Читать книгу 13 tolle Tage - Andra Bergan - Страница 5
Vorwort
ОглавлениеSamstag, 20. Dezember
Der Winter ist früh in diesem Jahr eingekehrt. Seit Anfang November schneit es regelmäßig und türmt den Schnee gemächlich über der bergigen Region im Süden des Landes auf.
Jenny und Fabian haben es sich in dem kleinen Café in der Innenstadt gemütlich gemacht.
„Die Königin kommt zurück, haste schon gehört?“
Fabian, der seinen Blick auf dem wohlgeformten Hintern der hübschen Serviererin liegen hat, blickt ungläubig zu Jenny.
„Echt jetzt?“
Jenny nickt und setzt endlich ihren dreckigen Stiefel am Boden ab, der bis dahin auf der mit Stoff bezogenen Sitzbank abgestellt war.
„Wird auch Zeit. Mir wurde schon langweilig.“
„Haste noch immer nich genug?“, wagt Fabian nachzufragen und erhält von Jenny daraufhin einen derben Handstreich in die Seite.
„Bist du irre, oder was? Natürlich bin ich noch längst nicht fertig!“
Fabian zuckt nach dem Schlag zusammen, schürzt beleidigt die Lippen und dreht sich widerwillig zu Jenny.
„Also, was hast du vor, hm?“
Jenny grinst hinterhältig, schaut sich nach allen Seiten hin um und lehnt sich zu Fabian rüber.
„Also gut, dann sperr mal deine Lauscher auf…“
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Die letzte Vorlesung vor den Semesterferien ist beendet und Mark verlässt den Hörsaal. Ein letzter Blick zur hohen Turmuhr auf dem Universitätsgelände und ein erleichterter Seufzer geht über seine Lippen.
„Bis zum nächsten Semester“, flüstert er zum Hauptgebäude, als er von hinten stürmisch umarmt wird und sich herumdreht.
„Marlene!“, ruft er überrascht aus. „Was machst du denn hier? Bist du gar nicht bei deiner Tante?“
Erfreut schließt Mark das hübsche Mädchen in die Arme und gibt ihr einen zärtlichen Kuss.
„Ich halte es einfach nicht mehr aus, kann es nicht mehr erwarten, bis morgen der Zug geht. Tante Mila ist heute wieder so… furchtbar mäkelig, hat an allem und jedem was auszusetzen“, seufzt Marlene tiefschwer und setzt einen schmollenden Ausdruck auf.
„Nur noch bis morgen früh, dann hast du es überstanden. Das schaffst du doch, hm?“, erwidert Mark lachend, der ähnliche Sätze schon des Öfteren von Marlene gehört hat.
„Ach es wird herrlich, wieder zuhause zu sein“, frohlockt Marlene und richtet ihren Blick in den bedeckten Himmel Salzburgs. Sie vermisst ihre Freundinnen, die Unternehmungen mit ihrer Clique. Salzburg ist langweilig für sie, da sie hier so gut wie niemanden kennt, nur wenige Kontakte hat.
„Deine Familie weiß aber, dass ich dich begleite?“, erkundigt sich Mark vorsorglich und schaut Marlene ernst an.
„Aber ja und glaube mir, die werden alle ganz aus dem Häuschen sein, wenn sie dich kennenlernen…“
∞ ∞ ∞ ∞ ∞
Frau Heinrich durchwandert das weihnachtlich geschmückte Haus und verteilt die fertige Wäsche in den Zimmern des schmucken Einfamilienhauses, das die Heinrichs mit ihren beiden Töchtern bewohnen.
Herr Heinrich hat die kleine Tanne im Vorgarten kurz vor dem ersten Advent mit der weihnachtlichen Lichterkette versehen, die wenige, geschmackvolle Weihnachtsdekoration im und am Haus wurde hingegen von der gesamten Familie angebracht, ganz so, wie es bei den Heinrichs Tradition ist. „Frohes Fest“ ist auf dem schmucken Türkranz aus künstlichen Tannenzweigen und Mistelbeeren zu lesen, der an der Haustür angebracht ist und kniehohe Tannenbäumchen stehen rechts und links auf den Eingangsstufen, beleuchten allabendlich den Hauseingang in gefälligem Weißgold.
Auch das Innere des Hauses begrüßt Besucher und Hausbewohner vorweihnachtlich. Bereits im Flur des zweistöckigen Hauses hat die Familie auf dem niedrigen Schuhschrank, gleich neben der Garderobe, Weihnachtsfiguren aus Porzellan und mittig einen kleinen Weihnachtsstern in leuchtendem Rot stehen. Auf fast jeder Fensterbank im Haus finden sich Leuchtpyramiden mit warmweißer Beleuchtung und am Kamin im Wohnzimmer hängen noch immer die rotbeigen Jutesäckchen vom Nikolausfest, inzwischen jedoch geleert. Auf den Haupttischen von Wohn- und Esszimmer stehen große Duftkerzen, die von morgens bis zum Schlafengehen ruhig vor sich hin brennen und einen dezenten Weihnachtsduft von Zimt und Tannen im Haus verbreiten. Selbst die halb gewendelte, offene Buchenholztreppe, die in den ersten Stock führt, ist mit einer geschmückten, beleuchteten Tannengirlande versehen. Im oberen Stockwerk befinden sich die Zimmer der beiden Töchter der Heinrichs, ein großzügiges Badezimmer und das Gästezimmer.
Frau Heinrich geht hinauf in den ersten Stock und betritt zunächst das Zimmer ihrer älteren Tochter Marlene, das gegenüber der Treppe liegt. Normalerweise legt sie die fertige Wäsche auf den Tisch der kleinen Biedermeier-Sitzgruppe, die in Marlenes Zimmer eingestellt ist, heute jedoch räumt sie die Kleidung direkt in den Schrank und bleibt einen Moment sinnierend im Raum stehen.
Seit mehreren Tagen befindet sich Marlene in Salzburg, besucht die Schwester von Frau Heinrich und das aus gutem Grund. Marlene und Julia, die beiden Töchter der Heinrichs, verstehen sich nicht besonders gut, weshalb die Eltern beschlossen haben, ihre Kinder vorübergehend zu trennen. Sie wollen auf diese Weise sowohl den Mädchen, als auch sich selbst eine Ruhepause vor den vermehrt auftretenden Zwistigkeiten der Geschwister gönnen. Marlene freute sich sogar über die Entscheidung der Eltern, da sie über die Feiertage Urlaub hat und gern in Salzburg ist, wenn sie nicht den ganzen Tag im Haus ihrer Tante verbringen muss.
Unwillkürlich schmunzelt Frau Heinrich. Sie und ihre Schwester sind völlig unterschiedlich im Wesen. Während Frau Heinrich in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter aufgeht, hat ihre Schwester Emilia nie den Wunsch verspürt, Kinder in die Welt zu setzen. Stattdessen hatte sie sich irgendwann ihren ersten Königspudel zugelegt und behält diese Tradition bis heute bei. Ihr Hund ist ein willkommener Kinderersatz für Emilia und das Tier wiederum liebt das exklusive Verwöhnprogramm, das es bei Emilia erfährt. Ihre Schwester hat ihr Leben lang Wert auf Eleganz, Anstand und Benimm gelegt, was sich im Laufe der Jahre ins Extrem gesteigert hat. An dem bisweilen übertriebenen Verhalten ihrer Tante Mila stoßen sich auch die beiden Heinrich-Mädchen. Dabei ist Emilia ein liebenswerter Mensch, verurteilt Verfehlungen im Verhalten jedoch aufs Strengste. Auf der anderen Seite weiß Frau Heinrich ihre Große gut versorgt und bestens beschützt, da Emilia ihre beiden Nichten von ganzem Herzen liebt. Während Marlene ihre Urlaubszeit in Salzburg verbringt, unter den äußerst wachsamen Augen von Tante Mila, verlebt Julia die Schulferien bei ihren Eltern.
Julia sitzt in ihrem Zimmer, das lange brünette Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden und müht sich zum x-ten Male ab, die Gaben für Weihnachten in Geschenkpapier zu verpacken. So recht will ihr das jedoch nicht von der Hand gehen. Die Zungenspitze in den Mundwinkel schiebend, betrachtet sie skeptisch ihre Verpackungskünste. Ihren Kopf zur Seite neigend, seufzt sie auf. Die erste Rolle Geschenkpapier ist bereits verbraucht, doch noch immer ist sie mit dem Resultat nicht zufrieden, egal, aus welchem Blickwinkel sie es betrachtet.
„Es sieht… schei…“ Julia hüstelt, obwohl sie allein in ihrem Zimmer ist und korrigiert sich. „… sieht bescheuert aus. Mir reicht’s echt!“
Mit diesen Worten reißt sie ihre letzte Verpackungsvariante ab und knüllt das Geschenkpapier zusammen, mit dem nun eh nichts mehr anzufangen ist. Entnervt wirft sie das Papierknäuel in eine Zimmerecke. Ihre Mutter, die im gleichen Moment an ihrer verschlossenen Zimmertür vorbeigeht, vernimmt die Worte und klopft fürsorglich an.
„Ist alles in Ordnung, Kind?“
„Ja Mam. Alles klar. Mir fehlt nur… irgendwie… auf irgendeine blöde Art und Weise, die künstlerische Hand meiner Schwester“, informiert Julia ihre Mutter durch die geschlossene Zimmertür hindurch, wo der Schuh gerade drückt.
Beruhigende Worte an ihre Mutter, begleitet hingegen von einem tiefschwer ausgestoßenen Seufzer, der für Frau Heinrich nicht zu überhören ist.
„Kann ich reinkommen?“, fragt sie daher an, vor der Zimmertür ihrer Tochter im Flur abwartend.
„Ja“, kommt es von innen, mit einer sofortigen Korrektur der eben erteilten Erlaubnis. „Nein, warte bitte. Augenblick!“
Rasch räumt Julia die auf dem Boden herumliegenden Geschenke in ihren Kleiderschrank, schlägt die Türen zu und wirft einen kontrollierenden Blick auf das derzeit vorherrschende Chaos in ihrem Zimmer, ehe sie ihrer Mutter die Tür öffnet. Die offensichtliche Unordnung vorläufig negierend, betritt Frau Heinrich das Zimmer ihrer Jüngsten, legt die Wäsche auf dem Bett ab und mustert ihre Tochter.
„Was ist denn los, meine Kleine? So aufgelöst kenne ich dich gar nicht. Ich dachte, dir und deiner Schwester würde eine Trennung für ein paar Tage ganz guttun und euch beide ruhiger werden lassen. Und nun? Habe ich das richtig verstanden, dass du Marlene vermisst?“
„Ja Mam, ist ja im Grunde genommen alles richtig. Zuerst habe ich mich ja auch gefreut, Einzelkind bei euch zu sein, aber nun vermisse ich Marlene eben doch. Klingt verrückt, ich weiß, ist aber so.“
Ein erneuter Seufzer wird von Julia ausgestoßen, tief und mit einem Hauch Traurigkeit versehen und rührt das Herz ihrer Mutter. Tröstend nimmt Frau Heinrich ihre Jüngste daher in den Arm.
Marlene ist Julias ältere Schwester. Ihre beiden Mädchen sind sehr unterschiedlich, was deren Vorlieben und Talente angeht. Julia ist erst vor einigen Monaten volljährig geworden, kleiner im Wuchs, wie ihre Mutter und konservativ ausgerichtet. Im Grunde genommen ist sie ein aufgeschlossenes, jedoch ruhiges Mädchen mit Begeisterung für alles, was mit handwerklichen Dingen zu tun hat und kommt damit nach ihrem Vater. Zugleich ist sie logisch veranlagt und hat meist einen aberwitzigen Spruch parat.
Ihre Schwester Marlene, 20 Jahre alt, von ebenso großem Wuchs wie ihr Vater, ist dagegen extrovertiert und sehr selbstbewusst. Ganz im Gegensatz zu Julia, liegen ihre Talente im Malen, Zeichnen und Modellieren, womit sie nach ihrer Mutter kommt. Oftmals stört sich Marlene an Julias recht eigenwilligen Humor, kann ihm meist nur wenig abgewinnen was unter anderem dazu führt, dass die Mädchen aneinandergeraten, was in den letzten Jahren häufiger der Fall ist.
„Vielleicht hättest du in deinen Weihnachtsferien ebenfalls wegfahren sollen, wäre das gut für dich gewesen und hätte dich zudem vom Schulalltag abgelenkt, hm?“
Ein wenig Abstand aus der Umarmung ihrer Mutter nehmend, schaut Julia sie nach diesen Worten skeptisch an. Die Lippen schürzend, schüttelt sie so energisch den Kopf, dass ihr langer Pferdeschwanz von einem Ohr zum anderen fliegt.
„Das kann nicht dein Ernst sein, Mam. Wer bitte feiert denn Weihnachten freiwillig getrennt von seinen Lieben? Das geht gar nicht und könnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Weihnachten ist das Fest der Familie, selbst wenn man eine streitlustige Schwester hat“, mault sie auf und fängt sich heute dafür nicht einmal mahnende Worte ihrer Mutter ein.
Stattdessen lacht Frau Heinrich auf und drückt ihre Tochter liebevoll an sich, ehe sie Julia auf eine Armeslänge Abstand zu sich bringt. Zuerst schmunzelnd, breitet sich das Lächeln auf dem Gesicht von Julias Mutter aus, während sie einen allwissenden Ausdruck auf ihr Gesicht legt. Julia kennt diesen Ausdruck nur zu gut und beginnt unruhig vor ihr zu wibbeln.
„Was denn? Nun sag schon, Mam!“
„Na wenn das so ist…“, wird ihre Neugier gestillt, da Frau Heinrich gute Nachrichten nie lange für sich behalten kann, „…, dann habe ich wohl eine Überraschung für dich. Deiner Schwester geht es nicht viel anders als dir. Auch sie hat Heimweh und daher…“, legt sie eine spannungssteigernde Pause ein, „…, kommt sie morgen nach Hause, mit dem Zug um halb Neun.“
Ein Freudenschrei von Julia belohnt Frau Heinrich für ihre Mitteilung und ein liebevoller Kuss trifft ihre Wange, ehe sie von Julia einmal übermütig herumgewirbelt wird. Danach innehaltend, wirft Julia einen abschätzenden Blick quer durch ihr Zimmer, ehe sie ihre Mutter liebevoll herumdreht und in Richtung Zimmertür schiebt.
„Ach nee, öhm. Oh, shi… Schande. Wenn das so ist, ich… habe noch zu tun, Mam. Nimm’s mir nicht übel, aber du musst mich jetzt machen lassen, ja? Da wartet doch noch so einiges, das für Heiligabend verpackt werden will und muss.“
Verdattert über den offensichtlichen Sinneswandel ihrer Tochter, zugleich einsichtig, lässt sich Julias Mutter widerstandslos aus dem Zimmer ihrer Jüngsten schieben. Sie kennt ihre Tochter und weiß, dass diese gerade von Feuereifer angetrieben wird.
Einen kleinen Moment später findet sie sich auf dem Flur wieder und Julias Zimmertür schließt sich erneut. Einen letzten Blick darauf werfend, begibt sich Frau Heinrich schmunzelnd zurück ins Erdgeschoss.
Ihre Mädchen! Sie können nicht miteinander, offensichtlich auch nicht ohneeinander.
Julia ist nun ganz in ihrem Element. Beflügelt von der Nachricht, dass ihre Schwester über Weihnachten zuhause sein wird, steuert sie gezielt ihren Kleiderschrank an und räumt alle Geschenke wieder heraus. Die letzte Rolle Geschenkpapier, doch diesmal wird es gut laufen, davon ist sie überzeugt.
Und wahrhaftig. Das Einpacken der Geschenke geht ihr gut von der Hand und die Resultate nach vollbrachter Arbeit sehen durchaus ansehnlich aus. Besonders viel Mühe gibt Julia sich mit dem Geschenk für ihre Schwester. Sie hat einen ägyptischen Armreif für Marlene ausgesucht, der sorgfältig in das bunte Papier eingewickelt und mit Geschenkband verziert wird. Danach ihr Werk begutachtend, nickt Julia zufrieden. Ja, jetzt kann Weihnachten kommen.
Während der Hausarbeit fällt Frau Heinrich ein, dass sie ihrer Tochter nicht erzählt hat, dass Marlene einen Besucher über die Feiertage mitbringen wird.
Frau Heinrich telefonierte an diesem Morgen mit ihrer Ältesten und Marlene erzählte ihr unter anderem, dass sie in Salzburg einen jungen Mann kennengelernt hat, dessen Elternhaus ganz in der Nähe der Heinrichs steht. Ganz die Art ihrer Tochter, hatte Marlene in den höchsten Tönen von ihm geschwärmt und fast eine halbe Stunde lang einen Monolog am Telefon bestritten. Aber so war und ist Marlene: Sehr schnell begeistert, was sich ebenso schnell ins Gegenteil wandeln kann, da sie bisweilen ein wenig flatterhaft ist.
Beim Abendessen wird sie ihrer Familie vom anstehenden Besuch berichten, nimmt Frau Heinrich sich vor und widmet sich den noch anstehenden Arbeiten im Haushalt.
Weihnachten. Das Fest der Liebe, der Geschenke und… der massenhaften Arbeit vor dem Fest, seufzt sie leise auf. Dennoch hält es sie nicht davon ab, mit einem vor sich hin gesummten Weihnachtslied als erstes den Abwasch zu erledigen.
Sie vergisst im Laufe des Tages erneut, ihre Familie vom restlichen Inhalt des Telefonats mit Marlene zu erzählen und so kommt es, dass zwar ein jeder darüber informiert ist, dass Marlene über Weihnachten daheim sein wird, vom Feiertagsgast weiß hingegen nur sie allein.