Читать книгу Das Elfenbeintor der Träume - Amanda Kelly - Страница 4
ОглавлениеDer Abschlußtraum
WELCHE TRAUMARTEN EXSTIEREN?
Es mag zwar eigenartig anmuten, mit der Erklärung über die Bedeutung des Abschlußtraums zu beginnen, denn es gibt selbstverständlich auch den Eröffnungstraum. Meine Absicht ist es, Ihnen gleich vorweg die Früchte der Arbeit mit Traumdeutung vorzulegen. Wie ein Konditor, der Ihnen erst die fertige Torte zeigt, bevor er sie verkauft.
Bleiben wir bei dem Beispiel mit dem Mann, dessen Trauma, also eine nicht verarbeitete seelische Verletzung nie aufgearbeitet worden ist: durch die Verdrängung über all die Jahre, sieht sich sein Unterbewußtsein nun gezwungen, einen neuen Traum zu produzieren, einen ganz anderen Traum, anders als der Albtraum, den der Wächter zurückgehalten hat. Der Albtraum hätte Kinder gezeigt, die weinen, weil sie geschlagen worden sind. Der neue Traum zeigt vielleicht einen Bauern, der Korn aus seinem Weizen drischt. Der Träumer würde die Bedeutung nicht verstehen, aber zumindest darüber nachdenken. Wenn die Verdrängung des Mannes über die Erfahrung geschlagen worden zu sein sehr stark ist, könnte er denken, dass selbst Weizen geschlagen werden muss, um Korn hervorzubringen und später zu Brot wird für die Menschen zum Essen. Er könnte denken, dass es ein allgemeiner Faktor im Leben ist. Seine Eltern könnten so mächtig gewesen sein, dass es kein Hinterfragen nach dem Grund gab und keine Forderung nach einer Entschuldigung. Allerdings wird das Unterbewußtsein nie mit so einer Betrachtungsweise einverstanden sein. Es hat ein hohes Niveau an Moral inne und wird so lange versuchen, uns die Augen über Handlungen wie diese zu öffnen, bis wir bereit sind, uns damit auseinanderzusetzen. Es will dem Mann klar machen, dass seine Eltern ihm sagen müssten, dass es ihnen leid tut, ansonsten würde er nicht mehr mit ihnen sprechen. Sein Ziel ist es, ein besseres Leben zu führen. Wenn er mit seinen Eltern weitermacht, als wäre nie etwas geschehen, wird er vielleicht einmal seine eigenen Kinder schlagen, obwohl er das gar nicht wollte. Nach dem Gewaltausbruch könnte der Mann das eigenartige Gefühl bekommen, als hätte nicht er selbst das getan, sondern eine andere übermächtige Energie.
Was würde mit dem Mann geschehen, wenn er sich mit seinen Träumen intensiv beschäftigt? Er würde darüber nachdenken, warum ein Traum auftaucht, in dem Korn gedroschen wird. Er könnte darauf kommen, dass Korn auch jung ist und aus dem Schoße des Weizens gewonnen wird. Im günstigsten Fall würde er reflektieren, dass auch er geschlagen wurde, als er jung war und über den Vorfall mit seinen Eltern sprechen. Wären seine Eltern in der Lage, sich daran zu erinnern und sich bei ihm dafür zu entschuldigen, würde dieser Traum nie wieder auftauchen. Hat er keinen engen Kontakt zu seinen Eltern oder sind sie bereits verstorben, so dass er seine seelische Verletzung nicht mehr zur Sprache bringen kann, erscheint ihm irgendwann, nach möglicherweise sehr langer Zeit ein ähnlicher Traum. Der Bauer drischt wieder Korn, aber die Bäuerin lobt ihn für seinen Fleiß im Traum. Hier setzt die wertvolle Aufgabe des Traums und der Traumdeutung ein, die uns bei allem hilft, was uns beschäftigt und ein Leben lang begleitet: der Träumende hat die Erlebnisse seiner Kindheit verarbeitet. Nur durch diesen Zusatz, dass etwas Gutes im Traum geschieht, als die Bäuerin ihren Mann für seinen Fleiß würdigt, kommt die geleistete Arbeit an dem Trauma zum Abschluss. Der Mann hatte sich vielleicht schon vorher oft Gedanken darüber gemacht, dass er seinen Eltern verzeihen könnte und doch blieb noch ein Gefühl an Wut und Hass übrig. Wenn ihm jedoch der Abschlußtraum mit seiner positiven Note erscheint, kann er sicher sein, dass er seinen Eltern bis in die tiefsten Schichten seines Selbst verzeihen konnte. Von jetzt an wird er in der Lage sein, sein Leben unbehelligt fortzusetzen.
Ein lebendiges Beispiel für einen Abschlußtraum und die Arbeit an den Traumata, die Menschen zu bewältigen haben, liefert die folgende Geschichte. Eine Frau war das Opfer einer Vergewaltigung. Im Alter von 27 Jahren wurde sie von einem sehr starken Mann auf unglaublich brutale Weise vergewaltigt. Sie fürchtete sich so sehr, dass es viele Jahre gedauert hat, bis sie zur Polizei ging, um zu erzählen, was passiert war. Der Mann war der Polizei bereits wegen verschiedener Straftaten bekannt. Sie erkannte sein Gesicht im Archiv des Polizeibüros. Als der Vergewaltiger die Anzeige erhalten hatte, beauftragte er einen Freund bei der Frau anzurufen, um ihr nahe zu legen, die Anzeige zurückzuziehen. Falls nicht, würde er ihr noch viel Schlimmeres antun. Die Frau war so eingeschüchtert von dem Telefonat, dass sie dem Polizeibeamten eine Postkarte schrieb mit der Bitte, die Untersuchung einzustellen. Sie erklärte auch, warum sie das getan hat, aber wie jeder weiß: wo kein Kläger, da kein Richter.
Die Frau hatte nie einen Traum von der Vergewaltigung, aber ihr tägliches Leben war stark beeinflußt von Gedanken der Wut und des Hasses. Es ärgerte sie, dass der Kriminelle ohne Strafe davon kommen würde. Manchmal war sie ganz depressiv, wenn sie nur an die Vergewaltigung dachte, hauptsächlich wegen der Brutalität, die der Mann an ihr verübt hatte. Sie mißtraute starken Männern im Allgemeinen seitdem, heiratete jedoch einen starken Mann 12 Jahre später, als sie bereits 39 alt war. Die Ehe hielt nur wenige Jahre, bis sie ihren Ehemann wieder losgeworden war. Mit 45 Jahren verliebte sie sich in einen sehr liebevollen Mann. Er war nicht stark, im Gegenteil eher schwach und zart. Nach einem Jahr kam es zum Streit, weil er in eine andere Stadt ziehen wollte. Sie hat ihn geschlagen, nachdem sie ihn auf den Boden gedrückt hat und seine Arme genauso fest zusammenhielt, wie es einst ihr Vergewaltiger getan hatte. Die Beziehung hielt nicht mehr sehr lang. Ihre große Liebe hatte sie verlassen. Die Frau war so traurig nachdem er weg war. Ein Freund ihres Geliebten erzählte ihr, dass er es nicht vergessen konnte, dass sie ihn geschlagen hatte. Sie träumte ständig von ihm. Jeder Traum endete wie der andere: „Er war plötzlich verschwunden.“ Tief in ihrem Inneren wusste die Frau, dass es ihre Schuld war, dass er gegangen war. Sie besann sich wieder auf die Vergewaltigung und ihre Gedanken kreisten um eine Lösung, um endlich wieder ein unbelastetes Leben führen zu können.
Sie entschloss sich, dem Vergewaltiger zu vergeben. Sie hatte von einer berühmten Bibelpredigerin gehört, dass durch Vergebung Heilung der Seele erreicht werden kann, was als erstes für einen selbst gut sein soll. Sie stellte sich vor, dass sie mit 27 sehr hübsch und unglaublich attraktiv gewesen sein musste, was sie mit 48 noch immer war. Sie stellte sich vor, dass der Mann vielleicht nicht anders handeln konnte. Sie versuchte angestrengt, ihrem Vergewaltiger zu verzeihen und wurde ruhiger. Trotzdem war sie immer noch traurig über die Umstände im Ganzen, bis ihr ein ganz spezieller Traum erschienen ist: „Ein Mann, der anscheinend sehr stark war, versuchte ihre Wohnungstüre, die aus Holz war zu öffnen. Die Tür war wirklich aus massivem Holz und hielt ihn noch eine Weile draußen. Aber er hatte so eine Kraft, dass er sie schließlich durchbrechen konnte. Sie hatte fürchterliche Angst. Genau in dem Moment, als er sie nach unten zwang und ihr etwas antun wollte, öffneten sich die beiden Türen ihres Kleiderschranks und zwei Polizisten kamen heraus. Nachdem die Polizeibeamten den Mann festgenommen und ihn fort gebracht hatten, schaute sie in ihren Schrank, weil sie sich darüber wunderte, wie die beiden sich darin aufhalten konnten. Sie sah, dass auf dem Boden des Schranks blaue Kissen lagen. Sie sah deutlich Eindrücke auf den Kissen, so als ob sie schon lange Zeit auf ihnen gesessen hätten.“ - Als sie am Morgen aufwachte und die Einzelheiten ihres Traums aufschrieb, erkannte sie, dass es der Kleiderschrank war, den sie in ihrer Wohnung zum Zeitpunkt der Vergewaltigung stehen hatte. Plötzlich spürte sie, dass es vorbei war. Von jetzt an war sie in der Lage, an das Verbrechen zu denken, ohne dass es sie emotional berührte.
Nach einiger Zeit konnte diese Frau endlich auch den Verlust über ihren Freund verarbeiten. Immer wieder hatte sie von Szenen geträumt, in denen sie zusammen waren, bis er regelmäßig im Traum verschwunden war. Dann tauchte ein komplett anderer Traum auf: „Sie sah ihren Freund auf dem Boden liegen. Er war ganz dick geworden und schien ohnmächtig zu sein, als sie sich zu ihm herunter beugte. Nur an seinem Mund hatte sie ihn erkannt.“ - Das Dicksein ihres Exfreundes lieferte den Hinweis, dass etwas zum Vorteil gegenüber der Träumenden gelangen würde. Der Vorteil lag darin begründet, dass die Frau nun mit ihm abschließen konnte. Er besaß keine Macht mehr über sie, denn er war ja ohnmächtig im Traum.
Der Klassiker unter den Abschlußträumen ist der Traum über einen Verstorbenen, der uns sehr nahe gestanden ist. Träumen Sie von dieser Person, neigt sich die Trauer dem Ende zu. Sie brauchen sich nicht zu fürchten, wenn Sie vom Tod im Allgemeinen träumen. Es bedeutet meistens, dass Sie etwas innerlich abschließen können, was Ihnen Kummer und Sorgen bereitet hat.