Читать книгу Die Blutgarde - Andrea Appelfelder - Страница 5

Kapitel 2

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Angel und Paulus hatten sich an einem massiven Weißeichentisch eingefunden und tranken genüsslich eine Tasse wohlduftenden Tees zusammen.

Nachdem Paulus den Vorschlag, ins Haus zu gehen, geäußert hatte, waren sie zu dem umwerfenden, aber verlassenen Café spaziert, welches sich etwas abseits vom Bergfried befand. Sie hatten das Haus, was auf den Ruinen der alten Burg erbaut worden war, betreten und waren die unzähligen Treppen zur Wohnung des ehemaligen Vatikanstreuen hochgestiegen.

Während Angel nun seinen roten Tee trank, starrte sein Gesprächspartner seinen Schwarztee einfach nur an und erzählte über die Opfer, die fast alle er oder seine Frau gefunden hatten. Der Mann Mitte dreißig, der seines Alters angemessen aussah war gefasst, schließlich hatte er im Vatikan schon schlimmeres gesehen. Aber seine Frau war bei den verstümmelten Leichen langsam aber sicher immer traumatisierter geworden. Aus diesem Grund war sie auch, vor einigen Wochen, zu ihren Eltern gegangen. Er hätte sie begleiten sollen, hatte sich aber geweigert. Schließlich war er über Jahre hinweg selbst ein Soldat und in gewissen Momenten auch ein Monsterjäger gewesen.

Der junge Mann, der dunkle Ränder unter den Augen hatte, schaute auf. „Mein Lord, ich habe alles versucht, bin aber immer und immer wieder gescheitert. Ich habe dieses Wesen nicht einmal zu Gesicht bekommen. Ich finde leider nur wieder und wieder diese armen, unschuldigen Menschen, die dem Wesen zum Opfer gefallen sind. Ich bin körperlich fertig und habe leider auch langsam meine Grenzen erreicht, besonders weil wir nicht einmal die Hälfte der Vermissten gefunden haben. Erschwerend kommt noch hinzu, dass ich die Wahrheit kenne. Ich weiß, was dort draußen ist und früher konnte ich auch etwas gegen diese Wesen ausrichten. Doch jetzt bin ich anscheinend nur noch ein einfacher Mensch, ohne Vampire, die die Spuren finden und auch ohne Heilige, die ein riesiges Informationsnetzwerk nutzen. Das ist schon sehr deprimierend. Eigentlich wollte ich das alles ja nicht mehr, ich bin schließlich nicht umsonst um mein Leben gerannt.“

Angel hatte still gelauscht und sah das gequältes Gesicht des Mannes genau an, allerdings konnte er ihn nicht schonen und musste jetzt eine Frage stellen. „Wie bist du eigentlich auf uns gekommen? Wir machen zwar, wie du erkannt hast, Werbung in den entsprechenden Kreisen, aber wir stehen auch nicht gerade im Telefonbuch. Ich will damit sagen, man braucht Kontakte dahin und die interessieren mich.“

Paulus sah in die blauen Augen des Vampirs. „Ich habe von euch in den entsprechenden Netzwerken erfahren. Nachdem ich den Vatikan verlassen hatte, versuchte ich im Internet meine Hilfe in ganz Deutschland anzubieten. Du siehst es steckte mir im Blut, auch wenn es mich fertig gemacht hat, wollte ich doch auf meine weise weitermachen. Ich habe dort aber meistens nur mit Spinnern gechattet. Aber dann gelangte ich auch an die echten Hilfesuchenden und stand ihnen mit Rat und Tat zur Seite und als ich dann selbst Probleme hatte, empfahl man mir als Ansprechpartner Japan und so kam ich auf euch.“

Der junge Vampir grinste. „Oh, so ist es also, wir haben Fans. Nein, das nehme ich zurück. Anscheinend haben wir Groupies. Aber mal Spaß beiseite, hast du schon eine Vermutung, was es sein kann? Ich weiß, du hast es nie gesehen, aber du warst doch auch ein Jäger und hast deine Erfahrungen gemacht!“

Der Mensch versuchte sich zu konzentrieren und sich genau an alles zu erinnern. „Von den Bissspuren und den Verstümmlungen könnte es vielleicht ein Werwolf oder ein Vendigo sein. Aber ganz ehrlich, Eure Lordschaft, ich möchte mich da nicht festlegen. Ich kenne leider nicht alle übernatürlichen Wesen, die in Frage kommen könnten und es gibt so viele, auf die der menschenfressende Aspekt zutrifft.“

Der Junge sah seinen ehemaligen Kollegen etwas böse an. „Erst einmal will ich dir jetzt sagen, dass du mich nicht mehr als Lord bezeichnen oder siezen sollst. Die Zeiten, wo ich ein Lord war, sind längst vorbei. Nenne mich bitte einfach nur Angel. Da das jetzt geklärt ist, möchte ich die Leichen sehen. Erst wenn das passiert ist, kann ich sagen, ob es ein Werwolf ist oder etwas Anderes, obwohl ich das mit dem Werwolf schon jetzt bezweifele. Wenn so ein Wesen hier wäre, würde ich es riechen. Du weißt, dass diese Wesen einen extremen Geruch nach Hund, Wald und Natur ausstrahlen.“

Paulus sah ihn aus großen Augen an. „Mein Lord, verzeiht Angel, wir haben nicht den Einfluss des Vatikans. In den Augen der Polizei sind wir nur einfache Trottel und solche lässt man nicht zu den Leichen, die bereits obduziert und vielleicht schon den Angehörigen übergeben wurden. Aber hab keine Angst. Ich habe von den Leichen noch einige Fotos gemacht, bevor die Polizei und die Gerichtsmedizin sie mitgenommen haben. Ich hoffe das reicht. Alternativ musst du dann einbrechen um sie dir anzusehen, oder na ja Leichenschändung begehen wenn sie schon weg.“

Der Junge sah den Mann mit den kurzen Haaren ungläubig an. „Es ist praktisch, dass du das gemacht hast, aber ich will dich fragen wieso?“

Der Angesprochene grinste verlegen. „Was soll ich machen? Ich bin vatikan- geschädigt. Wenn ich etwas Abnormales sehe, muss ich das einfach dokumentieren.“

Angel sah den Mann, der für sein Alter gar nicht so unansehnlich war, an und kicherte. „Ja, das macht Sinn, obwohl ich sagen muss, dass ich mich nie daran gehalten habe. Ich wollte das immer irgendwie später machen und dann habe ich letztendlich immer nur das Notwendigste gemacht.“

Der Mann erhob sich und machte sich zum Gehen bereit. „Bitte nimm dir noch einen Tee. Ich werde die entwickelten Fotos holen und dann werden wir diese gemeinsam auswerten.“

Angel nahm die Teekanne mit dem blau-weißem Zwiebelmuster in die Hand und goss seine Tasse noch einmal bis zum Rand voll.

Paulus kam nach wenigen Minuten wieder in das hübsch, aber eher altmodisch eingerichtete Wohnzimmer zurück und breitete die Bilder der Opfer auf dem massiven Tisch aus.

Angel besah sich die blutigen und brutalen Aufzeichnungen und empfand dabei keinerlei Abscheu. Er verspürte zwar Mitleid, aber das war auch alles und es begann eine hitzige Diskussion mit dem Fotografen.

Dieser beschwerte sich erst einmal über seine augenscheinliche Gleichgültigkeit, aber Angel ließ sich diesbezüglich auf keine Ermahnungen ein. Es ging nur um die Bilder und die Leichen, allerdings kamen sie am Ende dieser Diskussion nur zu dem Ergebnis, dass es sich wohl um ein menschenfressendes Wesen handelte. Angel, der nach erneutem Ansehen der Bilder einen Vendigo genauso wie einen Werwolf und einen Vampir ausschließen konnte, fragte jetzt etwas, was ihm schon die ganze Zeit auf den Lippen brannte: „Du bist immer hier gewesen und hast das Wesen nie zu Gesicht bekommen? Wie kommt das? Den Bildern zufolge warst du zumindest, nachdem diese Unschuldigen getötet worden sind, sehr nahe an dem Wesen dran.“

Paulus erschrak. Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Natürlich kannte er die Antwort. Er hatte so viele Wesen gesehen, aber nachdem er zusammen mit seiner Frau die erste Leiche gefunden hatte, verspürte er einfach nur unbändige Angst. Die ganze Zeit hatte er versucht, das Wesen zu finden, aber inständig gebetet, ihm niemals zu seinen Lebzeiten zu begegnen. Deswegen versuchte er auch schon seit einigen Wochen, die Aufgabe auf Andere abzuwälzen, so jetzt auch auf Angel.

Er schämte sich deswegen, war allerdings nicht mutig genug, es zugeben. Er grübelte kurz nach einer plausiblen Lüge und öffnete seinen Mund zur Antwort.

Bevor er allerdings dazu kam, seine schlechte Ausrede zu äußern, erklang ein schallendes Läuten an der Tür.

Angel, der nach der langen Wartezeit keine Antwort mehr erwartete, fragte überrascht: „Erwartest du irgendjemanden?“

Paulus wurde leichenblass und schüttelte verwirrt mit dem Kopf, mahnte aber zur Eile. Beide sahen sich noch einmal kurz an und räumten eilig die bestialischen Fotos zusammen. Paulus gab sie, mit der Bitte, dass Angel sie verstecken sollte, an ihn weiter. Der Vampir steckte die blutigen Fotografien in seinen Rucksack und starrte Paulus, der schon auf dem Weg zur Tür war, hinterher.

Der Junge hatte zwar keine überzeugende Antwort auf seine Frage bekommen, kannte selbst die Antwort aber genau. Er wusste, wie Personen, die Angst hatten, aussahen und dieser Mann stank geradezu danach.

Aber auch wenn er diese doch genau kannte, war er dem Menschen nicht böse. So waren die Sterblichen einfach. Sie mussten immer dem Tod gewahr sein, starben Sie doch so schnell, selbst Krankheiten konnten Ihre Ende sein.

Der Mann, an den Angel noch vor wenigen Augenblicken gedacht hatte, kam jetzt wieder ins Zimmer. Er war aber nicht allein, zwei Polizisten begleiteten ihn.

„Niklas, die Herren Polizisten Herr Herrmann und Herr Weber sind hier um nach uns zu sehen.“ Angel hob skeptisch eine seiner Augenbrauen und besah sich die beiden Polizeibeamten. Sie waren beide jünger als Paulus im ungefähren Alter von Anfang bis Mitte Zwanzig. Der junge Vampir lächelte nur und antwortete kurz mit einem „Hey“.

Die Beiden lächelten ihn ebenfalls an und sprachen mit dem über einhundert Jahre alten Vampir wie mit einem kleinen Kind. „Du bist also der Junge, der sich im Taxi an den Sperren vorbei geschmuggelt hat. Einer unserer Beamten hat dich gesehen als du die Brücke überquert hast. Du weißt schon, dass es hier sehr gefährlich ist?“

Der scheinbare Jugendliche wollte schon den Mund zur Antwort öffnen, wurde aber von seinem vermeintlichen Onkel zurückgehalten.

„Dem jungen Mann trifft keine Schuld. Ich habe meinen Neffen hierher gerufen. Wir wollen zusammen diese Kreatur jagen und diesen Ort wieder neu beleben.“

Der ältere der Beiden, der sich als Herr Herrmann vorgestellt hatte, sah den derzeitigen Leiter des Cafés verdutzt an. „Sind sie verrückt geworden?! Allein der Vorschlag und dann noch dieses Gerede über ein Monster! Hier an diesem Ort treibt einfach nur ein wirklich kranker Mensch sein Unwesen! Diesen zu fangen ist aber unsere Aufgabe und wenn Sie denken, dass Sie das alleine schaffen, sind Sie nicht nur an ihrem Tod, sondern auch an dem ihres Neffen schuld.“

Herr Herrmann setzte aus und Herr Weber fuhr genau dort fort, wo sein Partner geendet hatte. „Ich appelliere an Sie und Ihr Gewissen. Bitte nehmen Sie ihren Neffen mit, verlassen diesen Ort und verwerfen Sie diese aberwitzige und gefährliche Idee. Wir werden das schon schaffen. Unsere Beamten sind gut ausgebildet und wir haben bereits jeden gefunden, hinter dem wir her waren.“

Erneut wollte Angel darauf etwas erwidern, wurde aber wieder von Paulus, der jetzt neben ihn gerutscht war und ihm eine Hand auf die Schulter gelegt hatte, unterbrochen. „Wir werden die Idee verwerfen, werden aber nicht von hier verschwinden. Das hier ist unser zu Hause.“

Die Beamten schüttelten nur mit dem Kopf und machten sich zum Gehen bereit. Paulus brachte die Beiden noch zur Tür und Herr Herrmann gab ihm noch eine Warnung mit auf den Weg: „Bitte gehen Sie einfach von hier weg. Ich weiß, dass Sie ihr Vorhaben nicht aufgeben werden, aber bedenken sie erneut eines: Durch ihre Aktionen sterben nicht nur Sie, sondern auch ihre Lieben.“ Paulus lächelte noch einmal gequält. „Danke für die Warnung, aber ich werde so handeln, wie es mir beliebt. Ich wünsche ihnen noch eine gute Nacht.“

Mit diesen Worten schloss er hinter den Beiden die Eingangstür zu und kehrte zu Angel zurück. Der junge Vampir starrte ihn nur arrogant an und schlug die Beine übereinander. „Wieso hast du verhindert, dass ich ihnen die Meinung sage? Ich hätte ihnen schon nicht gesagt, dass ich ein Vampir bin.“

Paulus lächelte sanft. „Ich weiß, dass du dich nicht enttarnen lassen würdest, aber ich wollte auch nicht, dass du wegen Beamtenbeleidigung im Gefängnis landest.“

Angel setzte einen Schmollmund auf. „So böse wäre ich jetzt auch nicht zu den Gentleman in blau gewesen, aber die haben so getan als wäre ich ein kleines Kind. Ich bin ein stolzer Vampir und lasse so etwas doch nicht auf mir sitzen!“

Sein Gesprächspartner setzte sich nun auch wieder hin. „Hast du mal in den Spiegel gesehen? Sie können doch nicht wissen, dass du nicht mehr so jung bist wie du aussiehst. Aber lassen wir das Thema. Du bist, wie du bereits erwähnt hast, ein alter Vampir, also ignoriere den Kommentar einfach. Kommen wir zurück zu unserem Problem. Zu welchem endgültigen Ergebnis bist du nun nach Durchsicht der Bilder gekommen?“

Angel wollte das eigentlich nicht auf sich beruhen lassen und schmollte noch etwas. „Ich bin zu keinem neuen Ergebnis gekommen. Wie auch? Du zeigst mir ein paar Bilder und ich soll mir die entsprechende Kreatur aus dem Ärmel schütteln.“

Paulus resignierte, war verzweifelt und hielt sich mit der linken Hand die Stirn. „Und was sollen wir jetzt machen?“

Der Junge sah den Mann, der jetzt um Jahre gealtert schien, genau an und legte seine schlechte Laune wieder ab. „Es ist schon dunkel und das bedeutet, dass wir das Wesen jetzt draußen im Wald antreffen könnten.“

Der Mensch sprang erregt vom Stuhl auf. „Wir sollen was?! Natürlich bin ich auch dafür, das Wesen zu suchen. Schließlich habe ich dich hierher geholt, aber wenn wir jetzt da hinausgehen, werden wir wohl beide sterben.“

Der Vampir lächelte süffisant. „Wieso sollten wir sterben? Ich habe schon alles auf der ganzen Welt gejagt und getötet. Dieser Auftrag ist so gesehen auch nur ein Heimspiel für mich. Obwohl ich dieses Mal meine Waffen nicht dabei habe, werde ich es trotzdem irgendwie schaffen.“

Paulus riss erschrocken die dunklen, aber schönen Augen auf. „Wieso hast du deine Waffen nicht mitgebracht?! Wie kannst du so unvorbereitet zu einen Auftrag gehen?!“

Der Schwarzhaarige sah den Mann nun skeptisch an. „Nach dem letzten Krieg und nach den unzähligen Terroranschlägen davor und danach ist es verdammt schwer, Waffen durch den Zoll zu schmuggeln. Doch muss ich dir sagen, dass du keine Angst zu haben brauchst. Ich habe immer noch ein Ass im Ärmel. Außerdem musst du doch Waffen haben, wenn du ein ehemaliger Gardist bist.“

Der Braunhaarige wollte das Gehörte immer noch nicht wahrhaben. „Natürlich weiß ich das auch, aber ich dachte, du würdest die Menschen manipulieren um dein Ziel zu erreichen. So etwas tut ihr doch immer. Was mich angeht, ich habe zwar ein paar Waffen, aber nicht die effektivsten. Die brauchbarsten, neben alten Kunstsäbeln und Paint Waffen, sind drei Buschmacheten, ein Revolver und Pfefferspray.“

Angel lachte ihn aus. „Echt? Ich dachte, du hättest hier überall Waffen versteckt. So habe ich es zumindest in Tokio in meinem Haus gehalten. Denn wie heißt es so schön: Einmal Soldat immer Soldat.“

Paulus trat auf Angel zu. „Grundlegend stimmt das, aber du darfst nicht vergessen, dass wir in Deutschland ein verschärftes Waffengesetz haben. Du darfst nicht mal ein Taschenmesser auf der Straße tragen.“

Angel erhob sich jetzt auch. „Na ja, ist auch egal. Ich habe wie gesagt noch eine Art Waffe in der Hinterhand. Komm, schnapp dir deine Waffen, damit wir abhauen können.“

Paulus sah ihn noch einmal kurz an und begriff binnen von Sekunden, dass jede Diskussion vergeblich war. Er holte sich nun wie befohlen eine der Macheten und den Revolver und sie machten sich beide zusammen auf den Weg in den durch die Nacht dunkel gewordenen Wald.

Paulus ging mit einer Taschenlampe voraus und erleuchtete den Weg. „Ich kann kaum etwas erkennen, so dunkel ist es hier. Lass uns umkehren und bei Tag wieder kommen.“

Angel seufzte. „Jammere nicht rum! Wir werden nicht umkehren. Außerdem sehe ich bei Tag genauso gut wie bei Nacht. Ich glaube auch nicht, dass wir es heute antreffen werden. Der Wald ist in Leben gehüllt, Tiere sind unterwegs und na ja wenn es anwesend wäre, wären Sie still in Ihren Verstecken. Ein so schreckliches, menschenfressendes Wesen müsste außerdem einen unheimlichen Geruch verströmen. Ich kann aber weit und breit nichts wahrnehmen. Es scheint also nicht hier zu sein. So etwas dachte ich mir aber schon. Allerdings sind wir ohnehin nur auf Spurensuche.“

Der unglücklich wirkende Mensch drehte sich zu ihm um und beleuchtete den Vampir mit der Taschenlampe. Das künstliche Licht ließ ihn blinzeln und er fühlte sich unwohl. „Schön, dass du mir das jetzt sagst. Ich habe mir fast vor Angst in die Hose gemacht! Du musst doch noch wissen, dass wir Menschen, wenn unsere Sinne versagen, am schwächsten sind und Angst haben.“

Angel kicherte nur und machte eine Geste mit seiner rechten Hand, welche beschrieb, dass der Mensch voraus gehen sollte. Der ehemalige Vatikantreue, der jetzt in dieser Stadt wohnte, führte den Fremden immer weiter an den bei Nacht unheimlich wirkenden Laubbäumen vorbei.

Sie schienen ziellos umherzustreifen, doch nach einigen Stunden hatten sie endlich etwas Verwertbares gefunden. Das ungleiche Paar war an einer in Stein gehauen Höhle angekommen.

Angel wusste aus seiner langjährigen Erfahrung als Jäger, dass das das zu Hause des Wesens war. Er sah sich noch einmal um und als er keine Gefahr für sie beide ausmachen konnte, bewegte er sich Richtung unheimlicher Monsterhöhle. Er wollte sofort eintreten, wurde aber urplötzlich rabiat festgehalten. Sein Kamerad hatte ihn am Arm gepackt und ihn so zum Stillstand gezwungen. „Lass das lieber. Ich weiß, du hast keine Angst und bist ein starker und unschlagbarer Vampir, aber was wird passieren, wenn du unbewaffnet hineingehst und hier und heute stirbst? Ich kenne dich. Du bist stark, aber ohne Waffe nicht im Vorteil.“

Der Blutsauger riss sich los und witzelte: „Ach, du sorgst dich so sehr um mich, dass du mich aufhalten willst? Dann komm einfach mit hinein und beschütze mich, mein großer starker Held. Aber mal im Ernst, je länger wir hadern, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden und ich meine damit nicht nur von dem Monster. Ich fürchte mich mehr vor den Menschen als vor den Andersartigen, die dort draußen sind. Meine Angst bezieht sich aber auch darauf, was sie mit uns machen, oder besser mit mir, wenn sie erfahren, dass ich anders bin. Wir beide wissen schließlich, was die Menschen mit denen tun, die sich von ihnen unterscheiden.“

Der Mensch wurde jetzt endlich einsichtig und betrat zusammen mit dem Vampir, den Revolver im Anschlag, die bei näherer Betrachtung grauenerregend wirkende Höhle.

Angel ging voraus und hatte nach einigen Augenblicken auch schon das Lager des Wesens, was nur aus braunen Ästen und welken Blättern bestand, erreicht. Paulus leuchtete darauf und konnte neben der Stätte noch einige menschliche Utensilien ausmachen. Der Vampir hob einen blutverschmierten Teddybären vom Lager auf. Er blickte sich weiter an der Schlafstelle um und konnte noch eine Sonnenbrille, eine silberne Haarspange, einigen goldenen Schmuck, an dem ebenfalls Blut klebte, und ein abgewetztes paar Lederschuhe ausmachen.

Angel besah sich jetzt das Kinderspielzeug, an dem das getrocknete Blut schon schwarz geworden war, und roh daran. „Wir haben es hier eindeutig mit einem Oger zu tun. Ich habe selbst noch keinen gesehen, aber wir haben ein guterhaltenes, aber nur noch aus Knochen bestehendes Exemplar im Vatikan. Einer der mittelalterlichen, menschlichen Jäger hat es im zwölften Jahrhundert getötet und seinen Kadaver mit in den Vatikan gebracht.“

Während Angel den Bären wieder auf den Boden fallen ließ und an das wahrscheinlich getötete Kind, dem er gehört hatte, dachte, hatte Paulus seine Angst überwunden und war tiefer in die Höhle eingetreten. Er sah sich auch dort um. Das Gesehene ließ seinen Atem stocken. „Angel, das musst du dir ansehen!“

Der Junge ließ seine trüben Gedanken hinter sich und begab sich zu seinem neuen Freund.

Nachdem er bei ihm ankommen war, setzte auch sein Atem aus. Der Vampir hatte schon viel gesehen, aber so einen Anblick hatte sich ihm schon lange nicht mehr geboten. Der ganze verbliebene Raum war bis zur Decke voll mit abgenagten Knochen und blutverschmierten Leichenresten.

Paulus Blick heftete sich auf etwas, was aussah wie der bereits gehäutete Oberkörper eines Mannes. „Das ist einfach nur ein Massaker!“

Angel ließ seinen Blick ebenfalls über die Überreste gleiten, die von Menschen allen Altersklassen zu stammen schienen: „Das ist kein Massaker, das ist eine Speisekammer. Sieh dir doch einmal die Hinterlassenschaften genau an. Sie wurden angenagt und wieder fein säuberlich zurückgelegt, um sie später weiter zu fressen.“

Plötzlich erblickte der Mensch zwischen den Resten und den unzähligen Knochen einen vollständig intakten Körper. „Da scheint noch jemand zu leben!“

Er spurtete dem augenscheinlichen Überlebenden entgegen, wurde aber nach wenigen Momenten von Angel, der ihn an der Schulter gepackt hatte, aufgehalten. „Lass sein. Dieser Mensch kann nicht mehr am Leben sein. Ich kann in dieser Höhle nur zwei Herzschläge hören. Einmal meinen, er ist leise, langsam und kaum hörbar und als zweites deinen, er ist laut, schnell und erfüllt von Ängstlichkeit. Sieh dir diesen Körper lieber nicht aus der Nähe an. Es wird nur ein zusätzlicher Albtraum sein, den du haben wirst. Ich spreche aus Erfahrung.“

Paulus schüttelte ungläubig den Kopf. „So viele menschlichen Überreste? In Gera sind gerade einmal ein paar Menschen verschwunden, aber diese Höhle weist Überreste von rund fünfzig Menschen auf, wenn nicht mehr. Wie kann das nur sein?“

Angel blickte sich weiter um und kam zu dem Entschluss, dass das Wesen, von dem er behauptet hatte, dass es ein Oger sei, schon seit fast einer Woche nicht mehr hier gewesen war. Alle diese Leichenteile waren alt und schon dem Verwesen nahe. Seine Augen starrten auf einen Haufen Schädel und er konnte die Vermutung des Menschen nur bestätigen. Um die fünfzig Menschen hatten an diesem Ort ihr Ende gefunden. „Ich kann dir sagen, wie das sein kann. Gera ist nicht gerade abgelegen. Er hat sich die Anderen aus den Nachbarstädten geholt. Ich glaube ohnehin auch, dass er sich gerade dort aufhält.“

Paulus versuchte aufkommende Tränen zu unterdrücken und drehte sich von dem Schauspiel weg. „Wieso gerade hier? Verfolgt mich etwa Tod?“

Angel, der ebenfalls genug von dem Schauspiel hatte, wandte diesem dem Rücken zu und zog den Menschen mit sich nach draußen. Der Mann sah den augenscheinlich Jüngeren nur fragend an. Dieser konnte ihm diese Frage nicht beantworten und versuche die Stimmung aufzulockern. „Komm, vergiss den Anblick und lass uns nach Hause gehen, Onkelchen. Ich habe Hunger und du kannst mir eine Spezialität aus Gera kochen.“

Der Mensch war immer noch geschockt, wollte aber dem Anblick sofort entfliehen und nickte. „Ja, aber zuvor werde ich dieses Massengrab vernichten, damit die Unschuldigen ihre Ruhe finden.“ Nach diesem Ausspruch zog er ein silbernes Feuerzeug aus seiner Hosentasche und schnappte sich einige der im Wald herumliegenden Äste. Er ließ das Feuerzeug aufschnellen und hielt es unter das Brennmaterial. Doch bevor er es anzünden konnte und es Feuer fing, war es aus seiner Hand verschwunden und in der des Vampirs.

Der Mann mit den brauen Augen begann den Blutsauger mit den blauen Augen verzweifelt anzuschreien. „Was soll das?! Ich will sie doch nur durch das reinigende Feuer erlösen!“

Angel stand vor ihm und blickte ihm in die Augen. „Dieses Wesen hat die alte Zeit, in der Monster nicht ungestraft wüten konnten, überlebt, weil es gelernt hat, sich perfekt vor allem und jedem zu verstecken. Das bedeutet, wenn du seine Höhle verbrennst, wird es nie wieder hierher kommen und sich einfach ein neues zu Hause in einer anderen Stadt suchen. Dann werden wir es nie mehr finden. Wenn du mich fragst, hat der Oger das auch schon einige Male in den letzten Jahren getan. Schließlich ist er erst seit einigen Monaten in Gera.“

Paulus war eigentlich nicht damit einverstanden. Er wollte, dass seine Nachbarn einfach nur ihren Frieden fanden, aber er verstand auch, was Angel ihm sagen wollte. „Nun gut, aber danach...“

Der Vampir unterbrach ihn und belächelte ihn jetzt liebevoll. „Ja, danach kannst du ihnen die Ehre zu teil werden lassen, die sie verdient haben. Aber bitte nicht verbrennend in einer kalten und einsamen Höhle. Übergib sie an ihre Lieben, damit auch diese ihren Frieden finden können.“

Paulus fiel ein gewisser Aspekt erst jetzt auf. „Aber wieso diese Auslese? Manche tötet er, andere nimmt er mit sich, um sie zu fressen.“

Angel deutete dem Menschen an, ihm zu folgen. Sie machten sich nun wieder auf den Weg zum ehemaligen Café, da es doch keinen Sinn hatte, vor der Höhle zu warten.

„Ich weiß es auch nicht genau, aber vielleicht hatten sie irgendwelche Krankheiten. Solche Wesen wie er sind nicht unsterblich, sondern nur sehr langlebig. Das bedeutet auch, dass sie solches Fleisch nicht zu sich nehmen würden. Aber wir sollten diesen Aspekt noch einmal untersuchen. Wir haben zum Glück die Namen der Getöteten. Es ist dann bestimmt ein Klacks, sich in die interne Datenbank der Bullen oder des Krankenhauses einzuhacken.“

Der Mensch blickte auf dem Weg zurück noch einmal den Vampir an. „Was denkst du, wie lange dauert es, bis es wieder da ist?“

Angel blieb stehen und schüttelte mit dem Kopf. „Ich weiß nicht, einige Tage, vielleicht Wochen oder auch niemals. Das kann niemand genau sagen, aber wir sollten nicht so schwarz sehen. Es hat keinen Grund, nicht wieder hierher zu kommen.“

Paulus atmete noch einmal tief durch. „Ich kann das alles nicht mehr. Schließlich habe ich den Vatikan nicht umsonst verlassen. Ich wünschte, dass es jetzt schon vorbei wäre.“

Während sie weiter ihren Rückweg durch den dunklen Wald suchten, erwiderte der Junge: „Das kann sich leider keiner von uns aussuchen. Aber keine Angst. Du hast Lord Angel an deiner Seite und ich habe letztendlich immer das geschafft, was ich mir vorgenommen habe.“

Die Blutgarde

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