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Pame Isar

Stelios und Tamara waren nun bereits ein eingespieltes Team. Kaum jemand ging noch mit ihnen aus, außer einer, sein bester griechischer Freund Giorgos. Der hasste jedoch Spielautomaten. Stelios konnte dann nicht spielen. Giorgos war wesentlich älter, sozusagen ein väterlicher Freund, was Sinn machte, weil Stelios schon im Alter von 12 Jahren seinen Vater verloren hatte. Sie suchten entweder Lokale auf, in denen keine Automaten standen oder besuchten Giorgos in seinem Personalzimmer, das er in dem Haus neben einer großen Gastwirtschaft im Naturschutzgebiet bewohnte. Stelios konnte bei ihm völlig abschalten. Zumindest sah es nach außen hin so aus. Weit und breit keine Automaten, nicht ein Supermarkt, oder ähnliches. Sie saßen oft auf dem langen Balkon, zu dem alle Personalzimmer führten, sahen sich mit dem Fernglas seltene Vögel in den Baumwipfeln an und tranken Bier aus der Flasche. Giorgos war ein guter Gastgeber. Er freute sich immer, wenn Stelios und Tamara ihm an seinem freien Tag einen Besuch abstatteten. Außer er war bei seiner Freundin, die weiter weg wohnte. Marco, ein italienischer Mitbewohner kochte gern Spaghetti. Der ehemalige Hausmeister wohnte auch da. Er war schon in Rente und hatte immer einen Vorrat an Bier, falls es den Jüngeren ausging. In der Nähe war ein kleiner See mit romantischem Biergarten und Bootsverleih. Die Besuche endeten meistens damit, dass alle drei gemeinsam in dem Doppelbett von Giorgos schlafen mussten. Um acht Uhr abends fuhr nämlich der letzte Bus zurück in die Stadt. Ab und zu bestellte Tamara ein Taxi nach Hause, aber eigentlich war es wie Urlaub und da gehörte eine Übernachtung dazu.

„Warum du immer sprechen mit Leute?“ fragte Stelios gereizt. Tamara hatte einen Gast darauf aufmerksam gemacht, dass er im Vorbeigehen Richtung Toilette mit seiner Jacke am Gitter des Heizkörpers hängengeblieben war und es deswegen auf den Boden knallte. Sie erklärte es Stelios mit Händen und Füßen. Aber darum ging es ihm eigentlich gar nicht. Er war schon seit geraumer Zeit am Verlieren und sehr wütend. Er bestellte noch mehr Bier, was Tamara eigenartig fand, denn sie hatten noch genug im Glas. Stelios konnte es nicht ausstehen, wenn das Bier abgestanden war. Tamara war es eigentlich nicht gewohnt, so viel zu trinken. Sie hatte es mit der Zeit dankbar als Beruhigungsmittel angenommen, weil sie unter großer Anspannung litt, wenn Stelios beim Spielen eine Pechsträhne hatte. Der Wirt kam, in weiser Voraussicht, mit hochprozentigem Metaxa zu den beiden. Er wollte sich mit den Schnäpsen indirekt bedanken, weil er an Stelios´ Verlust schließlich mitverdiente. Seine eigenen Nerven wollte er natürlich auch beruhigen, denn er wusste, wie das wieder enden würde.

Stelios konnte einfach nicht aufhören. Auch wenn er kein Glück mehr hatte, holte er immer wieder Geld aus seiner Hosentasche und steckte es in den Automat. Er fing an zu fluchen: „Yamoto Panagia! - Butana! - Scata!“ Tamara, die der griechischen Sprache nicht mächtig war, merkte zwar, dass es Schimpfwörter waren, das war ja nicht zu überhören; sie wusste aber nicht, was sie bedeuten. Pavlos, ein gebildeter Grieche, der immer an der kleinen Bar bei den Spielautomaten sein Weißbier getrunken hat und fließend Englisch sprach, versuchte Stelios in seiner Landessprache zu mäßigen, weil er so etwas nicht hören wollte. Stelios war kurz ruhig, fing dann aber wieder damit an. Tamara fragte Pavlos, was die Wörter bedeuten. Pavlos war nicht bereit, es ihr zur erklären; nur so viel, dass kein Grieche so sprechen dürfte. Stelios wurde noch ärgerlicher, weil seine Freundin mit Pavlos quatschte. Er legte nach: „Butana! - Aigamissou! - Yamoto Panagia!“ Der Wirt kam angebraust und warnte ihn auf deutsch: „Wenn du nicht damit aufhörst, musst du gehen!“ Tamara wäre gern gegangen und bat ihn: „Gehen wir nach Hause.“ Er wies ihr Anliegen jedoch von sich wie ein störrisches Kleinkind, das nicht ins Bett gehen will: „Nein, du zu Hause. Kein Problem. Stelios keine gehen.“

Der Sturm legte sich wieder. Stelios gewann diverse Runden. Es war kurz vor fünf Uhr morgens. Der Wirt nahm die allerletzten Bestellungen entgegen. Seine Bedienung servierte die Getränke und kassierte dann ab. Man durfte in Ruhe austrinken. Stelios durfte auch noch weiterspielen. Tamara sah, dass er in den letzten Zügen lag. Er verlor das gewonnene Geld wieder und konnte nichts mehr dagegen unternehmen, weil er keins mehr hatte. Der Wirt hat dann alle Gäste gebeten, zu gehen. Das brauchte er Stelios nicht zweimal sagen. Das Spiel war aus! Kein Cent mehr drin, kein Cent mehr zu holen! Stelios lief ohne Worte raus. Tamara ging ihm nach. Sie bezahlte seit langem das Taxi nach Hause, egal, ob er noch Geld hatte oder nicht. Sie wollte etwas zu dem Abend beitragen, weil sie auch arbeitete und eigenes Geld hatte. Sie winkten sich normalerweise ein Taxi, weil hier ständig welche vorbei gefahren sind. Heute lief Stelios aber einfach weg, in eine ganz andere Richtung. Er wirkte total niedergeschlagen. Tamara ging eine Weile neben ihm her. Am Ende der Anhöhe verlief eine andere große Straße hinunter Richtung Stadtmitte. Die sind sie entlang gegangen, als Stelios wieder sprechen konnte: „Stelios keine good Mann. Stelios Malaka. Kuckst-du, keine Geld.“ Dabei zog er seine Hosentaschen heraus und bezeugte deren Leere. „Keine Geld. Keine Zigarette.“ Dabei nahm er seine Zigarettenschachtel aus der Jackentasche, steckte sich die letzte in den Mund, warf die leere Schachtel weg, indem er sie zerknüllte und einfach fallenließ. Er zündete sie sich an und resümierte: „Tamara, diese nix good Mann.“ Dabei deutete er auf sich. „Kuckst-du andre Mann“, empfahl er. „Nein, ich will nicht. The thello andre Mann. Thello diese“, konterte sie, dass sie keinen anderen Mann will, sondern diesen und deutete auf ihn. „Warum?“ wollte Stelios wissen. „Keine Ahnung“, antwortete sie. In Wirklichkeit wusste Tamara, dass sie ihn nie verlassen könnte.

Sie erreichten zu Fuß allmählich wieder den Stadtteil, wo beide wohnten. Nach einigen Minuten des Schweigens fragte Stelios anheimelnd: „Pame Isar?“ Tamara dachte, was für ein gutes Zeichen, dass er an den Fluss gehen und mit ihr die sternenklare Nacht genießen wollte. Tagsüber sind sie oft an der Isar spazierengegangen, wenn er seinen freien Tag hatte. „Okay, gehen wir an die Isar“, antwortete sie, glücklich darüber, dass die Krise überwunden war. Sie irrte sich gewaltig. Sie kamen recht flott voran, Arm in Arm immer weiter an ihren Wohnungen vorbei Richtung Isar, als er leise sagte: „Stelios blubb-blubb Isar, kommst-du?“ Worauf sie fragte: „Was? Stelios swimming?“ Er das jedoch verneinte: „Orchi, Stelios keine swimming. Stelios fertig. Stelios blubb-blubb. Kommst-du?“ Jetzt verstand sie. Er wollte sich umbringen! Nach kurzem Zögern stimmte sie zu: „Okay, zusammen blubb-blubb.“ Tamara war in dem Moment wirklich traurig, einfach weil er am Ende und so traurig war. Sie fand es sogar romantisch, dass er mit ihr zusammen ins Wasser gehen wollte. Sie war von seinen Gefühlen so angetan, als er vor kurzem meinte, seine Liebe würde täglich wachsen und sie fragte, ob es ihr genauso ginge. Natürlich ging das nicht so leicht von der Hand. Sie hatten sich eine eigenartige Sprache angeeignet, die aus Deutsch, Griechisch und Englisch zusammengeschustert war.

Kurz bevor sie an der Straße ankamen, die man überqueren musste, um an die Fluss Auen zu gelangen, regte sich doch Widerstand bei Tamara: „Ach, ich weiß nicht. Keine blubb-blubb. Tamara müde. Kein Problem, Stelios keine Geld. Wir sind gesund und sollten ins Bett gehen.“ Wie auf Befehl bog er mit ihr im Arm links ein in diese Straße, wodurch sie dann im Karree wieder als erstes zu Tamaras Wohnhaus gelangen würden. „Aha, dora Tamara mu´ede. Schlafen, ha?“ meckerte er. „Es ist doch alles in Ordnung. Wir haben doch uns“, sagte sie, ohne daran zu denken, dass er vielleicht gar nichts versteht. „Stelios keine schlafen, malagies!“ erwiderte er. „Aber ich muss morgen arbeiten. Ich muss ein bißchen schlafen. Denk´ doch mal an mich!“ forderte Tamara. Stelios rannte ein Stück weg, drehte sich um und bäumte sich vor ihr auf. Er fasste sich mit beiden Händen an den Kopf und forschte sarkastisch nach: „Du denken, Stelios keine denken Tamara?“ Komisch, er hatte es verstanden, aber irgendwie in den falschen Hals bekommen. Sie versuchte ihn zu beruhigen. Sie sind dann zwar weiter gegangen, aber er lief wieder vor ihr her, nur diesmal auf der linken Seite. Als sie an ihrem Haus ankamen, wischte er mit seiner Hand nach hinten alles von sich weg, wie er es den ganzen Weg schon abfällig getan hatte. Deutlicher hätte er seine Enttäuschung nicht zeigen können. Tamara hatte allerdings einen Sohn und würde sich nie umbringen. Sie fragte gar nicht mehr, ob er mit zu ihr rauf kommen will, er ging sowieso weiter und ist links in die Seitenstraße eingebogen, wo er wohnte. Tamara tat nur so, als würde sie reingehen. Sie wartete eine Weile, ging auch in die Seitenstraße und sah Stelios schon von weitem vor seiner Haustür stehen, einfach nur dastehen, wie eine Statue. Sie ging auf ihn zu, sagte nichts, sondern nahm ihn in die Arme und drückte ihn. Er ließ sich eine Minute trösten, löste sich von ihr, sagte: „Pame Stelios Zimmer“ und machte die Haustür auf. Ohne Worte haben sie sich ausgezogen, in sein schmales Bett gelegt und sind eng aneinander geschmiegt eingeschlafen, sein Bauch an ihrem Rücken.

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