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Kapitel Drei
ОглавлениеAn: TaroIch@LotusDesigns.com
Von: Dell@MeanGreen.com
Hi Taro,
du hast mich zum Lachen gebracht, als du geschrieben hast, dass du auf die Zeit eifersüchtig bist, die ich seit Cris' Einzug mit ihm verbringe. (Es sind jetzt offiziell ungefähr zehn Stunden.) Da er schon seit Monaten nicht gedreht hat, sehe ich Jake und ihn nur zu den Mahlzeiten.
Meistens komme ich mir wie ein Beobachter dieses seltsamen Tanzes vor, den die drei miteinander aufführen. Chet hat seit Jahren Gefühle für Cris und Cris erwidert sie inzwischen eindeutig. Aber es ist genauso offensichtlich, wie viel Jake Cris bedeutet. Er kann es nicht verbergen. Und jetzt sieht Chet Jake auf eine Weise an… Nun, sie ist nicht väterlich. Ich weiß es nicht. Es ist faszinierend, dabei zuzusehen. Als würde man die Liveaufführung einer Daily Soap angucken, die im eigenen Haus stattfindet.
Heute habe ich etwas getan, was mich weit aus meiner Komfortzone herausgetrieben hat. Erinnerst du dich an den Freund, den ich erwähnt habe? An die Freundschaft, die ich ruiniert habe? Ich habe mich bei ihm gemeldet und versucht, mich zu entschuldigen. Zu erklären. Wir haben uns zum Mittagessen getroffen und es lief besser, als ich erwartet hatte. Er hat mir nicht direkt vergeben und wir sind auch noch nicht wieder miteinander befreundet, aber auf die Frage, ob in Zukunft daran zu denken ist, hat er nicht Nein gesagt. Das hat mir, ehrlich gesagt, viel Hoffnung gemacht, dass das, was ich getan habe, vielleicht nicht unumkehrbar ist.
Ich würde mich wirklich gern irgendwann mit dir treffen. Persönlich mit dir reden wie auf der Party. Du hast eine beruhigende Stimme.
War das eine seltsame Bemerkung? Ich meinte es jedenfalls nicht so.
Wo wir vom Reden sprechen: Nein, ich habe noch nicht das Gespräch mit Chet gesucht. Ich glaube wirklich nicht, dass ich bereit bin. Ich weiß nicht, wann es so weit sein wird, aber ich bin sehr froh darüber, dass ich mit dir darüber reden kann. Es hilft, eine unvoreingenommene Meinung zu hören.
Ob ich es schwierig finde, mit so vielen Bildern von und mit echten nackten Männern zu arbeiten? Es fühlt sich ein bisschen an, als würdst du nach etwas Speziellem fischen, aber nein. Es macht mir nichts aus. Es würde mich weniger interessieren, wenn nackte Frauen im Spiel wären, aber ich bin nicht unbedingt angewidert. Es liegt eine gewisse Schönheit im männlichen Körper, die ich an unseren Darstellern bewundere, dazu eine gewisse Rauheit, wenn zwei Männer vögeln, die… Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ich ziehe es Hetero-Porno klar vor. Hetero-Pornos haben mich nie interessiert. Nicht, dass ich jemals Pornos geschaut hätte, bevor ich für Mean Green gearbeitet habe, aber ich habe jetzt klare Vorlieben.
Wenn du damit aber nicht ganz so subtil fragen wolltest, ob ich deshalb den ganzen Tag mit einem Ständer rumlaufe, lautet die Antwort Nein.
Ich weiß es zu schätzen, dass du ehrlich zu mir warst, was deine Eltern angeht. Ich vermute, es klingt ein bisschen abgedroschen, nach so vielen Jahren noch mein Beileid auszusprechen, aber es tut mir leid. Es klingt, als wäre das eine furchtbare Zeit für dich gewesen, und es tut mir leid, dass du all das durchmachen musstest.
Dein Vater klingt ziemlich altmodisch, wenn es um das Thema Psychologie geht. Jedes Mal, wenn ich auf Facebook ein Meme sehen, in denen man depressiven Menschen vorschlägt, doch einfach in die Natur zu gehen, bis sie sich besser fühlen, möchte ich schreien. So funktioniert ein chemisches Ungleichgewicht nicht! Ich war wegen der Transplantation bis vor Kurzem auf Antidepressiva. Ich hoffe, ich trete dir damit nicht auf die Füße, aber Depressionen, Bipolarität und Manien verschwinden nicht einfach, weil du jeden Morgen im Wald spazieren gehst. Das ist etwas, worüber ich mich tierisch aufregen könnte.
Und deine nächste Mail Sonntag zu bekommen, ist total in Ordnung. Du musst wegen mir nicht deine Pläne anpassen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir sagen soll, dass du morgen viel Spaß haben sollst, weil du ein Mausoleum besuchen wirst. Aber ich hoffe, du wirst einen guten Tag verleben.
Wir sprechen uns bald
Dell
***
An: Dell@MeanGreen.com
Von: TaroIch@LotusDesigns.com
Hallo Dell,
ich bin mir nicht sicher, was genau deine letzte E-Mail und dein Mut, deine Komfortzone zu verlassen, um mit deinem alten Freund zu reden (ich bin übrigens sehr stolz auf dich!), mit mir gemacht haben, aber ich habe gestern meine Pläne geändert.
Statt ganz früh das Fitnessstudio zu besuchen, um den meisten Besuchern aus dem Weg zu gehen, habe ich entschieden, vormittags hinzufahren, wenn es voller ist. Ich hatte Augenkontakt, was ich mit Fremden normalerweise nicht tue, und habe mich sogar unterhalten. Wenn du mich besser kennen würdest, wüsstest du, was für eine riesige Sache das für mich ist. Und um den Morgen noch surrealer zu machen, habe ich mich mit einem Mann meines Alters über Rogue One und die Repräsentation von Minderheiten und Frauen in Blockbustern unterhalten. Es war ein wunderbares Gespräch.
Sein Name ist Marty und wir haben uns echt gut verstanden. Wir sind in ein Café in der Nähe gegangen um weiterzureden, bevor er zur Arbeit musste, und ich bin erst Stunden später bei meinen Eltern gewesen. Aber wir haben unsere Nummern ausgetauscht und treffen uns heute Nachmittag zum Lunch.
Das ist das erste Mal seit Langem, dass ich einem Essen mit einem fast Fremden so entspannt entgegensehe. Aber ich habe unser Gespräch wirklich genossen und ich wäre stolz auf mich, falls es mir gelingen würde, innerhalb eines Monats zwei neue Freunde zu finden. Du hast offensichtlich einen sehr guten Einfluss auf mich, Dell.
Deinen Ärger verstehe ich total und ich stimme dir zu. Es könnten viele Leben gerettet werden, wenn man nur anerkennen würde, dass psychische Erkrankungen durch Medikamente und Therapien behandelt werden können und dass sie helfen, dass die Betroffenen ein langes, glückliches Leben führen. Ich wünschte, mein Vater hätte das begriffen, bevor es zu spät war.
Ich schätze, mit meiner Frage, was so viele nackte Männer im Tagesgeschäft mit dir machen, habe ich wirklich nach Informationen geangelt. Nicht, was deinen Ständer angeht, sondern weil du bei dem Gespräch auf der Party deine Sexualität infrage zu stellen schienst. Also ja, ich habe ein bisschen nachgebohrt. Und das Angebot, noch einmal darüber zu reden, dass ich demi bin, steht. Wir können ein Telefonat einplanen, wenn du möchtest. Bitte sag mir Bescheid.
Taro
***
An: TaroIch@LotusDesigns.com
Von: Dell@MeanGreen.com
Hey!
Wie ist dein Essen mit Marty gelaufen? Ich finde es großartig zu hören, dass du außerhalb deiner Komfortzone unterwegs bist. Ich würde gern glauben, dass unsere Freundschaft einen guten Einfluss auf dich hat. Daher hoffe ich, dass Marty sich ebenfalls als Freund erweist. Es klingt, als hättet ihr eine Menge gemeinsam.
Danke noch einmal für dein Angebot, dir alles anzuhören, was ich zu sagen habe. Ich habe es vorher noch nie eingestanden, aber ich stelle wirklich einiges infrage. Ich hinterfrage viel an mir selbst, und das schon seit langer Zeit. Drogen zu nehmen, hat mich in vielen Belangen durcheinandergebracht und manchmal weiß ich nicht, was ich glauben soll.
Weißt du was? Ich würde wirklich gern persönlich reden. Ich habe den Rest des Tages frei. Also bitte, ruf an, wenn es dir passt und du dich dabei wohlfühlst. Ich würde liebend gern deine Stimme hören.
Dell
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An: Dell@MeanGreen.com
Von: TaroIch@LotusDesigns.com
Hey,
hab deine Mail im Auto bekommen, bevor ich ins Café gehe. Ich würde auch gern deine Stimme hören, aber lass uns etwas Verrücktes tun. Morgen Abend um sechs im Galaxy Diner. Ich sehe dich dort.
Taro
***
An: TaroIch@LotusDesigns.com
Von: Dell@MeanGreen.com
T,
alles klar.
D
***
Montagabend schloss Dell sich mit den Resten der Garnelen-Gemüsepfanne und einer Cola in seinem Schlafzimmer ein; traurig und verwirrt von Taros plötzlicher und nicht weiter erklärter Absage. Er hatte sich seit dreißig Stunden auf ihr Abendessen gefreut und nun hatte sich diese Freude in eine dunkle Wolke verwandelt, die über seiner Stimmung hing.
Wenigstens hatte Taro Dell geschrieben, bevor er den Diner erreicht hatte, aber das war auch schon alles. Eine Textnachricht. Und seit der Einladung zum Abendessen keine E-Mails, was ihn ein wenig besorgte. Hatte Marty ihn bereits als Taros Freund ersetzt? War bei ihrem Mittagessen etwas schiefgegangen?
Was, wenn dieser Marty ein Serienmörder war und er Taro gefangen hielt und dessen Handy benutzt hatte, um Dell zu schreiben und abzulenken?
Jetzt wirst du albern. Er hat dich und dein Drama vermutlich nur leid.
Der Gedanke trieb Säure in Dells leeren Magen, aber aus irgendeinem Grund konnte er sich nicht dazu überreden, Taro direkt anzurufen und ihn zu fragen, was er falsch gemacht hatte.
Als er vor zehn Minuten nach Hause gekommen war, hatten ihn Sexgeräusche aus dem ersten Stock erschrocken innehalten lassen. Dann war er schnell in die Küche gehuscht, um sich etwas zu essen zu suchen. Er war dort auf Onkel Charles getroffen, der nicht sehr überrascht schien, dass Jake und Cris oben waren und sich versöhnten. Aber er hatte seinen Onkel auf seine Gefühle für die beiden angesprochen und ihm vorgeschlagen, nach oben zu gehen und mit ihnen zu reden.
In diesem Moment war Dell kurz stolz auf sich gewesen, denn sein Onkel verdiente es, glücklich zu sein – selbst wenn er mit zwei Männern statt mit einem zusammen war –, und gute Ratschläge zu erteilen, war nicht gerade Dells Stärke.
Außerdem hatte er jetzt die perfekte Ausrede, allein zu sein und sich in seinem Elend zu suhlen. Daher hatte er sich die Garnelen-Gemüsepfanne aufgewärmt und war in sein Schlafzimmer geflohen. Wenigstens hatte inzwischen das Rumsen und schwere Atmen aufgehört, sodass er ungesehen an der offenen Tür vorbeihuschen konnte, hinter der nun Stimmen zu hören waren. Er wollte ihre Privatangelegenheiten nicht belauschen, sondern schlicht allein sein um nachzudenken.
Auch wenn er die Ankündigung einer neuen E-Mail aufs Handy bekam, sah Dell trotzdem auf seinem Laptop nach für den Fall, dass er eine Rückmeldung von Taro verpasst hatte. Nichts. Er aß ein paar Bissen, ohne sie zu schmecken.
Vielleicht hatte Taro einfach einen miesen Tag. Vielleicht gab es auf der Arbeit einen Notfall und er hatte schlicht vergessen, es in seiner Nachricht zu erwähnen? Vielleicht war es am besten, mit dem heutigen Tag zu verfahren wie mit jedem anderen. Ein fröhliches Gesicht machen und vorgeben, dass er nicht in Selbstzweifeln ertrank.
Das konnte er.
An: TaroIch@LotusDesigns.com
Von: Dell@MeanGreen.com
Hey,
schade, dass du unser Essen absagen musstet. Ich habe mich wirklich darauf gefreut, dich zu sehen, aber ich verstehe es, wenn etwas dazwischenkommt. Ich hoffe, du wirst mir erzählen, was passiert ist, denn auch wenn ich dir echt kein schlechtes Gewissen einreden will, nehme ich es ein bisschen persönlich. Wenn du es vorziehst, dass unsere Freundschaft weiter über E-Mails läuft, ist das für mich in Ordnung, aber ich wünsche mir, dass du es mir sagst.
Ich habe Chet gegenüber heute Abend erwähnt, dass wir Freunde sind. Als ich nach Hause kam, hat er gefragt, mit wem ich etwas vorhatte, und ich habe keinen Grund gesehen ihn anzulügen, also habe ich gesagt, dass du derjenige warst. Dass wir uns seit Cris' Geburtstag angefreundet haben. Er schien sich zu freuen, dass ich einen neuen Freund habe. Daher hoffe ich, es ist in Ordnung, dass ich es ihm erzählt habe.
Wo ich gerade von Chet rede, es gibt ein paar Entwicklungen an der Chet/Cris/Jake-Front. Jake und Cris sind definitiv zusammen, denn als ich von unserem geplatzten Treffen nach Hause kam (das soll keine Schuldzuweisung sein, ich schwöre es), habe ich gehört, dass Jake und Cris oben Sex haben, während Chet unten in der Küche war. Ich habe ihn zu seinen Gefühlen befragt und im Grunde einen Schubs gegeben, damit er mit ihnen redet. Er ist nach oben gegangen und sie haben sich alle unterhalten, als ich vorbeigeschlichen bin, um in mein Schlafzimmer zu gelangen.
Ich bin mir nicht ganz sicher, was vor sich geht, aber sie haben alle drei in irgendeiner Form Gefühle füreinander. Meinst du, Cris ist der Mensch, der für eine Dreiecksbeziehung offen wäre? Ich glaube, Chet schon. Keine Ahnung, wie es bei Jake aussieht. Aber ich schätze, das Herz will, was es will, nicht wahr?
Ich verstehe überhaupt nicht, wie die drei sich zueinander hingezogen fühlen können, aber ich schätze, das muss ich auch gar nicht. Ich akzeptiere es jedoch, wie immer es sich auch entwickelt. Mein Onkel ist ein guter Mann und verdient es, jemanden zu lieben. Oder mehrere Jemande.
Melde dich bei mir, wenn du kannst, okay?
Dell
So. E-Mail verschickt.
Dell hatte als Freund seine Pflicht getan um herauszufinden, wa-rum Taro abgesagt hatte. Hoffentlich war es nichts Ernstes. Er wollte gern daran glauben, dass Taro sich melden würde, wenn es etwas Ernstes war – wenn schon nicht bei ihm, dann wenigstens bei Cris.
Ohne großen Appetit aß Dell seine Schüssel leer. Ruhelos und traurig brachte er sie nach unten und achtete darauf, nicht auf die Unterhaltung des Trios in Jakes Schlafzimmer zu lauschen. Er stellte die Schüssel in die Spülmaschine, dann wanderte er mit seiner Cola in die Diele um fernzusehen. Er schaute sich Wiederholungen einer Gameshow in einem Taxi an, ohne wirklich zuzuhören.
Ein wenig später kamen die anderen drei herunter und machten sich Essen warm. Dell ignorierte ihr Gespräch, weil es ihn nichts anging, und verbrachte die ganze Folge über zu viel Zeit damit, auf dem Handy nachzusehen, ob er neue E-Mails bekommen hatte.
Aber da war nichts.
Er las noch einmal ihre wenigen ausgetauschten Textnachrichten.
Taro: Ich hasse es, dir das anzutun zu müssen, besonders, weil es meine Idee war. Aber ich muss das Essen heute Abend absagen. Es tut mir so leid. Bitte sei nicht sauer.
Dell: Nicht sauer. Hoffe, alles ist in Ordnung. Schreib oder mail mir, okay? Bitte?
Das war alles für heute und Dell würde nicht so erbärmlich sein, eine weitere Nachricht zu schicken. Er war erwachsen. Taro war erwachsen.
Irgendein Theater in der Küche erregte seine Aufmerksamkeit. Cris schoss aus der Küche und Onkel Charles rannte hinterher. Jake starrte ihnen von seinem Platz am Tisch nach, einen belustigten Ausdruck im Gesicht, dann folgte er ihnen langsam. Dell hörte von oben Geräusche und war ein wenig eifersüchtig auf die leichtherzige Kameradschaft zwischen den drei Männern. Mit Rick hatte er kurzzeitig etwas Ähnliches geteilt, bevor er ihre Beziehung in die Scheiße geritten hatte.
Was keine Anspielung sein sollte.
Er verlor den Überblick, was im Fernsehen lief, und verstrickte sich in seinen Gedanken. Er hatte nichts dagegen, die Vorherrschaft über die Fernbedienung aufzugeben, als Jake, Cris und Onkel Charles in die Diele zurückkehrten. Offensichtlich würde der Rest des Abends aus einer Menge Old Bay-Popcorn – eine Spezialität von Onkel Charles – und einem Marathon mit Weihnachtsfilmen bestehen.
Sich im Juni Weihnachtsfilme anzuschauen, kam Dell merkwürdig vor, aber wenigstens lenkte ihn die Absurdität von Taro ab. Während Onkel Charles das Popcorn vorbereitete, musste Dell sich zweimal bremsen, sich bei Cris nach Taro zu erkundigen. Er war sich nicht sicher, warum er die Frage nicht aussprechen konnte. Es gab keinen Grund, seine Freundschaft zu Taro geheim zu halten.
Doch, gab es, natürlich gab es einen. Wenn diese Freundschaft vorüber war, bevor sie richtig begonnen hatte, war Dell nicht sicher, ob er die Schande ertragen könnte, sie ruiniert zu haben. Genau wie er es mit seiner Freundschaft zu Rick getan hatte. Dell wusste dieses Mal nicht, was er angestellt hatte. Nur, dass er es vorzog, wenn sie leise zu Ende ging und nur Onkel Charles davon wusste.
Darüber hinaus musste niemand wissen, was für ein ewiger Versager Dell Greenwood war.
***
Dell schlief in dieser Nacht beschissen und wälzte sich hin und her, während die Monster aus seinen Träumen von allen Seiten seines Unterbewusstseins auf ihn eindrangen. Gegen fünf gab er auf und hielt sich in seinem Zimmer auf, spielte ein bisschen auf dem Tablet und sah für seine tägliche Dosis Was zum Teufel stimmt mit dieser Welt nicht? ein paar Nachrichtenseiten durch.
Gegen sieben gab er auf und ging hinunter in die Küche. Er füllte eine Schüssel mit Knuspermüsli und verteilte eine Menge Zucker darauf. Oben war bereits jemand auf und ging umher. Onkel Charles schlief normalerweise nicht lange, aber sieben Uhr war ein bisschen früh für ihn.
Cris erschien im Durchgang zwischen Küche und Flur. Er war angezogen und wirkte noch nicht ganz wach. Er fuhr zusammen, als er Dell am Tresen bemerkte. »Schläfst du jemals?«, fragte er.
Dell zuckte die Schultern. »Wenn ich kann.«
»Schlaflosigkeit?«
Die einfühlsame Frage sorgte dafür, dass Dell sich Cris zuwandte und ihm mehr Aufmerksamkeit schenkte. »Ich schätze schon. Ich träume oft ziemlich wild und ich nehme nicht gern Schlaftabletten, weil ich dann schlafwandle. Manchmal ist es leichter, gar nicht zu schlafen.«
Cris berührte seine linke Seite, als hätte er plötzlich einen Krampf. »Wie lange geht das schon so?«
»Eine Weile.« Dell verrührte Müsli und Milch und spielte eher damit, nun, da es weich geworden war. Er hatte nie zuvor eine ernste Unterhaltung mit Cris geführt, aber etwas an ihm weckte in Dell den Wunsch zu reden. Sich ihm in dieser Sache mitzuteilen. Er verstand diesen Impuls nicht, aber er gab ihm dennoch nach. »Die Träume fingen vor der Überdosis letzten Herbst an, aber seit der Transplantation sind sie schlimmer geworden, ob man es glaubt oder nicht. Ich vermute, die Operation hat mir doch mehr Angst eingejagt, als ich dachte. Ich weiß es nicht.«
Cris setzte sich neben Dell auf den Stuhl. »Hast du mit Chet darüber gesprochen?«
»Nein.« Verdammt, nicht bei allem, was gerade wegen Jake und dessen neuer Diagnose Bipolarität los war. Sie hatten es ihm gestern Abend zwischen zwei Filmen erzählt. »Er hat genug Probleme und macht sich sowieso schon zu viele Sorgen um mich.«
»Ihr seid verwandt. Ich glaube nicht, dass Sorgen auf ein bestimmtes Kontingent beschränkt sind. Hast du andere Freunde, mit denen du reden kannst? Boomer hat erwähnt, dass du dich mit Adam angefreundet hast.«
Dell unterdrückte ein tiefes Seufzen. »Letzten Herbst hatten wir miteinander zu tun, aber er hatte seinen eigenen Kram, um den er sich kümmern musste, und nach der Überdosis brauchte er nicht auch noch mein Drama obendrauf. Wir haben seit einer ganzen Weile nicht mehr miteinander gesprochen.«
Cris neigte den Kopf und hielt Dell mit einem dunklen, aber sehr freundlichen Blick fest. »Du stützt dich nicht gern auf andere Menschen, weil dir allzu bewusst ist, dass sie ihre eigenen Probleme haben, oder? Du willst ihnen nicht noch mehr auf den Teller packen, also wirst du lieber allein mit allem fertig.«
Was zum Henker war das? Er liest in mir wie in einem Buch. Das schafft nicht einmal Onkel Charles.
»Wie hast du das angestellt?«, fragte Dell.
»Genau wie du beobachte ich Menschen.«
Hm.
»Aber Dell«, fuhr Cris fort, »bis zu einem gewissen Punkt geht es bei Freunden und Beziehungen darum, ihnen zu vertrauen, dass sie sich kümmern, wenn du Hilfe brauchst. Ich kann nicht behaupten, genau zu wissen, was du durchmachst, denn das tue ich nicht. Aber ich verstehe etwas von Albträumen und Geheimnissen und wenn du jemals reden möchtest, werde ich zuhören.«
Dell wusste besser als jeder andere, dass es nie gut ausging, wenn man Geheimnisse für sich behielt, aber er war sich nicht sicher, ob er Cris' Angebot annehmen konnte; besonders, falls seine Freundschaft zu Taro vorüber war. Die Erinnerung an sein Versagen wäre zu viel. Dennoch… »Danke, Cris.«
»Jederzeit.«
Cris nahm sich einen Apfel und ging. Dell erinnerte sich vage an ein Gespräch, laut dem Cris ein paar Tage im Monat ehrenamtlich im Krankenhaus arbeitete. Ein schneller Blick auf den Kalender am Kühlschrank bestätigte, dass er genau dort hinwollte.
Es ist Dienstag. Wenigstens bekommt Cris Taro heute zu sehen und ich werde mir sicher sein können, dass es ihm gut geht. Cris würde etwas sagen, wenn Taro nicht auftaucht, weil er von einem Fremden namens Marty gekidnappt wurde, der Star Wars mag.
Er war albern. Dennoch sah er erneut auf sein Handy – keine E-Mails von Taro, nur ein paar, die mit der Arbeit zu tun hatten. Dell ging nach unten ins Büro und beantwortete sie von dem Computer dort. Dann rief er den Plan für den Dreh heute Abend auf. Bis dahin würden noch Stunden vergehen, aber da Dell nicht so bald Schlaf finden würde, konnte er genauso gut arbeiten.
Eine Stunde später erhielt er eine Nachricht.
Taro: Entschuldige noch mal wegen gestern Abend. Ich mache es wieder gut. Brauche nur ein bisschen Zeit.
Dell starrte auf die Worte, die nicht im Geringsten halfen, seine Nerven zu beruhigen. Zeit für was? Um sich zu überlegen, wie er Dell behutsam abservierte? Zeit, sich eine Ausrede einfallen zu lassen, warum Taro nicht länger mit einem Junkie befreundet sein konnte?
Das war dumm. Taro war der unvoreingenommenste Mensch, den Dell je kennengelernt hatte, sogar im Vergleich zu Onkel Charles. Es musste etwas anderes dahinterstecken.
Dell: Bitte ruf mich an, wenn nötig. Lass mich dir ein Freund sein. Bitte?
Es dauerte lange, bevor Taro sich meldete. Bald. Danke.
Zwei kleine Worte waren nicht viel, aber für den Moment mussten sie reichen.