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Es gibt einen weiteren nicht-empirischen – und möglicherweise einfacheren – Grund dafür, warum die Sichtweise auf den Menschen in ökonomischen Modellen dazu neigt, die eines eigennützigen Egoisten zu sein. Eine Möglichkeit, die Interessen einer Person unabhängig davon zu definieren, was diese tut, besteht darin, in jedem einzelnen Wahlakt eine Förderung der eigenen Interessen zu sehen.12 Obwohl dieser Ansatz erst vor relativ Kurzem im Kontext der Theorie der offenbarten Präferenzen formalisiert wurde, ist er schon ziemlich alt – bereits vor zweieinhalb Jahrhunderten argumentierte Joseph Butler gegen diesen in der Rolls Chapel.13 Die Reduzierung des Menschen auf ein eigennütziges Tier hängt in dieser Theorie von einer sorgfältig formulierten Definition ab. Gesetzt den Fall, dass beobachtet wird, dass Sie x wählen und y ablehnen, wird erklärt, dass eine Präferenz von x gegenüber y »offenbart« wurde. Ihr persönlicher Nutzen wird dann als eine numerische Repräsentation dieser »Präferenz« definiert, indem der »präferierten« Alternative ein höherer Nutzen zugeschrieben wird. Durch diese Definitionen kann man einer Maximierung des eigenen Nutzens kaum entkommen, es sei denn durch Inkonsistenz. Natürlich können Sie einen Theoretiker der offenbarten Präferenz daran hindern, Ihnen eine Präferenzordnung zuzuweisen, indem Sie bei einer Gelegenheit x wählen und y ablehnen und dann prompt zum genauen Gegenteil übergehen. Auf diese Weise halten Sie ihn von einer Prägung durch eine Nutzenfunktion ab, die Sie per definitionem zu maximieren hätten. Er wird dann daraus schließen, dass Sie sich entweder inkonsistent verhalten oder dass sich Ihre Präferenzen geändert haben. Sie können einen Theoretiker der offenbarten Präferenz auch durch komplexere Inkonsistenzen frustrieren.14 Verhalten Sie sich jedoch konsistent, dann wird es in dieser verwunschenen Welt der Definitionen so scheinen, als würden Sie den eigenen Nutzen maximieren, unabhängig davon, ob Sie ein aufrichtiger Egoist, ein rasender Altruist oder ein Kämpfer für Klassenbewusstsein sind. Wollte man Terminologie aus dem Bereich des Steuerwesens entlehnen, so würde die Arrow-Hahn-Rechtfertigung der Egoismus-Behauptung zu einer Vermeidung [avoidance] des Problems, während der Ansatz der offenbarten Präferenz eher wie eine starke Umgehung [evasion] aussieht.

Dieser Ansatz des definitorischen Egoismus läuft manchmal unter dem Namen der rationalen Wahl, und umfasst nichts anderes als innere Konsistenz. In diesem Zugang werden die Entscheidungen einer Person als »rational« dann und nur dann betrachtet, wenn alle diese Entscheidungen durch eine Präferenzbeziehung erklärt werden können, die mit der Offenbarten-Präferenz-Definition übereinstimmt, wenn also alle Entscheidungen als Wahl der »am meisten bevorzugten« Alternativen durch eine postulierte Präferenzbeziehung erklärt werden können.15 Der Grundgedanke dieses Ansatzes scheint auf der Idee zu basieren, dass der einzige Weg, um die wahren Präferenzen einer Person zu erfassen, darin besteht, ihre tatsächlichen Entscheidungen zu untersuchen, und dass kein entscheidungsunabhängiger Weg sich zeigt, um Einstellungen zu Alternativen zu begreifen. (Diese Sicht ist übrigens nicht nur auf Ökonomen beschränkt. Als ich vor vielen Jahren meinen Eignungstest für Englische Literatur an der Universität Kalkutta ablegen musste, lautete eine der Fragen zu Ein Sommernachtstraum: »Vergleichen Sie die Charaktere von Hermia und Helena. Für welche würden Sie sich entscheiden?«)

Ich habe an anderer Stelle zu zeigen versucht, dass dieser Ansatz, wenn wir die eigentümlichen Definitionen von Präferenz und Wohlfahrt meiden, sowohl zu viel als auch zu wenig voraussetzt: zu wenig deshalb, weil nicht auf Wahl basierende Informationsquellen zu Präferenz und Wohlfahrt – wie diese Begriffe normalerweise verstanden werden – existieren, und zu viel deshalb, weil eine Entscheidung womöglich einen Kompromiss aus einer Vielfalt an Überlegungen widerspiegelt, von denen persönliches Wohl nur eine sein könnte.16

Die komplexen psychischen Vorgänge, die der Wahl zugrunde liegen, wurden jüngst in einigen eindringlichen Studien, die sich mit Konsumentenentscheidungen17 und Produktionsaktivitäten18 befassten, wirkungsvoll hervorgehoben. Die Frage ist mehr als offen, ob diese Verhaltensmerkmale überhaupt innerhalb der formalen Grenzen der konsistenten Wahl, auf denen die Theorie der Wohlfahrtsmaximierung beruht, festgehalten werden können.19

Rationale Dummköpfe. Eine Kritik der Verhaltensgrundlagen der Ökonomischen Theorie

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