen.«

»Er scheint ein guter Freund zu sein.«

»Der allerbeste.«

Eine Welle der Eifersucht schoss heiß und schnell durch Dell hindurch. Er hatte niemanden, der ihn aus seinen Komfortzonen schubste. Onkel Charles respektierte Dells Privatsphäre so sehr, dass es ihm manchmal verdammt noch mal auf die Nerven ging. Dell verstand ihn. Sie waren beide derselben scheinheiligen, überreligiösen Südstaatenfamilie entkommen, die stets über anderer Leute Angelegenheiten Bescheid wusste und schnell bei der Hand war, jeden kleinen Fehler zu verurteilen.

Dell hatte im Verlauf seines kurzen Lebens unglaublich große Fehler gemacht und mit seiner Gesundheit bezahlt. Aber manchmal sehnte er sich nach jemandem, der ihn ermutigte, etwas Neues auszuprobieren. Nicht mehr dauernd so viel Angst zu haben.

»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte Taro.

»Höh?« Eine sehr intelligente Antwort.

»Du hast gerade traurig ausgesehen. Habe ich etwas Falsches gesagt?«

»Nein, ganz und gar nicht. Ich war mit den Gedanken woanders.«

»Oh.« Taro schielte zu den beiden Gruppen, eine war in der Küche, die andere tanzte im Arbeitsbereich. »Ich schätze, du kennst hier alle ziemlich gut?«

»Privat? Nicht wirklich«, antwortete Dell. »Ich meine, wenn sie zum Drehen hier sind, geht es in erster Linie um die Arbeit. Es ist nicht so, dass wir herumstehen und übereinander tratschen.«

»Echt? Ich dachte immer, wenn man eine Gruppe schwuler Kerle in einen Raum packt, können sie gar nicht anders, als zu tratschen.«

Jepp, schätze, ich lag richtig, dass er hetero ist.

»Ich vermute, einige der Darsteller reden mehr als andere«, sagte Dell. »Aber ich ziehe es vor, mich rauszuhalten. Professionell zu bleiben und so.«

»Das musst du vermutlich auch. Du scheinst echt jung für einen Kameramann zu sein.«

Dell widerstand der Versuchung, scharf zu reagieren, denn Taros Stimme hatte sanft und neckend geklungen.

»Nächsten Monat werde ich einundzwanzig. Und ich habe mich schon immer für Film und Fotografie interessiert. Aber meine Eltern haben nie zugelassen, dass ich auch nur darüber nachdenke, das Interesse zum Beruf zu machen. Sobald ich den Abschluss von der Highschool hatte, sollte ich einen Job in der örtlichen Fabrik annehmen und in die Gewerkschaft eintreten.«

Taro verdrehte die Augen. »Das hatten deine Eltern mit meinen gemeinsam. Nicht die Sache mit der Fabrik, aber der Versuch, mein Leben für mich zu planen. Familiäre Erwartungen.«

»Was solltest du denn werden?«

»Ein Chirurg, wie mein Vater. Irgendwann habe ich ihn runtergehandelt und wir sind übereingekommen, dass ich einen Abschluss meiner Wahl machen kann, solange er mit der Uni einverstanden ist.« Taro begann, mit den Fingern auf dem Tresen zu trommeln. »Am Ende war nichts davon wichtig.« Die Finger trommelten härter.

Dell hatte sich schon immer als stillen Beobachter der menschlichen Natur verstanden und er bemerkte die kleinen Anzeichen von Kummer bei Taro. Seine spielenden Finger, der Kiefer verkrampft, angespannte Schultern. Obwohl Taro das Gespräch lenkte, waren sie in das sprichwörtliche Minenfeld geraten.

Zeit für einen Themenwechsel.

»Der einzige Darsteller, den ich privat gut kenne, ist Adam Swift«, sagte Dell. Er deutete auf einen dunkelhaarigen Mann, der sich mit Onkel Charles und einigen anderen unterhielt. Dell konnte nichts gegen den schuldbewussten Stich unternehmen, als ihn sehr kurz Adams Blick traf. Es war leichter, ihn gedanklich bei seinem Pornonamen zu nennen als bei seinem richtigen, der Rick Fowler lautete. Rick war der Mann, den Dell gut kennengelernt hatte, und Rick war der Mann, dem er wehgetan hatte.

Adam dagegen war der Typ, mit dem er bei der Arbeit am Set zu tun hatte, und nicht mehr als das.

»Ihr zwei seid also Freunde?«, fragte Taro.

Die Schuldgefühle wurden zehrender. »Inzwischen nicht mehr und das liegt an mir. Aber alle Jungs, die Chet einstellt, sind großartige Menschen. Er hat ein Händchen dafür, interessante Charaktere auszusuchen. Die Einzigen, die ich nicht kenne, sind Tristan und Isaac, weil sie keine Darsteller sind, sondern die Freunde zweier Ex-Models.«

»Ja, Cris hat mir erzählt, was letzten Herbst passiert ist.«

Für einen kurzen Moment dachte Dell, Taro wüsste vom Grund für seine Überdosis – was lächerlich war, denn der Einzige, der eine Ahnung haben könnte, war Adam/Rick, und Taro kannte ihn nicht.

»Jon und Isaac haben wirklich Glück gehabt«, fuhr Taro fort. »Und Adam auch.«

Oh richtig, die Sache.

Dell hatte sich noch von seiner Überdosis erholt, als die drei von einem unbekannten Stalker des ehemaligen Darstellers Jon angegriffen worden waren. Adam war angeschossen worden und Jon hatte eine Gehirnerschütterung erlitten. Sie waren alle am Leben und gesund und der Stalker eingesperrt, aber es waren ein paar unglaublich stressige Wochen für seinen Onkel gewesen. Dell hatte nicht die Kraft gehabt, so für Onkel Charles da zu sein, wie der ihn brauchte.

»Ja, sie hatten Glück«, bestätigte Dell.

»Oh ja. Man kann nicht mal sehen, dass Adam angeschossen wurde.«

»Woher weißt du das?«

Taro neigte den Kopf. »Weil er noch dreht und ich habe nach einer Narbe Ausschau gehalten.«

Er guckt schwule Pornos. Vielleicht ist er doch nicht so hetero. Vielleicht bi, wie Cris?

»Ich wusste nicht, dass du ein Fan unserer Website bist.«

»Als Cris' bester Freund fand ich, es wäre meine Pflicht, ihn darin zu unterstützen, ein geselliges Leben zu führen und sich nicht die ganze Zeit in seiner Wohnung zu verkriechen. Und ihr macht wirklich gute Videos. Ein paar der besten.«

Das Kompliment ließ Dell den Kopf einziehen. Seine Wangen wurden dunkelrot. »Danke.«

»Es muss ganz schön spannend sein, mit so vielen heißen Männern zusammenzuarbeiten.«

Glaubst du.

»Es hat seine Höhen und Tiefen«, erwiderte Dell. »Du würdest ein tolles Model abgeben.« Seine Wangen wurden sogar noch heißer. »Entschuldige, das war unpassend.«

»Ich neige nicht besonders zum Exhibitionismus.« Taro klopfte ihm auf die Schulter. Dell sah in ein Paar dunkle, freundliche Augen. »Aber danke für das Kompliment.«

»Gern geschehen.« Ein Teil der Verlegenheit ließ nach. »Du weißt also offensichtlich, womit ich mein Geld verdiene. Was ist mit dir?«

Taro setzte zum Sprechen an.

Da stieß Jon einen Pfiff aus. »Komm schon, Gabe, du wirst doch wohl nicht zulassen, dass sich ein anderer so an deinen Kerl rantanzt? Du hast es doch selbst drauf, Kumpel!«

Dell sah rüber in die Diele, wo Tristan und Benny Hüfte an Hüfte tanzten. Tristans Freund Gabe sah mit lüsternem Lächeln aus der Nähe zu. Es war ein sinnlicher Anblick, dem sich Shiloh kurz darauf anschloss, doch er fesselte Dells Aufmerksamkeit nicht so sehr wie sein Gespräch mit Taro.

Taro lachte leise. »Wie dem auch sei: Ich bin genau wie Cris Programmierer, was mir erlaubt, von zu Hause zu arbeiten und selbst zu entscheiden, wann. Das ist für jemanden wie mich ein Traumjob.«

»Das kann ich mir vorstellen. Du kannst dir Routinen aufbauen, mit denen du zurechtkommst, und sie aufrechthalten.«

»Genau.« Taros Lächeln wurde breiter. »Verdammt, Mann, Cris hat Monate gebraucht, um das zu verstehen. Ich meine, Cris liegt auch viel an seiner Privatsphäre, aber er ist nicht ansatzweise so pingelig wie ich.«

»Vom Pingeligsein versteh ich was, glaub mir.«

Taro hob eine schmale Augenbraue und Dell begriff, wie das geklungen hatte.

»Ich meine, was Organisatorisches angeht«, erklärte er. »Routinen. Ich erhole mich von einer Sucht, falls du die Geschichte noch nicht von Cris gehört hat.«

»Einen Teil, aber danke, dass du es mir erzählt hast.«

»Es ist nicht wirklich ein Geheimnis für die, die in der Firma arbeiten. Ich meine, wir haben letzten Herbst zwei Monate nicht gedreht und dann wieder für ein paar Wochen diesen Frühling, nachdem ich mein Transplantat bekommen habe. Alle waren wirklich nett.«

»Gut. Wir haben alle unsere Leichen im Keller und wenn dich jemand für sie verurteilt, ist er deine Zeit nicht wert.«

Die Schärfe in Taros Tonfall wärmte etwas tief in Dell, das sich nach einer Verbindung sehnte. Nach einem guten Freund, der ihn trotz seiner vielen Macken und Fehler verstand und unterstützte. »Danke«, sagte er leise.

»Gern geschehen.« Taro zuckte die Schultern. »Ich weiß, wir haben uns gerade erst kennengelernt, aber du scheinst ein anständiger, aufrichtiger Mensch zu sein, der in ziemlich üble Scheiße reingeraten ist. Das passiert viel öfter, als es sollte, und du hast für deine Fehler bezahlt.«

»Glaub mir, das weiß ich.« Dell berührte seine Seite über der OP-Narbe. »Ich werde nie die Gelegenheit haben, der Person zu danken, die mir eine zweite Chance ermöglicht hat, aber ich möchte denjenigen stolz machen. Ein erfülltes, glückliches Leben führen. Ich wünschte nur, ich wüsste, wie.«

Die Musik in der Diele wurde lauter. In schweigender Übereinkunft gingen sie mit ihren Getränken zum Küchentisch und damit zu dem Ort, der am weitesten vom Trubel entfernt lag, ohne sich ganz von der Party zu verabschieden. Wogegen Dell nicht das Geringste einzuwenden gehabt hätte. Er genoss die Unterhaltung mit Taro sehr und wollte, dass sie andauerte.

»Erzähl mir mehr«, sagte Taro. Sie setzten sich einander gegenüber und neigten sich nach vorn, sodass sie das Gespräch privat halten und sich trotz des Lärms gut verstehen konnten.

Dell musterte Taros dunkle Augen und fand nur offene Neugier, nicht die morbide Faszination, die darin fußte zu erfahren, dass Dell die Niere eines anderen in seinem Körper trug. Es war immer noch etwas, das Dell nur schwer begreifen konnte. »Ich weiß, dass Pornos ihren Platz in der Gesellschaft haben und ein Bedürfnis erfüllen. Nicht nur für den Zuschauer, sondern auch für die Darsteller, aber irgendwie fühlt es sich nicht groß genug an«, sagte er. »Ein Fremder hat bewusst eine Niere hergegeben, damit ich ein normales Leben führen kann, ohne Dialyse. Daher habe ich das Gefühl, ich sollte mehr tun.«

»Zum Beispiel?«

»Ich weiß es nicht. Krebs heilen?«

Taro lachte. »Würden wir das nicht alle gern erleben? Dell, du bist zwanzig Jahre alt. Du musst der Welt noch nicht deinen Stempel aufdrücken. Stan Lee hat seinen ersten Comic mit achtunddreißig geschrieben und schau ihn dir jetzt an.«

»Guter Punkt. Ich bin ungeduldig.«

»Halt dich an das, in dem du gut bist, was im Augenblick Pornos drehen ist. Mit der Zeit entdeckst du vielleicht eine neue Leidenschaft. Vielleicht schaffst du es erst mit sechsunddreißig, die Welt zu verändern.«

»Das ist eine willkürliche Zahl.«

»Das Leben ist willkürlich. Niemand weiß, warum der eine Mensch Krebs bekommt und seine Geschwister nicht. Oder warum ein Mensch an belastenden Depressionen leidet und seine Geschwister nicht.«

Ein guter, wenn auch unschöner Hinweis. Ihr Gespräch geriet ins Stocken und Dell suchte nach einem neuen Thema. Er wollte Taro besser kennenlernen und das passierte ihm nicht allzu oft. In Taros Nähe fühlte er sich wohl, sicher, als wäre er ein interessanter Mensch, mit dem man sich gern unterhielt. Nicht ein ehemaliger Junkie, den man mit Samthandschuhen anfassen musste, damit er nicht davonschoss und Drogen kaufte.

Onkel Charles liebte ihn und wollte nur das Beste für ihn, aber seine Samthandschuhe waren manchmal ziemlich rau.

»Also, wie hast du Cris kennengelernt?«, fragte Dell.

»In einem Chatroom«, antwortete Taro und lächelte wieder. »Es war ein Chatroom ohne Dating-Absichten für LGBTIQA-Leute, die einen sicheren Rückzugsort suchen, an dem man sie versteht. Cris hatte im Real Life ziemlich viel Ärger, weil er bi ist, und ich hatte immer noch damit zu tun zu akzeptieren, dass ich demisexuell bin. Deshalb haben wir uns sofort verstanden. Dazu kam unsere Liebe zu Computern und zum Programmieren.«

Dell wand sich. »Ich geb's nur ungern zu…«

»Du weißt nicht, was demisexuell bedeutet?«

Dell schüttelte den Kopf. »Tut mir leid.«

»Schon gut. Viele haben noch nie davon gehört oder auch nur von dem Oberbegriff asexuell.«

»Reden wir von ungeschlechtlicher Fortpflanzung von Zellen?«

Taro lachte laut auf. »Oh mein Gott, du bist süß, wenn du ahnungslos bist.«

Dell war sich nicht sicher, ob das aufrichtige Belustigung über seine Not oder ein Kompliment war, daher erwiderte er nichts.

»Schon gut«, sagte Taro. »Nein, wenn man asexuell ist, empfindet man unabhängig vom Geschlecht keine sexuelle Anziehung. Männlich, weiblich, queer, agender, nonbinary, zu niemandem. Das ist etwas, das uns alle vereint, aber darüber hinaus gibt es große Unterschiede im asexuellen Spektrum.«

Etwas in Dells Hinterkopf merkte auf und begann, sich Notizen zu machen. »Wie Demisexuelle?«

»Genau. Ich zum Beispiel muss eine emotionale und romantische Bindung zu jemandem aufbauen, bevor ich mich zu ihm sexuell hingezogen fühle.«

»Aber wenn du dich nicht zu jemandem körperlich hingezogen fühlst, woher weißt du dann, mit wem du eine solche Verbindung eingehen willst?«

»Da kommt die romantische Anziehung ins Spiel. Das ist nichts, worüber Allo-Leute nachdenken müssen. Sie sind in der Lage, mit jemandem desselben oder anderen Geschlechts zusammen zu sein, und wissen dann, von wem sie sich körperlich angezogen fühlen. Leute, die ace sind, können das nicht. Also müssen wir uns auf die romantische Anziehungskraft verlassen. Und dann gibt es natürlich auch noch aromantische Menschen, die überhaupt keine Anziehung dieser Art spüren. Einige Aros sind auch ace, aber nicht alle, die ace sind, sind aro.«

Dell blinzelte heftig, überrascht von den vielen Informationen, die ihm vor die Füße geworfen worden waren. Eine Unzahl winziger Glocken in seinem Kopf klingelten und sangen: »Ich! Das bin ich! Das klingt nach mir!« Es war eigenartig, ein solches Gespräch an einem Küchentisch zu führen, während in der Diele eine Reihe heißer Kerle eng tanzte, aber Dell musste mehr wissen.

»Okay, einen Moment«, sagte er. »Was sind Allo-Leute?«

»Entschuldige, Gewohnheit. Damit bezeichnen wir alle, die nicht asexuell sind. Allosexuelle Menschen empfinden sexuelle Anziehung. Asexuelle nicht.«

»Verstanden. Woher weißt du das alles?«

»Ich habe in der Highschool angefangen, mich zu hinterfragen. Ich war mir nicht sicher, ob ich hetero oder schwul bin, weil ich kein Interesse daran hatte, mit jemandem zu gehen wie die anderen. Aber dann habe ich eine starke, gefühlsmäßige Verbindung zu einem Klassenkameraden aufgebaut, der sich als schwul erwiesen hat. Irgendwann wurde aus unserer Freundschaft eine geheime Beziehung, die allmählich auch körperlich wurde. Er hat meine Grenzen sehr respektiert und auch, wie langsam ich vorgehen wollte. Natürlich ist es genauso ausgegangen wie alle geheimen Highschool-Romanzen.«

»Ihr seid aufgeflogen?«

»Nein, ich habe das Arschloch dabei erwischt, dass er mich betrog.«

Dell fuhr zusammen. »Autsch. Tut mir leid.«

»Es ist, was es ist. Aber so bin ich online gegangen, hab mich umgeschaut und bin über ein paar Websites gestolpert. Je mehr ich gelesen habe, desto mehr habe ich mich als demi identifiziert und auch homo-romantisch.«

»Du willst mit Jungs zusammen sein, nicht mit Mädchen.«

»Genau. Mich mit Cris anzufreunden, ist eine der besten Sachen, die mir je passiert ist. Er hat mir geholfen, mich zu akzeptieren, dass ich normal bin und nicht gestört, weil ich nicht jeden heißen Kerl ficken will, der mir über den Weg läuft.«

»Ich bin froh, dass du ihn hattest.« Dells Herz wand sich seltsam.

»Ja. Er ist mein bester Freund. Hast du deinen nicht eingeladen?«

Dell lachte leise. »Hätte ich, wenn ich einen hätte. Ich schätze, das, was bei mir einem besten Freund am nächsten kommt, ist mein Onkel Char… Chet. Für jemanden meines Alters ist das ziemlich erbärmlich, schätze ich.«

»Nicht unbedingt. Niemand hat je behauptet, dass man nicht mit seinem besten Freund verwandt sein kann.«

»Es ist nur so, dass ich erst vor eineinhalb Jahren von Georgia hergezogen bin. Ich habe mich so darauf konzentriert, clean zu bleiben und zu arbeiten, dass ich kaum Gelegenheit hatte, jemanden in meinem Alter kennenzulernen. Ich will mich nicht in Versuchung führen, indem ich in einen Club gehe, und Harrisburg ist nicht unbedingt eine Hochburg für schwule Cafés oder andere Treffpunkte.«

»Guter Punkt. Cris legt Wert darauf, mich ins Big Dick's einzuladen, wenn er hingeht.«

Der vertraute Name ließ Dell die Ohren spitzen. »Hat Cris erwähnt, dass er vor ein paar Wochen mit Onkel… mit Chet dort war?«

»Hat er, ja. Offenbar hatten sie einen tollen Abend, aber am nächsten Tag hat dein Onkel entschieden, dass sie als Freunde besser dran sind und Cris freigegeben, damit er mit Jake zusammen sein kann. Nur hat Jake Cris ein paar Tage später abserviert, weil er fand, dass Cris mit Chet besser bedient ist.«

Dell blinzelte heftig. »Machst du Witze?«

»Es ist mir todernst.« Taro sah sich um. »Wo wir gerade von ihnen reden. Die beiden sind verschwunden.«

»Was?« Dell sah sich in der geräumigen Küche und der angeschlossenen Diele um und entdeckte jeden einzelnen ihrer Gäste mit Ausnahme des Geburtstagskinds und Onkel Charles. »Vielleicht sind sie weggegangen, um zu reden? Ich weiß, dass Chet immer noch Gefühle für Cris hat und wenn Cris die ganze Zeit single war…«

»Man weiß nie.« Taro nippte an seinem Getränk. »Also, wir haben uns über mein mangelndes Liebesleben unterhalten und über das deines Onkels. Sollte ich davon ausgehen, dass es um deins auch nicht besser bestellt ist?«

»Schuldig.« Dell spielte mit seinem Wasserbecher, nicht sicher, was er sagen sollte. Vielleicht würde Taro einfach davon ausgehen, dass er nicht genug ausging, um sich Freunde zu suchen – und offensichtlich erst recht nicht dazu kam, sich Dates zu suchen. Es hatte keinen Sinn zu erwähnen, wie nah ihm manche Dinge gegangen waren, die Taro über Asexualität gesagt hatte. Nicht, bevor er sich nicht selbst schlaugemacht hatte.

Er hatte keinen Grund zu glauben, dass Taro sich alles nur ausgedacht hatte, aber Dell musste selbst nachschlagen. Herausfinden, ob er vielleicht doch nicht falschlag oder irgendwie kaputt war. Dass es vielleicht andere wie ihn gab und sie ihren Stellenwert hatten.

Ein paar Jubelrufe wurden im Wohnzimmer laut. Benny stand auf dem Couchtisch und legte eine Art Striptease für die Jungs um ihn herum hin. Als Cris und Onkel Charles auftauchten, trug er nur noch seine Unterhose. Beide wirkten mit sich zufrieden. Vielleicht hatten sie sich ausgesöhnt?

»Gib mir deine Nummer«, sagte Dell. »Ich würde gern weiterreden, aber ich glaube, uns stehen noch mehr Partyzwischenfälle bevor.«

Taro grinste. »Ich auch. Ich glaube, wir könnten beide einen neuen Freund brauchen.«

»Absolut.«

Dell konnte seine Freunde an einer Hand abzählen und als Taro seine Nummer und E-Mail-Adresse in Dells Handy tippte, hatte er das seltsame Gefühl, dass sein Leben sich verändern würde. Und das hatte alles mit seinem neuen Freund Taro zu tun.

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