Читать книгу Auf der Reise zu Dir selbst - André M. Richter - Страница 9
ОглавлениеWie alles begann
Es ist kein gewöhnlicher Morgen. Sandra wacht auf und versucht, sich zu orientieren. Sie hat unendlich tief geschlafen. Draußen ist es bereits taghell. Plötzlich zuckt sie zusammen. Sie muss den Wecker überhört haben! Wie spät ist es? Wird sie noch pünktlich zur Arbeit kommen?
Verwirrt schaut sie sich um. Alles kommt ihr fremd vor. Allmählich merkt sie, dass sie nicht zuhause ist. Langsam erinnert sie sich wieder. Sie hat Urlaub, ist spontan in den Süden geflogen und hat alles hinter sich gelassen.
Was ist in den letzten Tagen geschehen?
Sandra arbeitet in einer Werbeagentur in Frankfurt, wohnt in einem modernen Appartement in einem Nobel viertel und ist seit drei Jahren mit Sven zusammen. Vor einem halben Jahr kamen sie auf die Idee, in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen. Insgeheim wünscht Sandra sich Kinder, aber Sven ist seine Karriere wichtiger.
Vor einer Woche hat er ihr eines Abends bei einem Essen in ihrem Lieblingslokal gesagt, dass er die Beziehung beendet, da er kurzfristig im Ausland arbeiten wird.
Für Sandra bricht eine Welt zusammen. Zu keiner Zeit hat Sven zuvor erwähnt, dass er sich verändern möchte. Seine Gefühlskälte macht sie fassungslos und wütend zugleich. Plötzlich erscheint ihr alles Bisherige sinnlos. Sie hat mehrere Jahre mit einem Menschen verbracht den sie offensichtlich nicht kannte, und fühlt sich, als wäre sie beim „Mensch-ärgere-Dich-nicht“ abgeschossen worden. Sie weiß nicht, wie sie reagieren soll, und steht unter Schock. Sven soll auf keinen Fall bemerken, wie sehr er sie damit getroffen hat. Wortlos knallt sie ihm seinen Ring auf den Tisch, schüttet ihm den Inhalt ihres Weinglases ins Gesicht, steht aufund geht.
Zuhause angekommen versucht Sandra, ihre Gedanken zu ordnen. Sie bittet ihre beste Freundin, ihre privaten Dinge bei Sven abzuholen, trinkt noch ein Glas Wein, versucht sich mit Musik abzulenken, und geht bald zu Bett. Sie will ihn nie wiedersehen.
Am nächsten Morgen ist sie wie gerädert. Ais sie sich im Spiegel betrachtet, erschrickt sie. Sie hat tiefe Augenringe und wirkt wie versteinert.
Auf der Arbeit kann sie sich nicht konzentrieren. Das Projekt, an dem sie arbeitet, befindet sich gerade in der Endphase und erfordert nur noch einen Abschlussbericht. Eigentlich soll sie sofort mit einem neuen Projekt beginnen, aber sie hat keinerlei Kraft und Energie mehr. Also teilt sie ihrem Chef mit, dass sie dringend eine Pause braucht und kurzfristig ihren Resturlaub nehmen möchte.
Es ist Mittwoch. Sandra hat noch den Bericht zu schreiben und kann danach drei Wochen Urlaub nehmen. Sie arbeitet den Rest der Woche sehr konzentriert und ist froh, durch die Arbeit abgelenkt zu sein. Sven hat inzwischen mehrmals versucht, sie zu erreichen, aber sie hat seine Nachrichten ignoriert. Am Freitag fährt sie nach der Arbeit zum Flughafen und bucht spontan einen dreiwöchigen Luxusurlaub auf Fuerteventura. Sandra will nur noch weg und ist froh, kurzfristig etwas Passendes gefunden zu haben.
Der Flug startet bereits am nächsten Morgen. Zurück in ihrem Appartement informiert sie kurz ihre Freundin, packt für den Urlaub, geht zu Bett und fährt früh morgens mit dem Taxi zum Flughafen. Ais ihre Maschine startet, schaut sie nachdenklich auf die immer kleiner werdende Stadt. Je winziger die Häuser werden, umso unwirklicher erscheint ihr jetzt das Leben, das sie dort bisher geführt hat. Sandra schließt die Augen und versucht zu schlafen.
Am Ziel angekommen mietet sie ein Cabrio und fährt in ihr Luxushotel. Aber diesmal ist alles anders als bisher. Sie ist nicht in der Lage, Freude zu empfinden. Alles um sie herum wirkt gekünstelt, irreal und steril. Es ist Luxus, aber kein echtes Leben. Es fehlt etwas, das man mit Geld nicht kaufen kann. Genau beschreiben kann sie es nicht.
Inzwischen ist es Mittag geworden. Sie ist völlig übermüdet und geht auf ihr Zimmer, um sich ein paar Stunden auszuruhen. Abends geht sie kurz etwas essen, hat aber kein Interesse an den üblichen oberflächlichen Gesprächen an der Bar und zieht sich zurück auf ihr Zimmer. Auf dem Bettrand sitzend betrachtet sie sich im Spiegel, schenkt sich ein Glas Prosecco ein, prostet sich selbst zu, fällt in ihr Bett und schläft sofort ein.
Sandra ist also im Urlaub. Um Abstand zu gewinnen, einen klaren Kopf zu bekommen und um zu überlegen, wie ihr Leben weitergehen kann. Was passieren muss, damit es wieder funktioniert. Vielleicht wäre eine kalte Dusche ja ein guter Start …
Als sie aus der Dusche kommt, ist ihre größte Müdigkeit verflogen. Sandra geht frühstücken, setzt sich danach in ihr Cabrio und fährt ziellos die Küstenstraße entlang. An einem kleinen Ort angekommen entscheidet sie sich, direkt ans Meer zu fahren. Der Ort wirkt um diese Zeit wie ausgestorben. An einer winzigen Taverne hält sie an. Dort sitzt nur ein einziger Gast.
Sandra bestellt sich einen Kaffee und betrachtet den Mann unauffällig. Mitte 50, sonnengebräunt, mittellanges graues Haar, angenehme Ausstrahlung, gelassen und voller Lebensfreude. Vor ihm stehen ein Kaffee und ein Wasser, er liest in einem dünnen Buch, lächelt und spricht ein paar Worte mit der Bedienung, die ihn zu kennen scheint. Seine Stimme ist vertrauenerweckend.
Als er wieder allein ist, beginnt er auf einem Blatt zu zeichnen. Schließlich fragt Sandra ihn, ob Zeichnen sein Hobby ist.
„Nein“, antwortet er nur und schaut sie an.
„Und warum machen Sie das dann?“, fragt Sandra.
„Weil ich mir vorgenommen habe, jeden Tag etwas Neues auszuprobieren oder etwas völlig Verrücktes zu machen.“
Sie schaut ihn fragend an. „Wissen Sie, ich war lange im Management tätig und beruflich viel unterwegs, bis ich schließlich schwer erkrankt bin. Nachdem ich mich wieder erholt hatte, war meine Frau nicht mehr da und unsere Tochter führte bereits ihr eigenes Leben. Irgendwie machte meine Arbeit keinen Sinn mehr für mich. Ich war nicht mehr überzeugt von meiner Arbeit und hatte den Spaß daran schon lange verloren.
Da meine Ex-Frau vermögend ist, haben wir uns im Guten getrennt. Ich habe mich in der Firma auszahlen lassen, habe alles verkauft und bin auf Reisen gegangen. Irgendwann bin ich hier gelandet und geblieben. Ich lebe in einer kleinen Finca nahe am Meer, fahre einen Jeep und habe Surfen gelernt. Kein Porsche mehr, kein Golfen und keine Rolex! Ich will das alles nicht mehr!
Ich bin hier mit meinem einfachen Leben glücklicher als jemals zuvor! Meine Prioritäten haben sich völlig verändert. Ich beschäftige mich mit anderen Lebensphilosophien und übe Hobbys aus, von denen ich früher allenfalls geträumt habe. Kein Planen und keine Projekte mehr - ich lebe jetzt und denke allenfalls an morgen. Jeden einzelnen Tag genieße ich in vollen Zügen. Ich brauche relativ wenig Geld, bin finanziell frei und kann tun und lassen, was immer ich will. Niemand kann mich mehr unter Druck setzen. Die Menschen, mit denen ich hier befreundet bin, mögen mich als Mensch und wissen nichts von meinem früheren Leben. Was kann es Schöneres geben?“
„Was Sie sagen, klingt gut und weckt Sehnsüchte bei mir!“, sagt Sandra nachdenklich. „Aber um das umzusetzen braucht man viel Mut und Zeit!“
„Wieso? Es braucht nur einen Auslöser und echte Entschlossenheit! Nachdem ich innerlich dazu bereit war, hat es nur drei Monate gedauert, bis ich Deutschland den Rücken gekehrt habe. Ich habe diesen Schritt niemals bereut und bin inzwischen schon ein paar Jahre hier. Übrigens, mein Name ist Maik“, stellt er sich vor.
„Ich bin Sandra. Fehlt Dir denn nichts aus der Heimat? Kein Mensch? Nichts aus Deinem alten Leben?“
„Nicht wirklich! Gegenstände sind nur Materie und haben keine besondere Bedeutung für mich. Alles, was mir wichtig ist, passt in einen einzigen Koffer. Alles Übrige ist ersetzbar! Ich wäre nie dazu bereit, mehrere Tausend Euro für einen Container zu bezahlen, der mir unnütze Dinge aus meinem alten Leben bringt. Je weniger ich mitnehme, desto freier bin ich in meinen Entscheidungen!
Ja, und die Menschen von früher … mein Umfeld hat sich stark verändert. Natürlich gibt es noch meine Ex und meine Tochter … aber die sehe ich höchstens einmal im Jahr. Soll ich deshalb in Deutschland bleiben? Weiter einem Beruf nachgehen, der mir keinen Spaß mehr macht? Und Freunde? Die meisten Menschen waren da, solange es mir gut ging und sie durch mich einige Vorteile hatten. Als ich nicht mehr wie früher funktioniert habe, wurden die Freunde weniger. Aber weniger ist mehr! Ich habe noch ein paar gute Freunde – und die besuchen mich auch hier!
Ich habe hier nicht die Hektik, die Verbissenheit, die Ellenbogen-Mentalität und die Unzufriedenheit um mich herum wie früher. Ich genieße es, in Ruhe hier sitzen zu können, mich zu unterhalten, zu lachen und mich über Dinge zu freuen, die ich schon völlig vergessen hatte. Mit jedem Spaß, jedem Lachen und jeder Freude fühle ich mich jünger, gesünder und glücklicher!“
Sandra schluckt. Es ist, als könne Maik ihre Gedanken lesen. Mit jedem seiner Worte fühlt sie sich leichter. Er lebt das, was er sagt und anscheinend geht es ihm wirklich gut dabei.
„Aber Du hast alles aufgegeben! Wozu hast Du Dir jahrelang etwas angeschafft und aufgebaut, wenn Dir plötzlich alles egal ist? Deine ganze Arbeit muss doch einen Sinn gehabt haben!“
„Du willst mir damit sagen, dass meine Arbeit sinnlos war. Aber wie kommst Du darauf? Es mag Deine Sicht der Dinge sein. Meine Sicht dagegen ist eine völlig andere. Früher war es einmal für mich okay, jetzt ist es das nicht mehr. Jeder entscheidet für sich allein, worin der Sinn seines Lebens liegt. Was seine Erfüllung ist, womit er glücklich ist und wie er leben will. Das kann sich mit den Jahren ändern. Hauptsache, man bemerkt es und zieht die Konsequenzen für sich. Es zu ignorieren ist für mich, als wenn Dir ein Arzt ein Schmerzmittel gibt, um Deine Beschwerden zu unterdrücken anstatt Dich zu heilen!
Für mich hat der Sinn erst mit meinem neuen Leben begonnen!“, antwortet Maik. „Ich weiß ja nichts über Dich. Aber wenn Du möchtest, dann sage ich Dir, was für einen Eindruck Du auf mich machst. Als Du hier angekommen bist, warst Du angespannt und gestresst. Keine Spur von Erholung! Inzwischen wirkst Du ein wenig gelassener. Deine Gesichtszüge sind entspannter. Aber etwas arbeitet in Dir. Offensichtlich stellt meine Denkweise Dein Weltbild völlig auf den Kopf.“
Sandra nickt stumm. Maik fährt fort. „Du trägst teure Kleidung, teuren Schmuck und fährst ein teures Auto, das für diese Gegend völlig unpassend ist. Frage Dich einfach mal, ob Dir das wirklich gefällt. Fühlst Du Dich in Deinem Designerkleid wohl oder wäre es nicht viel bequemer, Jeans zu tragen und damit im Sand sitzen zu können?
Stelle Dir die Frage bei allem, was Du tust! Fühlst Du Dich besser mit einer sündhaft teuren Armbanduhr, für die Du einen Safe brauchst? Brauchst Du immer das neueste Smartphone oder reicht nicht auch das Vorjahresmodell?
Offensichtlich hast Du viel gearbeitet und bist jetzt an einem Punkt angelangt, wo sich etwas in Deinem Leben verändert hat. Jetzt suchst Du nach einer Antwort und nach Lösungen – aber was Du brauchst, ist in erster Linie Klarheit. Klarheit über Dich selbst, über Dein Leben und über Deine wahren Wünsche und Ziele!“
„Bin ich so leicht zu durchschauen?“, fragt Sandra.
„Ja!“, sagt Maik. „Zumindest für jemanden, der die Augen offen hat! Ich habe jetzt jede Menge Zeit für mich. Zeit zum Nachdenken und Zeit zum Genießen! Wenn es mir mal wirklich zu ruhig ist, dann fahre ich in die Hauptstadt, kaufe ein paar Dinge, die ich sowieso brauche und habe nach spätestens einer Stunde genug von der Hektik und dem ganzen Lärm. Ich sehe mich nicht als Aussteiger, sondern als Umsteiger.
Aber was genau versprichst Du Dir von Deinem Urlaub? Wie lange bist Du hier, wie wohnst Du hier und was willst Du für Dich erreichen?“
Sandra schluckt. Die Antwort ist ihr peinlich. „Ich habe drei Wochen in einem 5-Sterne-Resort gebucht und will in dieser Zeit planen, wie ich mein Leben ändere, damit es wieder funktioniert. Danach muss ich wieder fit sein und Energie haben für mein nächstes Projekt!“
„Aha!“, lächelt Maik sie an. „Und daran glaubst Du? Das schafft kein Mensch! Danach bist Du noch mehr frustriert als zuvor! Außerdem solltest Du nicht planen, sondern etwas ändern! Meinst Du denn, dass Du in einem Luxushotel zwischen Champagner, Hummer und Golfen zur Normalität findest? Und denkst Du, dass ein Leben nur funktionieren soll? Wie wäre es mit etwas Spaß im Leben, mit Zufriedenheit und Glücksgefühlen? Mit den Dingen, die ich jetzt täglich in meinem Leben habe!“
„Ich habe bereits bei meiner Ankunft bemerkt, dass etwas anders ist als bisher. Aber was soll ich machen? Ich weiß nicht, womit ich anfangen soll! Im Augenblick ist mir alles zu viel. Es ist wie ein Karussell, das sich immer schneller dreht und das ich nicht ausschalten kann! Überall sind Aufgaben, Kosten und Verpflichtungen. Ich muss funktionieren!“
„Das kannst Du so lange machen bis Du umfällst. Und Du bist kurz davor! Du bist doch hier, weil Du eine Auszeit brauchst! Ein Mensch ist keine Maschine! Also nimm Dir Zeit für Dich! Was möchtest Du noch alles erleben? Wie fühlt sich der Gedanke an, weitere 25 Jahre zu funktionieren und dann irgendwann in Rente zu gehen? Dazwischen vielleicht mal eine Zwangspause wegen Magengeschwür oder Bandscheibenvorfall? Was hast Du zu verlieren? Dein eigenes Leben, wenn Du so weitermachst!
Du musst mal komplett abschalten! Und das schaffst Du nicht in einem Luxushotel! Du musst deshalb nicht gleich mit einem Rucksack durch Indien trampen. Du brauchst Ruhe und Normalität. Beides kannst Du nahezu überall finden!
Wenn Dein Urlaub hier vorbei ist, dann nimm Dir eine Auszeit! Wenn Du Deine Kosten reduzierst, wie lange kannst Du dann von Rücklagen leben? Nimm Dir ein Sabbatjahr, wenn Du kannst! Vermiete Deine Wohnung, verkaufe Dein Auto, genieße das Leben und lebe Deine Träume!
Konzentriere Dich nicht auf einzelne Personen oder Gegenstände, die Dir gefallen. Das alles kann sich plötzlich ändern. Vieles ist austauschbar und verliert an Bedeutung. Wenn Du glücklich sein willst, dann suche Dir Ziele und arbeite daran! Wenn Du ein wirkliches Lebensziel, ein Traumziel gefunden hast, dann hast Du es immer vor Augen!“
Maik hat Recht. Sandra fragt sich, was Kollegen, Freunde und Nachbarn denken würden. Aber ist das wichtig? Sie ist jetzt Single und ihr fehlt jegliche Freude im Leben. Sie ist härter und härter geworden – auch gegen sich selbst. Was hat sie sich da nur angetan ohne es zu bemerken? Sie lebt und arbeitet in einer Stadt, die ihr nicht wirklich gefällt. Sie wohnt in einem überteuerten Nobelviertel, zahlt eine unverschämte Miete, hat hohe Leasingraten für ihren Wagen und gibt Geld aus, weil sie gefrustet ist und sich trösten oder belohnen will. Und was ist in 20 oder 30 Jahren? Sandra läuft es bei dem Gedanken daran kalt den Nacken hinunter.
„Ich denke, ich fahre jetzt zurück zum Hotel!“, sagt sie zu Maik. „Unser Gespräch hat mich sehr nachdenklich gemacht. Ich muss das erst mal verarbeiten. Aber danke für Deine ehrlichen Worte! Ich würde mich sehr gerne weiter mit Dir unterhalten. Was Du sagst, gefällt mir wirklich, aber es macht mir auch Angst. Wann bist Du wieder hier? Können wir unsere Telefonnummern austauschen?“
„Ich bin telefonisch kaum erreichbar. Ich gönne mir den Luxus, mein Telefon nur einzuschalten, wenn ich es wirklich brauche. Es tut verdammt gut, auf Technik verzichten zu können. Aber gewöhnlich ich bin jeden Tag um diese Zeit auf einen Kaffee hier. Zumindest so ungefähr, denn ich trage auch keine Uhr mehr. Die würde mir nur zeigen, wie meine Zeit abläuft!
Übrigens will ich Dich nicht verletzen. Aber Dir ist nur mit einer ehrlichen Meinung geholfen!“
Sandra bedankt sich, steigt in ihr Cabrio und fährt davon. Im Hotel angekommen checkt sie ihre Mails, Nachrichten und ihren Anrufbeantworter zuhause. Plötzlich muss sie lachen. Ihr fallen Maiks Worte ein. Was hat er gesagt? „Es tut verdammt gut, auf Technik verzichten zu können.“ Wieso zum Henker dann dieses Gefühl, ständig über alles informiert sein zu müssen? Schließlich ist sie jetzt für ganze drei Wochen im Urlaub!
Nach dem Abendessen im Hotel genießt sie auf der Terrasse ein Glas Wein und denkt über das Gespräch mit Maik nach. Sandra ist voller neuer Eindrücke, aufgewühlt und verwirrt zugleich. Ihr ist bewusst, dass sie etwas ändern muss – aber wo soll sie anfangen und woher soll sie wissen, was wirklich gut für sie ist?
Voller widersprüchlicher Gedanken geht sie zu Bett, kann aber keinen Schlaf finden. Eine gefühlte Ewigkeit lauscht sie dem Meeresrauschen und genießt die Meeresluft. Irgendwann schläft sie schließlich ein.
Am nächsten Morgen wacht sie früh auf und schaut aus dem Fenster. Die ersten Hotelgäste reservieren bereits mit ihren Handtüchern die besten Liegestühle am Pool und gehen danach zufrieden zum Frühstück. Sandra schüttelt den Kopf. Sie denkt an Maik und beschließt, genau wie er möglichst jeden Tag etwas Neues auszuprobieren. Also geht sie an den Strand, um im Meer zu schwimmen. Es ist unglaublich schön, den Sand und die Wellen zu spüren, das Rauschen des Meeres zu hören und die salzige Luft zu riechen.
Zurück im Hotelzimmer öffnet sie den Kleiderschrank und greift gewohnheitsmäßig nach einem teuren Kleid. Plötzlich hält sie inne und überfliegt den gesamten Schrankinhalt. Sie entscheidet sich für ihr einziges Paar Jeans, ein lockeres T-Shirt und bequeme Sneakers. Sandra legt ihr Schminkzeug beiseite, kämmt sich kurz ihr Haar, benutzt ihr Lieblingsparfüm und schaut in den Spiegel. Sie ist zufrieden mit sich.
Nach einem leichten Frühstück geht sie an die Rezeption, um ihr Cabrio abzugeben und gegen einen Jeep zu tauschen. Da der Wechsel erst einen Tag später erfolgen kann, ist sie für den heutigen Tag an das Hotel und die nähere Umgebung gebunden. So entscheidet sie sich für einen langen Spaziergang am Meer und hofft, Maik am nächsten Tag wieder zu treffen.
Sandra läuft mehrere Stunden den Strand entlang. Zwischendurch macht sie Pause, betrachtet die Umgebung und atmet tief durch. Sie schließt die Augen und versucht, alles um sich herum zu genießen. Aber das Nichtstun fällt ihr unendlich schwer. Sie hat das Gefühl, dass es falsch ist, zu entspannen und nicht produktiv zu sein. Sie fragt sich, wie es möglich ist, sich selbst immer mehr unter Druck zu setzen, ohne es überhaupt wahrzunehmen.
Plötzlich lebt man ein Leben, das so niemals geplant war. Aus Leichtigkeit und Lebenslust werden Eintönigkeit und Lethargie. Der Prozess ist schleichend. Tag für Tag wird es mehr und irgendwann ist man sich selbst fremd geworden. Ein paar Sätze von Maik gehen ihr durch den Kopf und irgendwie scheint alles klarer zu werden. Sie kann und darf hier entspannen so viel, wie sie will. Basta! Wenn sie nur seine Gelassenheit hätte und die Gabe, komplizierte Dinge möglichst einfach zu betrachten!
Zurück im Hotel bestellt sie sich ein Essen und ein Getränk auf ihr Zimmer. Sie braucht Ruhe, um ihre Gedanken ordnen zu können. Sandra nimmt einen Notizblock und beginnt zu schreiben. Nach ungefähr einer Stunde liegen viele Zettel vor ihr. Das bisherige Leben ist unterteilt in Vor- und Nachteile ihres Berufs, Hobbys, Freunde, Wünsche und Ziele, Ängste und Sorgen … aber je mehr sie ins Detail geht, desto weniger Klarheit bekommt sie. Also versucht sie, alles in einer Skizze darzustellen. Doch das Ergebnis sieht total verworren aus. Irgendwie macht das so keinen Sinn. Sandra beschließt, am nächsten Tag Maik davon zu erzählen. Erschöpft von der langen Wanderung und der frischen Luft geht sie zu Bett.
Am nächsten Morgen bekommt sie ihren neuen Leihwagen, packt ein paar Kleinigkeiten in einen Rucksack und fährt los, um Maik zu treffen.
Sandra fühlt sich wohl und hat das Gefühl, an ihrem Urlaubsort innerlich angekommen zu sein. Nach einigem Suchen findet sie schließlich den kleinen Ort mit der Taverne, wo sie Maik kennengelernt hat. Da sie ihn nicht entdecken kann, geht sie zum Strand und bleibt in der Nähe der Taverne. Die Ruhe, der Sandstrand, die Meeresluft und das gleichmäßige Rauschen der Wellen tun ihr gut und sie fühlt sich von Minute zu Minute lebendiger. Allmählich beginnt die Umgebung sie zu faszinieren.
Irgendwann galoppiert eine Frau auf einem schwarzen Pferd an ihr vorbei. Sie bemerkt, wie der Boden bebt, hört das Schnaufen des Pferdes und spürt die Kraft und die Energie. Sie lächelt und hat das Gefühl, als würde eine Last von ihr abfallen, während sie so intensiv das Leben und die Natur spürt. Sandra wird urplötzlich bewusst, dass es Situationen im Leben gibt, in denen man tiefes Glück empfindet, ohne dafür Geld ausgeben zu müssen. Ob sie jemals lernen wird, so zu denken und zu empfinden wie ihr neuer Freund?
Als Sandra auf die Uhr schaut, sind ganze zwei Stunden vergangen. Inzwischen ist Maik da. Sie beschließt, für den Rest ihres Urlaubs auf ihre Armbanduhr zu verzichten. Sandra denkt daran, dass eine Uhr nur anzeigt, wie die eigene Zeit verfliegt.
Maik spricht mit der Bedienung und lacht herzlich. Er muss wirklich glücklich sein und seinen Weg gefunden haben, geht es ihr durch den Kopf, während sie in seine Richtung läuft. Er sieht sie sofort und begrüßt sie herzlich.
„Hallo Sandra, schön Dich zu sehen! Als Du gestern nicht hier warst, dachte ich schon, dass unser Gespräch zu heftig für Dich war.“
„Hallo Maik! Nein, ich hatte gestern kein Auto. Dafür fahre ich jetzt einen kleinen Jeep. Ich habe bereits damit begonnen, mich zu verändern!“
Sandra erzählt Maik, wie sich ihr Denken nach ihrem Gespräch geändert hat, und berichtet von ihrem verzweifelten Versuch, mittels Zetteln und Skizzen Struktur in ihr Leben zu bringen.
„Es ist schön, dass Du es ernst meinst!“, antwortet Maik. „Du wirkst auch nicht mehr so gehetzt und angespannt. Aber was Deine Pläne und Skizzen betrifft … wirf sie weg und denke nicht mehr daran! So wie Du ein leeres Blatt brauchst, wenn Du etwas schreiben willst, so muss Dein Kopf zuerst klar und frei von Altlasten sein, wenn Du mit etwas Neuem beginnen willst. Das ist wie eine Festplatte, die man löscht und neu fragmentiert.“
Sandra betrachtet Maik lange und sagt schließlich: „Ich habe viel nachgedacht und meine Fragen sind immer mehr geworden. Ich frage mich zum Beispiel, wie und wo ich anfangen soll. Woher soll ich wissen, was das Richtige für mich ist? Rückblickend kann ich nur sagen, dass der alte Weg falsch war.“
„Er war nicht falsch! Früher war er für Dich richtig. Er passt nur heute nicht mehr! Vergleiche es mit einem Straßensystem. Irgendwann geht es nicht mehr geradeaus und Du musst Dich entscheiden. Es gibt die Möglichkeit, nach links oder nach rechts abzubiegen. Du triffst eine Wahl und merkst, dass Du in eine Sackgasse gefahren bist. Manche bleiben in der Sackgasse stehen, Andere kehren um und finden einen neuen Weg. Den, der jetzt für sie richtig ist!
Lange Zeit habe ich nachgedacht und an mir gearbeitet. Mein Veränderungsprozess hat Zeit gebraucht. Mein neues Lebensmodell hat sich nur langsam entwickelt. Die Grundgedanken erkläre ich Dir gerne. Wenn Du Dich darauf einlässt, dann wird es Dir helfen. Aber es ist kein Wundermittel. Die wirkliche Arbeit beginnt danach. Es erfordert klare Entscheidungen und Durchhaltevermögen. In dieser Phase solltest Du jemanden haben, der Dich unterstützt!“
„Ich will mich wirklich verändern! Ich habe aber keine Ahnung, wie weit ich gehen kann und wo meine Grenze ist. Aber ich kann nicht mehr so leben wie bisher.“
„Dann werde ich Dir alles erklären. Eigentlich ist es ganz einfach. Einfachheit ist mir sehr wichtig, denn in meinem ehemaligen Beruf geht es kompliziert zu. Vereinfacht gesagt gibt es fünf Punkte, die von grundlegender Bedeutung sind. Daraus habe ich meine eigene Methode entwickelt. Das Ganze ist ein Lernprozess, der Dir gefallen wird, der aber auch anstrengend ist. Es ist anstrengend, weil Du mit Deinen persönlichen Schwächen konfrontiert wirst und es Dir nicht hilft, Dich selbst zu belügen.“
„Das ist großartig!“, sagt Sandra. „Bitte lass uns gleich damit beginnen!“
„Gut! Dann starten wir mit dem ersten Punkt! Dabei geht es darum, dass Du eine neue Basis für Dein künftiges Leben brauchst!“
Fazit:
• Ein einfaches Leben kann ein glücklicheres Leben sein!
• Der Sinn des Lebens besteht nicht darin, möglichst viele Dinge anzusammeln!
• Kaufe nur das, was Du selbst wirklich haben möchtest!
• Spaß, Zufriedenheit und Glücksgefühle sind durch nichts zu ersetzen!
• Prüfe regelmäßig, ob Du noch Dein eigenes Leben lebst!