Читать книгу Nenn mich Norbert - Ein Norbert-Roman - Andrea Reichart - Страница 16
Kapitel 13
ОглавлениеEine Stunde später hatte er sie gefunden. Norbert zog ein Blatt Papier aus dem Drucker. Er würde sein Grundstück einzäunen lassen. Sofort. Und das würde dann Nobbis Revier werden. Groß genug war es mit seinen 15.000 Quadratmetern schließlich. Es ging bergauf und bergab, die Grenzen waren von Strauchwerk überwuchert, und ganz sicher war es ein Paradies für einen Hund. Kurz entschlossen hatte Norbert via Internet Firmen zusammengestellt, die Zäune bauten, und er hatte vor, einige davon für heute Mittag einzuladen, sich um den vermutlich lukrativsten Job des Jahres bei ihm zu bemühen.
Claudia hatte zwar geschrieben, der Hund spränge nicht über Zäune, aber er wollte verhindern, dass mordlüsterne Dackel irgendeinen Weg unter dem Zaun hindurch finden konnten. Er sollte also nicht nur eine sichere Höhe haben, sondern auch ein wenig ins Erdreich hineinreichen. Und er sollte stabil genug sein für die Ewigkeit. Wertsteigerung. Für die Einfahrt schwebte ihm ein Tor mit Fernbedienung vor.
Als er die Liste überflog, musste er schmunzeln. Er hatte alle Firmen ausgedruckt, die in einem Umkreis von zwanzig Kilometern angesiedelt waren. Und ganz offensichtlich würde es nicht schwer werden, sich einen kleinen persönlichen Gag zu erlauben. Gut gelaunt griff er zum Telefon. Als er es nach einer halben Stunde wieder in die Ladestation stellte, rieb er sich vergnügt die Hände. Er freute sich auf die Gesichter der Bewerber. Um sich die Zeit zu vertreiben, beschloss er, in Claudias Büchlein zu lesen. Nobbi war gefüttert und lag entspannt aber aufmerksam in seinem Körbchen, das nun im Wohnzimmer stand. Ein frischer Kaffee dampfte in der Tasse, die Zigarette schmeckte gut.
Er konnte es sich leisten, ein paar Tage frei zu nehmen. Die Manuskripte, die er noch hatte lesen wollen, brächte seine Düsseldorfer Sekretärin heute noch zur Post.
„Dann erholen Sie sich mal ein wenig, Herr Schulte, das wird Ihnen gut tun. Und grüßen Sie mir Ihren Hund! Wie hieß der doch gleich?“
„Norbert.“
„Nee, oder?“
„Doch.“
„Ach du meine Güte.“
„Ja, nicht wahr? Bis bald, Frau Schenkel! Und vielen Dank!“
„Gerne, Herr Schulte, bis bald!“
Norbert blätterte nun in dem Büchlein und versuchte etwas darüber zu finden, wie Nobert mit anderen Hunden umging. Er entdeckte ein Kapitel mit der Überschrift „Draußen“. Ja, die Lupe bestätigte seine Ahnung. Er begann zu lesen.
„Woran es liegt, konnte mir bisher niemand erklären, aber ich scheine den Groll anderer Rüden anzuziehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie kastriert sind oder nicht, sie mögen mich einfach nicht. Keiner von denen. Aber das ist kein Problem, denn Claudia beschützt mich. Überhaupt, sie hat draußen das Sagen. Wenn ich ein Reh jagen will, sagt sie ganz streng „Mein Reh!“. Dann schnüffelt sie der Spur nach, die ich gefunden habe, nimmt die gelbe Plastikflasche, in der normalerweise Zitronensaft ist, und spritzt daraus etwas auf die Reh-Spur. Und ich schwöre, so wahr ich Norbert heiße, das in der Flasche ist Pipi!“
„Hä?! Was ist das?!“ Norbert sah den Hund an, als zweifele er an seinem Verstand.
„Das weiß ich so genau, weil ich mich gut auf meine Nase verlassen kann!“
„Meine Güte, die hat sie ja nicht alle!“ Norbert war fassungslos. Bedeutete das etwa, er müsste im Wald, sobald ihnen Wild begegnete …? Er mochte den Gedanken gar nicht zu Ende denken.
„Claudia ist ziemlich klug, oder? Auf jeden Fall steht eins fest. Claudia ist die Chefin, nicht ich. Und alle Rehe gehören ihr.“
Na gut, wenn das so war, dann hatte der Hund seine Lektion ja gelernt, und er musste sich im Wald nicht mehr zum Narren machen. Nicht auszudenken, wie ein Jäger im Hochsitz reagieren würde, wenn er nicht nur einen mittelgroßen Jagdhund in einer Spur entdeckte, sondern einen Mann im Anzug, der mit der Nase im Gebüsch hing, immer wieder „Mein Reh!“ rief und alle Bäume im Umkreis markierte.
„Als mich mal ein Hund angriff, da hat sie mich mit einem Ruck weggezogen und den Hund angegriffen. Statt sich immer auf mich zu stürzen, sollten die anderen Hunde lieber auf Claudia achtgeben, ich bin sicher, die kann auch beißen!“
Tja, da hatte er ja dann heute gründlich versagt. Auf die Idee, Nobbi wegzuziehen oder den Angriff zu verhindern, war er gar nicht gekommen. Bissig war er geworden, oh ja, aber nur mit Worten und an die falsche Adresse. Er blickte seinen Hund an.
„Habe ich dich also heute zum ersten Mal im Stich gelassen, stimmts? Ich machs wieder gut, versprochen.“ Noch hatte er zwar keine Ahnung wie, aber eine Gelegenheit würde sich sicher ergeben. Dann las er weiter.
„Auf jeden Fall freue ich mich über jeden Hund, ehrlich. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was passieren soll, bis ich mal jemanden beiße. Nein, da müsste vorher schon meine Welt komplett aus den Fugen geraten.“
Betroffen legte Norbert das Büchlein zur Seite. Groll stieg in ihm hoch. Wenn irgendjemand im Tierheim dieses Büchlein gelesen hätte, dann hätten sie gewusst, dass dieser Hund gar keine Ahnung hatte, wie er die Beißerei, die beinahe zu seinem Tod durch Einschläfern geführt hätte, hätte vermeiden sollen. Wofür in Gottes Namen hatte Claudia das denn alles aufgeschrieben, wenn es niemand las?
Norbert hatte fürs erste genug. In zwei Stunden würden die Zaunleute kommen, vielleicht sollte er sich noch ein wenig ausruhen. Er zog seine Schuhe aus, legte sich aufs Sofa und deckte sich mit dem wunderbaren Quilt zu, den Bettina ihm geschenkt hatte. Selbst gemacht, alles mit der Hand genäht, in den letzten Monaten, als sie noch mit dem Quilt-Rahmen arbeiten konnte. Darin war sie eine richtige Künstlerin gewesen. Norbert stellte sich den Handywecker und schlief bereits, ehe er bis drei gezählt hatte.
Das Klingeln des Weckers riss ihn aus dem Tiefschlaf. Benommen versuchte er, die Weckfunktion auszuschalten.
Nobbi stand neben der Couch und starrte mit steifer Rute zur Haustür. Da, wieder klingelte es. Also doch nicht der Wecker. Norbert stand auf, faltete die Decke über die Sofalehne und ging sich mit beiden Händen durch die Haare.
Der Hund blieb am Sofa stehen und beobachtete ihn genau, ohne einen Mucks von sich zu geben. So ganz zweifelte er offensichtlich nicht daran, dass Nobert hier der Herr im Haus sei und dafür sorgen würde, dass nichts Schlimmes durch die Tür eintrat. Ein gutes Zeichen für die zukünftige Zusammenarbeit, hoffte Norbert, als er den ersten Handwerker herein bat.
„Zaunzauber Schulte, Schulte mein Name“, stellte sich der Fremde vor und reichte Norbert die Hand.
„Ebenso, freut mich! Kommen Sie herein. Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?“ Er führte den Gast ins Wohnzimmer. Nobbi wich skeptisch zurück.
„Scheu, woll?“, fragte der große Fachmann und vermied es, den Hund zu bedrängen.
„Eigentlich nicht. Er hat nur eine Menge erlebt und ist noch etwas zurückhaltend.“ Dann drehte er sich zu Nobbi um.
„Ablegen“, sagte er betont ruhig, ohne zu wissen, ob dies auch das gewesen wäre, was Claudia gesagt hätte. Sicher nicht. Claudia hätte den Hund zu sich gerufen und ihn dann an den Gast heran geführt, ihm ‚beigebracht‘, dass keine Gefahr bestand. Vielleicht.
Er zeigte auf das Körbchen und hoffte, dass sein Hund ihn verstand.
Nobbi verstand und zog sich zurück. Langsam, aufmerksam, aber ohne zu zögern.
Der Gast hatte sich kaum gesetzt, da schellte es erneut, und der Hund beobachtete von seinem sicheren Platz aus, wie ein Handwerker nach dem anderen erschien, bis fünf gestandene Männer im Wohnzimmer nebeneinander auf dem großen Sofa saßen und sich ihren Kaffee so mischten, wie sie ihn wollten.
Norbert kam zurück und setzte sich dazu.
„Meine Herren Schulte, ich darf mich kurz vorstellen: Ich bin ein Namensvetter. Ich habe mir aus persönlichen Gründen erlaubt, diesen Auftrag nur für Firmen auszuschreiben, die ‚Schulte‘ heißen und hier im Umkreis angesiedelt sind. Ich hoffe, Sie verzeihen mir meinen Großstadthumor?“ Er blickte gut gelaunt in die Runde und beobachtete, wie sich ein Grinsen auf allen Gesichtern breit machte.
„Sehen Sie, ich habe hier ein 15.000 Quadratmeter großes Grundstück ohne Zaun und einen Hund, der raus will und rennen möchte. Ich möchte innerhalb von fünf Tagen das ganze Gelände stabil mit einem 1,70 m hohen Zaun, fest verankert, inklusive Rolltor für die Einfahrt, eingezäunt haben. Und es ist mir egal, ob der Boden gefroren ist oder nicht. Notfalls müssen Sie halt sprengen.“
Ein Raunen ging durch die Gruppe.
„Ich weiß, dass sich im Frühjahr und Sommer jeder die Finger leckt nach so einem Auftrag, aber ich habe keine Zeit. Und weil es bei dieser Witterung nicht ganz einfach ist, möchte ich den Auftrag auch keinem von Ihnen alleine überlassen. Ich werde das Gelände aufteilen zwischen Ihnen allen und den Auftrag als erledigt betrachten, sobald der Zaun steht. Und jetzt bitte ich um Handzeichen, wer von vorne herein aussteigen will, weil er kein Material auf Lager hat bzw. keines in der kurzen Zeit besorgen kann. Ich darf gleich dazusagen: Ich weiß, was Zäune kosten, und ich werde mich nicht übers Ohr hauen lassen. Aber wenn Sie mir einen fairen Preis machen – sprechen Sie sich gerne ab –, dann lege ich für jeden von Ihnen Fünfen 2.000 € Bonus drauf, wenn ich in fünf Tagen einen Zaun und einen glücklichen Hund habe.“
Das Raunen war fassungsloser Stille gewichen.
„Wenn Sie mich nun bitte nach draußen begleiten wollen, damit Sie sich einen Eindruck vom Gelände und den Begebenheiten machen können?“
Die Handwerker zogen sich ihre Jacken über und schwiegen noch immer.
„Damit wir uns richtig verstehen: Jeder von Ihnen ist nur für sein Stück verantwortlich, aber ich möchte trotzdem, dass Sie hier bei mir als Team arbeiten. Reden Sie miteinander, kungeln Sie, wie die Kölner sagen, tauschen Sie sich aus, wo Sie Hilfskräfte herbekommen, seien Sie kreativ. Wenn der Zaun steht und der Hund nach einem Tag draußen keinen Weg raus gefunden hat und andere Hunde keinen Weg rein, dann lade ich Sie und Ihre Gattinnen hierher zum Essen ein. Darf ich fragen, wer von Ihnen einen Hund hat?“
Alle hatten Hunde.
„Und wer hat eine verträgliche Hündin?“
Nur einer der Schultes hatte eine Hündin, der Rest Rüden.
„Würden Sie Ihre Hündin dann mitbringen? Damit Nobbi auch Gesellschaft hat?“ Die Männer mussten lachen, und unter Scherzen und Schulterklopfen begab sich die Gruppe in den großen Garten.
Nobbi blieb zurück und hatte das Gefühl, als sei die Welt vielleicht nicht ganz so schlecht, wie er zu fürchten gelernt hatte. Er beschloss, abzuwarten und aufzupassen.