Читать книгу 13 tolle Tage - Andra Bergan - Страница 7
Tag 2
ОглавлениеMontag, 22. Dezember
Als Julia am Morgen aufwacht, ahnt sie, dass ihre Eltern längst beim Einkaufen sind. Vergangene Nacht hat sie deutlich besser geschlafen und ihr Blick auf den Radiowecker gibt ihr darüber Auskunft, dass es bereits kurz vor 10 Uhr ist. Beschwingt und guter Stimmung steigt sie aus dem Bett, auf die ihr typische Weise: Bettdecke zu Boden strampeln, Beine über den Rand des Bettes, Haare durchwuscheln und der obligatorische Blick durch ihr Zimmer.
Himmel nochmal, sie sollte wirklich aufräumen. Die Schnipsel vom Geschenkpapier liegen quer im Zimmer verstreut, Schere und Klebeband finden sich unter der Heizung, Kleidungsstücke hat sie auch länger nicht mehr in den Schrank zurückgepackt und auf dem kleinen Tisch ihrer weißen Rattan-Sitzgruppe türmen sich Bücher, Papiere, Socken und… noch irgendwas, das Julia nicht erkennen kann. Diese Unordnung ist keine mathematische Formel mehr, sondern einfach nur unschön. Höchste Zeit, daran etwas zu ändern. Nun ja, nach dem morgendlichen Ritual.
Vorerst steht sie auf und macht ohne Umschweife ihr Bett. Mit dem Fuß einige Sachen auf den Boden zur Seite schiebend, wählt sie ihre Kleidung für heute aus dem Schrank, greift sich dazu ein Paar Socken vom Tisch, an denen sie nur kurz riecht, um festzustellen, ob diese wirklich sauber und noch ungetragen sind. Ihre Kleidung für später auf ihrem gemachten Bett parkend, will sie sich erstmal im Badezimmer frisch machen. Rein in den Schlabberpulli und auf geht’s!
Voller Tatendrang reißt Julia ihre Zimmertür auf und stolpert erschrocken rückwärts, als ein dunkler Schatten wie ein Schreckgespenst vor ihr auftaucht. Ihr Herz trommelt so heftig, dass es den besten Schlagzeuger der Welt neidvoll erblassen lassen würde.
„Nicht du schon wieder!“, entfährt es ihr keuchend und mit schreckgeweiteten Augen.
Vor ihr steht Mark und grinst amüsiert vor sich hin. Und als wäre das nicht genug, schaut er unverschämt gut aus, sogar so früh am Morgen - im Gegensatz zu ihr. Schwarze Jeans, dazu ein weißer Rollkragenpulli und er riecht so frisch, wie sie es sich für nach einer Dusche erhofft.
„Vielleicht hätte ich ein Medizinstudium anstreben sollen. Du siehst aus, als würdest du kurz vor einem Herzinfarkt stehen“, kommentiert er trocken ihr plötzliches Auftauchen und grinst sie dabei so vergnügt an, dass Julia an sich halten muss, um ihn nicht in die Rippen zu knuffen.
„Hä, hä, hä, sehr witzig“, knurrt sie ihn an. „Wartest du etwa vor meiner Tür, bis ich endlich herauskomme?“, schießt sie ihrerseits eine Spitze ab. „Meinst du nicht, dass das eindeutig zu viel Anhänglichkeit für einen Nicht-Hund ist?“, entgegnet sie schlagfertig und entlockt ihm auf diese Weise ein herzhaftes Lachen.
Mark blickt an der kleinen, vorlauten Schwester Marlenes herab. Irgendwie sieht sie süß aus, in ihrem überweiten Pullover und mit den verwuschelten Haaren, die ihr sowohl ins Gesicht, als auch über den Rücken fallen. Ihre Augen blitzen übermütig auf, was ihn einmal mehr reizt, sie zu provozieren. In übertriebener Geste schafft Mark ihr Platz, tritt zwei Schritte zurück und vollführt dazu eine vornehme Verbeugung, seinen Arm einladend in Richtung Bad bringend.
„Verzeiht mir, Lady Julia, sollte ich Eure Geduld überstrapazieren“, verkündet er mit großem Theater.
Julia ist weder auf den Mund gefallen, noch lässt sie sich die Gelegenheit eines kleinen Rollenspiels entgehen. Sie wird ihm beweisen, dass sie mit seinem gedanklichen Zeitsprung in die Vergangenheit der Ladies und Gentlemen mithalten kann. Schließlich hat sie genügend Bücher und Filme gesehen, deren Handlung sich in dieser Zeit abspielte.
Ihren Schlabberpulli seitlich an einem Zipfel greifend, hebt sie diesen in höfischer Art und Weise an, als trüge sie ein ausladendes Ballkleid. Ihr Kinn reckend, formt sie mit ihren Lippen einen Spitzmund und senkt ihre Lider auf Halbmast. Würdevoll schreitet sie an Mark vorbei, in Richtung Badezimmer.
„Seid bedankt, doch weilt nicht erneut vor meiner Kammer, Unwürdiger!“, maßregelt sie ihn gespielt. „Ansonsten wird Euch meine Leibgarde dem Henker zuführen, dessen seid Euch gewiss.“
Sie wendet sich zu ihm herum, wirft ihm einen gespielt entrüsteten Blick von Kopf bis Fuß zu, den sie sich von Tante Mila abgesehen hat, und entlässt ihn mit einem vornehmen Wink ihrer Hand. Sie entschlüpft ins Badezimmer und erlaubt sich erst hier das amüsierte Kichern über Marks spontanen Einfall. Er hat Fantasie, das muss sie ihm lassen, und weiß sie zu gebrauchen. ‚Nein, ich finde ihn dennoch nicht toll‘, flacht sie ihre Euphorie ab und entledigt sich schwungvoll ihres Pullis, um endlich zu duschen. Nach einem Probeschnuppern daran wirft sie ihn angewidert in den nahen Wäschekorb. Irks! Wann hat sie den nur zuletzt gewaschen? Riecht wie ein abgelegtes Fischbrötchen, so irgendwie.
Flink springt sie unter die Dusche und stellt das Wasser an, um es entsetzt aufquietschend sofort wieder abzustellen. Das Wasser ist eiskalt und bibbernd schaut sie auf den Temperaturregler, sich dabei das Nass aus den Augen wischend. Wer zum Teufel hat den Regler so weit in den blauen Bereich verstellt, dass eiskaltes Wasser auf ihr landen konnte. Grummelnd und knurrend wandert ihr Blick durch das klare Glas der Duschkabine in Richtung Badezimmertür. Sie kann sich vorstellen, wer das war. Ihre Eltern haben Schlafzimmer und Bad unten, somit kommen nur Marlene, Mark oder sie selbst in Frage. Und Marlene duscht warm, das weiß Julia von ihrer Schwester. ‚Er hat sie eiskalt erwischt‘, jubelt das innere Teufelchen, während Julia den Regler deutlich weiter zum roten Bereich hindreht. Vorsorglich nimmt sie den flexiblen Brausekopf aus der Halterung, richtet ihn gen Abfluss, bevor sie das Wasser erneut aufdreht. Der Rest Kaltwasser trifft einzig ihre Füße, bis es endlich warm aus der Brause kommt und Julia erlaubt, den Duschkopf wieder in die Halterung einzulegen. Sich direkt unter den Wasserstrahl stellend, angelt sie blind nach ihrem Duschgel und gibt eine gute Portion davon in ihre Handfläche. ‚Welche Wohltat‘ seufzt sie genussvoll, die Seife dabei auf ihrem Körper verteilend, um nur einen Moment später zu stutzen. Ihre Nase aus dem angenehm warmen Wasserstrahl reckend, riecht sie an dem gewählten Duschgel und reißt entsetzt die Augen auf. Ihren Blick schräg nach oben richtend, auf das Regal, wo Shampoo und Duschgel stehen, bemerkt sie die vertauschten Duschgel Plätze. „Axe – for men“ starrt ihr höhnisch vom Standplatz entgegen, wo Julia sonst ihr Duschgel deponiert.
„Wäh!“, entfährt es ihr und hastig wäscht sie den Männerduft von Haut und Händen, schnuppert danach prüfend an ihrem Arm. Verflucht, das Zeug ist echt beharrlich, hat sich vom Duft her schier in ihre Haut geätzt. Rasch greift sie nach ihrem Duschgel, schüttet eine übermäßig große Portion in ihre Handfläche und versucht damit den bestehenden Duft zu überdecken. Sich anschließend vom warmen Wasserstrahl berieseln lassend, riecht sie prüfend an ihrem Arm und verdreht genervt die Augen. Der Geruch haftet wie Klebstoff an ihr. Die nächste Portion wird aus ihrem Duschgel gedrückt, fällt noch großzügiger aus als die davor und wiederholt versucht Julia auf diese Weise, den ihr anhaftenden, männlichen Geruch loszuwerden. Nach dem Abspülen stellt sie resigniert fest, dass es sinnlos ist und sie eher das Aufweichen ihrer Haut riskiert, als den Duft loszuwerden. ‚Altes Mütterchen oder Männchen spielen‘, wägt sie für sich ab, ob sie ein Verschrumpeln ihrer Haut in Kauf nehmen, oder mit dem Männerduft durch den Tag gehen will. Der Vernunft gehorchend, entscheidet sie sich für letzteres und stellt das Wasser ab.
„Das neue Axe - jetzt unabwaschbar!“, frotzelt Julia spöttisch vor sich hin, tritt aus der Dusche und greift nach dem Badelaken, in das sie sich einwickelt. Vollständig abgetrocknet, zieht sie noch einmal ihren Arm unter ihre Nase. ‚Wahnsinn, echt mal‘, schüttelt sie den Kopf, ‚wenn mein Duft nur halb so intensiv und langanhaltend wäre‘. Auf ihrer trockenen Haut ist der Geruch noch um einiges intensiver, gefällt ihr aber eigentlich gar nicht mal so schlecht. Zwar ein wenig zu herb, für ihren Geschmack, aber durchaus angenehm und frisch. Es hätte schlimmer ausgehen können, stinkiger.
Auch heute braucht sie nicht lange im Badezimmer, benötigt einzig mehr Zeit für ihre Haare, die sich wieder einmal nur schwer bändigen lassen.
Wenig später geht Julia, frisch angezogen mit dunkelgrüner Jeans und weißer Bluse, die Haare noch feucht im Rücken liegend, zum Frühstück runter. Hunger hat sie keinen, weshalb sie sich einzig für einen Café Latte entscheidet, damit jedoch rüber ins Esszimmer geht und es sich auf einem der dortigen Stühle am Tisch gemütlich macht. Ihre Eltern haben einen Zettel am Adventskranz hinterlassen, den Julia neugierig unter ihre Augen zieht:
Sind einkaufen, macht es euch gemütlich.
Räumt nur bitte den Tisch ab.
Wir haben Euch lieb.
Lächelnd seufzt Julia auf. Ihre Eltern sind wirklich unbezahlbar und würde sie für nichts auf der Welt eintauschen. Statt ihre Kinder aus dem Bett zu holen, damit sie beim Weihnachtseinkauf helfen, sind sie beide los und lassen ihren Mädchen Zeit zur Erholung, die sie selbst ebenfalls verdient hätten. Julia ist noch in Gedanken versunken, als Marlene gleichfalls das Esszimmer betritt, scheinbar gleichfalls verschlafen hat oder länger für ihr Styling benötigte.
„Morgen, kleines Ekel!“, begrüßt sie Julia grinsend und die entgegnet ein „Morgen, großes Ekel!“, ebenso grinsend.
Marlene setzt sich Julia gegenüber, zieht hörbar und tief den Duft ein, der von Julia ausgeht und fängt an zu lachen.
„Ja sag mal, seit wann benutzt du denn Männer-Duschgel? Oder hast du einen neuen Freund, von dem ich noch nichts weiß oder den du vor mir versteckst?“
Marlene schaut sich auffällig im Raum um, als erwarte sie, ihre Vermutung in Gestalt eines unbekannten Jungen bestätigt zu bekommen, der aus irgendeiner Ecke springt.
Julia gibt einen Laut des Unwillens von sich. ‚Und ich dachte, nur ich rieche es‘, denkt sie bei sich, wendet sich jedoch gespielt gleichmütig ihrer Schwester zu und zuckt mit den Schultern.
„Nix Freund, das kann ich mir neben der Ausbildung gar nicht erlauben. Schlicht und einfach vergriffen, in der Dusche. Wie’s halt so ist: Wasser in den Augen und einfach aufs Regal gelangt. Und sowas… kommt dabei raus. Ist sicherlich der Duft von deinem Schnuckelputzihaserlschatzi, dem Kaltduscher, falls du nicht gleich zwei am Start hast.“
Marlene findet es witzig, prustet kurz und herzhaft ihr Lachen heraus und spuckt dabei beinahe ihren im Mund befindlichen Kaffee über den Frühstückstisch. Deutlich vornehmer greift sie im Anschluss nach einem Weißbrot und richtet sich auf ihrem Stuhl merklich auf.
„Meine Rede, Schwesterherz: Augen auf, egal wann oder wo“, kommentiert sie altklug und blickt über Julias Kopf hinweg in Richtung Türrahmen.
Julia, die mit dem Rücken zur Tür sitzt, muss sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer sich da mit 100%iger Wahrscheinlichkeit aufgestellt und jedes Wort von ihr mitangehört hat: Mark. Ihre Vermutung bestätigend, tritt er hinter Julia, bringt seine Nase provokativ über ihre Schulter und zieht geräuschvoll den von ihr ausgehenden Duft in die Nase und lässt ihn leise schmatzend auf sich wirken, als würde er einer Weinprobe beiwohnen.
„Kommt dem Schnuckelputzihaserlschatzi bekannt vor, so irgendwie. Kräftig und würzig, langanhaltend in der Wirkung. Gute Wahl, junges Fräulein, echt gute Wahl. Würde und werde ich auch verwenden, falls die Warmduscherin noch was übriggelassen hat.“
Scheinbar gelassen bleibt Julia ruhig sitzen, balanciert ihre Kaffeetasse auf ihrem auf dem Stuhl hochgesetzten Knie.
„Komm zum Frühstück, Mark. Es ist bestimmt noch Clownfisch für dich übrig“, lädt sie den Witzbold ein.
Mittlerweile fragt sie sich, wer hier eigentlich wen auf den Arm nimmt und wer sich dagegen im Haus noch normal verhält. ‚Du bist nicht normal‘, flüstert ihr kleines Teufelchen vorlaut und wird vom Engelchen abgelöst, das ein verteidigendes ‚…und das ist auch gut so! Normal kann ja jeder‘ anbringt. Innerlich zufrieden, grinst Julia vergnügt vor sich hin, während Mark Marlene mit einem Kuss begrüßt und sich neben ihr niederlässt.
„Und… wie war euer Abend gestern?“, erkundigt sich Julia höflich, während Mark noch immer auffällig in die Luft schnuppert. Julia muss wirklich an sich halten, ihm nicht die Zunge rauszustrecken oder ihm unter dem Tisch gegen das Schienbein zu treten. Typisch Freund von Marlene, selbstverliebt und anmaßend. Okay, vielleicht auch ein klein wenig witzig und schlagfertig, muss sie widerwillig zugeben und versteckt ihr aufkommendes Grinsen hinter einem Schluck Kaffee.
„Das hättest du sehen müssen! Groß wie Untertassenteller sind die Augen der Mädels geworden, als ich mit Mark aufgekreuzt bin. Die konnten ihre Augen gar nicht von ihm lassen und als ich ihnen erzählte, dass Mark in Salzburg studiert, waren sie völlig aus dem Häuschen. Immerhin habe ich jetzt als einzige aus meiner Clique einen Freund, der bereits älter ist und sich irgendwann einen Namen machen wird. Das hat sie natürlich beeindruckt und ich konnte förmlich sehen, wie der Neid in ihnen hochstieg. Insgesamt war die Show einfach großartig, ein ganz famoser Auftritt, den wir hingelegt haben.“
Julia schaut ihre Schwester an und zieht kaum merklich ihre Augenbrauen hoch. Die Schilderung des Abends gleicht eher einem Bericht ihrer Tante, wenn die über eine erlebte Zuchthundschau berichtet, als dass es nach einem gemütlich verbrachten Kinoabend klingt. Aber auch das ist typisch für Marlene, dass neue Bekanntschaften erst ihren Freundinnen präsentiert werden und vor denen bestehen müssen.
„Aha“, gibt Julia daher einsilbig zur Antwort, als Marlene längst fortfährt.
„Davon abgesehen hat Claudia modisch gestern völlig danebengegriffen. Stell dir mal vor, die hatte doch glatt ein Oberteil an, das eher aus dem Kleiderschrank ihrer Oma hätte sein können. War schon echt peinlich, mit ihr loszuziehen und ich hätte mich am liebsten woanders hingesetzt. Dazu Melis neuer Freund, der noch schlimmer ist. Das ganze Gesicht voller Akne, ich schwöre, und der Typ deckt es nicht mal mit ner getönten Tagescreme ab. Echt heftig. Peinlich, sag ich dir, einfach nur peinlich. Jenny hat sich auch gar nicht zurückgehalten, hat das Bürschchen die ganze Zeit damit aufgezogen.“
Zuerst verzieht Marlene angewidert das Gesicht, kichert dann los und Julia seufzt innerlich auf. Wieder Themen, die sie überhaupt nicht interessieren und dazu das Verhalten von Jenny, das sie für um einiges peinlicher findet als die Punkte, die Marlene aufgezählt hat. Julia wollte im Grunde nur erfahren, wie der Film war und fragt daher ohne Umschweife und direkt nach.
„Und der Film?“
Marlene schaut von ihren manikürten Fingernägeln auf, die sie prüfend im Visier hatte und denkt flüchtig nach.
„War glaube ich ganz gut, der Film. Viel hab ich nicht mitbekommen, weil Jenny mir erzählt hat, was während meiner Abwesenheit hier so alles passiert ist.“
Julia erwidert nichts darauf, ihr Blick streift zufällig Mark, der sich zum Abend bisher gar nicht geäußert hat.
Mark ist tief in Gedanken versunken, sinnt gleichfalls über den vorangegangenen Abend nach. Im Grunde genommen freute er sich auf einen spannenden Kinoabend, doch die Freunde von Marlene, die sogenannte Clique, verpassten seiner Freude einen gehörigen Dämpfer. Den ganzen Abend lang stieß ihm Jennys Verhalten regelmäßig unangenehm auf und er fragt sich, weshalb Marlene sich mit einem derart boshaften Mädchen umgibt. Jenny zog ununterbrochen und schamlos über den Jungen her, bis der keinen Mucks mehr von sich gab und sich vorzeitig, mit hochrotem Kopf verabschiedete. Marlene lästerte zwar nicht mit, kicherte jedoch ungeniert, bei jeder verächtlichen Bemerkung seitens Jenny. Mark schüttelt ungläubig den Kopf. Dieser Umgang passt so gar nicht zu der Marlene, die er in Salzburg kennenlernte. Er vermisst das Mädchen, dem er dort begegnete.
‚Entweder will er nicht frühstücken oder er wartet auf die Bedienung‘, spekuliert hingegen Julia und leitet Aufklärungsarbeit ein.
„Ähm… Kaffee ist in der Küche, läuft frisch gebrüht aus der Maschine, wenn man weiß, wie es geht. Oder aber Marlene erklärt sich bereit, dich zu versorgen, denn Hauspersonal haben wir nicht.“
Marlenes Kopf ruckt hoch und recht direkt tippt die sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn und zeigt Julia den Vogel.
„Äh… Nee? Sehe ich vielleicht aus wie ne Bedienstete? Du willst als Kellnerin arbeiten, also ist’s wohl eher dein Job, richtig?“
Mark schaut von der einen Schwester zur anderen, sagt jedoch nichts zu der kleinen Fopperei der beiden, die ihm gelegen kommt und ihn von seinen Gedanken an den Kinoabend erlöst.
„Sie macht nämlich eine Ausbildung in der Gastronomie, musst du wissen, wird eine ausgebildete Kellnerin“, wendet sich Marlene erklärend an Mark und rückt zugleich so nah an ihn heran, dass sie fast auf seinem Schoß sitzt.
„Rezeption und Service, du Nuss“, korrigiert Julia und verdreht die Augen. „Ich hab dir den Unterschied schon so oft erklärt“, streckt Julia nach ihren Worten ihre Zunge raus und Mark muss bereits auflachen, „…, daff mir bereitf Fuffeln an der Funge kleben“, vollendet Julia ihren Satz.
„Ist doch das gleiche“, behauptet Marlene und trinkt unbeeindruckt und überhaupt nicht belustigt ihren Kaffee weiter.
Herrje, ihre Schwester zeigt heute mal wieder überhaupt kein Benehmen. Vielleicht hätte ihr die Zeit bei Tante Emilia in Salzburg um einiges besser getan, so, wie sie sich aufführt.
Julia erspart sich die nochmalige Erläuterung der Unterschiede ihrer Ausbildung, setzt stattdessen ihre geleerte Kaffeetasse deutlich hörbar auf dem Tisch ab und erhebt sich vom Stuhl. Anstatt lange Erklärungen abzugeben, beginnt sie den Tisch abzuräumen. Doch nicht auf die übliche Hausfrauenart, sondern professionell und so, wie es ihr auf ihrer Schule beigebracht worden ist. Dabei nutzt sie die Fläche ihres Unterarms, um die auf dem Tisch verbliebenen Teller abzuräumen. Auch Marlene wird der Teller direkt unter der Nase weggezogen und mit einem schelmischen Ausdruck auf dem Gesicht, verschwindet Julia in der Küche.
„Hey!“, mault Marlene hinter ihr her, da sie mitten beim Essen war. „Das ist überhaupt nicht witzig!“
Mark sieht das anders, bricht in schallendes Gelächter aus, nachdem er Julias Aktion mit Staunen beobachtet hatte. Er amüsiert sich königlich über Julias intelligenten Aberwitz und hat nebenbei seine Wissenslücke gefüllt, was Julia beruflich macht, beziehungsweise in welcher Ausbildung sie sich befindet. Er ist Marlene dankbar, dass sie ungewollt seine Unaufmerksamkeit vom Vortag ausgemerzt hat.
Obwohl Julia voll beladen ist, fällt nicht ein Teller herab, geht kein Teil vom abgeräumten Geschirr zu Bruch. Das Porzellan gekonnt auf ihrem Unterarm balancierend, räumt Julia es sogar von dort aus in die Spülmaschine ein. Stolz streicht Julia anschließend ihre Hände aneinander ab und dreht sich breit grinsend zu Marlene herum, die Arme vor der Brust verschränkend.
„DAS… ist Service, meine Liebe. Und wenn ich dir jetzt dein eigenes Zimmer im Haus für deinen Urlaub verkaufen und dir zudem die Vorzüge unserer Mam als Extras präsentieren würde, in deren Genuss du während deines Aufenthaltes kommen kannst, dann fiele dies in den Bereich ‚Rezeption‘, klar?“
„Wie auch immer“, zuckt Marlene mit den Schultern, der das völlig egal ist.
„Scheint, dass ich die nächste Zimmerbuchung bei euch im Haus über dich abwickeln sollte“, wirft Mark ein und grinst verwegen.
„Kannst du gern versuchen, aber meist sind wir über Monate im Voraus ausgebucht“, erwidert Julia mit einem liebreizenden Lächeln. „Der Service des Hauses ist einfach zu gut und bekannt, als dass wir des Öfteren freie Zimmer im Angebot hätten.“
„Sind Fettnäpfchen-Bäderkuren und Gassigeh-Spaziergänge im Service inbegriffen?“, hakt Mark beiläufig nach, sich eingehend und grinsend seinem Frühstücksei widmend.
Julia schnappt nach Luft, wendet sich wortlos dem Geschirrspüler zu und beginnt, das darin befindliche Geschirr noch einmal zu ordnen, um Zeit zu gewinnen. Mark hat sie erwischt, wieder einmal. Eigentlich ist sie froh, dass Marlene nicht auf den kleinen Schlagabtausch eingeht, scheinbar gar nicht zugehört hat.
„Ich und Mark fahren übrigens gleich in die Stadt. Sei so gut, und erledige für Mam derweil den Rest im Haushalt, ja?“
Eben noch guter Laune, schwindet Julias Lächeln, bei Marlenes Worten.
„Mark und ich…“, murmelt sie korrigierend und doch so leise, dass die beiden es nicht hören können. ‚Aschenputtel bleibt daheim, während die Schwester wieder einmal shoppen geht‘, denkt Julia, die ebenfalls gerne in die Stadt gefahren wäre, da ihr jetzt ein Geschenk für Heiligabend fehlt. Um jedoch nicht erneut Streit zu provozieren, nickt sie zustimmend.
Mark schaut zu Marlene. Die Pläne für den heutigen Tag waren ihm bis eben unbekannt. Nicht einverstanden mit der Umwälzung der Arbeit, blickt er Marlene an.
„Wir können gemeinsam den Haushalt machen und danach in die Stadt fahren. So bleibt der Krempel nicht an einem allein hängen“, schlägt er diplomatisch vor und erntet trotzdem einen missbilligenden Blick von Marlene.
„Ist wirklich süß angedacht von dir“, gibt sie mit aufgesetztem Lächeln von sich, „…, aber wir sind verabredet, Mark, im Gegensatz zu Julia, die eh lieber zuhause hockt. Ich habe für heute etwas mit meinen Freunden ausgemacht.“
„Mit denen von gestern?“, fragt Mark in einem Ton nach, der keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass ihm der gestrige Abend nicht zusagte.
„Aber nein“, winkt Marlene gelassen ab. „Ich habe einen sehr großen Freundeskreis und du kennst noch nicht einmal ein Drittel meiner Leute.“
Julia hat bereits angefangen, in der Küche für Ordnung zu sorgen und dennoch Marlenes Spitze gegen sich mitbekommen.
„Oh ja, Marlene hat wirklich einen großen Freundeskreis, Mark. Ich bin mir gar nicht sicher…“, wirft sie ein und imitiert ein krampfhaftes Überlegen, „…, ob die Feiertage ausreichen werden, damit sie dich bei all ihren Freunden vorzeigen… ähm… vorstellen kann.“
Julia versteckt ihr Feixen, indem sie den Abwasch fortsetzt und Marlene erwidert das verbale Feuer.
„Stimmt, bei deinem Freundeskreis wäre man wohl in einer Viertelstunde durch, du Langweiler.“
„Klasse, statt Masse, meine Liebe“, korrigiert Julia unbeeindruckt und widmet sich weiter dem Abwasch.
Mark zieht alarmiert die Augenbrauen hoch. ‚Na das kann ja heiter werden‘, schießt ihm durch den Kopf. Bereits gestern fühlte er sich, umgeben von Marlenes Freunden unwohl, die beinahe gesamtheitlich oberflächlich und kindisch wirkten. Nachdenklich erhebt er sich vom Frühstückstisch. Hatte er bereits davor keinen großen Hunger, aufgrund des übermäßigen Angebots aus Keksen, Konfekt, belegten Broten & Co., was von Frau Heinrich den Tag über aufgetischt wird, so ist ihm der Appetit nun gänzlich vergangen. Daher hilft er lieber beim Abräumen, lässt Marlene derweil in Ruhe frühstücken, beziehungsweise ihren Kaffee austrinken, den Julia ihr gnädigerweise stehengelassen hat, im Gegensatz zum Teller.
Julia blickt vom Abwasch auf, als er in die Küche tritt.
„Wo soll ich das einräumen“, fragt er nach, dabei auf die Konfitüren deutend.
Er verblüfft Julia ein weiteres Mal. Noch nie hat eine von Marlenes Eroberung Hand angelegt oder besser, eine helfende Hand angeboten, geschweige denn, nur einen Finger gerührt, wenn es dabei nicht um Marlenes Belange ging.
„Zweite Schublade unter dem Herd“, erhält er von Julia zur Antwort und ein leise geflüstertes „Danke“ folgt.
Irgendwie fühlt Mark sich mit diesem kleinen Dank und der ablenkenden Aufgabe sofort besser, weshalb er auch den restlichen Tisch abräumt, die Sachen nach Julias Anweisung verstaut und ihr nebenher das Geschirr für den Abwasch reicht. Unaufgefordert greift er anschließend zum Handtuch, beginnt abzutrocknen und stellt das saubere Geschirr auf dem freien Küchentresen ab, da er nicht weiß, wo es einsortiert wird. Das selbstständige Leben in seiner kleinen Wohnung in Salzburg macht sich bemerkbar. Längst hat er sich vom verwöhnten Leben im Elternhaus verabschiedet und gelernt, den Alltag allein zu bewältigen, seit er sein Studium begonnen hat.
Marlene ärgert sich im Stillen, während sie die beiden bei ihrer Arbeit beobachtet. Mark scheint ernsthaft darauf erpicht zu sein, Julia zur Hand zu gehen. Er sollte hier bei ihr sein, neben ihr sitzen und ihr süße Worte ins Ohr flüstern oder ihr seine Zärtlichkeiten zukommen lassen. So kennt sie es, ist es gewohnt, von ihren bisherigen Freunden. Sie kann verstehen, dass er das nicht vor ihren Eltern macht, doch vor Julia? Das ist schließlich eine ganz andere Sache, da die Schwestern fast in einem Alter sind. Etwas zu heftig erhebt sich Marlene, weshalb der Stuhl, auf dem sie eben noch gesessen hat, nach hinten zu kippen droht und sie ihn gerade noch rechtzeitig abfangen kann. Dann wird sie die Sache eben selbst in die Hand nehmen und in die richtigen Bahnen lenken.
Ihre Kleidung richtend, setzt sie ihr lang vor dem Spiegel erprobtes Lächeln auf und geht zu den beiden in die Küche. Mark hat gerade ein abgetrocknetes Marmeladenschälchen abgesetzt, als Marlene lächelnd seine Hand ergreift.
„Den Rest schafft mein Schwesterchen allein. Wir beide sollten… ein wenig Zeit miteinander verbringen, ehe wir losfahren, meinst du nicht?“, flötet sie ihm entgegen und wirft ihre Haare in verführerischer Pose in den Nacken, ehe sie ihren Kopf an Marks Schulter legt und mit gekonntem Augenaufschlag zu ihm hochblickt.
‚Verflixt‘, mault Julia innerlich und hebt ihre Hand aus dem schaumigen Abwaschwasser, um sich die juckende Nase zu kratzen. Gebannt verfolgt sie die sich vor ihr abspielende Romantikszene. Im Stillen bewundert sie Marlene, die ihre Weiblichkeit und Vorzüge wie ein höllisch guter Pokerspieler auszureizen weiß. Selbst sie verfolgt mit Bewunderung, wie Marlene sich in Pose wirft und vergisst den Abwasch für den Moment. Im Grunde hat Marlene recht, den Rest der Küche schafft Julia problemlos, schon aufgrund ihrer Ausbildung.
Mark verharrt augenblicklich und seine Augen können sich nicht von Marlene losreißen. Die das Handtuch haltende Hand senkt sich, während er verträumt in Marlenes Augen versinkt. Langsam wandert sein Blick über sie und das Küchenhandtuch fällt auf den Boden, entgleitet schlicht seinen Fingern. ‚Reiß dich zusammen‘, ermahnt er sich und räuspert sich leise. Er hebt das Handtuch auf, um es zumindest neben dem Spülbecken abzulegen, als sein Blick dabei zufällig Julia streift und die aufgestiegene Romantik augenblicklich von Komik abgelöst wird.
„Du… hast da was“, wispert er ihr zu und ein freches Grinsen legt sich auf sein Gesicht.
„Wwwas?“, entwischt es Julia ungläubig und in ihrem Kopf erklingt ein Geräusch, das dem ähnelt, wenn die Nadel des alten Plattenspielers ihres Vaters quer über das Vinyl gezogen wird.
Mark legt das Küchenhandtuch beiseite und streicht Julia mit dem Finger entlang ihres Nasenrückens. Ihr zum Beweis den Finger unter die Augen haltend, findet sich darauf eine Portion Schaum aus dem Spülbecken. ‚X-tes Fettnäpfchen‘, denkt Julia und wendet sich errötend zum Spülbecken herum.
„Nun geht schon, ihr zwei, ich komme zurecht und mach den Rest“, versucht sie die beiden loszuwerden.
Oh Mann! Und wieder hat die Peinlichkeit sie fest im Griff, weshalb sie allein sein will.
Julia genießt die Ruhe im Haus, während Marlene und Mark in die Stadt gefahren sind und ihre Eltern sich mit großer Wahrscheinlichkeit durch die Massen der Einkaufswütigen quälen. Trautes Heim, Glück allein! Musik! Kurz darauf erfüllt die basslastige Musik ihrer Songliste das Haus. Der Staubsauger schwingt gleich doppelt so gut, der Wischer folgt und vertilgt auch den letzten Rest Schmutz, der noch verblieben ist. Julia macht es nichts aus, im Haushalt mitzuhelfen, da sie weiß, was ihre Mutter alles für die Familie tut und wie sie alles gibt, um die regelmäßigen Abläufe in Haus und Familie zu erhalten.
Irgendwann ist Julia ganz in ihrem Element und voller Elan, weshalb sie im Anschluss ihr Zimmer aufräumt und endlich die lästigen Überbleibsel der Geschenkeverpackungsaktion beseitigt. Selbst ihren Tisch räumt sie auf, verwahrt die herumliegende Kleidung und findet unter einigen Unterlagen länger vermisstes Geschirr, das sie mit leicht angewidertem Gesicht im Geschirrspüler verstaut. Sogar einige Kleinmöbel stellt Julia in ihrem Zimmer um, richtet sich dabei eine gemütliche Leseecke ein und erneuert im Anschluss die Duftkerzen im Haus. Zufrieden betrachtet sie hernach ihr Werk. Auch wenn ihr Zimmer keine mathematische Formel mehr ist, fühlt sie sich jetzt um einiges wohler in ihrem kleinen Heim.
Die Haustür geht.
„Wir sind wieder zuhause“, erklingt die Stimme von Frau Heinrich und Julia schlüpft in ihre nächstbesten Schuhe, um ihren Eltern beim Ausräumen und Verstauen der Einkäufe zu helfen.
Mit großen Augen bemerkt Julia, dass sich unter den Tüten im Auto auch ein beleuchteter Weihnachtsmann findet, der, wie ihr Vater verschmitzt grinsend erklärt, im Vorgarten aufgestellt werden soll. Ihre Eltern haben wirklich Geschmack bewiesen und einen hübschen Weihnachtsmann gefunden. Dreidimensional, aus einem dekorativen weißen Korbgeflecht, mit warmweißen Lichtern versehen. Julia grinst, während sie in den nächstgelegenen Vorgarten eines Nachbarn schaut, in dem ein hässlicher Plastikweihnachtsmann in grellen Farben steht. ‚Mark hat Recht‘, entscheidet Julia mit noch breiterem Grinsen, ‚sollen die anderen nur machen. Ein eigener Kopf ist unbezahlbar und zeugt oftmals nicht nur von Geschmack, sondern auch von Individualität.‘
Gemeinsam, bei Kaffee und Plätzchen und nach dem erfolgreichen Verstauen aller Einkäufe, sitzt die Familie im Wohnzimmer beisammen.
„Das ist so lieb, dass du dich hier im Haus um alles gekümmert hast, meine Kleine“, lobt Herr Heinrich seine Tochter und seine Frau nickt zustimmend.
„Es schmeckt mir jedoch nicht, dass Marlene dir nicht geholfen hat“, wirft Frau Heinrich trotzdem ein.
„Ach lass mal, das ist schon in Ordnung so. Die beiden wollten in die Stadt und ich…“, leise seufzend zucken Julias Schultern in die Höhe. „Naja, ich kann ja an einem anderen Tag fahren. Ist nur blöd, weil Mark jetzt da ist und ich kein Geschenk für ihn habe.“
Herr Heinrich blickt seine Tochter an.
„Du willst ihm auch etwas schenken?“, fragt er sichtlich erstaunt nach. „Ich dachte, ihr zwei kommt nicht besonders gut miteinander aus?“
Seine Frau stößt ihn unter dem Tisch an, schüttelt den Kopf.
„Er ist nicht so übel und nachdem ich mich so bei ihm in die Nesseln gesetzt hab, sollte ich es wohl irgendwie gutmachen, denkt ihr nicht auch? Und es ist Weihnachten und er ist der Freund von Marlene. Da sollte ich wohl etwas… großzügiger sein.“
Die Heinrichs kennen ihre Tochter, haben erwartet, dass sie auf diese Weise und nicht anders reagieren wird.
„Wenn alle Stricke reißen, sind wir auch noch da und können für dich besorgen, was auch immer dir zu Mark eingefallen ist“, bietet Herr Heinrich fürsorglich an und zwinkert seiner Tochter zu.
„Danke Paps, aber was mir dazu durch den Kopf geht, ist schon ein wenig spezieller und da muss ich mich selbst erstmal schlaumachen, wo ich sowas herzaubern kann“, grinst Julia zu ihrem Vater.
„Hör mal, mein Mädchen, aber keine Streiche aushecken. Dass wir uns in der Hinsicht einig sind, ja?“, baut Vater Heinrich vor, der den Schalk seiner Tochter schon am eigenen Leib erfahren hat.
„Aber nein, Paps, wo denkst du hin. Als würde ich jemals… hätte ich irgendwann…“
Julia räuspert sich und fährt sich verlegen durch die Haare. „Erzählt lieber mal, wo ihr das Prunkstück unseres Vorgartens gefunden habt.“
Die Stimmung ist gut bei den Heinrichs, fast ausgelassen, denn jeder freut sich über den Neuerwerb und das elegante Schnippchen, das sie zeitgleich dem „Heerführer“ der Nachbarschaft geschlagen haben, ohne die offizielle Regelung zu missachten.
∞ ∞ ∞ ∞ ∞
Jenny schaut Marlene und Mark hinterher, die sich gerade verabschiedet haben. Verächtlich kräuselt sie ihre Oberlippe. Zwei Tage, die sie dieses „Salzburger Nockerl“ jetzt kennt und jeden Tag kann sie ihn weniger ausstehen. Alter, der kennt sie doch gar nicht und wagt es trotzdem, sie von der Seite anzumachen! Jenny schnaubt verärgert auf. Schon gestern wäre sie beinahe mit dem Heini aneinandergeraten, als er Pickelfresse unbedingt in Schutz nehmen musste und heute sagt er doch glatt „Kannst du mal aufhören, ständig über andere Leute zu lästern?“.
Jenny spuckt missgestimmt auf den Bordstein, weshalb eine Spaziergängerin ausweicht und ihr einen bitterbösen Blick zuwirft, was Jenny hingegen amüsiert. Zu schade, dass sie den Schnösel damit nicht treffen konnte. Der Typ durchkreuzt ihre Pläne, weshalb Jenny ihn aus dem Weg haben will. Hoffentlich hat‘s die Königin wenigstens kapiert, als Jenny ihr sagte, dass der Typ ein No-Go ist, mit dem sie in die Tonne gegriffen hat.
∞ ∞ ∞ ∞ ∞
Marlene und Mark kommen am Nachmittag aus der Stadt zurück, deutlich früher als erwartet. Sich nicht einmal bei ihren Eltern blicken lassend, verzieht Marlene sich direkt in ihr Zimmer und lässt Mark kommentarlos im Flur zurück. Ein wenig unschlüssig verfolgt er Marlenes Abgang mit den Augen und seufzt auf. Herr Heinrich bemerkt die Krisenstimmung, die zwischen den beiden vorherrscht und begibt sich zu Mark in den Flur.
„Alles in Ordnung?“, hakt er vorsichtig und flüsternd nach, bekommt von Mark ein Kopfschütteln präsentiert.
„Nicht wirklich“, gibt er zu. „Vorsichtig ausgedrückt: Marlenes Freunde sind nicht unbedingt meine Kragenweite, weshalb wir eine kleine Diskussion darüber hatten.“
Herr Heinrich schmunzelt und blickt Mark entspannt an.
„Na, wenn es einzig darum geht. Das vergeht, mein Junge, keine Sorge. Komm und setz dich zu uns, Marlene kann sich derweil beruhigen und ihr könnt eure Differenzen später klären.“
Mark nickt, sichtlich erleichtert und kommt sogleich auf ein anderes Thema zu sprechen.
„Wie ich sehe, halten Sie die eingeführte Nachbarschaftsregel auf Ihre Art ein, Herr Heinrich? Ein sehr ansprechender Weihnachtsmann, der da in ihrem Vorgarten steht und wirklich stimmig zur übrigen Dekoration. Zu Ihrer, meine ich.“
Herr Heinrich klopft Mark auf die Schulter.
„Regeln, ja genau. Manche muss man zwingend einhalten, andere kann man mit Köpfchen zu eigenen Gunsten auslegen und bisweilen umgehen.“
Das Ehepaar Heinrich fährt wenig später zu Besuch bei Freunden. Marlene lässt sich nicht blicken und Julia ist unschlüssig, was sie mit Mark anfangen soll. Im Grunde genommen ist er Marlenes Anhängsel und doch will sie ihre Familie nicht blamieren, indem sie ihn sich selbst überlässt. Julia hat die erlösende Idee, als sie auf die Terrasse hinausschaut.
„Weißt du was? Wir schmücken den Baum“, beschließt sie mit einem erleichterten Seufzer, endlich eine sinnvolle Aufgabe gefunden zu haben.
Auch Mark wirkt befreit, stimmt sogleich zu und gemeinsam hieven sie wenig später den Baum ins Wohnzimmer. Julia holt den Baumständer, gemeinsam heben sie die Tanne rein und Mark versucht den Baum auszurichten.
„Der ist schief!“, stellt Julia fest.
„Er ist gerade, du hast nur schräge Ansichten“, kontert Mark und sucht ein wenig Abstand zum aufgestellten Baum. „Oder er ist wirklich schief“, räumt er nach seinem prüfenden Blick kleinlaut ein.
„So viel zu schrägen Ansichten. Es kommt halt immer auf den Blickwinkel an“, feixt Julia und streckt Mark die Zunge raus, nach der er mit den Fingern zu schnappen versucht.
„Kleines Mädchen, großes Mundwerk“, grinst er Julia an.
Sie lachen gemeinsam und befreit, während sie versuchen, die unschöne Neigung des Tannenbaums auszumerzen.
„Weihnachtsschmuck?“, fragt Mark einem Chirurgen gleich, der nach dem OP-Zubehör verlangt, als der Baum endlich aufrecht steht.
„Aye, Sir“, macht Julia sich sogleich auf den Weg und stöhnt im Eingangsflur auf. „Menno, der ist auf dem Dachboden.“
„Was ist los, Prinzessin? Höhenangst?“, zieht Mark sie auf, lenkt dann jedoch ein. „Warte, ich komme mit.“
Julia mustert Mark grinsend.
„Sag an, ob du Fänger oder Werfer sein willst.“
„Na, da ich mir die meisten deiner Kommentare einfange, bin ich heute der Werfer.“
Mark erklimmt heldenhaft die Dachbodentreppe in die höchste, eiskalte Spitze des Hauses. Schnatternd vor Kälte, sucht er nach der gewünschten Dekoration und folgt zugleich Julias richtungsweisenden Bemerkungen. Den Baumschmuck schlussendlich ausfindig machend, reicht er die Dekoration nach und nach an Julia herab und kehrt, wenig später, aufatmend in deutlich wärmere Gefilde zurück.
„Im Sommer ne Sauna, im Winter ein Eisschrank“, kommentiert Julia grinsend, ohne übermäßig aufgebrachtes Mitgefühl.
Der Dachbodenausflug hat sich gelohnt, die reichhaltige Baumdekoration in Weiß, Gold und Rot wird von beiden ins Wohnzimmer getragen, ebenso wie die warmweißen, batteriebetriebenen Kerzen für den Baum.
„Da fehlt was“, äußert Mark nachdenklich und mit kritischem Blick.
Sein Augenmerk liegt auf der gut sortierten, zahlreichen Dekoration für den Baum. Julia folgt seinem Blick, kommt jedoch nicht dahinter, worauf Mark anspricht. Der beginnt zu grinsen und zwinkert ihr zu.
„Weihnachtsmusik, Prinzessin, die fehlt“, löst er grinsend auf und Julia verdreht die Augen, teilt jedoch seine Meinung und stellt eine Weihnachts-CD auf.
Sie sind mit dem Schmücken recht weit gekommen, als Marlene endlich aus ihrem Zimmer kommt und staunend im Hausflur stehenbleibt. Ehrfürchtig fällt ihr Blick auf den halb geschmückten Baum.
„Oh wow, das sieht aber richtig toll aus, was ihr da macht.“
Aus ihren Worten klingt ehrliche Begeisterung heraus, freut sowohl Julia, als auch Mark, der für dem Moment das Schmücken aussetzt und auf Marlene zugeht. Julia verfolgt die Szene, halb zu ihnen gedreht und vorgebend, zwei Drahtaufhänger entwirren zu müssen. Sie hofft inständig, dass die beiden sich wieder versöhnen und Weihnachten nicht vom Streit überschattet wird.
„Hey, alles wieder gut zwischen uns?“, erkundigt sich Mark und beugt sich zu Marlene, ihr einen sanften Kuss auf die Wange gebend.
Marlene nickt, weshalb Julia aufatmet und sich erleichtert dem Baum widmet. Sie ist guter Dinge, dass die beiden ihre Unstimmigkeiten in den Griff bekommen und lässt ihnen die benötigte Privatsphäre.
„Aber ja doch“, gibt Marlene zur Antwort und lenkt ihre Schritte zum Tannenbaum.
Sie nimmt den Anlass des Baumschmückens zu Hilfe, um weiteren Diskussionen mit Mark aus dem Weg zu gehen. Sie ist noch immer darüber verstimmt, dass Mark sein Missfallen offen bekundet und ihr mitteilte, dass er mit ihren Freunden nichts anfangen kann. Sie findet es unmöglich, dass er sich aus den Gesprächen fast gänzlich raushielt, ihr Ansehen bei den Freunden dadurch schmälerte. Sogar Jenny fiel das auf, die kein Blatt vor den Mund nahm und meinte „er ist ein hübscher, aber auch komischer Vogel“, was Marlene peinlich berührte. Immerhin ist Marlene seit jeher für ihren guten Geschmack bekannt, wofür Marks Äußeres zwar reicht, seine Art es hingegen verdirbt. Sie kann sich nicht leisten, im Ansehen ihrer Clique abzufallen, doch wird sie sich später darüber Gedanken machen.
„Ich kann euch gerne beim Schmücken helfen, auch wenn ihr schon so weit gekommen seid“, bietet sie versöhnlich an, um sich auf andere Gedanken zu bringen.
Heute kommt ihr gelegen, dass ihre Schwester mit im Raum ist. Auf diese Weise kann sie unliebsamen Fragen ausweichen, auf die sie gerade keine Lust oder Antwort hat. Sie weiß, dass Mark niemals eine offene Konfrontation im Beisein anderer suchen würde und nutzt dies für sich.
Sie packen alle mit an, schmücken den Baum zu Ende und Marlene verteilt zum Schluss das goldene Lametta auf den Zweigen, bis Julia ihren Eifer bremst.
„Hey! Halt! Lass gut sein“, lacht Julia auf und hält die Hand von Marlene fest. „Es sieht toll aus, aber mehr sollt’s nicht sein, meinst du nicht auch?“
Julia hat Recht. Gemeinsam stehen Marlene, Julia und Mark vor der fertig geschmückten Nordmanntanne, die fast bis zur Wohnzimmerdecke reicht und auf deren Spitze ein weißgoldener Engel den Vorsitz übernommen hat. Ihre Mühe belohnt sie, denn der Baum sieht prächtig aus, ist weder überladen, noch spärlich geschmückt. Die warmweißen Kerzen sind gut verteilt, erhellen Baum und Wohnzimmer gleichermaßen in weißgoldenem Licht.
„Da fehlt doch was“, gibt Marlene zu bedenken und geht zielstrebig zum CD-Player, um ein ganz bestimmtes Lied zu suchen.
„Och nö… Marlene“, mault Julia, Mark schweigt hingegen grinsend und wartet ab, was da kommt. Er genießt die gelöste Stimmung, die vorweihnachtliche Atmosphäre, die ihn gerade wieder in den Bann zieht. So stellt er sich Weihnachten vor. Gemütlich, im Kreise der Familie und nicht laut und überzogen, schon gar nicht mit bösen Reden hinter dem Rücken anderer, wie es Jennys Art zu sein scheint.
Zu Julias Beruhigung spielt Marlene „Last Christmas“ an und grinst vergnügt, ihrer Schwester ein Zwinkern schenkend. Julia steht versonnen vor dem geschmückten Baum. Wie jedes Jahr ist sie ergriffen und lenkt ihren Blick zur Baumspitze hin, zum Engel, der dort im sanften Kerzenlicht des Baums erstrahlt und bei ihr den Anschein erweckt, als würde er seine friedliche Magie über den Raum, sogar über das ganze Haus legen. Sie sollten die Lichter am Baum löschen, da er traditionell erst an Heiligabend angemacht wird. Ihre Eltern sind aber ähnlich gestrickt, lassen den Baum gleichfalls den Abend über brennen, an dem er geschmückt wurde. Inspiriert von der weihnachtlichen Stimmung und den Gedanken an ihre Eltern, kommt Julia eine Idee.
„Ich glaube, ich weiß noch etwas, das fehlt“, eröffnet sie Mark und Marlene, dabei verschmitzt und vorfreudig vor sich hinlächelnd. „Und wenn wir alle mitmachen, dann könnte das eine wirklich große Überraschung werden…“
Etwa zwei Stunden später kommen die Eheleute Heinrich nach Hause. Zwar leuchtet die Außendekoration, die kleinen Bäumchen auf den Eingangstreppen, der edle Weihnachtsmann im Vorgarten und auch die kleine Tanne, im Haus ist jedoch alles dunkel, weshalb das Ehepaar einen verwirrten Blick tauscht.
„Was ist denn hier los? Ist keines der Kinder daheim?“, fragt Frau Heinrich ihren Mann ein wenig ratlos.
Der zuckt mit den Schultern, blickt prüfend in den Carport.
„Dann müssten sie zu Fuß unterwegs sein, denn dein Auto steht da, mein Schatz.“
Frau Heinrich hat gerade die Haustür geöffnet und will das Flurlicht einschalten, als sich im Wohnzimmer etwas regt und gleich darauf der geschmückte Weihnachtsbaum erstrahlt, der vom Eingangsflur aus gut zu sehen ist.
„Ach Gottchen, Günther, sieh doch nur“, flüstert Frau Heinrich und tastet nach der Hand ihres Mannes.
Sichtlich ergriffen steht das Ehepaar im Flur, hat noch nicht einmal die Jacken abgelegt, sondern bewundert den geschmückten Baum im Wohnzimmer, als plötzlich Weihnachtsmusik erklingt und Frau Heinrichs Augen feucht werden lässt. Auch Herr Heinrich ist ehrlich überrascht über den einzigartig schönen Empfang, den ihre Kinder ihnen bereiten, drückt die Hand seiner Frau und legt ihr den Arm um die Schulter.
„Ja, Weihnachten hat wirklich einen ganz besonderen Glanz, einen sehr eigenen Zauber“, stimmt er gerührt seiner Frau zu.
Mark macht sich auf den Weg, tritt dem Ehepaar entgegen.
„Darf ich Ihnen die Mäntel abnehmen?“, fragt er höflich und verbeugt sich ansatzweise.
Frau und Herr Heinrich tauschen einen Blick miteinander, ehe Frau Heinrich reagiert.
„Sehr gerne, junger Mann“, erwidert sie, lässt sich aus ihrem Mantel helfen und übergibt ihn Mark.
Herr Heinrich macht es seiner Frau nach, zieht seine Jacke jedoch selbst aus. Mark nimmt die Kleidungsstücke entgegen, bringt sie zur Garderobe und hängt sie ordentlich auf. Marlene ist die Nächste, tritt aus der Küche und hält ein kleineres Tablett in den Händen, auf denen zwei edle Aperitifgläser stehen, befüllt mit heißem Amaretto und Sahnehäubchen obendrauf.
„Wenn ich den Herrschaften einen Aperitif des Hauses anbieten darf?“, fragt sie mit leicht näselndem Ton und gewinnendem Lächeln.
Die Heinrichs begreifen allmählich, dass die jungen Erwachsenen ihnen einen ganz besonderen Empfang bereiten und nehmen lächelnd die Gläser entgegen.
„Herzlichen Dank, junge Dame“, bedankt sich Herr Heinrich charmant und schenkt seiner Großen ein liebevolles Lächeln.
Auch Frau Heinrich greift zu, denn sie liebt Amaretto, gönnt ihn sich zu Festtagen, wie zum Beispiel an Weihnachten. Behutsam nippen die beiden an ihren Getränken, werden von Marlene dabei ins Wohnzimmer geführt und zum Sofa geleitet, wo sie Platz nehmen.
Julia betritt das Wohnzimmer, hat ihre Servicekleidung von der Schule an: Schwarze, schlichte Hose, weiße Bluse, eine schwarze Langschürze, die um die Taille befestigt und mit dem Aufdruck ihrer Schule versehen ist. Um den Hals trägt sie eine gelbe Kurzkrawatte und ihre Haare hat sie zu einem kunstvollen Dutt zusammengenommen.
„Darf ich Ihnen beiden heute Abend eine kleine Köstlichkeit des Hauses kredenzen?“, erkundigt sie sich geflissentlich, lässt ihrer Mutter dabei ein verschmitztes Zwinkern zukommen.
„Was haben Sie denn Feines im Angebot?“, fragt die auch sogleich nach.
Sie ist neugierig und gespannt, was Julia bereithält, da Frau Heinrich mit den exklusiven Menüplänen der Schule ihrer Tochter bisher kaum in Berührung kam.
„Ein Mascarponemousse auf Biskuitteig und Himbeergelee, dazu einen Café „After Eight“, erklärt Julia professionell und Herrn Heinrich scheint allein bei der Aufzählung bereits das Wasser im Mund zusammenzulaufen.
„Das klingt fantastisch“, gesteht er offen. „Na dann lassen wir uns mit dieser Köstlichkeit überraschen und wenn sie nur halb so gut schmeckt, wie sie klingt, dann sind wir absolut zufrieden.“
„Sehr gerne, die Herrschaften.“
Julia lächelt und macht sich auf den Weg zurück in die Küche. Sie hat alles vorbereitet, weshalb die Dessertteller fertig angerichtet im Kühlschrank warten. Einzig den Kaffee mit dem Minzlikör bereitet sie frisch zu. Sich die beiden Dessertteller greifend, die meisterlich und dekorativ hergerichtet sind, serviert sie die für ihre Eltern bestimmten Nachspeisen am romantisch eingedeckten Wohnzimmertisch.
„So, bitte sehr. Zweimal die Nachspeise des Abends, für die wohl am meisten geliebten Eltern dieser Welt.“
Sichtlich beeindruckt wandert der Blick der Heinrichs über das vor ihnen stehende Dessert, das von der Portion her zwar klein, dafür jedoch appetitlich und edel aussieht. Julia kehrt derweil in die Küche zurück und serviert auch die inzwischen fertig gebrühten Heißgetränke auf einem kleinen Silbertablett.
„Einen guten Appetit wünsche ich den Herrschaften“, verbeugt Julia sich ansatzweise und zieht sich wieder in die Küche zurück, wo Marlene und Mark bereits warten und ganz aus dem Häuschen sind, wie sehr sich die Heinrichs über die spontane Überraschung freuen.
„Das war eine ganz fantastische Idee“, lobt Mark und schaut um die Ecke ins Wohnzimmer, wo die Heinrichs sich dem servierten Nachtisch widmen und sich dabei leise miteinander unterhalten.
In stiller Faszination verfolgte Mark Julias Vorbereitungen für den Nachtisch. Als er vorwitzig vom Biskuitbodenteig naschte, den sie zubereitete, fing er sich dafür einen leichten Klopfer mit dem Holzlöffel auf seine naschende Hand ein. Selbst Marlene war beeindruckt, wie selbstbewusst und gekonnt Julia in der Küche hantierte, die Himbeeren einkochte und das Mascarponemousse zubereitete.
„Und jetzt?“, fragt Marlene, „was machen wir mit dem Restabend?“
„Naja, eigentlich sind wir mit allem fertig“, wirkt Julia ein wenig ratlos und lässt ihren Blick nochmals prüfend durch die Küche wandern, ob sie wirklich nichts hat stehenlassen.
Doch die Küche ist sauber, der Backofen ebenfalls.
„Ich denke, dann überlassen wir die beiden sich selbst und suchen uns eine Beschäftigung“, schlägt Mark vor.
Jedes Zimmer im Obergeschoss bietet genügend Abwechslung, dass sie sich beschäftigen können. Marlene hält jedoch noch einen anderen Vorschlag bereit.
„Halt, ihr zwei! Nix da! Wir kloppen jetzt eine Runde Karten und ich… werde euch beide als Verlierer dastehen lassen“, droht sie grinsend und wirft den beiden einen Mafiosi-Blick aus deutlich verengten Augen zu.
„Öhm…“
„Äh…“
Julia ist ebenso überrascht wie Mark, doch die Idee klingt verlockend und gut, weshalb beide zustimmen und sich gemeinsam in Marlenes Zimmer zurückziehen.
Den restlichen Abend verbringen sie lachend, wie auch fluchend mit den Karten und jeder Menge guter Laune.
Marlene atmet erleichtert auf. Die Kurve hat sie gerade noch so bekommen. Sie wollte den Abend nicht mit Mark allein verbringen. Nicht wieder die Diskussion über Freunde und Aktivitäten führen und schon gar keine langweiligen Gespräche ertragen müssen. Zu viele Gedanken gehen ihr durch den Kopf und daher kommt ihr die selbst vorgeschlagene Ablenkung gerade recht. Als sie ihr Kartenspiel beenden, ist, dem Himmel sei Dank, Schlafenszeit.