Читать книгу Echte Freundschaft - Aminatou Sow - Страница 5
Prolog
ОглавлениеEs hätte ein perfektes Wochenende werden sollen. Der Eingang zum Spa war ein weißes Gebäude im Missionsstil mit einem breiten Torbogen, über dem in Relief die Worte »Natural Baths« standen. Dahinter befand sich die eigentliche Attraktion, ein Mineralbecken von olympischen Ausmaßen, von dem gemächlich Dampfschwaden aufstiegen. Die Kulisse war umringt von Hügeln und Palmen. Und während die nordkalifornische Sonne hinter den Kiefern verschwand, saßen wir dort: zwei Frauen auf nebeneinanderstehenden Betten in einem der malerischen Cottages auf dem Gelände. Jede von uns in einen flauschig weißen Bademantel gehüllt. Ann bestellte am Telefon eine Pizza und einen Caesar Salad, Aminatou wählte einen Film aus. Für die nächsten achtundvierzig Stunden hatten wir nichts anderes geplant als eine Reihe von Wellness-Behandlungen Seite an Seite – mit genügend Zeit, um uns zwischendurch im Pool treiben zu lassen.
Die E-Mails, die wir einander vor dem Ausflug geschickt hatten, bestanden nur aus Ausrufezeichen und Versprechungen: »Ich mache auf jeden Fall ein Schlammbad, weiß aber noch nicht, ob auch ein Körperpeeling. Vielleicht eine Gesichtsbehandlung??« »Oooh, das Schlammbad ist inklusive!« »JA zum kostenlosen Schlammbad! Und zu diesem Kurztrip.« Sobald wir angekommen waren, schickten wir fröhliche Updates an gemeinsame Freundinnen, die nicht mit dabei waren: »Hi aus dem Spa in Napa!« In den Social Media posteten wir hübsche Fotos von unseren aufeinander abgestimmten Animal-Print-Schuhen und umwerfende Aufnahmen vom Glitzern der Sonne auf dem dreiunddreißig Grad warmen natürlichen Thermalbecken.
Allem äußeren Anschein nach waren wir zwei gesunde, wohlhabende Frauen, die einen phantastischen Kurzurlaub machten. Es war der Stoff, aus dem stereotype »Mädelswochenenden« gemacht sind, jene extravaganten Ausflüge, von denen wir nur geträumt hatten, als wir uns in unseren Zwanzigern pleite kennenlernten. Nach jahrelanger Freundschaft und zu einem Zeitpunkt, als so viele unserer beruflichen Träume sich langsam verwirklichten und große Teile unseres Lebens sich zu fügen begannen, hätten unsere stressfreien Stunden im Spa genauso idyllisch sein sollen, wie die Fotos den Anschein erweckten.
Aber wir waren unglücklich.
Wir waren auf die Weise unglücklich, bei der man vorgibt, man wäre es nicht, einsam hinter unseren jeweiligen emotionalen Schutzmauern. Nach nur wenigen Stunden fühlte sich der Ausflug an wie ein unangenehmes Familientreffen oder ein trauriges Paar-Retreat, jene Sorte allzu bemühter Kurztrips, die eine verblassende Beziehung wiederbeleben sollen. Wir waren weder ein romantisches Paar noch entfremdete Familienmitglieder, aber für uns stand ebenso viel auf dem Spiel.
Wir hatten uns fünf Jahre zuvor kennengelernt und waren füreinander schnell unentbehrlich geworden. Kennt ihr diesen Clip, in dem Oprah über Gayle redet? (»Sie ist die Mutter, die ich nie hatte. Sie ist die Schwester, die sich jede*r wünscht. Sie ist die Freundin, die jede*r verdient. Ich kenne keinen besseren Menschen.«) Das war der Grad der Wertschätzung, die wir mit feuchten Augen füreinander empfanden. Wir kannten die Geheimnisse und Lieblingssnacks der anderen wie unsere eigenen. Die meisten unserer Freund*innen hielten uns für ein untrennbares Duo. Außerdem hatten wir einen gemeinsamen Podcast gestartet, daher sahen uns mittlerweile auch viele Fremde auf diese Weise. In der Vergangenheit hatte sich nichts an unserer Freundschaft je erzwungen angefühlt. Wir fanden es großartig, die wichtigste Person im Leben der anderen – und auch als solche bekannt – zu sein. Im Laufe des vorangegangenen Jahres hatte sich jedoch ein Spalt zwischen uns aufgetan. Diese Reise war das Eingeständnis, dass unsere Freundschaft im Begriff war zu scheitern. Wir hofften, ein wenig gemeinsame Zeit und oberflächlicher Luxus könnten sie noch retten.
Am nächsten Tag beim Brunch gingen uns die Gesprächsthemen aus. Am Abend zuvor hatten wir rasch entschieden, auf dem Zimmer zu bleiben und einen Film zu schauen, da das bedeutete, dass wir ein paar Stunden lang nicht sorgfältig abwägen mussten, welche Anekdoten aus unserem Leben wir miteinander teilen sollten, während wir all jene Themen aussparten, die uns emotional zu stark aufgeladen erschienen. Doch hier saßen wir uns nun bei Tageslicht gegenüber. Wir sprachen über das Wetter. Das Essen. Unsere babyzarte Haut nach dem Spa. Unsere Scherze wirkten gekünstelt, und wir wussten beide, dass wir uns nicht wohl genug fühlten für tiefgründigere Themen.
Später, als es Zeit für unsere Gratis-Schlammbäder war, hatten wir Hemmungen, uns voreinander auszuziehen. Das war neu. Wir waren schon unzählige Male gemeinsam in Spa-Umgebungen und Umkleidekabinen von Secondhand-Läden gewesen. Als wir schließlich in unsere jeweiligen Wannen sanken, seufzte Aminatou entspannt auf. Dann warf sie einen Blick zur Seite und sah, dass Ann mit der Hitze zu kämpfen hatte. (Ann ist praktisch eine Eidechse. Entweder sie friert oder schwitzt gerade.) Wie ihr nun bewusst wurde, hatte Aminatou als erfahrenere Spa-Besucherin vergessen, Ann davor zu warnen, dass ein Schlammbad extrem heiß und klaustrophobisch war. Es war nicht Aminatous Absicht gewesen, aber sie war sich sicher, in einer früheren, besseren Phase ihrer Freundschaft hätte sie daran gedacht, Ann darauf hinzuweisen. Plötzlich fühlte auch Aminatou sich nicht mehr so entspannt.
Es erschien wie eine Metapher für unsere dysfunktionale Dynamik.
Später beim Abendessen räumten wir ein, dass unsere Beziehung sich verschlechtert hatte und wir sie wieder besser machen wollten. Es entstanden lange, peinliche Pausen. Normalerweise bauten unsere Gespräche darauf, dass wir alles voneinander wussten, aber wir hatten bereits vor vielen Monaten aufgehört, einander Einzelheiten aus unserem Leben zu berichten. Ann erzählte weder von ihren finanziellen Sorgen noch von ihrem Gefühlschaos beim Gedanken an das Zusammenziehen mit ihrem Freund, mit dem sie bis dahin eine Fernbeziehung geführt hatte. Und Aminatou erwähnte Ann gegenüber erst auf der Fahrt zurück in die Stadt, dass sie mit jemandem zusammen war, den sie wirklich mochte – und zwar schon seit Monaten. Ann hörte seinen Namen nun zum ersten Mal.
Auf dem Heimweg versicherten wir uns selbst, dass es sich nun besser anfühle als vorher. Dass es ein Fortschritt sei, der Beginn einer Rückkehr zu jener Zeit, als unsere Freundschaft uns noch wie ein gleichmäßiger Atem vorkam, so natürlich wie elementar, essenziell und automatisch. Immerhin haben wir voreinander zugegeben, dass unsere Freundschaft Arbeit erfordert, dachten wir beide. Das ist ein Anfang. Wir sprachen diese Dinge jedoch nicht laut aus. Eingeklemmt in unserem Brustkorb saß die Wahrheit: Wir hatten uns beide vor diesem Ausflug gefürchtet, da wir ahnten, ein bezauberndes Setting ohne Ablenkungen würde nur hervorheben, wie groß der Spalt zwischen uns mittlerweile geworden war. Und wir hatten recht gehabt.
Wir hatten keine Worte für das, was gerade mit uns geschah oder was mit unserer Freundschaft passiert war.
Wenn ihr unseren Podcast hört, schreit ihr wahrscheinlich gerade laut auf. Nicht nur, weil wir Frauen sind, die für alles andere stets sehr viele Worte zu haben scheinen, sondern auch, weil unsere Sendung darauf basiert, dass wir ein Herz und eine Seele sind. (Bleibt sexy und spielt eure Freundschaft nicht vor, nur um euren Podcast am Leben zu halten!) Vielleicht fühlt ihr euch von uns betrogen. Aber die Wahrheit ist, dass eine Freundschaft wie unsere, wie jede enge Langzeitbeziehung, kompliziert ist. Viel zutreffender könnte man sagen, dass wir uns selbst betrogen haben, indem wir über so viele Monate hinweg so taten, als wäre alles in Ordnung, obwohl das ganz eindeutig nicht der Fall war.
Es war nicht das erste Mal, dass uns das Vokabular für die Dynamiken und Meilensteine und die Höhen und Tiefen unserer Beziehung fehlte. Aber wenn die Welt uns in der Vergangenheit keine Bezeichnung für etwas bieten konnte, das wir als Freundinnen erlebten, dachten wir uns oft eigene Wörter aus. Wir erfanden einen Begriff für die machtvolle Entscheidung, genauso in unsere Freundinnen zu investieren, wie wir in uns selbst investieren. (Er lautet »Shine Theory«! Ein dermaßen großartiges Konzept, dass von Victoria’s Secret bis zu Reese Witherspoon alle versucht haben, es zu vereinnahmen.) Wir bezeichnen unsere chaotischen, wunderschönen, untereinander verbundenen sozialen Gruppen als »Freundesnetz«. Die guten Dinge im Leben? Wir waren schon immer meisterhaft darin, diese zu beschreiben.
Viel schwerer ist es uns jedoch gefallen, eine Sprache für die komplizierteren Dinge zu finden: Die Frustration darüber, einer Freundin mehr zu geben, als man von ihr zurückbekommt. Die unüberbrückbaren Gräben selbst in den engsten interracial friendships. Die Dynamik, einander wegzustoßen, sogar während man versucht, sich wieder anzunähern. Die Anstrengung, wahren Frieden mit einer langjährigen Freundschaft zu machen, die sich verändert. Uns fehlte sogar ein Wort für die Art von Freundschaft, die wir führen. Begriffe wie »beste Freundin« oder »BFF« erfassen nicht die erwachsene emotionale Arbeit, die wir in diese Beziehung gesteckt haben.
Mittlerweile bezeichnen wir sie als Echte Freundschaft, da es eine der bestätigendsten – und kompliziertesten – Beziehungen ist, die ein menschliches Leben zu bieten hat.
Wir würden euch gern erzählen, dass wir uns nach unserer Rückkehr von unserem traurigen Wellness-Wochenende rasch wieder zusammengerauft und unsere legendäre Freundschaft fortgesetzt hätten. Aber in Wahrheit benötigten wir dafür lange Zeit und mehrere Fehlstarts. Fünf Jahre später sind wir noch immer dabei herauszufinden, wie wir im Leben der anderen zentral bleiben können. Wir suchen noch immer nach den richtigen Worten. Und ehrlich gesagt empfinden wir reichlich Mitgefühl für unsere früheren Ichs, die in jenen separaten Schlammbädern schmorten. Wir können nachvollziehen, weshalb es uns so schwerfiel, zu begreifen, was gerade mit uns geschah. Auf kultureller Ebene gibt es viele Lippenbekenntnisse dazu, wie wundervoll und wichtig Freundschaft sei, aber nur wenig gesellschaftliche Unterstützung dabei, zu beschützen, was daran kostbar ist. Selbst tiefe, andauernde Freundschaften wie unsere benötigen Schutz – und manchmal eine Reparatur.
Wie sind wir also von den wichtigsten Menschen im Leben der anderen zu nahezu Fremden geworden und haben dann wieder zurückgefunden? Und warum sollte sich überhaupt irgendjemand der Tortur aussetzen, zu versuchen, eine komplizierte Freundschaft auf Dauer zu erhalten?
Das ist die Geschichte, die wir euch nun erzählen möchten.
Wir erzählen sie mit einer Stimme und in einem Erzählstrang, da wir euch stets das sichere Gefühl vermitteln wollen: Hey, wir sind immer noch Freundinnen. (Und das sind wir!) Uns darüber klar zu werden, wie wir unsere Geschichte mit einer »Wir«-Stimme teilen können, half uns auch dabei, die Überschneidungen in unseren Erfahrungen zu finden. Natürlich gibt es einige deutliche Unterschiede zwischen uns sowie Stellen, an denen unsere Geschichten auseinandergehen. An diesen Stellen verweisen wir auf uns daher separat als »Aminatou« und »Ann«.
Wir teilen unsere Geschichte nicht, weil wir sie für außergewöhnlich halten. Ganz im Gegenteil. Wir haben so viel Zeit damit verbracht, unsere Freundschaft zu ergründen, weil wir glauben, dass viele ihrer Freuden und Fallstricke ziemlich allgemeingültig sind. Wir hoffen, ihr haltet uns nicht für Expertinnen (ihr werdet bald herausfinden, weshalb wir das nicht sind), sondern stattdessen für zwei Menschen, die einander sehr lieben. Zwei Freundinnen, die auch nach zehn Jahren noch so viel Glück und Geheimnis im Kern ihrer Beziehung finden. Die gemeinsam nach Worten suchen, um sowohl die zahllosen Möglichkeiten als auch die schmerzhaften Herausforderungen einer Freundschaft zu beschreiben. Die obsessiv über die Frage nachdenken, wie sie für immer im Leben der anderen bleiben können.
Uns diese Geschichte gegenseitig zu erzählen, hat uns Erleuchtung und Demut gebracht. Und nun ist es uns eine Ehre, sie euch zu erzählen.