Читать книгу Mitten in OstHolstein - Andrea Lieder-Hein - Страница 3
PROLOG
ОглавлениеDr. Leif Jorgensen schaute liebevoll auf seine Frau und streichelte zärtlich ihre linke Hand. Freya schlief, und so konnte er ein paar Augenblickte verweilen, um ihr schönes Gesicht zu betrachten.
Freya war vor fünf Jahren in sein Leben getreten. Damals, in Travemünde, als er in Eile einen Cappuccino trinken wollte. Er hastete in eine der Bäckereien an der Vorderreihe und hielt wenige Minuten später sein Getränk in Händen. Aber alle Sitzplätze waren belegt.
Da fiel sein Blick auf eine junge Frau, die alleine an einem Tisch saß und in den „Lübecker Nachrichten“ blätterte. Ihr Gesicht war halb verdeckt von den braunen Locken. Leif betrachtete die anmutige Frau mit seinem medizinischen Blick. Das konnte er nicht lassen. Das war immer so. Als plastischer Chirurg an einer Schönheitsklinik schaute er zuerst auf den Gesamteindruck. Bei dieser fremden Frau stimmte alles. Ihr schlanker Körper war bekleidet mit einer Jeans, einer bunten Bluse und sportlichen Schuhen. Dezent elegant und doch jugendlich flott.
Noch während er verträumt mit seinem Cappuccino mitten in der Bäckerei verharrte, hob sie ihren Kopf, lächelte ihn mit einem auffordernden Blick an und sagte: „Bei mir ist alles frei.“
Fast erschrocken tauchte er aus seinen Betrachtungen auf und setzte sich zu ihr. Zehn Minuten später waren sie ein Paar. Er dachte an diesem Tag nur noch an sie, und sie an ihn, wie sie ihm später gestand.
Sie war gerade erst 21 Jahre alt geworden, damals im Juni. Sie studierte seit zwei Jahren Medizin in Kiel und hieß Freya Petersen. Zwei Jahre später heirateten beide in Lübeck. Es war ein Traum. Als Freya schwanger wurde, legte sie eine Baby-Pause während ihres Studiums ein. Und vor drei Monaten war Amelie auf die Welt gekommen, ihre Tochter.
Langsam senkte sich sein Blick auf Freya, wie sie ruhig atmend im Bett lag. Dann schaute er auf seine Tochter, die sich in Bauchlage an ihre Mutter schmiegte. Er liebte sie so, sie beide, so sehr, dass er fast weinen musste.
Kurz nach der Entbindung, als das Glück perfekt schien, erfuhr Freya von ihrem Darmkrebs. Mit 26 Jahren. So weit fortgeschritten, dass nichts mehr zu retten war. Sie lag hier, um friedlich zu sterben.
Hallo, mein Schatz. Du hast geschlafen.
Ja, ich bin so müde.
Hast du Schmerzen?
Nein, keine Schmerzen. Und Amelie ist bei mir. Und du. Ich bin nicht alleine.
Soll ich sie dir abnehmen? Drückt sie dich?
Nein, gar nicht. Es ist schön so.
Möchtest du etwas trinken?
Leif, ich liebe euch. Es war der schönste Moment in meinem Leben, als ich dich traf.
Das stimmt. Freya. Das war auch mein schönster Moment.
Plötzlich wurde Freya unruhig. Ihre Augen fingen an zu flattern und sie hob zitternd ihren Kopf. Zeitgleich fing Amelie fürchterlich an zu schreien. Leif hob seine Tochter in seine Arme und beugte sich erschrocken zu Freya hinunter, als diese ein letztes Mal nach Luft rang, um danach erschöpft in sich zusammen zu sacken. Leif bediente den Notruf und fühlte Freyas Puls, aber da war nichts mehr. Freya hatte seine Welt verlassen und Leif Jorgensen bleib zurück. Voll Trauer, aber getröstet durch seine Tochter Amelie.
Von nun an würde es nur noch eine Aufgabe für ihn geben, nämlich für Amelie da zu sein, sie zu beschützen, ihr die Mutter zu ersetzen und ihr über den tragischen Tod hinweg zu helfen. Noch ahnte Amelie nichts von ihrem Schicksal, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis sie nach Mama fragen würde, genauso wie ihre Freunde oder späteren Schulkameraden.
***
Wie in Trance ging Leif Jorgensen hinter dem Sarg seiner geliebten Frau her, Amelie in einem Tragegurt am Körper und das Gesicht von Tränen gezeichnet. In der Hand hielt er einen bunten Blumenstrauß, gedacht als letzten irdischen Gruß.
„Wenn ich mal sterbe, wirf mir bitte keine weißen Blumen hinterher, die sind so traurig“ hatte Freya mal gesagt, als sie von ihrem Krebs wusste. „Bunt sollen sie sein, bunt und fröhlich wie das Leben“ fügte sie hinzu. Er wollte ihr diesen letzten Wunsch erfüllen.
***
Drei Monate war die Beerdigung nun her und er hatte in dieser Zeit viel erledigt und viel hinzu gelernt.
Er konnte perfekt Windeln wechseln, Babynahrung richtig temperiert füttern, kochen, putzen, Amelie die Welt erklären. Diese Beschäftigungen dämpften seinen Schmerz, lenkten ihn ab.
Gleich nach der Beerdigung hatte er angefangen, seine beruflichen Dinge zu ordnen. Er wollte nichts anderes mehr als für Amelie da sein, ihr die Mutter halbwegs ersetzen und ihr die Welt zeigen.
Sein erster Schritt dahin war der Verkauf seiner Klinik. Die „Privatklinik für Ästhetisch-Plastische Chirurgie“ in Eutin war äußerst erfolgreich, da er und sein Team wirkliche Wunder verbringen konnten. Das betraf sowohl verbrannte und schwer entstellte Menschen als auch die sogenannte Schönheitschirurgie.
Die gutgehende Klinik hatte er von seinem Vater geerbt, als dieser mit 55 noch einmal heiratete und in die Vereinigten Staaten zog.
Mit dem Erlös der Klinik war sein Leben mit Amelie mehr als gesichert.