Читать книгу Die Religionen der Kornelia Braun - Amrei Laforet - Страница 4

Eins

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Wir sind auf dem Spielplatz. Meine Eltern sitzen auf der Bank und essen ein Eis. Ich sitze auf dem Schoß meines Vaters und esse mein Eis. „Jetzt bist Du schon fünf“, nuschelt meine Mutter mit vollem Mund. Ich konzentriere mich, nehme mein Eishörnchen in eine Hand- es ist verdammt schwer- und zeige ihr meine andere Hand. Sie wird sich freuen, dass ich verstanden habe, dass ich so viele Jahre alt bin, wie die Anzahl der Finger meiner Hand. Ich lächle sie an und zeige ihr meine Hand. „Oh, die sind ja wirklich verschmiert“, flötet sie. Ich schüttele den Kopf. Aber da kramt sie schon in ihrer Handtasche, auf der Suche nach einem Taschentuch. „Sie wollte Give- me- five machen. Das haben wir neulich geübt“, sagt mein Vater. Mein Eis fällt herunter. Auch das noch. Ich rutsche vom Schoß meines Vaters, kicke mit dem Fuß das Eis in Richtung Mülleimer und stapfe zur Schaukel, die -Gott sei Dank- gerade frei ist. „Du bleibst hier!“, höre ich meine Mutter schnauzen. Aber es sind so viele Menschen auf dem Spielplatz, da wird sie es nicht wagen, mich von der Schaukel zu zerren.

Heute ist Samstag. Aus der Küche duftet es nach Kaffee. Der Geruch schlängelt sich durch den offenen Spalt meiner Kinderzimmertür. Meine Mutter hat nicht das Radio eingeschaltet. Ich höre klassische Musik, während ich fasziniert den glitzernden Sonnenstrahl betrachte, der zwischen den beiden Gardinenhälften in mein Zimmer scheint. Er endet auf dem Teppich, vor der Tür. Er müsste genau auf den schlängelnden Kaffeeduft treffen. Die klassische Musik hört auf. „Es ist neun Uhr und hier sind die Nachrichten“, sagt ein Sprecher äußerst höflich. Sie hatte doch das Radio eingeschaltet. Es ist ein Sender, der klassische Musik spielt. Ich gähne. „Cornelia- Schatz!“, tönt es da spitz aus der Küche. „Möchtest Du auch mit uns Frühstücken?“ Ich schüttele mich. Das ist eine rein rhetorische Frage gewesen. Ich bin zwar erst sieben Jahre alt, aber eins habe ich ja wohl schon begriffen: jeden Samstag wird um neun Uhr gefrühstückt. Weil mein Vater um zehn zum Schachverein muss und meine Mutter garantiert eine Aufführung mit ihrer Balletttruppe hat. Ich strecke meinen Körper so extrem, wie ich kann und kugele mich aus dem Bett. Ich liege auf dem Teppich. Der Sonnenstrahl scheint direkt in mein Gesicht. Es ist ein schönes Gefühl. Der Kaffeeduft schlängelt um meinen Kopf. Plötzlich steht meine Mutter in ihm. Sie schreit. „Kornelia, Konny- Kind, was ist los?! Bist Du aus dem Bett gefallen?!“ „Ja“, murmele ich, „eben gerade.“ Ich höre, wie die Wohnungstür sich öffnet und mein Vater den Flur entlang latscht. Jetzt hört das Geräusch, dass seine großen Füße machen, auf. Er muss nun direkt hinter meiner Mutter stehen. „Was ist los?“, fragt er und man kann an seinem Tonfall hören, dass ihm die Grundsituation nicht behagt. „Was ist passiert?!“, schreit er schon fast. Wenn ich jetzt aufstehe, werde ich Ärger bekommen, da er denkt, ich hätte Mama irgendetwas vorgespielt. Wenn ich liegen bleibe, wird das Gleiche passieren. Also setze ich mich langsam hin. „Nein, es war ja nichts“, sagt meine Mutter, „ich dachte nur, sie…“. „Lass Dich von dem Kind nicht immer verarschen“, brummt mein Vater. Ich drehe mich um und sehe die Tüte mit den frischen Brötchen in seiner Hand. „Lecker, Brötchen“, sage ich, „dann lasst uns mal Frühstücken.“ „Ja“, trällert meine Mutter, „das ist eine gute Idee.“ Nachdem wir alle etwas gegessen haben, lesen wir die Zeitung. Mein Vater hat den politischen Teil, meine Mutter den Kulturteil und ich die Kinderseite. Ich höre, wie meine Eltern hinter ihren Zeitungsblättern miteinander tuscheln. Sie: „Vielleicht sollten wir sie auf Hyperaktivität testen lassen. Das äußert sich doch auch oft in Träumerei und seltsamen Verhaltensweisen.“ Er: „Ich wäre eher für einen Intelligenztest.“ Ich weiß es. ich weiß ganz genau, dass sie nur spielen, ein ernsthaftes Gespräch zu führen. ich weiß genau, dass sie mich zu keinem Arzt bringen würden. Ich musste schon ein paar mal zum Arzt und sie haben mich trotzdem nicht hingebracht. Ich sage ganz laut: „Was sind Helikopter- Eltern?“ „Warum willst Du das denn wissen?“, entrüstet sich Mama. Ich versuche Irgendetwas auf der Kinderseite zu finden, was mit Helikoptern zu tun hat. Ich finde nur eine Hummel. Der Blick meines Vaters ist herausfordernd. „Ja“, beginne ich langsam, „weil…weil, also hier ist eine Hummel und …und wenn es zwei wären, dann wären sie doch….“ Weiter traue ich mich nicht. Aber ich kann mich deutlich daran erinnern, dass meine Klassenlehrerin zu einer anderen Lehrerin gesagt hat, „Ja, ja, Helikoptereltern“, nachdem sie sich von meinen Eltern und mir verabschiedet hatte. Und ich weiß genau, dass sie meine Eltern meinte und dass sie nicht wollte, dass sie es mitkriegen. Aber ich habe gute Ohren. „Also Hummeln“, sagt mein Vater laut und deutlich, „haben nur eine Königin. So, und jetzt muss ich zu meinem guten alten Schachverein.“ Er steht auf und gibt meiner Mutter einen flüchtigen Kuss. „Ich habe nachher wieder eine Aufführung mit meiner Ballettgruppe. Es wäre schön, wenn Du mitkommst“, sagt Mama. Ich habe keine Lust dazu. Es ist dort wie in der Schule. Sitzen und schauen, was die da vorne tun. „Kann ich nicht allein zu Hause bleiben?“ Ich würde fernsehen und essen und Hörspielkassetten hören und malen. „Wir könnten auch Frau Kuhlmann fragen, ob sie auf Dich aufpasst.“ Es kommt nur ganz selten vor, dass ich andere treffen darf. Es muß eine Belohnung sein. heute ist mein Glückstag! „Ja!“, schreie ich begeistert. Ich werde mit der alten Frau Kuhlmann und ihrem dicken Dackel Benny im Park spazieren gehen!

Mein neunter Geburtstag. Von meiner Tante kam gestern ein Päckchen an. Mein Vater nahm es gegen Mittag von dem Postboten in Empfang und krakelte stolz seine unleserliche und seiner Handschrift eins zu eins gleichende Unterschrift auf das elektronische Plastikgerät. Das Päckchen konnte nur von meiner Tante sein. Die Päckchen, mit denen die Dinge ankommen, die mein Vater immer im Internet bestellt, sind braun. Dieses Päckchen ist aus hellblauem Karton mit weißen Wolken und dunkelblauen Flugzeugen. Ich wusste sofort, dass dies mein schönstes Geburtstagsgeschenk würde. Ich muss noch eine Menge Hausaufgaben machen. Mein Kopf brummt. Ich höre meine Eltern im Wohnzimmer miteinander sprechen. „Acetor“, sagt mein Vater.2 Er fragt, ob wir Drogen brauchen, um unsere Tochter zu händeln.“ „Acetor wer?“, fragt meine Mutter. „Susanne, es hat funktioniert. Unser Konzept hat sich verbreitet. Acetor ist der Name eines oberen Mitglieds.“ „Und warum ruft er hier an? Wir sind keine Mitglieder mehr, schon vergessen? Herrje, das kann doch nicht wahr sein. Wie dumm wir waren, Rudolf.“ „Es schien uns die einzige Möglichkeit, unser Kind zu behalten.“ Er sagt die Worte und sinkt auf das Sofa, als gäben seine Knie nach. Hinter seinen Brillengläsern schimmern Tränen. Susanne setzt sich neben ihn, streicht mit ihren zarten Händen die Tränen von seinen Wangen. „Das wird schon wieder“, sagt sie gespielt zuversichtlich. „Das hast du zu unserem Kind auch immer gesagt, nachdem sie es vergewaltigt haben“, zwei eisige Augen blicken sie an. Jetzt fängt sie an zu schluchzen und es ist schwer zu sagen, wie viel davon gespielt ist und wieviel echte Verzweiflung. „Vergiss nicht wie alles angefangen hat, vergiss nie, wer den ersten Fehler gemacht hat!!!“ Ich stehe in der Wohnzimmertür und fühle mich, als würde ich schweben. Ich muss mich an dem Türrahmen der Wohnzimmertür festhalten. Ich muss mit Luft gefüllt sein, denn ich bin ein kräftiges Kind. „Vergiss nicht, wer den ersten Fehler gemacht hat“, sage ich benommen. Meine Mutter setzt ein strahlendes Lächeln auf, schwer zu sagen, wie viel davon echt und wieviel geschauspielert ist. „Schatz“, sagt sie, „Ich dachte du würdest konzentriert an deinen Hausaufgaben arbeiten.“ „Über was habt ihr geredet?“, frage ich und habe das Gefühl, Teil dessen zu sein, was eben besprochen worden war. Ich bin daran gewöhnt, dass meine Eltern oft Emotionen zeigen, die für mich nicht nachvollziehbar sind. So wie jetzt. Ich denke, ich bin irgendwie… autistisch heißt das glaube ich. Meine Mutter hat auch schon mal zu einer anderen Frau beim Einkaufen gesagt, dass sie überlegen würde, mich auf Autismus testen zu lassen. Ich weiß noch, dass ich eine Woche lang für diese Frau zu Gott gebetet habe, weil sie gesagt hat: „Das Kind ist viel zu anständig für so eine Mutter.“ Dieser Satz hilft mir über schwere Zeiten hinweg, in denen ich oft denke, dass meine Eltern totunglücklich wegen mir sind. Ja, das sind sie. Sie sind totunglücklich wegen mir. ich hoffe, dass mein Leben irgendwann verständlicher für mich wird, dass es leichter wird. Dass ich lachen kann und das Gefühl haben kann, dass es schön ist zu leben.

Am nächsten Tag, einem Sonntag, habe ich Geburtstag. Es wäre meiner Mutter zuzutrauen, dass sie sagt: „Unser kleines Sonntagskind hat Geburtstag!“ Das würde zu ihr passen. Sie ist nämlich nicht dumm, nur gestört. Das ist mir letzte Woche klar geworden. Sie hat gar nicht so schlechte Gedanken, nur zu viele und die mischen sich dann. Mein Vater ist aber wirklich dumm. Das weiß ich seit einem halben Jahr. Trotz dieses Wissens bin ich fest entschlossen, meinen Geburtstag zu feiern. Ich bin gegen halb sieben wach geworden. In ungefähr drei bis vier Stunden werden meine Eltern aufstehen. Ich werde leise sein, um sie nicht aufzuwecken. Ich strecke mich, die Arme, die Beine, die Füße, gähne ausgiebig und rolle mich elegant nach links, so dass ich auf meiner linken Seite liege. Dann strecke ich mein rechtes Bein nach vorn, nehme Schwung und ziehe, während ich auf dem rechten Bein neben meinem Bett lande, das linke Bein zurück, so dass es auf der Bettkante kniet. Ich denke, ich könnte mir mehrere solcher Übungen ausdenken und eine Zirkusnummer daraus einstudieren. Aber es gibt so viele gute Clowns und Artisten. Ich habe schon oft das Zirkusfestival von Monte Carlo im Fernsehen gesehen. Da wäre meine Nummer noch nicht einmal eine Lachnummer. Ich bin ja jetzt auch schon neun. Also gehe ich in das Wohnzimmer, wo unser Fernseher steht und schalte ihn ein. Es ist nicht zu fassen, was es für Menschen gibt. Vielleicht habe ich doch Glück, bei meinen Eltern zu leben. „Konny- Schatz, Du hast doch heute Geburtstag!“ Ich zucke erschrocken zusammen. Meine Mutter steht in der Tür. Sie sieht müde aus. Was soll ich sagen. Ich weiß, dass ich Geburtstag habe. „Ist das meine Schuld?“, murmele ich. „Wie kannst Du nur so schlecht gelaunt sein. Freu Dich doch mal, Du bist jetzt neun! Ich mache Frühstück für uns!“ Und sie ist verschwunden. Ich kenne niemanden außer meiner Mutter, der todmüde und gleichzeitig blitzschnell sein kann. Ich seufze. Aber man kann ihr nie lange böse sein. Sie hat gestern noch einen Kuchen für mich gebacken. Ich höre, wie sie in der Küche herumhantiert und schalte den Fernseher lauter. In der Küche scheppert es. Ich höre, wie sie „Oh nein!“ und „Verdammt nochmal!“ schreit. Ich schalte zwischen den Sendern herum und treffe endlich auf einen Naturfilm mit ruhiger Musik. Ich schalte so laut wie möglich. Ich spüre einen harten Druck an meinem rechten Arm, in dessen Hand ich die Fernbedienung halte. Jetzt nicht mehr. Meine Hand schmerzt, der Arm auch an einer Stelle, die ruhige Musik des Naturfilms wird leiser, das Scheppern in der Küche wieder lauter. Mein Vater steht vor mir wie ein riesiger Berg. Seine Augen sind zusammengekniffen und doch starren sie mich an. „Willst Du Deine Mutter wieder für dumm verkaufen? Sie wird nicht entspannter durch Entspannungsmusik. Immer musst Du dich über Erwachsene lustig machen.“ Er schüttelt seinen runden Kopf, der auf seinem kurzen Hals sitzt. „Aber Papa… ich wollte mich entspannen“, sage ich. „Auch noch frech werden“, murmelt er. Ich fange an zu weinen. Ich höre, wie meine Mutter zu meinem Vater sagt, dass er nicht so grob zu mir sein soll. Mein Vater antwortet, dass man konsequent sein muss, dass Konsequenz das Wichtigste sei. Als ich mich beruhigt habe, gehe ich langsam in die Küche. Mein Vater steht am Fenster und raucht. „Nicht, wenn der Junge im Raum ist“, zischt meine Mutter. Ich winke ab. „Ist mir egal“, sage ich leise. Der Tisch ist gedeckt. Es gibt gekochte Eier, Käse, Marmelade, Honig und Brötchen aus dem Backofen. Orangensaft in Gläser und Kaffee oder Kakao in Tassen.In der Mitte steht der Kuchen. Mit neun Kerzen. Ich hole tief Luft, nicht um die Kerzen auszupusten, nur um mich zu beruhigen. Mein Vater drückt die Zigarette in dem Aschenbecher auf der Fensterbank aus und geht den einen Schritt zum Küchentisch, um sich zu setzen. Ich hole erneut tief Luft. Ich bin noch nicht entspannt genug für ein Geburtstagsfrühstück. „Ich weiß, dass Du gegen das Rauchen bist. Jetzt setz Dich schon“, brummelt mein Vater. Meine Mutter lächelt mich mit schief gelegtem Kopf an. Dieses Lächeln sagt: „Ich weiß es ist nicht alles gut, aber wir tun so und dann ist alles gut.“ Ich möchte erneut tief Luft holen, traue mich aber nicht. Also gehe ich zum Tisch und setze mich. Meine Mutter streichelt meine Schulter. Es fühlt sich an, als wäre das ihre Pflicht. Dann setzt sie sich zwischen meinen Vater und mich, mit dem Rücken zur Küchenzeile. Beide schauen mich nun an. Es fühlt sich peinlich an. Um die Situation zu überbrücken sage ich: „Das habt ihr aber schön gemacht. Ein richtiger Geburtstagskuchen. Toll.“ Meine Mutter streichelt mir wieder über die Schulter und sagt, dass das doch normal sei, ich hätte ja Geburtstag. Ich nicke. Die Nahrungsmittel schmecken alle ganz gut. „Jetzt kannst Du die Kerzen auspusten und Dir etwas wünschen!“, sagt mein Vater und sieht mich erwartungsvoll an. Ich hole tief Luft. Und atme aus. Mein Vater lacht. „Sie kann es nicht lassen!“ Meine Mutter sieht ihn streng an. Mir ist zum Heulen zumute. „Puste die Kerzen aus und wünsch Dir etwas!“, ermuntert mich meine Mutter. „Ich puste seit ich denken kann an meinen Geburtstagen Kerzen aus“, gebe ich zu bedenken. Sie sehen mich beide fragend an. Ich tue ihnen den Gefallen und puste die Kerzen aus und wünsche mir eine eigene Wohnung. Danach beginnt mein Vater, sich zu verändern. Er war bisher ein eher grummeliger Mensch gewesen. Nun versucht er oft, mir eine Freude zu machen. Er kauft Videos und wir schauen zusammen „Meister Eder und sein Pumuckel“. Nach zwei Folgen kann ich Pumuckels Stimme perfekt nachmachen und das verleiht meinem Leben etwas Leichtigkeit. Ich sage mit der Stimme von Pumuckel Dinge, für die mich meine Mutter sonst streng angesehen hätte oder sogar ihre Hand auf meinen Mund gelegt hätte. Ich traue mich, frech zu sein. Anderen ist es manchmal etwas unheimlich, glaube ich, weil ich einfach zu perfekt darin bin, Pumuckels Stimme nachzuahmen und weil ich plötzlich sehr viel Fantasie entwickele und ein großes Feingefühl dafür habe, was ich wann sage. Ich merkte, dass mein Vater eine gewisse Anerkennung für mich empfand, meine Mutter es jedoch nicht leiden konnte. Einmal sagt ein Mann, dass ich ein kleines hinterhältiges Schlitzohr bin. Er lacht zwar, aber ich bin zutiefst verletzt. Das ist das mieseste und Ungerechteste, was dir passieren kann. Ich bin so lieb und versuche nur, mir und anderen mit der Pumuckel- Stimme das Leben zu erleichtern, ich versuche doch nur , kein Schlitzohr zu sein, ich bin doch ganz lieb… Ich weine stundenlang in meinem Zimmer und meine Mutter sagt immer wieder, als müsse sie es beschwören: „Nein Konni- Kind du bist doch so lieb. Das weiß ich , mein Kind, dass du nie lügst oder etwas Unrechtes tust.“ Ich darf jetzt öfter mit Frau Kuhlmann und ihrem Dackel spazieren gehen, ich glaube, dass meine Mutter mich einfach nur loswerden will. Als ich bemerke, dass der Dackel etwas verwirrt ist, wenn ich mit der Pumuckel- Stimme spreche, versuche ich es in seiner Gegenwart nicht zu tun und auch in der Schule wird es mir langsam peinlich, meinen Mitschülern mit verstellter Stimme auf den Keks zu gehen. Ich beginne, nur noch mit meiner Mutter mit Pumuckel- Stimme zu sprechen. Meine Gefühle schwanken zwischen Hochgefühlen, Angstzuständen und depressiver Verstimmtheit. Dies wird noch verstärkt, durch seltsame Veränderungen in unserer Wohnung. Mal habe ich das Gefühl, jemand hätte die Uhr verstellt, mal, verschwinden Sachen von mir oder Dinge stehen an komischen Plätzen, wo sie keinen Sinn ergeben. Zum Beispiel die Kaffeekanne in der Mikrowelle oder Besteck in Blumentöpfen. Mein Vater ist fast nur noch unterwegs, meine Mutter ebenso. Ich bin oft bei Frau Kuhlmann und ihrem Dackel und nicht selten wünschte ich mir, bei ihr geboren worden zu sein, oder zumindest jetzt bei ihr einziehen zu dürfen. Hier darf ich einfach auf dem Sofa liegen, so viel essen und trinken wie ich möchte und mir ihre Bücher ansehen. Und wir sehen zusammen, allen möglichen Unsinn und auch lehrreiche Dokumentationen, Kulturmagazine oder die Nachrichten. Es erleichtert manchmal ungemein, seinen Kopf mit neuen Informationen zu füttern. Zur Schule gehe ich auch gern ich mich, zur Schule, wo ich mit meinen Freundinnen Samira und Tine zusammen sein kann und wo es interessante Dinge zu lernen gibt. Ich sauge Lernstoff auf wie Drogen.




Die Religionen der Kornelia Braun

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