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9. KAPITEL JUNGE RÖMER TANZEN ANDERS
ОглавлениеFürs erste Album hast du ein Leben Zeit, fürs zweite nur mehr ein Jahr.
Irgendwer hatte Hans diesen Satz ins Großhirn eingespeichert. Und dort blinkte er jetzt ohne Pause. Wie eine gelb-rote Neonreklame in einem B-Movie direkt unterm Schlafzimmerfenster des heruntergekommenen Helden. Rot, gelb, gelb. Gelb, rot, rot. Hans wälzte sich auf die andere Seite des Bettes und versuchte, nicht aufzuwachen. Doch selbst in den völlig verdunkelten Raum drangen um zwei Uhr nachmittags ein paar Sonnenstrahlen. Er fühlte sie auf den Lidern, die instinktiv zuckten, um dem unerwünschten Signal von außen zu entkommen. Es war Zeit, aufzustehen.
Ungelenk tapste er in die Küche. Vor allem in diesem Zustand zwischen Schlaf und Aufgewachtsein hatte er immer Schwierigkeiten, sich in der Geräumigkeit dieser Wohnung zurechtzufinden. 150 Quadratmeter. Altbau, siebter Bezirk, Schottenfeldgasse. Ein ersungenes Domizil mit Klo. Und Wasser. Mit dem Gefühl des Stolzes, das selbsterworbener Luxus auslöst, ließ Hans Wasser in die Espressomaschine laufen. Das Gerät begeisterte ihn immer wieder. Vielleicht war sie doch nicht so schlecht, die Welt da draußen. Wie um das Gegenteil zu beweisen, begann das Telefon zu klingeln. Fast augenblicklich schaltete sich der Anrufbeantworter ein. „Begrüße Sie, Herr Hoelzel“, meldete sich eine männliche Stimme nach der Ansage. „Ich hoffe, daß diese Nachricht Sie noch rechtzeitig erreicht, es tut mir sehr leid, Ihren Terminplan durcheinanderbringen zu müssen“ – Hans entfuhr ein schnaubendes Grinsen – „aber unser Treffen würde sich, wenn es Ihnen möglich ist, eine Stunde nach hinten verschieben, der Ort bleibt derselbe. Danke für Ihr Verständnis.“
Jessas, das Interview mit dem „profil“, schoß es Hans wieder ein. Eine Stunde nach hinten, das heißt drei, na das war knapp, jetzt ist es zwei Uhr, dachte er und goß sich den extrastarken Mokka ein, der eben fertig geworden war. Was zieh’ ich denn da an …?
„Und dann hab’ ich noch g’sagt: Ich schiff’ net an die Hausmauern, ich bin das Missing link zwischen idealem Schwiegersohn und der Lautsprecher für alles, was sich die andern denken. Guat, oder? Was sagst du, Bob?“
Bob sagte schon länger gar nichts mehr. Speziell zu den verschiedenen Aussagen in verschiedenen Interviews mit verschiedenen Reportern, die doch immer alle gleich abliefen. Falco hatte die Grundregeln des Spiels mit der Presse schnell gelernt. Die Journalisten brauchten eine Story, er brauchte die Journalisten. Das war die Basis. Simpel wie der Anfang seines ersten Hits „Ganz Wien“. Darauf aufbauend beherrschte er die Variationen wie ein Virtuose die Saiten. Je nachdem, welches Blatt man ihm vorgab, wählte er die Tonart. Und die Sager setzte er wie seine besten Textstellen.
Hans ließ sich von Robert Pongers stummem Desinteresse an seiner gefinkelten Medienarbeit nicht aus dem Konzept bringen. „Und ein guter Sager is mir dann am Schluß no eing’fallen: Ich wäre der ideale Kaugummi aus James Dean und Lacoste. Na, da hat er mitg’schrieben plötzlich, der Herr Redakteur.“
Bob nickte nur. Ich wollte, du wärst der ideale Partner aus Texter und Musiker, der du vor einem halben Jahr noch warst, dachte er. In den vergangenen Wochen hing er immer öfter und immer wehmütiger den Zeiten nach, in denen sie gemeinsam das erste Album „Einzelhaft“ produziert hatten. Das zweite sollte längst mehr als ein zunehmend drohender, rot angestrichener Termin auf dem Kalender sein. Deswegen war er heute hier.
„Es gibt Wichtigeres als Interviews“, wagte er schließlich den ersten Vorstoß in Richtung Arbeit. Hans sah Bob an, als hätte der eben behauptet, die Erde könne ohne die Sonne existieren. „Du hast ja keine Ahnung“, legte er dann los, „du bist ein U-Boot, du kannst dich z’rückziehen, kannst di vor der Meute verstecken in dein’ Studio. Ich bin der, der sich immer hinstellen muß, auf die Bühne, vor die Kameras. Das is a Hacken, Oida, die genauso dazug’hört wie a Platten machen.“
„Genau, Hans, jetzt bist am Punkt: Wir haben keine Platte im Moment.“
Ein paar Minuten war es völlig ruhig im Raum. Umständlich zündete sich Hans eine neue Zigarette an. Dann stand er auf und stellte sich ans Küchenfenster. Eine Taube landete vor ihm draußen auf dem Sims und sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an.
Hans blies den Rauch gegen die Scheibe. Plötzlich drehte er sich um und sagte: „Weißt, Bob, es is net so leicht wie vorher. Ich hab’ immer das Gefühl, die warten alle nur auf einen Flop von mir.“
„Kann uns doch wurscht sein, auf was die warten. Wir machen das, was wir für richtig halten, was uns Spaß macht“, versuchte Bob ihn mit der erfreulichen Seite der Sache aufzuheitern.
„Spaß“, wiederholte Hans, dem das Wort durch die Lippen rutschte, als betrachte er etwas, das eine Katze von draußen hereingebracht hatte. „Is doch alles längst kein Spaß mehr.“
Die Endgültigkeit der Aussage bestürzte Bob aufs heftigste. Natürlich war auch ihm Erfolg oder Nichterfolg der neuen Platte nicht gänzlich eins, aber wichtiger war ihm doch noch immer die Freude an dem Ding. Ohne die sah Bob nämlich auch kaum Chancen auf Erfolg. Eine Platte, die nicht entsteht, weil man sie machen will, sondern weil sie gemacht werden muß, landet ungefähr so leicht in den Charts wie ein Jumbo auf dem Stephansplatz. Bob hatte Hans aus einer Art Schreibblockade befreien wollen. Jetzt erkannte er, daß die Angelegenheit weit komplizierter war.
„Hast’ dir meine Sachen angehört?“ fragte er, um Hans durch eine Grundsatzdiskussion nicht noch mehr zu verunsichern.
„Ja, Bob, super“, ging Hans darauf ein. Allerdings klang er eher wie einer, der sich für Marzipan bedankt, das er aus lauter Abscheu vor dem süßen Zeug eben seinem Hund gefüttert hat. Die Ignoranz in der Stimme mußte ihm dabei selber aufgefallen sein, denn gleich darauf fügte er einlenkend hinzu: „Da fallt mir scho’ was ein dazu, Bob, mach dir keine Sorgen.“
Doch Bob machte sich mehr als nur Sorgen. Die Stimmung, in die Hans sich in den vergangenen Monaten mehr und mehr verstrickte, war alles andere als beruhigend. Die Sinuskurve seines Gemütszustandes glich einer Achterbahn mit immer mehr Loopings. Und die Art, in der Hans das Auf und Ab künstlich unterstützte, wäre für Studienzwecke eines Mediziners ebenso von Interesse gewesen wie sie es für die Finanzlage einiger Dealer war. Doch so unverständlich wie nervenaufreibend Hans’ Exzessivität gerade für einen Gesundheitsfanatiker wie Robert Ponger auch war, schlimmer noch war diese geistige Lethargie, diese Antriebslosigkeit, in die es Hans immer öfter wie in einen Strudel hineinzuziehen schien. All die Kraft, die er aus einer Art natürlicher Aggressivität bezogen hatte, all die Spontaneität, die ihn künstlerisch so genial unberechenbar gemacht hatte, war wie weggeblasen, aufgeschnupft, ertränkt.
Die Konversation tröpfelte noch einige Zeit vor sich hin. Dann verabschiedete sich Bob. „Nächste Woche in Mannhardtsbrunn“, versprach Hans, als er ihn zur Tür brachte. Bob hätte gern daran geglaubt.
Umso erstaunter war Robert Ponger, als Hans ihn tatsächlich eine Woche später anrief und fragte, ob er tags darauf vorbeikommen könne. Seine Stimme verriet die alte Power, er klang nüchtern und zuversichtlich. Er habe ein paar Ideen und würde sie gerne mit Bob besprechen. Großartig, dachte der, vielleicht hatte ihn das Gespräch in der Schottenfeldgasse doch aufgerüttelt.
Bereits um neun Uhr am darauffolgenden Morgen kam Hans in Mannhardtsbrunn an. Bob, der eben mit seinem Müsli beschäftigt war, schwappte die Milch aus der Hand, als er ihn mit einem riesigen Rucksack am Rücken aufs Studio zugehen sah. Rucksäcke paßten nicht zu Falco. Eine flaue Skepsis machte sich in Ponger breit. Als er das Studio betrat, saß Hans bereits am Mischpult. Irgendwie wirkt er deplaciert, ging es Bob durch den Kopf, und ein ungutes Gefühl im Magen begann sanft zu kreisen.
„Servas“, sagte Bob betont unbekümmert und klopfte dem Besucher auf die Schulter. „Gehn wir’s an, was hast denn mitgebracht?“
„I bin da“, entgegnete Hans in leicht schleppendem Tonfall, „is do das, was du wolltest, oder?“
Bobs Magen begann, das Müsli zu melken. Mein Gott, dachte er, er hat schon so früh was getrunken. Wortlos sah er Hans an, unschlüssig, ob er so tun sollte, als hätte er nichts bemerkt, oder … Ja, oder was? Er hatte es schon so oft mit Worten versucht. Langsam blieb nichts mehr zu sagen übrig.
Jetzt weiß er nimmer, was er sagen soll, dachte Hans hinter seiner Maske des trotzigen Buben, der etwas Verbotenes tut und den unvermeidlichen Rüffel mit möglichst viel Frechheit parieren will. Ich wüßt’s auch nicht an seiner Stelle, ich weiß es ja nicht einmal an meiner. Er hat die Musik längst fertig und wartet auf meine Texte. Und ich tu so, als würd’ ich ihm was zufleiß tun, wenn ich nix schreib’. Es is mei’ Platten, und ich benutz’ ihn als Prellbock, weil mir nix einfallt.
Und mir fallt nix ein, das is die Wahrheit. Mir fallt net nur keine Zeile ein, mir fallt net amal ein Thema ein. I waß einfach net, über was i no singen soll. Früher hab’ ich da net nachdenken müssen drüber. Na und jetzt hab’ ich a schlechtes Gewissen deswegen. Und weiß net, wie ich das unter einen Hut bringen soll: immer no der innovativen Szene, dem Underground g’fallen und trotzdem mit’n Falco Geld machen. Wie soll i des dem Bob nur sagen? Wie soll i des überhaupt irgendwem sagen? Ich Trottel, warum hab’ ich nur so an klan Schluck von dem Whiskey g’macht? Ohne das Zeug halt ich mich net aus und mit kann ich net arbeiten. Gibt’s da nix mehr dazwischen?
Bob wußte nicht, was er mit der Stille anfangen sollte. Hans’ aufmüpfige Miene verriet nichts von der Unsicherheit, die er in sich versteckte. Ratlos setzte sich Bob auf die schmale Couch, mit der Rechten fuhr er sich durch seine wuschelige Mähne, die Linke ließ er über die Lehne baumeln. Als seine Finger ein steifes Stück Leinen streiften, erinnerte er sich an den Rucksack.
„Hast wieder deinen Schlafsack mitgebracht?“ fragte er, erleichtert über ein neutrales Thema.
„Na, des is mein Proviant“, erklärte Hans.
Jetzt kenn’ ich ihn schon mehr als ein halbes Jahr, aber ich hab’ ihn noch nie essen gesehen, dachte Bob etwas sinnlos und wollte den Rucksack aufheben. Er bekam ihn gerade zehn Zentimeter weit in die Höhe. Was um Gottes willen schleift er denn da daher, überlegte er, eine Tonne Erdäpfel? Das Geräusch, das der schwere Sack von sich gab, deutete eher auf Konserven hin. Und plötzlich verwandelte sich das Scheppern in Bobs Ohren in eine Alarmglocke.
„Was meinst du mit Proviant?“ fragte er scharf, öffnete das Ding und betrachtete fassungslos dessen Inhalt: an die fünfzig volle Bierdosen.
„Die Session ist beendet“, sagte Bob mit Eiszapfen an der Stimme.
Obwohl Hans’ Teint gemächlich zu sattem Violett anlief, schien es, als hätte er auf nichts als auf diese Auseinandersetzung hingearbeitet. „Das wirst du entscheiden“, brüllte er, „wenn i sag’, wir arbeiten, dann passiert das auch!“
„Ich kann dir ganz genau sagen, was passiert“, erwiderte Bob unheimlich leise. „Du packst jetzt deinen Proviant zusammen und schiebst deinen Hintern aus meinem Studio hinaus.“
„So red’st du net mit mir, du kleiner Knöpferldrucker“, konterte Hans drei Dezibel zu laut, „wer glaubst’ denn, wer du bist? Ohne an Künstler seid’s ihr Produzenten doch nix als depperte Hebelschieber …“ Es folgte eine schillernde Aufzählung aller sinnentleerten Tätigkeiten, die ein Produzent für den einzig kreativen Part eines solchen Duos, nämlich den Künstler, zu leisten habe.
Bob ließ Hans schreien, bis er sich in seinen Unflätigkeiten verhaspelte. Dann sagte er noch leiser und noch eisiger als zuvor: „Du kannst schreien, wie du willst, du kannst mich beschimpfen, wie du willst, du kannst dich auch auf den Kopf stellen, wenn du das noch hinkriegst – eins kannst du jedenfalls nicht: heute hier arbeiten. Das ist mein Studio, und was immer hier abgeht, es geht ohne Alkohol ab.“ Bob legte eine Pause ein, aber Hans war klar, daß er noch nicht fertig war.
„Und ich sag’ dir noch was, du wienerisches Buberl, du größenwahnsinniges“, fuhr Bob schließlich fort. „Dein frisiertes Goschertsein kannst an irgendwelchen Journalisten ausprobieren, wenn die sich das gefallen lassen. Ich laß’ mir’s nicht gefallen. Es gibt ein paar Popgrößen, die ein bißl mehr verkauft haben als du und ein bißl berühmter sind und sich ein bißl länger im Geschäft bewegen, die haben ihre Krisen auch gemeistert und sich nicht ihre Platten damit versaut. Wenn man so ein Talent hat wie du, dann hat man darauf zu schauen, daß man es zumindest phasenweise, wenn’s drauf ankommt, ungestört auf die Leute loslassen kann. Dann ist man nicht ang’fressen, daß einen Gott und die Welt nicht versteht. Schon gar nicht, wenn überhaupt noch nix da ist, was man verstehen könnte. Deine Texte von der ‚Einzelhaft‘ hat jeder verstanden. Setz’ dich hin, reiß dich zusammen und schreib endlich. Du kommst mir vor wie ein Fünfjähriger, der am Watschenbaum rüttelt.“
Hans saß da wie vom Donner gerührt. Innerlich aber wußte er, das Gewitter war vorbei. Und auf eine seltsame Art tat sie ihm gut, die klare Luft. Er hat recht, dachte er, er hat absolut recht. I führ’ mi auf wie ein kleiner Rotzbub, der seine Grenzen sucht. Genauso war’s, wenn mi früher mein Vater z’ammg’schissen hat, i kann mi genau an das G’fühl erinnern. Und in allem anderen hat Bob auch recht. Dauernd such’ ich irgendwelche Schuldigen, die mich behindern und aufhalten und abhalten, und ich schütt’ mich zu, weil ich selber net fähig bin, mich da rauszuhalten. Scheiße, wie komm’ ich aus der Nummer wieder raus?
Die Antwort fand er in Robert Pongers Augen. Nur durch mich, war es Hans auf einmal klar, durch mich, und indem ich auf das hör, was mir Leute wie der Ponger sagen. Ich bin der einzige, der mir im Weg steht. Ich bin mein Feind.
Langsam stand er auf und ging zur Tür. Kurz bevor er sie öffnete, schaute er sich noch einmal um. Es lag eine gewisse Ruhe in seinem Blick. Er hinterließ den Eindruck einer eigenartigen Zufriedenheit.
Und den Rucksack.
24 Stunden später war Bob wieder mit seinem Müsli beschäftigt, als Hans vor dem Studio vorfuhr. Die Art, wie er aus dem Auto stieg, hatte etwas Leichtes, Sicheres. Etwas ungewohnt Dynamisches. Nur, weil er einen Jogginganzug anhat, bremste Bob seine jäh ansteigenden Erwartungen. Und unwillkürlich hielt er den Atem an, als Hans die Tür zum Fond des Wagens öffnete und ein ansehnliches Gepäckstück herauswuchtete. „Die Gibson“, sagte er vor lauter Erleichterung halblaut vor sich hin, als er Hans’ Baß erkannte.
Die beiden begrüßten einander, als läge ein halbes Leben zwischen gestern und heute. „Na, Bob, alles im grünen Bereich?“ meinte Hans jovial und bugsierte seinen Baß ins Studio.
„Und selber?“ meinte Bob.
„Wie ein junger Römer“, gab Hans zurück und streckte dem Produzenten ein Blatt Papier hin, säuberlich beschrieben mit seiner schönen, schrägen Handschrift.
Der herrlich produktive Tag nach Pongers Gewitter stellte sich als einsames Zwischenspiel heraus. In den folgenden Wochen verfiel Hans wieder immer mehr in Zweifel an sich selbst, seinem Talent, seinen Texten. Die Tage verbrachte er zur Hälfte im Bett, zur Hälfte mit dem Bemühen, sich möglichst unverzüglich wieder ins Bett zu befördern. Sein Alkoholspiegel hätte sich mit dem Überschwemmungspegel der Donau messen lassen.
Die Wohnung in der Schottenfeldgasse wurde zum „Fort Hoelzel“. Mit der Besonderheit, daß es Außenstehenden nicht so schwerfiel, hineinzukommen, als es der Besitzer schaffte, nach draußen zu gelangen. Wozu auch? Alles, was Hans brauchte, kam zu ihm. Die kleine Imbißstube direkt neben dem Eingang des Hauses schickte seine Lieblingsspeisen zu jeder Tages- und zu einem Großteil der Nachtzeit. Erstens war der Stammkunde prominent, zweitens eine beachtliche Säule des Umsatzes. Die Flüssignahrung wurde in weit kürzeren Intervallen per Boten geliefert. Man gönnte sich ja sonst nichts. Fast nichts. Für dieses Fast allerdings hätten die Lieferanten am berüchtigsten ihrer Umschlagplätze, der U-Bahnstation Karlsplatz, mindestens doppelt so lange arbeiten müssen.
Sekundäre Bedürfnisse wie das nach Sauerstoff erledigten sich per Kippfenster. Anfangs schien die Bekleidungsfrage ein kleines Problem, das sich aber mit Hilfe dienstbarer Geister lösen ließ, die mit einer Polaroidkamera einkaufen geschickt wurden. Auf die Art vergrößerte Hans seine Garderobe bequem im Liegen. Der Nachschub an Zeitschriften, Videos oder anderen Links zur Außenwelt wurde durch Freunde aufrechterhalten. Freunde. Ein Wort, das in Hans’ Leben eine immer unsympathischere Bedeutung annahm. Abgesehen von seinem ältesten Freund Billy Filanowski und einigen wenigen anderen langjährigen Gefährten betrachtete er alle, die sich diesen Titel wie eine Trophäe sichern wollten, zunehmend als Mischung aus Parasiten und Sklaven. Groteskerweise scharte er bald mehr dieser falschen Freunde um sich, vor denen er sich andererseits wieder am liebsten unterm Teppich verkrochen hätte.
Das Grundübel war dabei immer dasselbe: Wer sich mit Falco verstand, war Hans zutiefst verdächtig. Sich mit Hans zu verstehen, machte er selber aber nahezu unmöglich. Ihn schien eine stetig wachsende Mauer aus Vorsicht, Furcht und Fluchtbereitschaft zu umgeben. Und über die konnten andere ebensowenig vordringen zu ihm, wie er zu ihnen.
Hinter dieser Mauer lebte Hans zuweilen wie ein Einsiedler, der nicht mehr wußte, ob er die Welt oder die Welt ihn verlassen hatte. Was irgendwann aber auch gar keinen Unterschied mehr machte. Alles in allem waren das nicht die besten Voraussetzungen für kreatives Arbeiten. Junge Römer, kennt ihr die Sonne noch …?
Während Hans seine Nerven mit Jack Daniels, dem besten seiner neuen Freunde, und allerlei Chemie betäubte, lagen sie bei denen, die unmittelbar von seiner mangelnden Produktivität betroffen waren, längst blank. Robert Ponger verfolgte Hans’ Versuche, seine Unsicherheit zu überspielen, mit zunehmender Besorgnis. Dazwischen verplemperte er seine Arbeitszeit damit, Hans ins Gewissen zu reden oder ihm die Autoschlüssel wegzunehmen. Plattenchef Markus Spiegel, der auf die zweite seiner drei im Vertrag vereinbarten LPs wartete wie auf den Halleyschen Kometen, mußte sich von seiner zwischen Sein und Schein pendelnden Entdeckung mit lässig hingeworfenen Anglizismen einlullen lassen: Die fucking Schwarzmalerei der anderen sei bloß influenced by so Nebensächlichkeiten wie bad vibrations, und die wären aber sowas von easy aus der Welt zu schaffen, because er, Falco, habe no problem mit anything.
Nach annähernd einem Jahr, das nun seit „Einzelhaft“ verstrichen war, kosteten Spiegel diese fucking Nebensächlichkeiten die heavy Kleinigkeit von einer Million Schilling. Annähernd eine zweite sollte noch dazukommen.
„Ja, hallo, Markus? Markus? Hörst du mich?“ Die Verbindung war unter jeder Sau. Ponger hieb auf den Automaten ein, als wäre der an allem schuld. Warum hab’ ich nicht vom Studio telefoniert, fragte er sich. Aber er wußte die Antwort.
Im Studio war die Hölle los. Abgesehen von allem anderen hätte er dort sein eigenes Wort nicht verstanden, geschweige denn eins von Markus Spiegel am anderen Ende der Leitung in Wien. Und alles andere war: Chaos, Krach und Katastrophe.
Als Bob mit Hans zu einem neuerlichen Versuch, die Aufnahmen für „Junge Römer“ über die Bühne zu bringen, vor drei Tagen nach München aufgebrochen war, war er bloß Optimist gewesen. Nach einem Tag im Studio glaubte er bereits an Wunder. Andernfalls hätte er gleich wieder zusammenpacken können, wie das nun ja auch schon ein halbes Dutzend Mal der Fall gewesen war.
Diesmal hatte die Sache zumindest einen hoffnungsvollen Anfang genommen. Hans war einigermaßen zivilisiert in München angekommen. Doch kaum hatte er zum ersten Mal die Leopoldstraße passiert, dürfte ihn ein Hauch von Nostalgie gestreift haben, der aus Schwabing heraufwehte, aus Company-Zeiten, aus einem früheren Leben. Mit einigem Nachdruck hatte er sich noch überreden lassen, im Hotel einzuchecken. Als man sich eine halbe Stunde später in der Lobby hatte treffen wollen, war er weg …