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Ankommen und sich neu finden
Durch die Nebel gehen

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Marie hatte sich die Reise nach Glastonbury seit einigen Jahren vorgenommen. Nach ihrer Erkrankung und dem Gang durch das Labyrinth fühlte sie sich nun bereit, diesen magischen Ort zu erkunden. Sie war bereit, den Mythos zu ergründen, sich auf das Unerklärliche einzulassen, einzutauchen in die verschiedenen Orte und ihre Energien und Kräfte. Sie wusste, dass sie wieder verändert von dieser Reise zurückkehren würde. Auch das Original ist nicht in Stein gemeißelt. So freute sie sich ungemein auf das Erkennen, was Bewusstsein ist, auf ewiges Bewusstsein und auf göttliche Intelligenz. Ob man das an diesem Sehnsuchtsort erkennen konnte? Sie wusste es nicht mit dem Verstand, doch im Herzen hatte sie es bereits erahnt.

Es war der 17. März. Ein wichtiger Tag für Marie, den sie mit ihrer vergangenen Erkrankung und der folgenden Gesundung eng verband. Es war ein würdiger Tag, um diese so lange ersehnte Reise anzutreten. Jetzt, wo sie gesund und fit war, konnte sie sich ihren Traum erfüllen.

Nach acht Jahren in Berlin war sie kürzlich in den Süden in einen Ort zwischen München und Salzburg gezogen. Sie liebte ihre neue Bleibe, eine Mischung aus Stadt und Land. Zum ersten Mal hatte sie ihren Wohnort ohne Rücksichtnahme auf andere Menschen ausgewählt. Rasch war sie auch innerlich angekommen und fühlte sich wohl. Nach einem abwechslungsreichen Winter konnte es endlich losgehen.

Da sie keine Eile hatte und sich in das Gesamte so richtig einschwingen wollte, um ihre Antennen auch entsprechend zu öffnen und auszurichten, flog sie nicht, sondern nahm den Zug von München via Köln und Brüssel nach London und dann weiter nach Glastonbury.

Marie war wie immer frei von Erwartungen. Sie hatten einen Plan, um von ihm abzuweichen, um sich letztlich führen zu lassen.

Vom Münchner Hauptbahnhof fuhr sie frühmorgens bis Köln. Dort stieg sie um in den Schnellzug weiter bis Brüssel. Im Eurostar durch den Kanaltunnel fuhr sie bis mitten ins Zentrum der britischen Hauptstadt. Die Reise war kurzweilig. Endlich hatte sie die Möglichkeit, Deutschland und Belgien besser kennenzulernen, die Landschaften, die Dörfer und die Städte auf sich wirken zu lassen. Marie reiste mit leichtem Gepäck. Wenn sie etwas benötigte, würde sie es in Glastonbury kaufen. Sollte sie es nicht erhalten, auch gut. Sie hatte die positive Selbstbeschränkung gelernt, die es ihr leicht machte, mit einfachen und wenigen Mitteln auszukommen. Wer nichts braucht, hat alles.

So erreichte sie am frühen Abend London und stieg rasch um in den Zug nach Glastonbury. Alles ging smooth and easy. Gut geplant. Gut gelaunt. Alles ist Energie. Alles ist Schwingung. Auch und gerade im Alltag gut gelebt, erzeugt es angenehme Reisen.

Auf der Weiterfahrt von London nach Glastonbury ließ sie die wundervollen Landschaften, das Marschland, die sanften Hügel und das viele Grün in all seinen Schattierungen vor ihrem Auge vorbeischweifen. Silhouetten und Schemen waren in der heranbrechenden Dämmerung noch immer sehr gut erkennbar. Von den Hügeln gab erstaunlich viele. Summer settlement, Somerset … was für eine beruhigende Landschaft … was für ein Kontrast zum lebendig-pulsierenden London. „Die Apfelinsel, Avalon – mein Sehnsuchtsort, ich bin da,“ dachte Marie innerlich aufgewühlt. Sie atmete tief durch, schloss die Augen, als sie die Umrisse der Stadt vor sich sah und die inneren Bilder waren umgehend vor ihrem inneren Auge. So konnte es losgehen – es hatte doch sowieso nie aufgehört.

Marie stieg in Glastonbury aus dem Zug und atmete sofort die angenehme Luft ein, die ihr regelrecht zur Begrüßung entgegenflog. Es war dunkel geworden, doch sie wusste, dass sie ihr Hotel zu Fuß vom Bahnhof aus erreichen konnte. Glastonbury ist eine kleine Stadt. Gehen und eventuell mit dem Rad zu fahren, sind die üblichen Fortbewegungsmöglichkeiten. Natürlich gab es auch Busse. Doch Marie wollte wahrnehmen und aufnehmen - vom ersten Moment an. Das Wetter samt Temperatur war angenehm. Der zarte Wind und die Dämmerung hüllten sie fast fürsorglich ein. Eine Stunde Zeitverschiebung war spürbar. Das Licht war im März länger präsent. Ein kleines Willkommensgeschenk. Und - es gab keinen für die britischen Inseln aufgrund der Atlantiklage so typischen Regen bei ihrer Ankunft. Sie las dies als richtig gutes Zeichen. Bei Regen und Kälte herumzumarschieren kann man machen. Doch es ist bei weitem nicht so angenehm wie bei Sonne und angenehmen Temperaturen.

Vor dem Bahnhofsgebäude orientierte sie sich nochmals und nahm ihr Smartphone zur Hand. Sie gab die Adresse ihrer Pension ein, die sie vor ihrer Abreise gebucht hatte. Apple Fairy, 25 Norbins Rd, Glastonbury BA6 9JF, Vereinigtes Königreich.

So erreichte sie in etwas mehr als einer Viertelstunde gemütlich ihr Ziel. Mittlerweile war es dunkel geworden. Marie war froh, angekommen zu sein. Ihre Bleibe ermöglichte ihr eine sehr gute Erreichbarkeit der wichtigsten Punkte im Ort. Sie betrat ein Haus, das erfüllt von Magie mit liebevollen, umsorgenden Gastgebern war. Ein elegantes Haus mit modernem Anstrich. Es wurde Ende des neunzehnten Jahrhunderts errichtet. Die Besitzer dokumentieren in diesem Haus, das im viktorianischen Stil gebaut ist und viele historische Elemente bewahrt hat, ihre Liebe zu Feen. Das Haus ist voller Märchenkunst und Kunsthandwerk lokaler Künstler. Vieles der Inneneinrichtung ist noch gut erhalten und liebevoll modern ergänzt worden.

Marie wurde freundlich, ja sogar herzlich von der Besitzerin, Janet, empfangen. Sie war sofort vom Geist des Hauses eingenommen, blickte sich neugierig und staunend um. Sie konnte ihren Blick kaum von den wundervoll, elegant und vielfältig bemalten Wänden abnehmen. Ja, hier würde sie sich wohlfühlen, in diesen knapp zehn Tagen. Hier konnte sie sich sammeln, sich ordnen und sich auf ihre Ausflüge und Begegnungen vorbereiten.

Janet führte Marie zu ihrem Zimmer. Es hatte eine sehr angenehme Größe, hohe Decken und die originalen Fenster. Der Raum war hell und dem Mystischen, den Feen, war viel Raum gegeben. Die heitere Gelassenheit war überall zu fühlen. Und aus jeder Pore kam die Anderswelt. Nein, keine kitschig-platte Esoterik, die man auch immer wieder mit Glastonbury verband. Marie fühlte eine klare und einfache Geistigkeit in diesem Raum. Woran das lag? Egal. Das wundervolle Zimmer war Refugium für ihren Aufenthalt, auf den sie sich unbändig freute.

Marie richtete sich ein, genoss das Ankommen, die Freiheit, zu leben wie es ihr beliebt, sich selbst ins Zentrum ihres Dasein zu rücken und aus vollem Herzen heraus zu sein.

Ihr Vertrauen und ihre innere Freude ermöglichten ihr ein Leben nach ihren schönsten Träumen. Sie war mittlerweile eine anerkannte Größe in ihrem Bereich geworden und hatte sich eine Community aufgebaut, die sich sehen lassen konnte. Ihre Meinung war gefragt und wurde ob ihrer Seriosität und Substanz geschätzt. Das war das Ergebnis jahrelanger, konsequenter Selbstarbeit, die sich in ihrer Aufgabe widerspiegelte. Es war auch ein Ergebnis von Probieren, von Verwerfen, von Wiederaufnehmen – und schlussendlich von mutig das Tiefste im eigenen Sein zu leben und zu geben.

Hermetische Fähigkeiten waren für Marie nichts Besonderes mehr. Seit ihrer Nahtoderfahrung vor gut sechs Jahren, als ihr Hellwissen fast brachial hervorbrach, hatte sie sich mit dieser neuen-alten Fähigkeit auseinandergesetzt und für sich so weit hergerichtet, dass sie damit sinnvoll umgehen konnte und sich nicht mehr überforderte. Hellwissen war alltäglich geworden. Es gab ihr eine zusätzliche innere Sicherheit, weil daraus für sie Gewissheit folgte. Hellwissen war für Marie Ausdruck von ewigem Bewusstsein und göttlicher Intelligenz – in einem menschlichen Wesen. Nichts Besonderes, sondern etwas sehr Natürliches. Marie wusste, dass Menschen grundsätzlich diese und ähnliche Fähigkeiten hatten. Sie waren meistens verschütt gegangen und wollten wieder entdeckt werden. Doch dieser Weg ist nicht jedem gegeben, weil es ein durchaus herausfordernder Weg ist.

So lag Marie auf ihrem ausladenden Bett, Superkingsize, mit der fast schon üblichen Blümchendecke á la Laura Ashley, von wundervoll weicher Qualität … ausgestreckt und entspannt. Es war bereits spät geworden. Die schweren Vorhänge hatte sie zugezogen. Es war angenehm warm im Zimmer. Sie hörte die Heizung leise surren. Ja, hier wollte sie für einige Tage bleiben. Sie freute sich und ihr Herz war neugierig, offen und bereit. Marie erwartete nichts – und doch – wer weiß, was geschah? Wer nichts erwartete, der konnte immer überrascht werden. Das ist Leben, ein anderer Zugang als über die Komfortzone und über die gerade Autobahn.

Nach einiger Zeit verspürte sie etwas Hunger und bat Janet um eine Kleinigkeit. Etwas müde, doch sehr zufrieden nach der langen Anreise genoss sie ein richtiges britisches Cucumber-Sandwich mit wundervollem Tee mit Milch (zuerst die Milch, dann der Tee) und natürlich einige Scones. „Fast schon kitschig“, dachte Marie bei sich. „Naja – wenn schon britisch, dann richtig britisch. Tea time at its best.“

Gut gesättigt verabschiedete sich sie von Janet und ging zurück in ihr Zimmer. In ein paar Tagen würde der Frühling beginnen. Das neue astrologische Jahr brach an. So viele Energien hatten die Menschen vor allem im letzten Jahr beschäftigt. Es war ein Jahr der Apokalypse, der großen Enthüllungen gewesen. Doch es war erst der Beginn eines gravierenden Umbruchs, der noch Jahre dauern wird. Nichts konnte sich mehr unter der Sonne verstecken, das nicht der Wahrheit entsprach. Substanzloses ging, machte beim Abgang noch gehörig Lärm. Doch es ging, wenngleich auch nicht immer friedlich. Marie hatte vieles davon erahnt und erwusst. Sie war nicht überrascht und nutzte ihre Fähigkeiten für sich selbst und für jene, die es wissen wollten. Seit dem Jahreswechsel hat sich der große Energiestrom wieder gravierend verändert. Wer sich der Veränderung hingegeben hatte, der konnte wahrlich Morgenluft schnuppern. Gerade an Schwellentagen war dies besonders leicht möglich. Bereits im Vorfeld spürte sie - alles ist auf Anfang gestellt. Marie lauschte in sich hinein. Sie war im Frieden mit sich. Sie hatte ein inneres Fundament, auf das sie zählen konnte. Marie war zur Freispielerin geworden. Alle Elemente waren in ihr ausgeglichen und so konnte sie herrlich damit nach Lust und Laune spielen. … Die Heizung surrte leise … und Maries Empfindungen passten sich dem Surren an.

Freispielerinnen, die ein solides Fundament haben, gehen vertrauensvoll durch die Nebel des Lebens. Sie wissen, dass sie dort ankommen, wo ihre nächste Station ist. Sie wissen um ihre Aufgaben und meistern sie mit Bravour. Chaos ist für sie die Grundlage für eine völlige Neugeburt, denn das Alte war bereits tot. Für Freispielerinnen ist es ein natürlicher Lauf der Dinge. Sie wissen auch, dass vieles, was man sich als Mensch oft scheinbar hart erarbeiten muss, in Wahrheit natürlicher Bestandteil eines selbst ist. Bewusstsein gehört dazu. Ewiges Bewusstsein, das sich unserem klugen Verstand völlig entzieht, ebenfalls. Und die göttliche Intelligenz – die hat schon äußerst kluge und auch weise und neugierige Physiker beschäftigt. Das Schöne - keiner erhielt bislang eine verbindliche Antwort auf das Natürlichste. Vielleicht gerade deswegen, weil es direkt vor ihren anderen Augen und anderen Ohren lag. Wie oft geschieht genau das?

Marie genoss die Momente vor dem Einschlafen, diese sanfte Wechseln von einem Bewusstseinszustand in den anderen. Es war wohlig warm im Zimmer. Sie hatte ihren warmen Pyjama angezogen und ein paar dicke Socken. So spürte sie die schwere Decke angenehm auf ihren Schultern und rollte sich behaglich zusammen.

Ja – es ist ein guter Tag – und viele weitere gute Tagen werden folgen. Sie war sich dessen gewiss. Auch das lag direkt vor ihren Augen und Ohren. Sie hatte Augen zu sehen und Ohren zu hören … mit dem Herzen, aus ihrem Herzen, in ihrem Herzen. Das war ihre Heimat geworden. Wie einfach … und wie herausfordernd zugleich.

Die Freispielerin und der Findende

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