Читать книгу Soulless Places - Ana Dee - Страница 10

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Die schwere Eingangstür aus Eichenholz wurde kraftvoll aufgestoßen und das Parkett knarrte leise unter den Schritten. „Hallo? Jemand hier?“ Eine verärgerte Stimme grollte über den Flur.

Sophie zitterte wie Espenlaub und krallte sich in Nicks Shirt. Die Luft in der Kammer war zum Zerschneiden dick. Es roch modrig und zu allem Überfluss spürte sie Spinnweben auf ihrem Gesicht. Sie ekelte sich fürchterlich vor diesem Getier und wäre am liebsten laut schreiend aus der Villa getürmt.

Nick bemerkte ihre Unruhe. Er zog sie näher zu sich heran und legte seine Arme schützend um ihre Schultern. Sophie lehnte den Kopf an seine Brust und spürte deutlich seinen schnellen Herzschlag. Ängstlich lauschte sie den scharrenden Schritten, die sich der Kammer näherten. Als unvermittelt ein Räuspern erklang, zuckte sie erschrocken zusammen. Sie rechnete jeden Moment damit, dass die Tür aufgerissen und ihr Versteck auffliegen würde. Das Parkett knarrte unter dem Gewicht des Mannes und augenblicklich schob sich ein Schatten vor das Lichtband der Tür.

Jetzt war es aus!

Resigniert ließ Sophie die Schultern hängen und wartete darauf, hochkant aus der Villa befördert zu werden.

„Ich hätte schwören können, dass sich hier jemand herumtreibt“, dröhnte der tiefe Bass einer Männerstimme. Seine Schritte entfernten sich zögerlich und Nick atmete erleichtert auf.

„Hoffentlich haben sich Maike und Jonas gut versteckt“, raunte er ihr zu. „Keine Ahnung, warum der Besitzer ausgerechnet jetzt auftaucht.“

„Bitte Nick, wir sollten nach Hause fahren. Meine Nerven liegen blank, ich habe absolut kein gutes Gefühl.“

„Ach was, Aufgeben kommt nicht infrage. Wir sind so nah am Ziel und der Eigentümer wird garantiert wieder seiner Wege gehen. Manchmal kommt halt etwas dazwischen, damit müssen wir leben.“

Frustriert drehte sie sich von ihm weg. Warum hatte sie nicht von Anfang an Klartext mit ihm gesprochen? Nein, sie hatte sich stattdessen an irrwitzige Hoffnungen geklammert und jetzt galt nur noch der Leitspruch: mitgefangen – mitgehangen. Sie würde drei Kreuze machen, sobald dieser unselige Ausflug endlich vorbei wäre.

Mit einer fahrigen Bewegung strich sie sich eine verschwitzte Haarsträhne aus der Stirn. Es kostete sie eine Menge Selbstbeherrschung, von Nick nicht zu verlangen, sie sofort zum Wagen zu begleiten. Was die anderen über sie dachten, war ihr inzwischen vollkommen egal. Die gesamte Urbex-Szene konnte sie mal, und zwar kreuzweise.

Ihr verschwitztes Shirt klebte am Rücken und es war eine Tortur, den Schritten des Eigentümers zu lauschen, die sich ständig näherten oder entfernten. Endlich, nach einer quälend langen Zeit fiel die Eingangstür ins Schloss. Sophie wollte sofort nach draußen stürmen, doch Nick hielt sie zurück.

„Wir warten ein paar Minuten. Er könnte noch immer in der Villa sein und ich will auf Nummer sicher gehen.“

„Ich bekomme kaum noch Luft“, presste sie mühsam hervor.

„Sophie, so schlimm ist es nun auch wieder nicht“, versuchte er zu beschwichtigen.

„Doch, ist es. Außerdem muss ich ganz dringend wohin, meine Blase platzt gleich“, legte sie nach.

„Okay, ich gehe raus. Bitte rühr dich nicht von der Stelle“, bat er eindringlich. Vorsichtig öffnete er die Tür und riskierte einen Blick in den Salon. Die Luft schien rein und er bewegte sich lautlos in Richtung Flur. Sophie folgte ihm, obwohl er sie gebeten hatte, es nicht zu tun. Aber sie hätte es keine Minute länger in diesem stickigen Kabuff ausgehalten. Sie hielt den Zipfel seines Shirts fest in ihrer Hand und tappte ihm hinterher. Erst als sie im Flur auf Maike stießen, ließ sie ihn beschämt los.

„Jonas hat grünes Licht gegeben, der Kerl ist weg. Er konnte vom oberen Fenster aus sehen, wie der Besitzer zu seinem Wagen gegangen ist.“ Maike taxierte Nick verärgert. „Hast du uns nicht versichert, dass er seine festen Zeiten hätte?“

„Murphys Gesetz, was schiefgehen kann, geht schief.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und jetzt lasst uns Gas geben. Während ihr euch um die Aufnahmen kümmert, werden Jonas und ich nach dem Eingang suchen.“

„Das kann doch nicht dein Ernst sein?“

Sophie blickte ihn entgeistert an. Was, wenn der Eigentümer zurückkehrte?

„Keine Sorge, Sophie, uns wird schon nichts passieren“, erwiderte Maike gelassen. „Wir können in aller Ruhe die Aufnahmen machen und die Jungs stehen uns dabei nicht im Weg herum. Außerdem bin ich es gewohnt, allein zu arbeiten.“

„Nick und Jonas sind nicht dabei, wenn du filmst?“ Sophies ungläubige Miene sprach Bände.

„Nein, ich bin lieber allein. Nur so kann ich den Moment perfekt einfangen.“

„Ehrlich Maike, ich würde mich zu Tode fürchten“, gestand Sophie. „Ihr könnt von mir denken, was ihr wollt, aber ich möchte nur noch hier weg. Nick, versprich mir bitte, dass ihr euch beeilen werdet?“

„Natürlich. Stimmt’s, Jonas?“

Jonas verweigerte seine Zustimmung, drehte sich um und lief in Richtung Kellertreppe. Nick folgte ihm.

Ignoranter Kerl, dachte Sophie wütend.

„Wenn wir uns aufteilen, kommen wir uns mit den Aufnahmen nicht in die Quere“, erklärte Maike und schnappte sich ihre Tasche. „Falls du nichts dagegen hast, werde ich zuerst den Salon filmen.“

Wie gern hätte sie Maike geantwortet, dass sie sehr wohl etwas dagegen hatte, verkniff es sich aber in letzter Sekunde. Stattdessen gab sie klein bei. „Ich gehe dann mal nach oben“, murmelte sie verdrossen.

Frustriert stieg sie die Stufen nach oben und stand verloren im Flur. Ein unangenehmes Kribbeln breitete sich aus und sie zitterte leicht. Winzige Staubpartikel schwebten im einfallenden Sonnenlicht und verliehen dem Ort etwas Geheimnisvolles. Das Haus war wunderschön und einzigartig, gar keine Frage, aber auf sie wirkte der Zauber der vergangenen Epoche eher wie ein Gruselkabinett. Nick hatte vorab erwähnt, dass die Villa von einem Fabrikbesitzer um 1900 erbaut worden war und auch das Inventar sollte aus dieser Zeit stammen. Die Vorstellung, dass diese Menschen nicht mehr unter ihnen weilten, fand sie besonders schaurig. Dennoch erweckte die Villa den Eindruck, dass die ehemaligen Bewohner jeden Moment zurückkehren könnten, um die eigenen vier Wände wieder in Beschlag zu nehmen.

Mit der Kamera im Anschlag betrat Sophie das erste Zimmer, das einer Dame gehört haben musste. Am Schrank hing ein gerüschter Morgenmantel und neben der Kommode aus Kirschholz stand ein eleganter Schminktisch mit unzähligen Flakons. Selbst das Bett war bezogen und hergerichtet. Mit einem leichten Frösteln versuchte Sophie, die Atmosphäre dieses Zimmers einzufangen, um es anschließend so schnell wie möglich wieder zu verlassen.

Beim nächsten Raum handelte es sich um ein Kinderzimmer. Zögernd verharrte sie auf der Schwelle und ließ die Einrichtung auf sich wirken. Vergilbte Tapete mit einem zarten Blümchenmuster bedeckte die Wände. In einer Ecke hatte sich schwarzer Schimmel eingenistet und fraß sich durch das poröse Mauerwerk. Linker Hand befand sich ein Kinderbettchen. Obwohl es weiß lackiert war, erinnerte auch dieses antike Stück an einen Käfig. Das Regal neben dem Kleiderschrank war mit Büchern und Spielzeug vollgestopft. Ein einäugiger, zerzauster Teddybär saß auf einem kleinen Kinderstuhl und direkt daneben verstaubte ein altertümliches Dreirad. Jeder Antiquitätenhändler wäre mit einem begeisterten Jauchzen durch diese Villa spaziert.

Sophie ging in die Hocke und schoss hoch konzentriert weitere Fotos. Der erste Raum war schon unheimlich gewesen, aber das Kinderzimmer übertraf den Gruselfaktor um ein Vielfaches. Gib Gas, ermahnte sie sich im Stillen, denn unten im Salon hatte sie sich bedeutend wohler gefühlt. Das lag mit Sicherheit an der Eingangstür, die den Weg in die Freiheit versprach.

Bevor sie das Kinderzimmer verließ, konnte sie dem Drang nicht widerstehen, dem Schaukelpferd einen leichten Stoß zu versetzen. Leise bollernd schwang es vor und zurück.

„Das darfst du nicht, das ist nicht deins.“

Erschrocken wirbelte Sophie herum, denn sie hatte klar und deutlich eine Kinderstimme vernommen. Mit klopfendem Herzen hielt sie inne und lauschte. Verdammt, diese Umgebung machte sie noch verrückt. Wahrscheinlich hatte Maike nur etwas gerufen. Sie lief in den Flur und beugte sich über das Treppengeländer.

„Maike?“

„Ja, was gibt’s?“

„Soll ich dir helfen?“

„Nein, ich bin gerade damit beschäftigt, die Kamera in der Bibliothek aufzubauen. Warum fragst du?“

„Ach nichts. Ich dachte nur, ich hätte etwas gehört.“

„Na dann …“

Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend schlich Sophie wieder zurück. Sie warf einen letzten Blick in das Kinderzimmer und zog die Tür zu. Schon am Morgen hatte sie gespürt, dass etwas mit ihr nicht stimmte, und ausgerechnet jetzt waren diese Befürchtungen eingetreten – sie halluzinierte. Sie beschloss, sich zu beeilen, denn in Maikes Gegenwart war sicher alles nur halb so schlimm.

Hastig öffnete sie die nächste Tür. Hier musste ein älterer Herr gewohnt haben, bis auf ein Bett und einen fast deckenhohen Schrank war der Raum sehr spartanisch möbliert. An der Wand hing ein Gemälde mit einer Jagdszene und in der Ecke neben dem Fenster lehnte ein abgegriffener Spazierstock, mehr gab es nicht zu sehen. Erst im letzten Moment entdeckte sie das Glas mit einem künstlichen Gebiss auf dem Fensterbrett und schüttelte sich angewidert.

Im Handumdrehen waren fünf Fotos im Kasten, das sollte wohl reichen. Ein merkwürdiges Geräusch aus dem Kinderzimmer ließ sie aufhorchen. War Maike etwa schon fertig? Sie hatte doch eben noch die Kamera aufgebaut.

„Maike? Bist du hier?“

Keine Antwort.

Wie fremdgesteuert setzte sich Sophie in Bewegung und stoppte vor dem Kinderzimmer ihre Schritte. Zögerlich legte sie ihre Hand auf die Klinke. Es kostete sie einiges an Überwindung, diesen Raum erneut zu betreten. Nachdem einige Sekunden verstrichen waren, ging ein Ruck durch ihren Körper und sie stieß die Tür auf.

Ein Schwall eiskalter Luft schlug ihr entgegen und das Schaukelpferd schwang fröhlich vor und zurück. Sophie presste ihre Hand auf den Mund, um einen hysterischen Schrei zu unterdrücken. Das war zu viel für ihre ohnehin schon schwachen Nerven. Mit weichen Knien wandte sie sich ab und eilte die Treppe hinunter.

„Maike, wo bist du?“, rief sie laut und gab sich Mühe, ihre Angst zu überspielen.

„Hier hinten, in der Bibliothek.“

„Warst du eben im Kinderzimmer?“

„Die haben tatsächlich ein Kinderzimmer?“, fragte Maike und zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „So mit allem Drum und Dran?“

Sophie nickte.

„Wahnsinn, ich beeile mich. Das wird bestimmt das Nonplusultra, auf diese abgefahrenen Sachen stehen die User. Ach ja, wolltest du etwas Bestimmtes von mir?“

„Nein, nein, hat sich schon erledigt. Ich bin mal wieder …“

Hatte Maike ihr vielleicht einen bitterbösen Streich gespielt?

Nachdenklich drehte sie sich um und ging nach oben. Die beängstigende Stille in dieser Etage war kaum zu ertragen. Wie ein scheues Reh stand sie im Flur, immer auf dem Sprung und bereit zur Flucht. Die Atmosphäre dieses Hauses war so gespenstisch, so unheimlich, so …

Verdammt, Sophie, reiß dich endlich zusammen, ermahnte sie sich.

Nachdem sie noch ein paar Fotos vom Herrenschlafzimmer geschossen hatte, verharrte sie reglos auf der Schwelle. Sie warf einen Blick auf das Display und spulte nervös die Abfolge der Bilder vor und zurück. Tatsächlich, sie hatte sich nicht getäuscht. Vorhin hatte der abgegriffene Gehstock in der rechten Ecke gestanden und jetzt in der linken. Auch das Glas mit der Zahnprothese auf dem Fensterbrett hatte seine Position verändert.

Sophies Gesichtsfarbe wechselte von blass zu kalkweiß. Wollte sie jemand absichtlich in den Wahnsinn treiben? Aber Maike konnte es nicht gewesen sein und Nick und Jonas waren immer noch nicht zurück.

War eine weitere Person in diesem Haus, von der sie nichts wussten? Sophie versetzte der Tür einen Stoß und diese fiel schwungvoll ins Schloss.

„Hey, sei bitte nicht so laut, man kann dich ja bis Timbuktu hören.“ Maikes Stimme hallte verärgert zu ihr herauf.

„Sorry, mir ist die Klinke aus der Hand gerutscht“, antwortete sie.

„Dann lass doch die Türen offen. Wir wollen so wenig wie möglich verändern und auch keine Spuren hinterlassen. Okay?“

„Ich pass schon auf, war nur ein Versehen.“

Maike hatte gut reden, sie schien in diesem Umfeld regelrecht aufzublühen. Wie verquer musste man eigentlich sein, um daran Gefallen zu finden?

Sophie stieß einen tiefen Seufzer aus und widmete sich dem nächsten Zimmer. Dieser Raum war vollkommen leer, nur die Tapete an der Außenwand schlug Wellen und löste sich bereits. Das Dach musste an dieser Stelle undicht sein und die eindringende Feuchtigkeit hatte hässliche Spuren hinterlassen. Diese Tür konnte sie getrost offen lassen, denn hier gab es keine Gegenstände, die auf wundersame Weise ihren Platz tauschen würden.

Ein Zimmer weiter sah die Sache schon wieder ganz anders aus, jeder kostbare Zentimeter war von den Eigentümern mit Mobiliar bestückt worden. Vor dem Fenster stand ein wuchtiger Schreibtisch, daneben ein abgenutzter Ohrensessel. Deckenhohe Regale türmten sich links und rechts an den Wänden, die mit Büchern und Ordnern vollgestopft waren. Sie wollte gerade das erste Foto knipsen, als nebenan eine Tür laut ins Schloss krachte. Erschrocken zuckte sie zusammen. War Maike schon fertig?

In Eile hastete sie aus dem Raum und ihr Blick schweifte durch den Flur. Die Tür des leer stehenden Zimmers war zugefallen. Seltsam, hier oben gab es doch gar kein geöffnetes Fenster? Oder war der Boden uneben? Aber davor hatte die Tür doch auch offen gestanden …

„Sophie, was soll denn das? Kannst du nicht vorsichtiger sein?“, rügte Maike, die soeben die Treppe herauf gekommen war.

„Meine Güte, hast du mich erschreckt.“ Sophie stieß geräuschvoll die Luft aus. „Ich habe die Tür nicht angerührt, sie ist von allein zugefallen.“

„Ja klar, und ich glaube noch an den Weihnachtsmann.“ Maike schüttelte genervt den Kopf.

„Weißt du was? Ich habe sowieso keinen Bock mehr auf dieses ganze Affentheater. Ich werde jetzt gehen und am Parkplatz auf euch warten.“ Sophie drückte Maike die Kamera in die Hand und lief in Richtung Treppe.

„Warte bitte, Sophie.“ Maike bekam sie am Ärmel zu fassen und zog sie zurück. „Wir sind auf deine Hilfe angewiesen, tut mir leid, was ich eben gesagt habe. Mach du die Fotos und ich lege einen Zahn zu, damit wir fertig werden. Einverstanden?“

Sophie hatte gehofft, einen Streit vom Zaun zu brechen, um endlich das Weite suchen zu können. Doch daraus wurde wohl nichts.

„Jetzt komm schon …“, bat Maike mit einem Lächeln und hielt ihr die Kamera hin.

Sophie nahm sie an sich und suchte das Arbeitszimmer wieder auf. Ohne auf die Perspektive zu achten, schoss sie hastig ein paar Fotos. Dann widmete sie sich dem letzten Raum, dem Badezimmer, und in Rekordzeit hatte sie die antiquarisch anmutenden Armaturen auf die Speicherkarte gebannt. Jetzt musste sie nur noch runter zu Maike. „Rückzug“, murmelte sie und lief zur Treppe. Plötzlich erstarrte sie. Hatte es nicht eben geplätschert? Nein, alles ruhig, sie musste sich getäuscht haben.

„Maike, ich bin jetzt fertig“, rief sie verhalten.

„Super, dann können wir die Etagen tauschen.“

Unschlüssig verharrte Sophie auf der Stelle und überlegte, ob sie der Sache auf den Grund gehen sollte. Immerhin war Maike in der Nähe und bevor sie etwas übersah, schaute sie lieber nach. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als sie die Tür zum Badezimmer aufstieß und einen Blick riskierte.

„Maike, kannst du bitte sofort nach oben kommen?“, rief sie laut.

„Aber warum denn? Lass mich doch erst die Ausrüstung zusammenpacken.“

„Beeile dich, bitte. Hier geht etwas vor sich, was ich mir nicht erklären kann“, drängte Sophie.

Sie hörte Maike im Erdgeschoss hantieren und lief ungeduldig vor der Badezimmertür auf und ab. Dann blieb sie unvermittelt stehen und betrachtete die kleinen Pfützen, die sich auf dem bunten Mosaikboden angesammelt hatten. Die nassen Flecken glichen kleinen Kinderfüßen, die frisch aus der Wanne entstiegen waren. Was für ein schauriger Anblick.

Doch bevor sie sich wieder in Hirngespinste verrannte, zückte sie die Kamera und unterzog die Fotos einer kritischen Musterung. Schade, sie hatte vorhin wahllos abgedrückt und vom Fußboden war nicht viel zu erkennen. Aber sie hätte doch bemerkt, wenn dort Fußspuren gewesen wären? Oder etwa nicht?

Stirnrunzelnd ging sie in die Hocke und tunkte den Zeigefinger in einen der Flecken. Misstrauisch verrieb sie die Feuchtigkeit zwischen den Fingern und roch daran. Ein bekannter Duft stieg in ihre Nase, nach Eukalyptus und Fichtennadeln. Seltsam, das fühlte sich alles so echt an.

„Da bin ich, was gibt’s?“ Vollbepackt wie ein Esel erschien Maike in der Tür.

„Schau dir mal die nassen Flecken auf dem Boden an. Die waren vorher noch nicht da.“

„Bist du dir sicher?“ Maike warf ihr einen argwöhnischen Blick zu.

„Selbstverständlich. Oder schleppe ich einen Kasten Wasser mit mir herum?“, erwiderte Sophie aufgebracht.

„Wir sollten nicht außer Acht lassen, dass der Vermieter vor Kurzem hier gewesen ist. Vielleicht hat der sich die Hände gewaschen, könnte doch sein?“

„Aber die Flecken sehen wie Fußspuren aus, sieh doch.“

„Na ja, man muss schon sehr viel Fantasie aufbringen.“ Maike zuckte ratlos mit den Schultern. „Uns soll’s egal sein. Sehen wir zu, dass wir fertig werden.“ Sie machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Badezimmer.

Sophie ärgerte sich, dass Maike die Sache so einfach abgehakt hatte. Einziger Lichtblick – die Spuren existierten tatsächlich und zeugten davon, dass in ihrem Oberstübchen nicht alles verquer lief.

„Ich bin dann unten“, rief sie.

„Ja, das sagtest du bereits.“ Maike brachte deutlich zum Ausdruck, dass sie in Ruhe arbeiten wollte.

Sophie lief die Treppe hinunter und schaute sich im Eingangsbereich genauer um. Vor ein paar Minuten, als Maike noch anwesend gewesen war, hatte alles weniger furchteinflößend gewirkt. Hinzu gesellte sich noch die Angst, dass der Besitzer jeden Moment wieder auftauchen und sie auf frischer Tat ertappen könnte.

Nachdenklich drehte sie sich um die eigene Achse. Mit welchem Zimmer sollte sie beginnen? Der Salon war ihr inzwischen vertraut und bot außerdem mehrere Versteckmöglichkeiten. Sophie ging in die Hocke und knipste wild drauflos. Es fiel ihr immer schwerer, die Atmosphäre der alten Villa einzufangen, und die Fotos waren wahllos durcheinandergewürfelt. Aber das störte sie herzlich wenig. Sie hatte nur ein Ziel vor Augen – so schnell wie möglich von hier zu verschwinden.

Ständig unterbrach sie ihre Fotosession und huschte zum Fenster, um sicherzugehen, dass sich keine fremde Person der Villa näherte. Der erhöhte Stresspegel setzte ihr zu und sie spürte die ersten Anzeichen einer heftigen Kopfschmerzattacke. Sie massierte sich die Schläfen und blickte dabei gedankenverloren aus dem Fenster. Im Zimmer über ihr hörte sie Maikes Schritte und ihr schneller Herzschlag beruhigte sich allmählich.

Ein verschnörkelter Sekretär hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt und ihre Finger glitten über die kunstvoll eingearbeiteten Intarsien. Nick hatte zwar betont, dass sie nichts anrühren sollte, aber sie drehte trotzdem den Schlüssel im Schloss herum und öffnete das elegante Möbelstück. Gerade, als sie nach einem zerfledderten Tagebuch greifen wollte, hörte sie ein leises Rascheln hinter sich. Waren Nick und Jonas endlich zurück?

„Das darfst du nicht, das ist nicht deins“, rügte erneut die kindliche Stimme.

Die Kamera glitt aus Sophies Händen und ihre Lippen formten einen lautlosen Schrei. Sie richtete den Blick zur Tür und konnte gerade noch erkennen, wie ein dunkler Schatten aus dem Salon huschte. Ihr Körper bebte und der Boden schwankte unter ihren Füßen.

Trieb hier jemand ein böses Spielchen mit ihr?

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