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Etappe 1 – Aufbruchstimmung

»Ich möchte niemand anderem einen

Weg vorzeichnen, denn ich weiß,

dass mir der Weg von einer Hand vorgeschrieben

wurde, die weit über mich hinausreicht.«

Carl Gustav Jung

Den eigenen Weg gehen, ja oder nein? Eine Frage, die sich eigentlich nicht stellt. Leben bedeutet vorwärtsgehen, Erfahrungen machen, sich entwickeln und wachsen. Unser Voranschreiten können wir nicht aufhalten. Wie bereitwillig wir uns aber auf das einlassen, was das Leben uns bringt, und ob wir den Mut haben, das, was in uns ist, zu leben, ist eine Frage, die wir uns sehr wohl stellen sollten. Innere Impulse und äußere Ereignisse werden immer wieder zu Richtungsänderungen im Leben auffordern. Wir können dagegen ankämpfen oder uns diesen Entwicklungen hingeben und bewusst unseren Beitrag dazu leisten. Kann ich entlang des eingeschlagenen Weges mein Potenzial entfalten? Machen mich die Ziele, die ich anstrebe und erreiche, glücklich? Finde ich Sinn in dem, was ich tue? Fühle ich mich erfüllt? Das sind Fragen, die wir uns stellen sollten. Sie alle lassen sich in einer einzigen Frage zusammenfassen: Gehe ich meinen Weg so, wie es mir voll und ganz entspricht?

Spätestens dann, wenn wir feststellen, dass die Freude an dem, was wir tun, verloren gegangen ist, wir immer öfter über das Warum und Wozu nachgrübeln und wir zunehmend unzufriedener werden, haben wir uns selbst gegenüber die Pflicht, unsere aktuelle Lebenssituation zu hinterfragen und die Richtung zu ändern. Möglicherweise haben wir schon eine sehr konkrete Idee davon, was passieren müsste, damit wir wieder glücklicher mit unserem Leben sind. Vielleicht tappen wir aber auch noch völlig im Dunkeln. So oder so lautet das Gebot der Stunde, nichts zu überstürzen und nicht Hals über Kopf alles zu riskieren, sich stattdessen Zeit zu nehmen, genauer hinzusehen und nachzuforschen, bevor tatsächlich ein erster Schritt unternommen wird.

Was bewegt zum Aufbruch?

Nicht selten wird die Notwendigkeit zu einer Kursänderung im Leben erst durch ein äußeres Ereignis bewusst. Äußere Umstände zwingen uns dazu: Konflikt, Krankheit, ein Unfall, das Scheitern im Beruf, das Ende einer Beziehung. Etwas passiert und fordert dazu auf, den bisherigen Lebensweg zu hinterfragen. Von einem Tag auf den anderen ist alles anders. Die Lebensumstände verändern sich so sehr, dass es unmöglich wird, weiterzumachen wie bisher.

Solch einem richtungsändernden Ereignis geht jedoch in vielen Fällen eine längere Phase des inneren Wandels voraus, der langsam und anfangs völlig unbemerkt stattfindet. Das Leben verläuft in gewohnten Bahnen, es gibt keinen Anlass, etwas infrage zu stellen. Nichts fordert zur Veränderung auf. Wäre da nicht dieses undefinierbare Gefühl, das uns schon über Tage, Wochen, manchmal Jahre begleitet, sich nicht aufdrängt, mal mehr, mal weniger gegenwärtig ist, und mit jedem Tag, der vergeht, schwerer verleugnet und ignoriert werden kann. Es beginnt unsere Lebensfreude zu dämpfen, raubt uns Energie und Kraft selbst für alltägliche Aufgaben. Wir beobachten, wie wir zunehmend unruhiger, gereizter oder resignierter werden.

Erste Anzeichen machen sich bemerkbar, dass etwas anders ist. Wir benötigen mehr Schlaf als früher, sind abends nicht mehr so lange aktiv, und es fällt uns morgens zunehmend schwerer, aus dem Bett zu kommen. Die Lust, etwas zu unternehmen, nimmt ab. Wir gehen weniger unter Leute, machen nicht mehr so oft Pläne für das Wochenende, weil wir nicht so genau wissen, ob wir, wenn es so weit ist, tatsächlich noch die Energie haben werden, aus dem Haus zu gehen. Der Wunsch nach Alleinsein, Ruhe und Rückzug wird stärker.

Oder das genaue Gegenteil ist der Fall. Wir haben Schwierigkeiten, Schlaf zu finden, liegen nächtelang wach, fühlen uns morgens wie gerädert und werden trotz körperlicher Erschöpfung immer unruhiger. Es drängt uns, unter Leute zu gehen. Jede Aktivität kommt uns gelegen, können wir doch ohnehin nicht ruhen. Der Wunsch nach Ruhe oder der Drang nach Abwechslung, anfangs wissen wir nicht, was hinter diesem Bedürfnis steht. Vielleicht identifizieren wir es noch nicht einmal als solches. Trotzdem spüren wir, dass etwas in uns aus dem Gleichgewicht geraten ist. Dieser eigenartige Zustand ist uns unangenehm. Wir tun alles, um ihn möglichst nicht wahrnehmen zu müssen.

Eine meiner Klientinnen wurde in dieser Phase sehr unternehmungslustig, ging abends immer öfter mit Freundinnen aus, flirtete mit fremden Männern und ließ sich auch auf einen Seitensprung ein. Eine andere begann ihre Wohnung komplett zu renovieren und umzubauen, sodass am Ende nichts mehr wie vorher war. Und wieder eine andere zog sich jedes Wochenende in eine einsame Hütte im Wald ohne Strom und fließend Wasser zurück. Verschiedene Strategien mit nur einem Ziel: Ablenkung. Alles ist recht, um die Aufmerksamkeit, zumindest vorübergehend, woandershin zu lenken. In der Hoffnung, dass diese Phase bald wieder vorübergeht, machen wir weiter wie gewohnt, stürzen uns noch mehr in die Arbeit, machen öfter Sport, belegen einen Abendkurs an der Volkshochschule, treffen Freunde und sind viel unterwegs, obwohl uns eigentlich nicht wirklich danach ist. Die Tage sind voll mit Terminen, für Momente der Ruhe und Stille bleibt keine Zeit. Denn kaum entspannen wir uns, spüren wir wieder dieses undefinierbare und irritierende Gefühl in uns.

Egal, wie hart wir an unserer beruflichen Karriere arbeiten, trotzdem wir gerade eine Familie gegründet oder ein Haus mit Garten gekauft haben, spüren wir tief im Innern, dass all das nicht genug ist. Etwas fehlt. Wir haben vielleicht schon versucht, etwas zu ändern, es aber nicht geschafft. Alte Sorgen, frühere Verletzungen oder tiefe Enttäuschungen wollen uns einfach nicht loslassen und halten uns da fest, wo wir gerade sind. Wagen wir dann endlich eine Veränderung, landen wir oftmals von Neuem in einer ähnlichen Situation wie zuvor. Die gleichen schmerzhaften Erfahrungen scheinen sich stets zu wiederholen. Die Probleme mit den Kollegen oder dem Chef sind im neuen Job wieder da. Die neue Partnerschaft endet letztlich damit, wieder verlassen zu werden. Eine neu begonnene Ausbildung wird schon nach kurzer Zeit abgebrochen, in der festen Überzeugung, es ohnehin nicht zu schaffen.

Die innere Unruhe treibt dazu an, etwas zu verändern. Und weil große Veränderungen so schwer fallen, wir anfangs vielleicht auch gar nicht wahrhaben wollen, dass diese notwendig sind, beginnen wir unser Leben so umzugestalten, dass unser Bedürfnis nach Routine, Sicherheit und Kontinuität möglichst nicht bedroht wird. Die Wohnung zu renovieren lenkt eine Weile ab, ein Fallschirmsprung macht unseren Alltag aufregend, eine Weiterbildung lässt unsere Karrierechancen steigen, mit der Jahreskarte im Fitnessstudio bringen wir wieder mehr Schwung in unser Leben. Mit einem erotischen Abenteuer ebenso. Rastlos suchen wir nach irgendetwas, das die innere Leere füllt und unsere Sehnsucht stillt, ohne zu wissen, wonach wir uns eigentlich sehnen. Bis wir eines Morgens aufwachen, uns im Spiegel betrachten und erkennen, dass der Weg ein anderer ist. Sein muss. In diesem Augenblick sehen wir hinter den vielen Schichten dessen, was wir als Ich wahrnehmen, unser wahres Selbst hervorschimmern. Dies ist der Moment, in dem wir uns das erste Mal fragen: War das schon alles?

Ein Erdbeben, dessen Auswirkungen wir vorerst nur in unserem Inneren spüren, erschüttert unser Leben, macht uns Angst, verunsichert und verwirrt. Noch hoffen wir, dass es sich um eine kurzfristige Unpässlichkeit handelt. Wir gehen weiter unseren gewohnten Weg, schlafwandeln durch den Alltag. Bis jetzt war doch alles in Ordnung. Bis jetzt hat unser Leben uns doch genügt. Wenn wir uns nur immer wieder die guten Seiten bewusst machen, dann werden die inneren Erschütterungen wieder vergehen. Einfach weitermachen und darauf vertrauen, dass der Alltag uns ablenken wird und wir auch diese Phase durchstehen werden.

An manchen Tagen funktioniert diese Strategie besser, an anderen weniger gut. Doch irgendwie schaffen wir es, uns von Tag zu Tag, Woche zu Woche, Jahr zu Jahr zu retten. Wir bekommen unkontrollierbare Heulkrämpfe oder Wutausbrüche, fallen grundlos in tiefe Traurigkeit und ziehen uns mit Zweckoptimismus wieder aus unserem Loch. Wir beginnen immer mehr, an uns selbst und unseren Entscheidungen zu zweifeln, lachen seltener als früher und interessieren uns weniger für Dinge, die uns einst so wichtig waren. Wir funktionieren weiter, zu leben haben wir aufgehört.

Nach außen lassen wir uns nichts anmerken. Wie sollten wir schließlich diesen inneren Zustand anderen erklären, haben wir ihn doch selbst noch nicht richtig erfasst? Wer hat schon Verständnis für unser Unglücklichsein, wenn es uns doch äußerlich an nichts fehlt? Noch dazu, da wir selbst nicht verstehen, was mit uns gerade passiert. Also beißen wir die Zähne zusammen, setzen eine heitere Miene auf und hoffen, dass dieses unangenehme Gefühl wie ein Sommergewitter vorüberzieht.

Verdrängen wir die innere Unzufriedenheit zu lange, versuchen wir, uns davon abzulenken oder sie zu ignorieren, greift irgendwann unsere seelische Führung ein. Bis dahin kann aber viel Zeit vergehen. Mit viel Aktivität im Außen und wenig Zeit für Innenschau gelingt es oft über Jahre, manchen sogar über Jahrzehnte, alle unerwünschten Impulse, Empfindungen und Fragen, die im Inneren auftauchen, zu unterdrücken. Der bewusste Wille scheint mächtiger zu sein als das Wollen der Seele. Über weite Strecken glauben wir felsenfest, dass alles in Ordnung ist und es keinen Grund zur Sorge gibt. Einzig die Tatsache, dass wir uns immer öfter ausgelaugt und erschöpft fühlen, stört ein wenig unsere Illusion vom glücklichen Leben, kostet es doch viel Energie, ständig innere Zustände und Bedürfnisse, bewusst oder unbewusst, zu verleugnen.

Es mag einen Grund oder viele Gründe, einen Anlass oder mehrere Anlässe geben, die zur Umorientierung und Weiterentwicklung bewegen. Sie reißen uns aus der Trance der Routine. Es ist nicht mehr möglich, sich dagegen zu wehren, egal, wie stark unser Wille ist. Wir haben das Gefühl, diese äußeren Ereignisse würden uns völlig aus der Bahn werfen, und übersehen, dass wir schon lange nicht mehr in der Bahn waren.

Plötzliche Wendungen in unserem Leben treffen uns im ersten Moment wie ein Schock. Völlig erstarrt sehen wir anfangs keine Perspektive, wie es weitergehen soll. Warten wir aber erst einmal ab, bis der erste Sturm sich gelegt hat, so können wir allmählich hinter die Kulissen des Offensichtlichen blicken und die Botschaft, die hinter den Ereignissen steht, erkennen. Wir verlieren beispielsweise den Job und damit ein ganzes Stück Sicherheit. Hinzu kommt ein Gefühl der Unzulänglichkeit und der Wertlosigkeit – in einer Gesellschaft, in der Leistung alles ist. Diese Kündigung könnte ein gemeiner Schachzug des Schicksals sein. Oder aber die Chance für eine berufliche Neuorientierung. Es ist unsere Wahl, wie wir den Ereignissen in unserem Leben begegnen.

Gab es da nicht schon lange den Wunsch nach beruflicher Veränderung? Haben wir uns nicht nach einer Aufgabe gesehnt, bei der wir zeigen können, was alles in uns steckt? Träumen wir nicht schon seit Jahren von unserer eigenen kleinen Firma? Gedanken, die in der Vergangenheit immer wieder aufgetaucht sind und möglichst rasch wieder verdrängt wurden.

Bei manchen Ereignissen und Entwicklungen finden wir schnell heraus, wohin das Leben uns führen will. Bei anderen offenbaren sich Sinn und Bedeutung nicht so unmittelbar. Oft vergehen Jahre, bis wir rückblickend erkennen, wozu etwas gut war. Und in manchen Fällen werden wir auch am Ende unseres Daseins noch keine Antwort haben. Letztlich geht es im Leben aber nicht darum, alles mit dem Verstand zu begreifen, auch wenn wir das gerne würden. Tief in unserem Inneren kennen wir die Wahrheit hinter den Dingen und Ereignissen. Ob sie uns bewusst wird, steht auf einem anderen Blatt.

Die Seele möchte wachsen, sich entwickeln und entfalten. Dies kann sie vor allem dann, wenn Umstände dazu zwingen, uns mit unseren Ängsten auseinanderzusetzen. Erst wenn wir an Grenzen geraten, können wir die Erfahrung machen, wie wir diese kraft unserer essenziellen Energie überschreiten. Wir lernen aus diesen Erfahrungen, gewinnen Stärke und Selbstvertrauen, kommen in Verbindung mit dem großen Potenzial in uns, das viel zu oft brach liegt. Auf diese Weise sammeln wir Mut für den weiteren Weg. Auch wenn uns das in jenen Momenten oft nicht bewusst ist.

Es liegt an uns, ob wir Rückschläge und Enttäuschungen als persönliche Demütigungen oder als Aufforderung betrachten, einen neuen Weg einzuschlagen. Verlässt uns der Partner oder die Partnerin, können wir uns ungeliebt fühlen und in Selbstmitleid baden oder es als eine Einladung sehen, endlich zu lernen, uns selbst zu lieben. Eine schwere Krankheit kann zur totalen Resignation führen, oder wir wachsen an der Erfahrung und nutzen die Phase eingeschränkter Leistungsfähigkeit, um unsere Lebensweise zu überdenken.

Silvia, eine Kollegin von mir, hatte vor einigen Jahren einen schweren Autounfall. Ein Reifen platzte bei mehr als 100 km/h auf der Autobahn. Sie verbrachte fast zwei Monate im Krankenhaus und musste danach mehrere Monate in eine Rehabilitationsklinik. Sie war Alleinerzieherin von drei Kindern, arbeitete als Sozialpädagogin und versuchte sich nebenbei ein Standbein als Lebensberaterin aufzubauen. Der Vater der drei Kinder war schon vor Jahren samt Sekretärin nach Mallorca ausgewandert und weigerte sich, den vollen Unterhalt zu zahlen. Ihr neuer Partner war zwar sehr liebevoll, drückte sich aber prinzipiell vor jeder Verantwortung und Verpflichtung. Sie kümmerte sich um alles alleine und versuchte den Kindern nicht nur Mutter zu sein, sondern auch den Vater zu ersetzen. Alle Aufgaben im Haushalt erledigte sie selbst, daneben spielte sie Chauffeurin für die Kinder, brachte sie zu Freunden, holte sie vom Musikunterricht ab oder fuhr sie zur Tanzstunde. Danach ging sie noch mit dem Hund spazieren. Ihr Leben bestand ausschließlich darin, sich um andere zu kümmern und für andere da zu sein. Sie selbst blieb dabei völlig auf der Strecke. Am Ende leider im wahrsten Sinne des Wortes, nachdem sich ihr Wagen zweimal überschlagen hatte und im Straßengraben liegen blieb.

Der Unfall zwang sie, sich, aber auch ihr Umfeld zu ändern. Sie konnte über lange Zeit keine einzige ihrer Pflichten erfüllen. Im Gegenteil, sie war auf die Hilfe anderer angewiesen. Sie begann ihr Leben zu reflektieren, beendete die Beziehung zu einem Mann, der nur auf der Sonnenseite des Lebens leben wollte, und forderte mehr Unterstützung und Selbstständigkeit von ihren Kindern, die teilweise ja schon fast erwachsen waren. Und weil sie gar keine andere Wahl hatte, lernte sie endlich auch, Freunde und Familie um Hilfe zu bitten. Heute sieht ihr Leben völlig anders aus. Sie ist nach eigener Aussage dankbar für die Lektion, die ihr das Leben erteilte. Im Nachhinein erkannte sie, dass es bereits vor dem Unfall viele Anzeichen für die Notwendigkeit eines Richtungswechsels gegeben hatte. Sie missachtete sie aber stets.

Das ist sicher ein sehr drastisches Beispiel. Meist kommen die Impulse nicht mit einer solchen Wucht auf uns zu. Doch alle Krisen, Schicksalsschläge und Enttäuschungen haben eines gemeinsam: Sie sind Hinweise unserer Seele, dass etwas in unserem Leben nicht so läuft, wie es uns entspricht. Wenn wir nicht gezwungen werden, beginnen wir die Reise zu uns selbst oft gar nicht erst. Nicht bei Sonnenschein machen wir uns auf den Weg, sondern wenn es regnet. Solange alles in freundlichem Licht erstrahlt, denken wir, dass das Leben schon fix und fertig ist. Alles ist, wie es sein soll. Und am besten verändert sich nichts. Der Sinn unseres Lebens liegt aber nicht darin, es sich bequem zu machen und zu warten, bis die Zeit auf Erden abgelaufen ist. Deshalb scheint die Sonne nicht auf Dauer. Sie verschwindet aber auch nie dauerhaft. Und wie herrlich ist es, nach ein paar Regentagen die Sonnenstrahlen zu genießen.

Wenn die Seele den Aufbruch einleitet

Wer sich auf den Weg machen will, braucht Bereitschaft, Wille und Mut. Vor allem aber Vertrauen, dass, was immer entlang des Weges wartet, eine wichtige und wertvolle Erfahrung ist, die uns wieder ein Stück näher zum wahren Selbst bringt. Gerade dann, wenn wir meinen, keine Zeit und Energie für Veränderungen zu haben, ist der beste Zeitpunkt zu beginnen. Wenn wir in Umständen gelandet sind, die uns an unsere Grenzen gebracht, unsere Sicht auf die Welt erschüttert und uns klar und deutlich zu verstehen gegeben haben, dass es so, wie es war, nie wieder sein würde. Dann ist der Zeitpunkt des Aufbruchs gekommen.

Der Wunsch der Seele nach einem deutlichen Richtungswechsel zeigt sich zuerst im Inneren. Am Anfang steht ein Gefühl. Ohnmacht, Überforderung, Frustration, Wut, Unruhe, Traurigkeit oder Leere, sie alle können eine innere Krise auslösen, die völlig unabhängig von äußeren Gegebenheiten allein auf eine Spannung zwischen dem Wollen der Seele und unserem bewussten Willen zurückzuführen ist. Alles, was vorher sicher erschien, ist nicht mehr sicher. Alles, was vorher klar war, ist nicht mehr klar. Eine innere Veränderung wird eingeleitet, die dazu führt, dass wir nicht mehr die sind, die wir waren. Wir beginnen anders zu denken, eine neue Sichtweise auf die Welt zu entwickeln, Bedürfnisse ändern sich, unsere Ziele sind nicht mehr dieselben wie vorher.

Solche inneren Prozesse vollziehen sich nie ohne Grund. Sie kommen dann in Gang, wenn wir zu weit von unserem Weg abgekommen sind, uns zu weit von unserer eigentlichen Bestimmung entfernt haben. Sie weisen uns darauf hin, dass der Zeitpunkt des Wandels gekommen ist. Auch wenn wir anfangs nicht erkennen, wo er uns hinführen wird.

Wenn unser Leben uns nicht mehr genügt, etwas Wesentliches fehlt, wir den Boden unter den Füßen zu verlieren drohen, dann kann dies der Anfang einer lebenslangen Reise sein. Sie beginnt vielleicht mit einem Buch, das uns zufällig in die Hände fällt. Wir begegnen einem Menschen, der etwas in uns bewegt. Wir stolpern über eine Vortragsankündigung, gehen hin, obwohl wir eigentlich etwas anderes vorhatten. Wir werden von etwas angezogen. Wir werden geführt. Diese Führung geschieht auf vielfältige Art und Weise, in den verschiedensten Situationen, an den unterschiedlichsten Orten, wenn wir alleine oder umgeben von Menschen sind, und uns doch alleine fühlen. Eine Sehnsucht ist erwacht. Wir erkennen, dass wir nicht länger dort bleiben können, wo wir gerade sind.

Vor einer Antwort steht eine Frage

Am Beginn des Weges, noch vor der Entscheidung, das Abenteuer der Reise zu wagen, steht eine Frage. Meist ist sie nur der Anfang einer ganzen Flut an Fragen, die uns im Laufe der Reise begleiten werden. Fragen ermutigen uns aufzubrechen. Sie treiben uns voran und laden gleichzeitig dazu ein innezuhalten. Sie bringen in Kontakt mit unserem wahren Wesenskern. Sie weisen uns die Richtung.

Wir müssen fragen, um zu erfahren, wohin der Weg führt. Wir müssen fragen, um zu wissen, wie er weitergeht. Wer fragt, wird Hinweise für den nächsten Schritt bekommen. Nur wer fragt, bekommt Antworten. Genau diese Antworten sind für viele der Grund, weshalb sie erst gar nicht wagen zu fragen. Aus Angst vor der Wahrheit hüllen sie sich lieber in den Schleier der Unwissenheit, des Verleugnens, der Selbsttäuschung. Wer nicht fragt, muss auch nicht fürchten, dass die Antworten das eigene Leben für immer verändern könnten. Wir haben immer die Wahl, uns die Fragen bewusst zu stellen oder sie weiterhin im Unbewussten unter Verschluss zu halten. Dann sind wir weiter im Blindflug unterwegs. Nicht glücklich, aber vertraut. Nicht lebendig, aber sicher. Nicht erfüllt, aber bequem.

Die blanke Angst vor dem, was passieren könnte, nachdem die erste Frage gestellt und die erste Antwort gefunden wurde, führt dazu, dass wir uns das Fragenstellen von vornherein verbieten. Niemand gesteht sich diese Angst gerne ein. Sie ist unangenehm, und sie verunsichert. Wir versuchen alles, um sie zu vermeiden. Da das meist nicht so gut funktioniert, lautet die nächste Strategie, sie zu verdrängen, einen Weg zu finden, uns von ihr abzulenken, bis wir tatsächlich meinen, keine Angst mehr zu haben. Wir geben nicht zu, dass wir die Antworten nicht hören wollen. Stattdessen behaupten wir, keine Fragen zu haben. Gelingt es den Fragen dennoch, so weit in unser Bewusstsein vorzudringen, dass es nicht mehr möglich ist, sie zu ignorieren, beginnen wir nach Gründen zu suchen, weshalb wir sie nicht beantworten können. Und Gründe finden wir viele. Die Verpflichtungen, die wir glauben zu haben, Menschen, die wir nicht im Stich lassen dürfen, Loyalität zu übernommenen Werten oder die Überzeugung, dass es uns nicht zusteht, diese Fragen überhaupt zu stellen.

Fragen führen nicht nur zu Antworten, sie versetzen vor allem in einen Zustand der Offenheit. Diese Offenheit ist eine wichtige Voraussetzung, um die Hinweise unserer inneren Führung überhaupt wahrnehmen zu können. Wir brauchen die Bereitschaft, uns unvoreingenommen und erwartungslos auf die Fragen und Antworten einzulassen. Eine solche Haltung der Offenheit ist dann möglich, wenn wir aus altbewährten Denkweisen, gewohnten Reaktionsmustern und automatisierten Handlungsabläufen ausbrechen und Verstand und Herz für neue Impulse aufmachen. Viel zu oft neigen wir dazu, uns geistig und emotional einzumauern, nur jene Gedanken und Gefühle zuzulassen, die in unser gewohntes Schema passen. Anstatt neue Pfade zu beschreiten, bewegen wir uns mit unserem Denken und Fühlen im Kreis – und wundern uns, wenn wir immer wieder dieselben Erfahrungen machen, in denselben Situationen, bei denselben Menschen landen. Beginnen wir mit offener Neugier nach Antworten zu suchen, eröffnet sich uns ein breites Feld an Einsichten und Erkenntnissen, die wichtige Wegweiser für unsere weitere Lebensreise sein können.

Warum passiert mir das? Was ist der Sinn? Warum fühle ich mich so leer? Was macht mich unzufrieden? Was ist der Grund für meine Unruhe? Bin das wirklich ich? Was erwarte ich vom Leben? Was soll ich tun? Wie geht es weiter?

Es gibt viele Fragen, die sich am Beginn des Weges stellen. Sie tauchen als Gedanken auf dem Heimweg von der Arbeit auf, als Eingebung während des Geschirrspülens oder als Geistesblitz unter der Dusche. Eines Tages überwältigen sie uns, stürzen uns in einen Zustand der Verzweiflung oder begleiten uns, verborgen im Innersten, über Jahre durchs Leben. So oder so lassen sie uns nie wieder los.

Die Suche nach Antworten

Die ersten Veränderungsimpulse scheinen oft banal: neue Frisur, neues Hobby, neues Auto. Vielleicht entscheiden wir uns darüber hinaus für einen neuen Wohnsitz, einen neuen Job, einen neuen Partner. Einige dieser Veränderungen können uns einen Schritt in die richtige Richtung bringen, andere lenken nur vom eigentlichen Weg ab. Dennoch ist es gut und wichtig, diesen Impulsen nachzugehen. Nur so können wir uns ausprobieren und sehen, was passiert. Wir sind in Bewegung gekommen.

Manche Menschen versuchen aber auch gar nicht erst etwas zu ändern. Sie geben lieber den Umständen die Schuld dafür, dass ihr Leben nicht so ist, wie sie es gerne hätten. Die Verantwortung für das eigene Leben an andere oder äußere Gegebenheiten abzuschieben, bringt kurzfristig ein Gefühl der Erleichterung, glücklicher macht es aber nicht. Wer langfristig mehr Sinn und Erfüllung in seinem Leben finden will, wird nicht darum herumkommen, einen Blick in die eigene Innenwelt zu riskieren. Wie intensiv haben wir uns bisher ehrlich und über längere Zeit mit unseren Bedürfnissen, Sehnsüchten und Zielen beschäftigt? Wie oft haben wir bisher die wahre Motivation hinter unseren Wünschen und Plänen hinterfragt, bevor wir begonnen haben, viel Zeit und Energie in deren Umsetzung zu stecken?

Die äußeren Lebensumstände spiegeln meist nur das wider, was wir in uns tragen. Und das ist eine ganze Menge. Vor allem tragen wir ein Bild in uns, wie wir glauben sein und uns verhalten zu müssen. Mit unserer seelischen Essenz hat diese Vorstellung von dem, wer wir sind und was wir wollen, oft nur wenig gemeinsam. Trotzdem übt dieses verzerrte Bild von uns selbst einen entscheidenden Einfluss darauf aus, wie wir unser Leben gestalten. Es ist die Wurzel vieler Erfahrungen, die wir im Laufe der Zeit machen. Diese falsche, von außen geprägte und nicht unserem seelischen Kern entsprechende Persönlichkeit zu erkennen und die damit verbundene Lebensgestaltung zu hinterfragen, ist ein entscheidender Schritt, um den individuellen Weg zu finden und zu gehen.

Laura, eine sehr gute Freundin von mir, litt darunter, dass sie immer wieder Beziehungen zu Männern hatte, die sich nie voll und ganz auf die Partnerschaft einlassen wollten. Die Beziehungen dauerten zwar meist mehrere Jahre, blieben aber auf eine gewisse Art unverbindlich. Ihr Wunsch nach einem Zusammenleben, nach Heirat und vielleicht auch Kindern wurde nie erfüllt. An dem Punkt, an dem sie ihren Wunsch äußerte, endeten in der Regel die Beziehungen. Sie fragte sich, weshalb es ihr nie gelang, einen Mann zu finden, der bereit war, mit ihr den ganzen Weg zu gehen. Im Rahmen einer Therapie erkannte sie, dass es einen Teil von ihr gab, der felsenfest davon überzeugt war, nicht liebenswert und für andere Menschen nur eine Belastung zu sein. Dieser Teil wurde umso unsicherer, je näher ihr ein anderer Mensch kam. Um diesen Teil zu verstecken, sandte sie unbewusst die Botschaft aus: »Bis hierher und nicht weiter.« Unbewusst suchte sie daher Partner, die ebenso wenig bereit waren, sich voll und ganz auf sie einzulassen, wie sie es umgekehrt war. Denn hätte sie einen anderen Menschen wirklich nah an sich herangelassen, hätte er auch diesen Teil von ihr kennengelernt. Und das versuchte sie, wenn auch nicht bewusst, zu vermeiden. In der Therapie begann sie, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen – ein nicht immer leichter Prozess. Doch er hat sich gelohnt. Mittlerweile ist sie seit drei Jahren glücklich verheiratet.

Lassen wir die Fragen in unserem Inneren zu, zeigen wir die Bereitschaft, mit unserer Seele in Kontakt zu kommen. Die Seele ist dabei die Kraft, die nach und nach jene Themen an die Oberfläche unseres Bewusstseins spült, die noch nicht gelöst sind, die noch einmal (oder vielleicht das erste Mal) angesehen werden wollen. Im persönlichen Empfinden mögen solche inneren Wellen wie eine Flutwelle erscheinen, in der wir manchmal das Gefühl haben zu ertrinken. So gewaltig uns der Tsunami auch erscheinen mag, wir können darauf vertrauen, dass unsere seelische Führung genau weiß, was sie uns zumuten kann. Denn sie kennt unser gesamtes Potenzial und möchte uns unterstützen, dieses ebenfalls zu erkennen und zu leben.

Fragen zulassen

Wenn wir es wagen, uns auf die Fragen einzulassen, erleben wir, wie Dinge, nach denen wir uns jahrelang, vielleicht sogar jahrzehntelang gesehnt haben, tatsächlich Realität werden, während anderes an Bedeutung verliert. Uns wird klar, dass einige unserer bisherigen Wünsche niemals wahr werden, spüren aber, dass das gut und richtig so ist. Die bewusste Verbindung mit dem eigenen Wesenskern und dem darin enthaltenen Potenzial ist die beste Voraussetzung, den ureigenen Lebensplan, den unsere Seele kreiert hat, zu verwirklichen. Dann machen wir, im wahrsten Sinne des Wortes, das Beste aus uns und unserem Leben. Das Beste aus sich herauszuholen bedeutet nicht, ständig zu versuchen, persönliche Schwächen zu kaschieren oder sich mehr als alle anderen zu bemühen, Fehler um jeden Preis zu vermeiden und nach außen stets perfekt zu wirken. So zu leben ist extrem anstrengend und führt weder zu dauerhaftem Glück noch zu echter Erfüllung. Das Beste zu geben, um den eigenen Weg zu verfolgen, beinhaltet vielmehr, individuelle Stärken zu erkennen, ganz persönliche Träume zu verwirklichen und die eigene Einzigartigkeit zu leben. Es geht also nicht darum, im Vergleich zu anderen der oder die Beste zu sein, sondern darum, im eigenen Leben für sich das Beste zu erkennen und umzusetzen.

Wer Fragen stellt und die Antworten hören will, übernimmt Verantwortung. Verantwortung für sich selbst und sein Leben. Ob uns diese Fragen wie ein Blitz aus heiterem Himmel treffen oder uns leise und subtil als Ahnung, Gefühl oder Sehnsucht tief in unserem Herzen erreichen, sie wollen beantwortet werden. Sie sind der Antrieb, der uns auf unserem Weg voranbringt. Sie zeigen uns, dass es mehr gibt als das, womit wir uns bisher zufriedengeben. Sie regen uns an zu träumen und den ein oder anderen Traum auch in die Realität zu bringen. Sie ermutigen uns, nach dem Sinn zu suchen, nach etwas zu streben, wofür es sich lohnt, am Morgen aufzustehen und unsere Kraft und Energie einzusetzen. In welcher Art und Weise diese Fragen auch immer auftauchen mögen, wir sollten sie wie ein Geschenk in Empfang nehmen. Selbst dann, wenn wir sie erst nach vielen Jahren und großer Anstrengung beantworten können.

Michaela, einer Klientin von mir, fiel es immer schwerer, sich für ihre beruflichen Aufgaben zu motivieren. Sie war als Masseurin schon seit vielen Jahren selbstständig tätig und konnte davon auch gut leben. Die Arbeit mit Menschen machte ihr Spaß, und trotzdem kostete es sie immer mehr Kraft, ihren Beruf auszuüben. Sie musste die tägliche Anzahl an Kunden reduzieren, da sie körperlich immer schneller auslaugte. Abends fiel sie völlig erschöpft ins Bett und hatte keine Energie mehr für Freizeitaktivitäten. Als sie sich fragte »Was raubt mir meine Energie? Warum habe ich das Gefühl, mich zu meiner Arbeit zwingen zu müssen?« fand sie erst einmal keine Antwort. Einige Tage später traf sie auf einer Party von Freunden eine Rhetoriktrainerin, die ihr vorschwärmte, wie erfüllend sie es fand, in ihren Seminaren Menschen zu helfen, ihre Ausdrucksweise zu verbessern. Michaela war von der Idee begeistert, auf diese Art und Weise mit Menschen zu arbeiten, und begann eine Ausbildung zur Kommunikationstrainerin. Doch schon während der Ausbildung merkte sie, dass auch das alleine sie nicht erfüllte. Sie stellte aber fest, dass sie wieder mehr Motivation für ihre Massagetätigkeit hatte.

Was war passiert? Ohne es bewusst zu lenken, hatte sie begonnen, die neuen Erkenntnisse aus der Ausbildung in ihre Körperarbeit einfließen zu lassen. Sie hatte, ohne es geplant zu haben, ihr Wissen über Kommunikation mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung über den menschlichen Körper kombiniert und eine neue Methode zur Kommunikation mit dem Körper entwickelt. Diese nutzt sie nun in ihrer Praxis und bietet dazu auch regelmäßig Seminare an. Etwas fehlte in ihrer ursprünglichen Tätigkeit, daher verlor sie immer mehr die Motivation dafür. Aktiv nach der Ursache zu fragen öffnete den Raum für Antworten und für die entscheidende Veränderung.

Dazu passt ein weiteres Beispiel, das mit der Frage »Was wollen mir meine körperlichen Beschwerden sagen?« zu tun hat. Alex, ein guter Freund, litt seit mehreren Monaten unter pulsierenden Schmerzen in der Lunge, die mal mehr, mal weniger stark waren. Anfangs dachte er, es habe mit seiner Pollenallergie zu tun, und beachtete die Symptome nicht weiter. Als diese aber selbst im Winter nicht verschwanden, ging er zum Arzt. Es wurden diverse Untersuchungen gemacht, doch medizinisch gesehen war er völlig gesund. Er versuchte es mit energetischen Methoden und Homöopathie, doch auch das brachte keine Besserung. Eines Tages fragte ich ihn eher im Scherz: »Was nimmt dir denn die Luft zum Atmen?« Diese Frage ließ ihn nicht mehr los. Er kaufte sich ein Buch zum Thema Psychosomatik und las darin, dass Lunge und Atmen mit dem Thema Freiheit zusammenhängen. Daraus ergab sich für ihn die Frage: »Wo fühle ich mich nicht frei?« Die Antwort traf ihn nach eigener Aussage wie ein Blitz: in seiner Beziehung. Oberflächlich war alles in bester Ordnung, doch erkannte er, dass er einige seiner Bedürfnisse und Wünsche unterdrückte, um die Harmonie nicht zu stören. Letztlich führten die Versuche, in seiner Partnerschaft etwas zu verändern, zur Trennung. Die Lungenschmerzen sind seitdem verschwunden.

Ohne Fragen fehlt uns die Orientierung. Der Weg und die Zukunft liegen im Nebel. Fehlt die Ausrichtung, reagieren wir, anstatt zu agieren. Wir tun, was andere wollen oder von uns erwarten, und vergessen, auf unsere eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu achten. Es erfordert Mut, anders zu sein, gegen den Strom zu schwimmen und sich von der Meinung anderer unabhängig zu machen.

Wer die Macht über das eigene Leben zurückerobern will, kann nicht länger nach den Regeln und Ansichten anderer leben. Es gilt, der eigenen inneren Wahrheit zu folgen, für sich selbst einzustehen und auch ein Scheitern oder Rückschläge zu ertragen. Die Fragen zu beantworten verlangt Zeit, Energie und manchmal auch Geld von uns. Vor allem aber sind wir aufgerufen, unserer inneren Führung zu vertrauen – die vielleicht größte Herausforderung am Beginn der Reise. Über unsere innere Führung haben wir Zugang zu Wissen, das weit über unseren bewussten Verstand hinausgeht. Sie ist das Licht, das unseren Weg erhellt, damit wir ihn sicher gehen können.

Beginnen wir, Fragen zu stellen. Erkennen wir unsere Sehnsüchte, Wünsche und Bedürfnisse an und gestehen wir uns ein, dass sie da sind und nach Erfüllung streben. Nehmen wir unsere Gefühle an. Besonders auch die unangenehmen. Und erlauben wir uns, dahinter zu blicken. Sie bieten uns die Chance, unser Leben in eine neue Richtung zu lenken. Antworten auf unsere Fragen finden wir, wenn wir bereit sind, uns und unseren Alltag aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und unsere aktuelle Lebenssituation in allen Facetten anzuschauen.

Übung: Fragen zulassen

Sind Sie bereit, Fragen zu stellen? Dann nehmen Sie Stift und Papier zur Hand und suchen Sie sich einen Platz, an dem Sie ungestört sind. Entspannen Sie sich und beginnen Sie, ungefiltert alle Fragen aufzuschreiben, die in Ihnen auftauchen, während Sie Ihr aktuelles Leben betrachten.

Dies können allgemeine Fragen sein wie:

• Was ist der Sinn?

• Was erwarte ich vom Leben?

• Was macht mich unzufrieden?

• Wer bin ich wirklich? Was macht mich aus?

Oder Fragen, die sich auf eine ganz bestimmte Situation, Person oder einen Lebensbereich beziehen:

• Was soll ich in Bezug auf … tun?

• Wie gehe ich mit dieser Situation/Person um?

• Wie gehe ich mit mir selbst um?

• Warum passiert mir das?

• Wie soll mein beruflicher Alltag aussehen?

• Was wollen mir meine körperlichen Beschwerden sagen?

• Was muss sich ändern, damit ich mich gesund/glücklich/zufrieden/. fühle?

Erlauben Sie sich, wirklich alle Fragen zu stellen, die in Ihnen sind. Zensieren Sie sich nicht selbst. Sie machen diese Übung nur für sich. Keine Frage muss sofort beantwortet werden. In einem ersten Schritt geht es nur darum, sie zuzulassen und zu beobachten, was sie in Ihnen auslöst.

Betrachten Sie Ihren Alltag, Ihr bisheriges Leben. Widmen Sie sich den verschiedenen Lebensbereichen – von Beruf über Familie, Liebe und Partnerschaft bis hin zu Gesundheit und Wohlbefinden. Schreiben Sie alle Fragen auf, die Ihnen durch den Kopf gehen. Notieren Sie auch Gefühle, Sehnsüchte oder Wünsche, die während dieser Übung entstehen.

Wie fühlt es sich an, diese Fragen zuzulassen? Beginnt es in Ihnen zu kribbeln? Werden Sie unruhig? Spüren Sie einen Impuls, aktiv zu werden und etwas zu verändern? Fühlen Sie sich völlig ohnmächtig? Sind Sie verwirrt und unsicher? Haben Sie Schuldgefühle? Oder lösen die Fragen Freude in Ihnen aus? Was immer passiert, nehmen Sie es wahr und schreiben Sie es auf.

Es gibt keinen Richtwert, wie viele Fragen Sie haben sollten. Vielleicht haben Sie erst mal keine einzige, und es dauert eine Weile, bis die erste Frage sich zeigt. Oder eine einzelne Frage ist so umfassend und weitreichend, dass sie letztlich das ganze Leben verändern kann. Sie mag einen ganz bestimmten Lebensbereich oder die gesamte Lebenssituation betreffen. Es kann auch sein, dass Sie mit dem Schreiben kaum nachkommen, weil plötzlich so viele Fragen auftauchen.

Ich empfehle, diese Übung am Anfang eine Woche lang jeden Tag zu machen. Täglich 10 bis 15 Minuten, in denen Sie neue Fragen aufschreiben oder bisher aufgetauchte Fragen noch einmal wirken lassen. Beginnen Sie nicht sofort, sich den Kopf über mögliche Antworten zu zerbrechen. Lassen Sie die Fragen einfach mal stehen.

Sollte Ihnen eine Woche zu kurz sein, dann machen Sie zwei oder drei Wochen daraus. Irgendwann werden Sie an einen Punkt kommen, an dem Sie das Gefühl haben, alle Fragen notiert zu haben. Sie können nun sofort aufbrechen oder Ihre Fragen noch einige Zeit auf sich wirken lassen. Ihre Bereitschaft zum Aufbruch haben Sie durch das Zulassen der Fragen bereits bewiesen.

Unsicherheit und Verwirrung

Sind die ersten Fragen gestellt, beginnen sich nach und nach Antworten zu formulieren. Nicht immer sofort in der Deutlichkeit, wie wir es uns wünschen würden. Doch erste Ahnungen weisen uns eine Richtung. Wir entwickeln Vorstellungen, wie unser Leben aussehen, wie anders es sein könnte. Träume und innere Bilder erfüllen uns mit einer Freude, die wir schon lange nicht mehr – oder sogar noch nie – in uns gespürt haben. Immer wieder stehlen wir uns einen Moment im Alltag, um unsere Gedanken dorthin wandern zu lassen. Wir könnten es wagen aufzubrechen und uns auf die Reise begeben. Wirklich sicher sind wir uns aber nicht. Sollen wir uns wirklich auf einen Weg machen, von dem wir nicht wissen, wo er hinführt?

Wir sind bereit, uns einzugestehen, dass das Alte nicht mehr passt. Wie das Neue aussieht, wissen wir allerdings noch nicht so genau. Etwas in uns fordert dazu auf, das Gewohnte loszulassen und uns auf das Unbekannte einzulassen. Es gibt keine Garantie dafür, dass es wirklich besser wird. Fest steht allerdings, dass, wenn es nicht anders wird, wir dem Besseren erst gar keine Chance geben. Nicht wenige Menschen begnügen sich damit, ein Leben lang über ihre Situation, über unverwirklichte Träume und unerfüllte Wünsche zu jammern, weil sie den Schritt aus der Komfortzone nie riskiert haben. Es erfordert Mut, sich auf die Unsicherheit einzulassen, die das Beschreiten neuer Wege mit sich bringt.

Wir sind es gewohnt, alles zu planen, die Dinge unter Kontrolle zu halten und keine Risiken einzugehen. Wir haben gelernt, mit dem zufrieden zu sein, was wir haben, anstatt nach einem größeren Glück zu streben. Dieses Bedürfnis nach Kontrolle, Planung und Sicherheit fordert uns nun heraus, steht in Konflikt mit unserem Wunsch nach mehr Sinn und Erfüllung im Leben. Noch bevor wir uns auf den Weg gemacht haben, ja sogar, bevor wir überhaupt entschieden haben, ob wir uns auf die Reise einlassen wollen, machen sich Unruhe und Verwirrung in uns breit. Wenn wir anfangen, unser bisheriges Leben zu hinterfragen, einzelne Lebensbereiche kritisch zu beleuchten und über das Wer-wir-Sind und Was-wir-Tun nachzudenken, stellen wir unter Umständen fest, dass das Fundament, auf dem wir unser Leben aufgebaut haben, nicht so stabil ist, wie wir angenommen hatten. Wir erkennen Illusionen, denen wir uns hingegeben haben, und müssen uns eingestehen, dass wir uns in Bezug auf das Wer-wir-Sind und Was-wir-Wollen getäuscht haben. Unsere gesamte Identität samt dazugehörigem Leben wird plötzlich infrage gestellt. Verwirrt und verunsichert zu sein ist in einer solchen Phase nur allzu natürlich.

Sicherheit ist eines der wesentlichsten menschlichen Urbedürfnisse, für dessen Befriedigung es mehr braucht als ein Dach über dem Kopf und genügend Nahrung. Die tägliche Routine, egal, ob sie uns Freude macht oder nicht, vertraute Menschen, eine bekannte Umgebung, Interessen, denen wir bislang nachgegangen sind, und unsere Ansichten und Verhaltensweisen, mit denen wir uns seit Jahrzenten identifizieren, all das vermittelt ein Gefühl der Sicherheit. Hier haben wir einen Platz gefunden und uns eingerichtet. Und nun verlangt etwas in uns, das alles – oder zumindest Teile davon – aufzugeben. Wir spielen mit dem Gedanken einer beruflichen Neuorientierung, ohne so recht zu wissen, wohin wir uns neu orientieren wollen. Da ist die Idee, ein Jahr lang aus dem Alltag auszusteigen und um die Welt zu reisen, ohne zu wissen, wie es nach der Rückkehr weitergehen soll. Die Partnerschaft ist schon lange nicht mehr glücklich, aber der Gedanke, nach einer Trennung vielleicht für immer alleine bleiben zu müssen, macht uns Angst.

Es ist völlig offen, was nach dem ersten Schritt passieren wird, und es ist ganz unmöglich, vorherzusehen, was die Zukunft für uns bereithält. Trotzdem lassen sich viele nicht davon abhalten und versuchen, das Unplanbare planbar und das Unvorhersehbare vorhersehbar zu machen. In unendlichen Gedankenkreiseln werden verschiedenste Szenarien durchgespielt. Was könnte nicht alles passieren? Mehr oder weniger wahrscheinliche Folgen geistern durch die Vorstellungswelt. Als Ergebnis wartet statt mehr Klarheit und Sicherheit eine noch tiefere Verunsicherung.

Weg der Erfahrungen

Der Weg der Seele ist ein Weg der Erfahrungen. Das Ziel ist unsere persönliche Entwicklung. Dazu gehört, sich auf Ereignisse, Situationen, Menschen und Herausforderungen einzulassen, die zu neuen Erkenntnissen und innerem Wachstum führen. Es ist ein Weg von Geben und Nehmen, von Innenschau und Außenwirkung, von Aktivität und Entspannung. Verunsicherung und Verwirrung sind oft der Ausgangspunkt der Reise. Diese führt jedoch nach und nach zu einem tieferen Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens. Nicht, weil die äußeren Umstände berechenbarer oder vorhersehbarer werden, sondern weil entlang des Weges die Verbindung zur seelischen Essenz enger wird. Daraus erwächst eine vorher nicht gekannte innere Gewissheit.

Neben der Angst vor den Konsequenzen für das eigene Leben sind es in vielen Fällen die Befürchtungen und Bedenken, wie der Entschluss aufzubrechen sich auf Menschen im unmittelbaren Umfeld auswirken könnte, die davon abhalten, die Reise zu wagen. Wesentliche Bedürfnisse werden ignoriert, das individuelle Potenzial versteckt und Ziele aufgegeben, aus Angst davor, wie andere reagieren könnten. Viele Menschen finden Sicherheit darin, so zu sein wie alle anderen, das zu denken und wollen, was alle anderen denken und wollen. Und wenn die eigene Meinung nicht mit der anderer übereinstimmt, behalten sie diese möglichst für sich. Sich plötzlich von der Masse abzuheben, kann Verunsicherung auslösen. Nicht nur bei einem selbst, sondern vor allem auch bei den anderen.

Für viele ist es nicht vorstellbar, dass jeder Mensch seine Individualität und Einzigartigkeit lebt. Es erscheint ihnen völlig absurd, dass nicht jeder dieselben Wünsche hegt, nicht dieselben Werte teilt und nicht in allen Dingen dieselbe Ansicht vertritt. Erzogen dazu, uns anzupassen und nicht aufzufallen, fürchten wir nun, andere vor den Kopf zu stoßen oder zu verärgern. Wir haben Angst zu enttäuschen, stellen die Befindlichkeiten anderer Menschen über das eigene Glück. Wir übernehmen Verantwortung dafür, wie es anderen mit unserem Entschluss geht, und vergessen dabei, auf unsere eigenen Empfindungen zu achten. Verantwortung zu übernehmen ist gut und wichtig. In erster Linie sind wir jedoch verantwortlich für uns selbst und unser eigenes Wohlbefinden – genauso wie die anderen für sich und ihr Wohlbefinden. Deshalb ist es wichtig, ihnen die Verantwortung, die wir für sie übernommen haben, wieder zurückzugeben. Einzige Ausnahme ist die Verantwortung für kleine Kinder, die noch nicht für sich selbst sorgen können.

Auch wenn wir das zu Beginn der Reise oft nicht glauben können, machen wir nicht nur uns selbst ein Geschenk, wenn wir unseren eigenen Weg verfolgen. Damit wir anderen Menschen etwas geben, sie ehrlich wertschätzen und lieben können, müssen wir zuerst selbst in unserer Mitte sein. Wer sein eigenes Potenzial lebt, bringt seine essenzielle Kraft und Energie zum Ausdruck. Davon profitieren auch andere.

Menschen, die ihren Weg gehen, strahlen dies auch aus. Sie haben Charisma und wirken motivierend und inspirierend auf andere. Mozart, Goethe, Einstein oder Michelangelo – was wäre gewesen, hätten sie aus Rücksicht auf andere beschlossen, ihre Talente und Fähigkeiten lieber für sich und unter Verschluss zu behalten? Wie ist es bei Ihnen? Welche Ihrer Fähigkeiten und Begabungen verstecken Sie noch vor anderen?

Es gibt einen Grund, warum jede(r) Einzelne ist, wie er oder sie ist. Um unseren Platz in dieser Welt zu finden, müssen wir uns zuerst selbst erkennen. Indem wir den alten Platz verlassen und uns auf die Reise machen. Wir wissen nicht, was passieren wird, weder wenn wir beschließen aufzubrechen, noch wenn wir entscheiden, da zu bleiben, wo wir sind. Selbst wenn wir einfach weitermachen wie bisher und das Drängen der Seele nach Verwirklichung und Erfüllung konsequent ignorieren, ist die vermeintliche Sicherheit, in der wir uns wiegen, leichter zu erschüttern, als wir uns das eingestehen wollen. Wir können davon ausgehen, dass die Dinge sich immer wieder wandeln werden und dass so manche Entwicklung uns irritieren und verunsichern wird. Es liegt nicht in unserer Macht zu entscheiden, ob wir Veränderung in unserem Leben wollen. Wir können diese aber entweder selbst aktiv gestalten oder abwarten und erst reagieren, wenn die Ereignisse uns keine andere Wahl mehr lassen.

Im Umgang mit Unsicherheit und Orientierungslosigkeit ist nicht das krampfhafte Ringen um Kontinuität und die Abwehr jeglichen Wandels die beste Strategie. Sie besteht vielmehr im Vertrauen in den eigenen Weg, die eigenen Fähigkeiten und die innere Führung. Vertrauen in uns selbst gibt uns die Stärke und Kraft, den Zustand von innerem Chaos auszuhalten. Wenn wir meinen, den Boden unter den Füßen zu verlieren, schenkt uns die Verbindung zu unserer seelischen Essenz die Standfestigkeit und Stabilität, die wir brauchen, damit wir auf unserem Weg weitergehen können.

Doch wie sieht der für uns richtige, wie sieht unser ganz persönlicher Weg aus? Die Antwort auf diese Frage finden wir, wenn wir uns eingestehen, dass der Zeitpunkt des Aufbruchs gekommen ist.

War das schon alles?

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