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Kapitel 1

1974

Lina ist sechs Jahre alt und ein sehr ruhiges Kind. Sie liest gerne Bücher und träumt mit offenen Augen. Lina ist ein sehr hübsches Mädchen, sie hat braunes Haar und blaue Augen. Jedoch ist sie extrem dünn, denn Lina verspürt kein Hungergefühl. Ihre Großmutter muss sie regelrecht dazu zwingen, etwas zu essen, denn sonst würde sie oft tagelang nichts essen. Kein Wunder, denn die Auswahl ist sehr überschaubar. Zur damaligen Zeit durfte man keine besonders hohen Ansprüche haben. Kartoffel, Bohnen oder Eier standen tagein, tagaus auf dem Speiseplan. Sonntags gab es immer etwas Besonderes wie zum Beispiel Hühnchen. Süßes gab es kaum, hin und wieder, wenn die Großmutter mal etwas gebacken hat, strahlte die kleine Lina immer übers ganze Gesicht.

In den Geschäften gab es kaum etwas zu kaufen, die Räumlichkeiten wirkten schon fast etwas steril, ganz in weiß. Alle Regale leer, bis auf zwei.

In den zwei Regalen befanden sich ein paar Gläser Marmelade, ein paar Packungen Nudeln und ein paar Aufstriche.

Anstatt voller Regale gab es eine riesige Warteschlange. die bis zur Straße hinausragte.

Eine Menschenmasse. die auf Lebensmittel wartete, auf eine begrenzte Anzahl an allem und was es zu kaufen gab, war jeden Tag aufs Neue eine Überraschung. Die Menschen warteten auf den Transporter, ganz gleich ob jung oder alt und zu welcher Jahreszeit. Als der Transporter endlich ankommt, sind alle gespannt. Aus der Ferne hört man jemanden schreien. »Heute gibt es Eier, maximal zehn Eier pro Person!«

Die ersten vierzig in der Warteschlange haben Glück, der Rest hat eben Pech und kann an einem anderen Tag sein Glück versuchen, denn wann dieser Überraschungs-Transporter kommt, ist immer ein Geheimnis.

Die Menschenmasse löst sich auf und diejenigen, die mit leeren Händen nach Hause müssen, sind enttäuscht.

Das ist immer dieser Augenblick, wo die Traurigkeit in der Luft schon fast spürbar ist. Natürlich gibt es immer ein nächstes Mal und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Lina ist zu Hause, sie macht ihre Hausaufgaben. Heute war sie in der Schule, sie kann ausgesprochen gut lesen. Ihr Großvater hat ein Regal voller Bücher, die sie schon fast alle gelesen hat. Heute kommt ihre Mutter zu Besuch. Kein Grund zur Freude, weil Lina schon eine Mutter hat! Sie nennt ihre Großmutter „Mama“. Am Vortag fragte sie ihre Großmutter, wer die hübsche Frau ist, die manchmal zu Besuch kam.

Die Großmutter antwortete ihr. »Das ist deine Mutter, Kleines.«

Lina war sehr verwirrt. »Haben alle Kinder zwei Mütter?«, fragte sie.

»Manche schon«, antwortete die Großmutter und lächelte.

»Du wirst mich einfach die gute Mama nennen und die andere ist einfach nur die Mama.«

Jetzt hat Lina es verstanden und wartet auf ihre hübsche Mutter, die immer schön angezogen ist und gut gerochen hat. Die „gute Mama“ ist nicht so hübsch, aber sie ist rund und weich und Lina fühlt sich in ihren Armen geborgen.

Es war noch früh und Lina konnte durch das Fenster die Vögel draußen zwitschern hören.

»Hallo Lina!«, hörte sie eine Stimme aus der Küche rufen.

In der Küche stand wieder diese hübsche Frau, die ab und zu, zu Besuch kam.

»Alles in Ordnung?« »Ja Mama, alles in Ordnung.«

Die Gespräche verliefen immer sehr oberflächlich, aber für Lina war das in Ordnung. Wenn sie jemanden zum Reden brauchte, hatte sie ja die „gute Mama“, die immer für sie da war.

Tag und Nacht, weil Lina bei ihrer Großmutter im Bett schlief.

Heute ging es Lina gut. Sie war ein paar Tage krank gewesen.

Sie ist oft krank, Mandelentzündungen, Lungenentzündungen, Mittelohrentzündungen, Fieber, Halsweh und Antibiotika schlucken …

Das gehörte für Lina schon fast zum Alltag. Aber sie hatte ihre „gute Mama“, die sie immer gesundpflegte.

Draußen scheint die Sonne. Vom Fenster aus kann man eine kleine Hütte erkennen, die von ihrem Großvater gebaut wurde. Lina spielt dort sehr gerne. Ein Raum mit einer Kochplatte, wo die Großmutter im Sommer kochte. Ein Bett, ein Schrank und ein kleiner Tisch, dort hat sie ihre Puppe Lilly, eine hässliche Puppe, mit ganz kurzen schwarzen Haaren und kurzen Beinen. Die Haare trägt sie kurz, weil Lina sie abgeschnitten hat. Lilly ist nicht weiß und nicht schwarz, sie hat eine braune Hautfarbe. Lina liebt sie, denn Lilly ist ihre einzige Puppe.

Lilly hat einen hölzernen Kinderwagen, der von ihrem Großvater gebaut worden ist. Weiß, mit vier kleinen Rädchen. Lina spaziert stundenlang mit ihrem kleinen Besitz im Hof herum. Kleider hat Lilly auch, aus alten Kleidungsstücken selbst zusammengenäht. Neben der Hütte befand sich noch ein Holztisch und eine Holzbank. Dort sitzt der Urgroßvater immer und liest seine Zeitung.

Lina hat heute viel Energie, was eigentlich nicht ihre Art ist, sie hat Lust zu Spielen und Spaß zu haben. Sie läuft immer zu ihm hin, versucht ihm die Zeitung aus der Hand zu schlagen und läuft wieder weg.

Das macht Spaß. Lina findet es lustig und macht so lange damit weiter, bis ihr Urgroßvater wütend wird. »Lina, hör bitte mit diesem Blödsinn auf.«

Da Lina ein sehr gehorsames Kind ist, hört sie damit auch auf. »Spaß vorbei, schade.«

Einige Stunden vergehen und draußen wird es dunkel. Ihre Großmutter öffnete die Tür und schrie hinaus. »Lina, Zeit schlafen zu gehen!«

Lina reagiert sofort. Sie schiebt den Puppenwagen in die Hütte und läuft schnell ins Haus.

Lina liegt schon im Bett und ihre kleinen Äuglein werden immer schwerer, als sie plötzlich von draußen Geräusche hört.

Der Großvater ist nach Hause gekommen und Lina hört, wie sich die beiden unterhalten. Er arbeitet als Büroangestellter in einem großen Betrieb.

Linas Großvater ist ein sehr strenger Mensch, deswegen hat Lina großen Respekt vor ihm.

Ein fleißiger, korrekter und sehr ernster Mann, der den zweiten Weltkrieg überlebt hat, mit dem man leider keinen Spaß haben konnte. Die Tür öffnet sich und der Großvater kommt herein.

»Lina, du warst heute, wie ich hörte, ein böses Mädchen und dafür wirst du jetzt bestraft.«

Er zieht den Gürtel aus der Hosenschnalle und befahl Lina aufzustehen. Lina hat Angst und ihr kleines Herz schlägt immer schneller.

»Was ist los?«

»Warum musste sie bestraft werden?«

»Nur weil sie Spaß hatte?«

Lina versteht gar nichts, spürt aber, dass etwas ganz Schlimmes passieren würde. Sie musste sich auf den Bauch legen und der Großvater schlug mit dem Gürtel auf ihr kleines Hinterteil ein. Eins, zwei, drei, vier, fünf …

»Genug!«, schrie die Großmutter, die schnell ins Zimmer gerannt kam. Lina traut sich nicht, sich zu bewegen, Tränen fließen ihre Wange herunter und ihr Hinterteil tut höllisch weh.

»Hoffentlich war dir das eine Lehre«, sagte er mit dunkler Stimme. Lina kriecht ins Bett, die Oma legt sich dazu. Leider wird es keine ruhige Nacht werden, denn Lina kann vor lauter Schmerzen kaum schlafen.

»Alles wird gut«, sagte ihre Großmutter und streichelte ihren Kopf.

Lina und der Traum von Freiheit

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