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Ein Kind

Eine Zeit der Ruhe kehrte ein. Es gab eine gute Nachricht zu verkünden: Tamara war schwanger. Stelios, der noch keine Kinder hatte, freute sich unheimlich und streichelte jeden Abend ihren kleinen, aber stetig wachsenden Bauch, zärtlich und stolz zugleich. Beide fühlten sich wie im siebten Himmel. Tamara hörte natürlich sofort auf, jeglichen Alkohol zu trinken. Stelios war oft zu Hause und dachte nicht im Entferntesten daran zu spielen. Tamara kam auf die Idee, einen Schwangerschaftstest zu besorgen. Zum Frauenarzt wollte sie nicht gehen, weil der Ultraschall machen würde und sie danach früher einmal ein Kind verloren hatte. Sie wartete bis Stelios wieder, wie jeden Montag, frei hatte. Als er aus seinem Zimmer zu ihr in die Wohnung rauf kam, ging sie ins Bad und machte den Test. Mit dem Stäbchen in der Hand setzte sich Tamara zu ihm ins Wohnzimmer. Ohne viel Verständigung war Stelios klar, dass man abwarten muss, wie der Test ausfällt. Sie warteten geduldig auf das Ergebnis.

Doch, oh Schreck! Was war das? Das Ergebnis zeigte eindeutig „negativ“. Tamara ahnte Schreckliches und fing an zu weinen. „Was, was?“ fragte Stelios. „Keine schwanger, keine Kind“, versuchte sie ihm in Anpassung an seine miserablen Deutschkenntnisse zu erklären. Während sie sich völlig ihrer Trauer hingab, blieb er ruhig sitzen, wie erstarrt, was ihre Melancholie noch verstärkte. „Stelios weg“, kam es krächzend aus seinem Mund heraus. Er stand auf, entfernte sich resolut und ließ die Wohnungstür zuknallen. Die war immer laut, wenn man sie nicht mit dem Schlüssel von außen leise zumachte. Das hatte eigentlich nichts zu bedeuten. Tamara dachte: Aus und vorbei! Sie haderte mit ihrem Schicksal. Ganz allein gelassen ist sie noch mal zur Apotheke gegangen und hat sich einen neuen Test gekauft, in der Hoffnung, sie hätte bestimmt nur etwas falsch gemacht. Diesmal hatte sie das Gefühl, die Apothekenhelferin würde sie komisch ansehen, nach dem Motto: `Die alte Schachtel will es wohl nicht wahrhaben´. Tamara fühlte sich so mies. Okay, sie hatte die Vierzig schon überschritten, sah dennoch super aus. Aber, so ist es eben: Öffnet man dem Teufel einmal Tür und Tor, kriegt man das Unheil schwer wieder los. Das sollte sich leider bewahrheiten, wie die folgenden Stunden zeigten.

Nachdem der zweite Test auch negativ ausgefallen war, zog Tamara los, um ihren Freund zu suchen. Stelios musste sie doch auffangen, die Leere wieder auffüllen, die sie empfand. Sie könnten sich doch gegenseitig trösten, nach ein paar Bieren alles vergessen und wieder von vorne anfangen. Sie freute sich schon auf ein Weißbier, das würde ihre Nerven beruhigen. Nach so langer Zeit, immerhin acht Wochen, hatte sie richtigen Durst darauf. Sie fand Stelios in der großen Eckkneipe, wo sie sich das erste Mal gesehen hatten und - wie sollte es anders sein - er stand am Spielautomat. Er hatte eine eigenartige Körperhaltung eingenommen, er stützte sich an ihm ab. Tamara erkannte schnell, dass er am Verlieren war und bestellte schnell etwas. Sie hatte das Gefühl, sie müsste ganz schnell trinken, weil eine Katastrophe herannahte und sie vielleicht nicht mehr dazu käme. Stelios schlug entgegen seiner Gewohnheit plötzlich auf den Automat ein und rief: „Scata!“ Er hatte Tamara kaum beachtet, als sie rein gekommen war. Sie saß an dem runden Tisch bei den Automaten. Was heißt Tisch? Das war ein rundes, dickes Brett, befestigt auf einem alten Metallfass. Drumherum standen Barhocker. Dieser Bereich befand sich gleich beim Eingang und war sozusagen die Spielecke. Der Rest war eingerichtet wie eine ganz normale Gastwirtschaft.

Bumm! Wieder schlug Stelios mit seiner Faust auf das Display des Automaten und fluchte. Neben ihm spielte Roland, ein Deutscher, der schon entnervt zu ihm rüber schaute. Tamara trank und trank, weil sie betäubt sein wollte. Der Wirt kam, ein großer, kräftiger, jedoch sehr liebevoller Mensch und sagte Stelios in aller Ruhe, dass er das nicht machen dürfte. Stelios beschwerte sich bei ihm: „Diese Avtomat falsch. Alles falsch. 200 Evro!“ Seine Augenlider flatterten dabei, als würde er gleich durchdrehen. Trotz seines Verlustes blieb der Wirt dabei, wenn er nicht aufhörte, auf den Automat einzuschlagen, müsste er gehen. Tamara bekam einen Schock: 200 Euro verspielt innerhalb von höchstens zwei Stunden. Betrunken schien er auch zu sein. Er musste ja noch schneller getrunken haben. Geld war anscheinend auch da. Stelios hatte sich ja viel gespart in den letzten Wochen. Wahrscheinlich ist er zu seinem Chef in die Wohnung gegangen und hat sich Vorschuss geholt. Der wohnte auch in der Nähe.

Stelios hörte nicht auf zu spinnen. Tamara sah gar nicht mehr hin, versuchte sich abzulenken. Der Wirt kam und sprach mit fester Stimme zu ihm. Stelios rastete komplett aus, fuchtelte mit seinen Armen in der Luft herum und schrie fast: „Alles falsch diese, alles weg, 200 Evro!“ Er war außer sich. Tamara bekam Herzrasen. Roland drehte sich um, machte sich groß wie ein Gorilla und schob seine Brust an Stelios heran. „Wenn du keine Ruhe gibst, schmeiß´ ich dich persönlich raus!“ Das sah sehr imposant aus. Roland war ein gutaussehender, vom Sport gestählter Mann. Stelios sah vor ihm aus, wie eine abgemagerte, alte Frau und krümmte seinen Körper in eine demütige Haltung. „Ruhe, ja. Stelios Ruhe, okay“, beschwichtigte er ihn. Roland ließ von ihm ab und spielte sofort weiter. Der Wirt hat sich auch wieder zurückgezogen. Tamara nahm all ihren Mut zusammen, ging zu Stelios, der weiter gespielt hat, fasste ihn am Oberarm und sagte: „Gehen wir nach Hause.“ Verächtlich hat er seinen Arm ihrem Griff entzogen und eine abweisende Handbewegung gemacht, mit den Worten: „Tamara nach Hause. Stelios weg.“ Er ließ die restlichen Münzen raus prasseln, nahm sie schnell an sich und ist davon gelaufen.

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