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5. KAPITEL NENN MICH AB HEUTE FALCO
ОглавлениеScheiß dich an, dachte Hans voller Bewunderung. Lang ausgestreckt lag er auf dem Bett seines Hotelzimmers, die geschmacklosen Vorhänge halb zugezogen, das Doppelkontingent Kissen, für das er dem Stubenmädchen fast ein Heiratsversprechen hatte geben müssen, im Kreuz, einen Aschenbecher auf der Brust. Der kleine Fernseher, in dem der Held der diesjährigen Vierschanzentournee seinen rekordverdächtigen Sprung hingelegt hatte, der Hans eben tiefen Respekt entlockte, war leichter zu haben gewesen. Der war bloß mit Geld bezahlt.
Das Programm, das sich seit Stunden fast ausschließlich um das prestigeträchtige Schispringen drehte, war nicht unbedingt nach Hans’ Geschmack. Aber es tat seinen Zweck. Man starrte ohne viel Anstrengung auf einen Fleck und hatte das Hirn frei für die wichtigen Dinge des Lebens. Was werde ich heute zum Auftritt anziehen?, zum Beispiel. Oder: Wie spann’ zur Abwechslung einmal ich dem Kolbert sei’ neue Oide aus? Und, wie gerade eben jetzt: Wie bastel’ ich mir ein neues Image?
Das gestrige Gespräch mit Udo Lindenberg an der Bar vom „Sugar Shack“ hatte Hans noch in den Schlaf verfolgt. Seit dem Aufwachen aber war es Hans, der etwas verfolgte. Nämlich eine ganz gegenläufige Spur in dem Verwirrspiel namens Karriere. Die Warnung, sich selbst auf dem Weg nach oben zu verlieren, die ihm schon gestern, wenn auch noch entfernt, wie ein Wink des Schicksals vorgekommen war, hatte sich mittlerweile in ihm zur einzigen Lösung des Problems gewandelt. Wer gleich ein anderer wird, kann sich nicht mehr verlieren. Und der erste Schritt dahin war klar wie das Einmaleins: Hans Hölzel war nicht publicitytauglich. Damit werd’ ich höchstens so berühmt wie der Ehemann von der Mona Lisa. Es mußte dringend ein neuer Name her.
„Schanzenrekord“, überschlug sich die Stimme des Reporters im Fernsehen und riß Hans aus seinen Überlegungen. „Falko Weißpflog, meine Damen und Herren, ist auch heute wieder der absolute König dieser Veranstaltung, er hebt ab, wie wenn es keine Schwerkraft gäbe …“ Wie wenn es keine Schwerkraft gäbe, äffte Hans den Sprecher nach. Wie wenn es keine Idee wäre, Kommentatoren zu beschäftigen, die von der Grammatik wenigstens halb so viel Ahnung haben wie vom Sport.
Gedankenverloren schaute er zu, wie der DDR-Springer Falko Weißpflog im Auslauf immer noch die Arme in die Höhe riß. Das muß a G’fühl sein, dachte Hans, bravo Falko. Auch kein schlechter Name, sinnierte Hans, der hat’s gut, bei dem steht das schon im Taufschein. I geh jetzt spazieren.
Es war ein verhangener, mäßig kalter und völlig trockener Wintertag. Hans schlenderte ziellos durch Schwabing. In den Auslagen glitzerte immer noch die Weihnachtsdekoration. Immer wieder blieb er kurz vor einem Geschäft stehen. Allerdings hätte er in den seltensten Fällen sagen können, was man dort verkaufte. Sein Blick blieb schon weit vor der ausgestellten Ware hängen, am Schaufenster, wo er sich versonnen in sein eigenes Spiegelbild vertiefte.
Gar nicht übel, was er da sah. Die Spots in dem Friseurladen, vor dem er gerade haltgemacht hatte, warfen ein gutes Licht auf ihn. Kritisch verengte er die Augen zu schmalen Schlitzen. Markante Züge nennen sie das in den Romanen, dachte er, zog einmal die eine, dann die andere Augenbraue nach oben und drehte ein paarmal versuchsweise den Kopf hin und her, um die Pracht von allen Seiten bewundern zu können. Drinnen stießen sich bereits einige Kunden amüsiert an und deuteten auf den nicht ganz dichten Typen, der ihnen da seine eitlen Grimassen schnitt. Der Besitzer des Ladens trat von innen an die Scheibe heran und grimassierte zurück. Als Hans ihn endlich bemerkte, nahm sein Teint sekundenschnell ein beachtliches Bordeauxrot an.
Die Situation war ihm so peinlich, als hätte ihn ein Pfarrer dabei erwischt, wie er in den Beichtstuhl pinkelte. Die Scham kroch ihm bleischwer in die Beine, er wollte nichts wie weg, konnte sich aber beim besten Willen keinen Millimeter bewegen. Drinnen hatte inzwischen ein kollektiver Lachkrampf um sich gegriffen. Einer von der Sorte, der die Wache vorm Buckingham Palace dazu gebracht hätte, sich am Boden zu wälzen. Und plötzlich mußte auch Hans mitlachen. „Komm herein“, formte der Boß mit den Lippen und gestikulierte wild, um den entrückten Mimen ins Geschäft zu locken. Hans folgte. „Großartige Show, Fremder“, dröhnte der Hausherr, „was bist du, Schauspieler oder nur eitel?“
„Musiker“, antwortete Hans, „ich spiel’ Baß bei der Truppen aus Wien, die im ‚Marienkäfer‘ auftritt.“
„Ah, die Hallucination Company, hab’ schon g’hört davon. Und was hast’n nacher jetz’ da probiert?“
„Jeder hat a Rolle bei uns, i bin der Exzentriker …“
„Ah was! Des hätt’ ma uns nia net denkt“, grölte der Bayer erneut. „Du, da hab’ ich was für dich, das passert genau. Ganz was Neues, hab’ ich gestern erst von an Vertreter rein’kriegt. Wuist es seh’n?“ Ohne die Antwort abzuwarten, verschwand er im hinteren Teil des Geschäfts und kam gleich darauf mit einem kleinen Tiegel zurück. „Brisk nennt si des, des pickst da in die Haar, klatscht es so z’ruck und dann schaust aus wie der junge Alain Delon.“
„Das kenn’ ich, ich hab’ einmal bei einem Friseurbedarf gearbeitet, da is uns das Zeug immer über’blieben“, winkte Hans ab, „das war so ein weißer, pickerter Gatsch, mit dem man sich früher die Elvis-Tollen aufs Hirn ’klatscht hat. Eine elendigliche Sauerei war das!“
„Des is vui besser“, versicherte der Friseur und begann bereits, Hans die Creme aufzutragen. „Na, was sag’ ich … super schaut das aus.“ Hans betrachtete das Ergebnis im Spiegel. Der Coiffeur betrachtete Hans.
„Was kostet das?“ fragte der schließlich. Augenblicklich fuhr ihm eine Hand mit drei ausgestreckten Fingern entgegen. „Drei Mark?“ erkundigte sich Hans, „das geht.“
„Dreißig Mark“, stellte der andere richtig, „das is net nur neu, das is a Luxusartikel.“
„Vor allem is es fast eine Abendgage“, korrigierte ihn Hans und überlegte, ob er sich den teuren Spaß leisten sollte. „Okay, pack’s ein.“
So ein Schwachsinn, ärgerte sich Hans ein paar Gassen weiter und gab stellvertretend für den geschäftstüchtigen Friseur einem zusammengeknüllten Papiersack auf dem Gehsteig einen Fußtritt.
Aber gut schaut’s schon aus, pulste ihm allerdings bald darauf seine Ader für gute Effekte durch das Geschmackszentrum seines Gehirns. Kein Vergleich jedenfalls zu dem weißen Papp von früher. Na, die werden schaun, freute er sich schon im Hinblick auf die Verblüffung bei den durchwegs langhaarigen Kollegen der Company. Die waren ja schon ganz weg, wie ich mir vor ein paar Monaten die Haar’ samt mein’ Zopf hab’ schneiden lassen.
Is irgendwie a blöde Zeit momentan für einen, der anders sein will. Bis jetzt hat man sich einfach zum Protest gegen alles die Haare wachsen lassen können, und die G’schicht hat sich g’habt. Heut’ hat man damit überhaupt keine Chance mehr zum Protestieren, man kann sich eigentlich nur als Parodie aufs Establishment behaupten. So auf überdrüber. Die Typen mit ihrem eigenen Schmäh richtig verarschen halt. Ich sollt’ mir vielleicht noch so einen von diese echt g’fäulten Anzüg’ …
G’fäulter als das Modell, das er eben in einem Schaufenster entdeckt hatte, konnte ein Anzug nicht sein. Umgehend betrat er das Geschäft. Die Jacke paßte wie über ihn gegossen. Dem herbeigetänzelten Angestellten entfuhr ein schmachtender Seufzer. „Exquisit, süperb, perfekt“, zwitscherte er und küßte mit spitzen Lippen seinen zu einem Kreis geformten Zeigefinger und Daumen.
„Tatsächlich, ganz akzeptabel“, bestätigte Hans, von dem Gesäusel angeregt, in seinem übertriebensten Schönbrunnerdeutsch und der alten höfischen Anrede: „Was nimmt Er für den Fummel?“
Nachdem er nach der Abendgage auch noch einen halben Monatslohn angebracht hatte, kehrte Hans mit seiner Beute ohne weiteren Umweg ins Hotel zurück. Unverzüglich warf er sich in die neue Schale und pappte sich die Pomade in die Haare. Wie damals beim Pauli Asenbaum in der Galerie, erinnerte er sich plötzlich nach dem ersten Blick in den Spiegel, nur ohne braunen Anstrich und diesmal net mit Spucke.
Nur um die Beine herum, in seinen Jeans, war er noch Hans Hölzel. Gleich darauf fiel ihm der Tannenbaum ein. Bei dem winzigen Herrenausstatter in der Wiener Judengasse hatte er vor kurzem eine Hose erstanden, die nun mit diesem neuen Sakko ihre Vollendung finden würde. Mit einem Griff in seine penibel in dem bescheidenen Schrank drapierte Garderobe hatte er sich das bislang wenig verwendete Stück geangelt, sprang hinein und mit Gene Kellys berühmter Pose aus „Singin’ in the Rain“ wieder vor den Spiegel. Der Anblick war kaum weniger effektvoll.
Hans legte gleich noch ein paar Tanzschritte hin. „Mimi, Lulu, Chouchou“, versuchte er sich als Yuppie-Heesters-Verschnitt, mit dem er Thomas Rabitsch immer so erheitern konnte. Aber das war leider schon einmal da, stoppte er sich selbst, bevor er sich auch noch einen weißen Schal umgehängt hätte. Ich muß mit meinem eigenen Schmäh einefahr’n, die Parodie aufs Establishment, Oida, das war die Idee. Kumm, laß dir was einfallen. Du bist a Anarchist im Tarnanzug, der optisch angepaßte Widerstand gegen den Kommerz. In Wahrheit brauchst nix anders, als so auf die Bühne geh’n. Immer weiter nahm Hans seine Bewegungen zurück, immer mehr arbeitete er nur noch mit den Unterarmen, Händen, abgespreizten Fingern, bis seine Gesten kaum mehr als angedeutet kamen und nur noch einen Ruck durch den Rest des Körpers schickten.
Fast wäre er zu spät zum Gig gekommen. Das Ensemble war bereits vollzählig versammelt, in der winzigen Garderobe war kaum noch Platz für einen Rülpser. Doch nicht nur deshalb blieb Hans in der Tür stehen.
„Na, daß d’ aa scho da …“ Der Rest des Satzes blieb Wickerl im Hals stecken. „Na, servas, Oida, hast g’heirat’?“ Neugierig drehten sich jetzt auch die anderen um. Die Stille im Raum hätte man in Scheiben schneiden können. Dann brach die Hölle los.
„Oida, was is’n das? Spiel’ ma heut auf an Begräbnis?“
„A Engagement als Eintänzer im Hofbräuhaus?“
„Wannst dich in der Panier auf die Bühne traust, besorg’ ich dir eine Tapferkeitsmedaille!“
„Bumm, schaust du guat aus!“
Stumm bahnte sich Hans seinen Weg durch die Lästerer. Obwohl er im Unterbewußtsein mit einer ähnlichen Reaktion gerechnet hatte, war er nun doch etwas angerührt. Wenn ihn nicht einmal die eigenen Leute verstanden …? Abrupt drehte er sich um: „Love it or leave it, guys, you better leave it, and: fuck yourself“, schnauzte er in die Runde.
„Und Wickerl“, gab er gleich darauf noch einer Eingebung nach, „was ich noch sagen wollt’: Sag mich heut nimmer als Hansi Hölzel an, das is vorbei. Nenn mich ab heute FALCO.“