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3.1.3 Methodologie und Methode der Unterrichtsstudie

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Damit ist der Punkt erreicht, an dem die Gegenstandstheorie empirisch gewendet werden kann. Dies geschieht in zwei Schritten. Zunächst muss der theoretische Rahmen in den Begriffen der empirischen Methode rekonzeptualisiert werden. Anschließend können die Analyseschritte dargelegt werden.

Reformulierung der Rahmentheorie in den Begriffen der Wissenssoziologie

Als grundlagentheoretischer und methodologischer Rahmen für die Unterrichtsstudie dient die Wissenssoziologie (z. B. Mannheim 1995 [1929]) mit der daraus abgeleiteten Dokumentarischen Methode (z. B. Bohnsack 2014). Sie geht den im Vorangegangenen dargelegten Theorien historisch voraus und teilt deren Grundannahmen. Sie fragt nach den „außertheoretischen Bedingungen des Wissens“ (Mannheim 1995 [1929], 227) und versucht, die „Standortgebundenheit“ (ebd.) von Wissen und Denken methodisch kontrolliert empirisch zu rekonstruieren. Mannheim hat damit zum einen jene Denkfigur entwickelt, die Wissen und Handlungsdispositionen als milieuabhängig und aus sozialen Erfahrungen resultierend auffasst, so wie dies später mit Goffmans Begriff des „Rahmens“ oder Bourdieus Begriff des „Habitus“ weiter ausgearbeitet wurde. Zum anderen formulierte Mannheim den Gedanken, dass Wissen und seine Weitergabe zur Aufrechterhaltung von Kulturen weniger durch die Gesetze der Logik, als vielmehr durch politische oder wirtschaftliche Interessen strukturiert werden und damit untrennbar mit Macht verbunden sind, so wie dies später z. B. im Konzept der „Gouvernementalität“ (vgl. Kap. 3.1.1) ausgearbeitet wurde.

Die Grundannahme der Wissenssoziologie ist, dass menschliches Handeln auf der Basis von durch Erfahrung erworbenen Dispositionen zur Konstruktion von Bedeutung bzw. Sinn geschieht. Mannheim selbst nennt diese Dispositionen „Wollungen“ (ebd.). Entgegen der damit transportierten Konnotation von Intentionalität und Bewusstheit sind sie dies allenfalls teilweise. Vielmehr sind sie kognitiv, emotional und körperlich in zwei Wissensformen repräsentiert: Theoretischem und damit bewusstem bzw. explizitem Wissen steht atheoretisches und damit unbewusstes bzw. implizites Wissen gegenüber. In diesem Zusammenhang wird in der Dokumentarischen Methode auch von Orientierungsmustern gesprochen, die sich aus Orientierungsrahmen (atheoretischem Wissen) und Orientierungsschemata (theoretischem Wissen) zusammensetzen. Da wir in den Analysen die performative Performanz (Bohnsack 2017, 92–101) und nicht eigentheoretische Aussagen der Akteure fokussieren, verwenden wir im Folgenden durchgängig den Begriff des Orientierungsrahmens. Nur wenn sich ein Bezug auf explizite Selbst- oder Fremdzuschreibungen rekonstruieren lässt, verwenden wir den Begriff des Orientierungsschemas. Orientierungsrahmen werden durch Erfahrungen, also durch bewusste oder unbewusste Verarbeitung von Erlebnissen aufgebaut. Dass diese Wissensbestände zunächst immer milieugebunden sind und dadurch ein gewisses Maß an kollektiver Übereinstimmung mit denen der anderen Mitglieder der eigenen Gruppe aufweisen, wird durch den Begriff des „konjunktiven Erfahrungsraums“ (z. B. existent in Form eines sozialen Milieus oder einer virtuellen Gemeinschaft) zum Ausdruck gebracht. Der Begriff der Konjunktivität bezeichnet die empirisch immer wieder aufgefundene Tatsache, dass sich Angehörige eines gemeinsamen Erfahrungsraums unmittelbar verstehen, ohne dass sie ihre Vorstellungen eigens explizieren müssen. Dies führt die Wissenssoziologie auf geteilte Erfahrungen und daraus erwachsene vergleichbare Wissensbestände zurück.

In Interaktionen manifestiert sich dieser Zusammenhang auf unterschiedlichen Ebenen. Mannheim unterscheidet drei Sinnebenen: den dokumentarischen, den objektiven bzw. immanenten sowie den intentionalen Sinn. Der objektive Sinn verweist auf kulturell standardisierte Bedeutungen von Gesten (z. B. ein Geschenk als Ausdruck von Anerkennung), der intentionale Sinn erfasst die subjektive Absicht einer Geste. Beide sind somit einer konkreten Interaktion vorgängig. Der Dokumentsinn hingegen ist nicht unmittelbar gegeben, sondern entsteht erst in der konkreten Interaktion; er bezeichnet eine Bedeutung, auf die die Gesten der Interaktionsteilnehmer*innen verweisen. Am Beispiel des Knüpfens eines Knotens macht Mannheim (1980, 73) deutlich, dass der Dokumentsinn nicht die denotative Ebene (der Knoten selbst) der Inhalte der Interaktion, sondern vielmehr die ihr unterliegende Ebene des modus operandi der Herstellung dieser Inhalte (die Handlungsfolge des Knüpfens des Knotens) bezeichnet. Dieser Sinn ist nicht mehr durch eine Paraphrase der inhaltlichen Oberfläche eines Textes, sondern nur durch die Interpretation der syntaktischen, lexikalischen, semantischen und nicht-sprachlichen Ebene empirischer Dokumente zugänglich. Den Sinn oder die Bedeutung einer Interaktionsfolge kann man demnach erst dann rekonstruieren, wenn man sowohl die Ebene der Inhalte als auch die Ebene der Form berücksichtigt.

Die beiden unterschiedlichen Sozialbeziehungen (also: Kommunikativität und Konjunktivität) zwischen Interaktionsteilnehmer*innen korrespondieren mit zwei hauptsächlichen Interaktionsmodi. Liegen aufgrund vergleichbarer Erfahrungen geteilte Orientierungsrahmen vor, so findet unmittelbares Verstehen statt. Der als „Verstehen“ bezeichnete Interaktionsmodus (Asbrand/Nohl 2013, 164) bezieht sich auf eine Interaktion, die allein schon dadurch gelingt, dass Gesten eine indexikalische Funktion haben, indem sie direkt auf geteilte Erfahrungen und daraus abgeleitetes Wissen verweisen und damit ein konjunktives Verständnis herbeiführen. Liegen unterschiedliche Orientierungsrahmen vor, kann lediglich ein mittelbares Verständnis der gegenseitigen Äußerungen stattfinden. Da die Gesten hier aufgrund fehlender vergleichbarer Erfahrungen keine indexikalische Funktion haben, bedarf gegenseitiges Verständnis der explizierenden Kommunikation und Interpretation. Dieser Interaktionsmodus wird als „Interpretieren“ bezeichnet (ebd.).

Indem sie also die soziale Gebundenheit von Wissen theoretisch fasst, ist die wissenssoziologische Analyse unterschiedlicher Sinnebenen in hohem Maße geeignet, die Wechselbeziehungen von Sozialität und Pädagogizität von Interaktion und damit auch von Unterricht zu erfassen. Die Wissenssoziologie kann aber nicht nur Aussagen über bestehende Wissensbestände machen, sondern erlaubt auch Aussagen über deren Zustandekommen. Die Grundidee des Aufbaus von Wissen über einen „zirkulären Prozess von Interpretieren, Explizieren, Reflektieren und Verstehen“ (ebd.) von Gesten ist mit der konstruktivistischen Grundidee von Lernen als Weiterentwicklung kognitiver Schemata auf der Basis der Deutung von Erfahrungen kompatibel. Diese Grundidee erlaubt es sogar, die grundlegende bildungstheoretische Unterscheidung der Aneignungsmodi Lernen und Bildung abzubilden. Ein Lernen im Sinne der Akkumulation von Informationen innerhalb bestehender Rahmungen kann als „Dazu-Lernen“ (ebd.) im Modus des Verstehens gesehen werden. Eine Explikation der Rahmungen ist dazu nicht notwendig, da sie als geteilt vorausgesetzt werden. Bildung hingegen kann als „negatives Lernen“ (ebd.) oder auch transformatorisches Lernen (Mezirow 1991) aufgefasst werden, da es die vorhandenen Orientierungsrahmen infrage stellt. Dadurch wird es erforderlich, diese Orientierungsmuster selbst durch Explikation und Reflektion im Modus der Interpretation transparent und bearbeitbar zu machen. In der Begrifflichkeit der transformatorischen Bildungstheorie ermöglicht es die Wissenssoziologie somit, sowohl das Produkt der Erfahrungsaufschichtung (Orientierungsrahmen) als auch deren Prozess (Verstehen und Interpretieren in Interaktion) zu erfassen.

Wie kann nun Unterricht mit den Begriffen der Wissenssoziologie beschrieben werden? Zunächst einmal ist Unterricht ein Anwesenheitsraum, in den Schüler*innen und Lehrer*innen ihre z. B. herkunftsmilieuspezifischen Orientierungsrahmen mitbringen. Werden diese Orientierungsrahmen zur Deutung von Erlebnissen eingesetzt, ist Unterricht auch ein Raum, in dem Erfahrungen gemacht werden können. Zwei Fragen sind für die dokumentarische Unterrichtsanalyse zentral. Zum einen stellt sich die Frage nach der Struktur des Erfahrungsraums Unterricht. Es geht darum, „den Erfahrungsraum und die ihn strukturierenden Orientierungen überhaupt zu rekonstruieren und seine Konjunktivität oder Disparativität festzustellen, sowie in letzterem Fall herauszuarbeiten, in welche tatsächlichen Erfahrungsräume der Anwesenheitsraum Unterricht zerfällt“ (Bonnet 2009, 225). Zum anderen stellt sich die Frage nach dem Kommunikationsmodus, in dem diese Erfahrungsstruktur verhandelt wird (Bonnet 2011, 192ff.). Im Rückgriff auf Mannheim kann sich ein „Aneinandervorbeireden“ oder ein „Zurückfragen“ (Mannheim 1995 [1929], 240ff.) entwickeln. Während der erste Modus die Disparatheit des Erfahrungsraums unkommentiert lässt, versucht der zweite Modus, diese Unterschiedlichkeit der Orientierungen durch „Relationieren“ (Klärung des Aspekts und damit des Standpunkts der Erfahrungen der anderen Akteur*innen) und „Partikularisieren“ (Bestimmung des Geltungsbereichs des kommunizierten Wissens) zu analysieren und zu reflektieren (ebd.). Dies wird von Bohnsack an späterer Stelle auch als Modus der Kommunikation, in dem die Akteur*innen ihre jeweiligen Äußerungen gegenseitig interpretieren müssen, bezeichnet. Indem Relationieren und Partikularisieren notwendigerweise bedeutet, die jeweils andere Seite authentisch zu Wort kommen zu lassen, ist genau dies der Modus, den wir im Anschluss an Peukert als praktische Solidarität im Fachunterricht bezeichnet haben. Hierin liegt gewissermaßen die normative Pointe unseres Ansatzes.

Insoweit Lehrer*innen auf der Basis ihrer fachkulturellen, professionellen und in jedem Fall rollenförmigen Orientierungsrahmen handeln, ist davon auszugehen, dass sich zwischen ihrem Wissen und den lebensweltlichen Orientierungsrahmen der Schüler*innen Differenzen auftun, die im Modus des Interpretierens ausgehandelt werden müssen. Gelingt dies und kommt es somit zu einer kollektiven Sinnkonstruktion, kann Unterricht selbst zu einem Raum werden, in dem gemeinsames Erleben und dessen Verarbeitung zu geteilten Erfahrungen und damit ähnlichen Orientierungsrahmen von Lehrpersonen und Schüler*innen führen, die ein Verstehen im konjunktiven Sinne ermöglichen. Schule und Unterricht werden damit zu einem (besonderen) konjunktiven Erfahrungsraum, der in Konkurrenz zu den konjunktiven Erfahrungsräumen der Primärsozialisation tritt und durch seine potenzielle Fremdheit bisherige Orientierungsrahmen in Frage stellt. Das jeweils realisierte Verhältnis der Orientierungsrahmen und damit der Wissensstrukturen der Akteure zueinander, sowie der Modus, in dem darauf im Unterricht kommunikativ Bezug genommen wird, kann für ein gegebenes Kollektiv auf der Mikroebene (in der Regel ein*e Lehrer*in und seine/ihre Klasse) als konstituierende Rahmung rekonstruiert werden (Bohnsack 2007). Bohnsack zufolge stellt die Herstellung einer konstituierenden Rahmung innerhalb des konjunktiven Erfahrungsraums des Unterrrichts eine notwendige Bedingung für professionalisiertes Handeln in Organisationen dar (Bohnsack 2020). In diesem Erfahrungsraum werden die mitgebrachten Orientierungsrahmen der Akteure in einer kollektiv habitualisierten Weise zueinander in Beziehung gesetzt.

Ein besonderer Modus dieser Bezugnahme ist das oben beschriebene „Zurückfragen“, das sich bildungstheoretisch durch ein spezielles Potenzial auszeichnet. Das darin vorkommende „Relationieren“ und „Partikularisieren“ sowie die damit verbundene gegenseitige Anerkennung im Sinne praktischer Solidarität zu erfahren, durch Bewusstmachung zu reflektieren und schließlich durch Entwicklung einer Haltung – z. B. zu einzelnen Schulfächern – zu bewerten, macht die potenziell bildende, weil die eigenen Orientierungsrahmen erweiternde Wirkung von Kindergarten, Schule und Universität aus. Dies ist kompatibel mit Ansätzen, die das Allgemeinbildende eines Unterrichtsfachs darin sehen, die „Aspekthaftigkeit“ aller Erkenntnis durch Einsicht in den „Aspekt“ bzw. die „Hinsicht“ des einzelnen Faches zu verstehen (Wagenschein 1995 [1962], 24).

Ziel einer dokumentarischen Unterrichtsanalyse ist es somit, die Struktur der unterrichtlichen Interaktion in ihrer graduell an- oder abwesenden Konjunktivität (Verstehen) und Kommunikativität (Interpretation) zu rekonstruieren und von dort auf die Struktur des Erfahrungsraums Unterricht zu schließen. Im Kern geht es also um die Frage, wie ähnlich oder disparat die rekonstruierten Orientierungsrahmen und -schemata sind (vorhandenes Wissen der Akteure) und wie damit in der Interaktion umgegangen wird (Vermittlungsgeschehen des Unterrichts). In Bezug auf die Sozialstruktur ist es darüber hinaus das Ziel der dokumentarischen Interpretation, den interaktionalen Rahmen selbst, also etwa die bestehenden Machtstrukturen und ggf. deren (Neu-)Aushandlung zu erfassen. Da es in Bezug auf Unterricht als Interaktionssystem primär darum geht, wie die soziale Praxis in diesem System performativ strukturiert ist, kommt einer Rekonstruktion der Orientierungsrahmen der unterrichtlichen Akteur*innen gegenüber einer Rekonstruktion ihrer Orientierungsschemata eine vordringliche Bedeutung zu. Die Unterrichtsanalysen werden sich also primär darauf konzentrieren, diese Ebene zu rekonstruieren.

Empirische Wendung: Die Dokumentarische Methode

Auf dieser theoretischen Basis setzt die Dokumentarische Methode (DM) an, um aus empirischen Dokumenten Sinnkonstruktionen von Kollektiven (Gruppendiskussionen) oder Individuen (Interviews) zu rekonstruieren. Dies kann man auch als performative Oberflächenstruktur des Handelns auffassen. Von diesen Konstruktionen aus werden dann Hypothesen darüber gebildet, welche kognitiven, emotionalen und sozialen Strukturen, also welche Orientierungsrahmen die Kollektive oder Individuen genau diese Sinnkonstruktionen hervorbringen lassen. Diese Ebene kann als generative Tiefenstruktur betrachtet werden, die den Handlungen zugrundeliegt. Im Zentrum der dokumentarischen Analyse steht folglich der genetische oder dokumentarische Sinn der empirischen Dokumente, der auf die Ebene des atheoretischen, prozeduralen Wissens verweist, das die Mitglieder eines konjunktiven Erfahrungsraums miteinander teilen, weil sie es im Zuge strukturell ähnlicher Erfahrungen erworben haben. Damit zielt sie primär auf die Rekonstruktion von Orientierungsrahmen ab.

Abb. 3.1:

Schema des Ablaufs der wichtigsten Analyseschritte der Dokumentarischen Methode. Ausgangspunkt ist die soziale Praxis der Akteure (links oben), die zum Gegenstand der Analyse wird. Am Ende der Analyse werden aus deren Ergebnissen durch Typenbildung Erfahrungsräume der Akteure rekonstruiert.

Da die Interpret*innen nicht Teil des beforschten Kollektivs sind, müssen sie sich den Sinn der Aussagen in rekonstruktiver Analyse erschließen. Der Verständigungsmodus ist dann jener der Interpretation; das gegenseitige Verhältnis nicht konjunktiv, sondern kommunikativ. Auf textlicher Ebene kulminiert das prozedurale Wissen in sog. Fokussierungsmetaphern: Abschnitte des empirischen Dokuments, die sich durch maximale interaktive oder metaphorische Dichte auszeichnen oder die thematisch für die Forschungsfrage besonders einschlägig sind. Indem man sie als Sinnkonstruktion interpretativ rekonstruiert (Oberflächenstruktur), formuliert man gleichzeitig Hypothesen über mögliche Konstruktionsregeln für ihr Zustandekommen. Diese Regeln wiederum verweisen auf generative Strukturen (z. B. Haltungen oder Wissensbestände von Individuen und Kollektiven), durch die sie erzeugt werden (Tiefenstruktur). Diese Tiefenstruktur, d.h. insbesondere die Orientierungsrahmen, hat sowohl eine Inhalts- als auch eine Interaktionsebene, die beide in der Analyse berücksichtigt werden müssen. Auch die weiteren Sinnebenen (s.o.) und ihre Beziehungen zueinander sind zu berücksichtigen.

Daraus ergibt sich ein fünfstufiges Analyseverfahren, in dem eine abschnittweise Vorgehensweise (sequenzanalytisches Prinzip) und die Gegenüberstellung empirischer Gegenhorizonte durch Fallvergleich (komparatives Prinzip) unverzichtbar sind. Da die Verfahrensschritte andernorts1 detailliert dargestellt wurden, sollen sie hier nur in aller Kürze genannt werden. Die drei ersten Schritte dienen der Rekonstruktion des Einzelfalles: (1) Die Formulierende Interpretation rekonstruiert das „Was“, also die Abfolge und Paraphrase der Themen der Interaktion. (2) Die Reflektierende Interpretation rekonstruiert das „Wie“: Die für die Fragestellung relevanten, sowie metaphorisch oder interaktional dichten Passagen (Fokussierungsmetaphern) werden auf ihre sprachlichen (semantischen Merkmale wie z. B. Metaphern) und diskursstrukturellen (Modi der Themenentfaltung wie z. B. antagonistische Wechselrede) Merkmale hin analysiert und daraus Orientierungsrahmen und -schemata rekonstruiert. Außerdem ist es sinnvoll, die reflektierende Interpretation mit sprachanalytischen Verfahren, wie der Argumentations- und Metaphernanalyse zu kombinieren (vgl. Bonnet 2009; Bonnet/Bracker 2012). (3) Die Diskursbeschreibung liefert eine zusammenfassende Darstellung der Fallstruktur. (4/5) Daran schließt sich die zweiphasige Typenbildung an. Konstitutiv für die dokumentarische Methode ist schließlich ihre praxeologische Methodologie, in der Theorie und Beobachtung in einem reflexiven Verhältnis stehen (Bohnsack 2014, 30ff.). Diese Haltung fordert nicht nur offene Forschungsinstrumente, sondern nimmt an, dass das konkrete, für einen Gegenstand angemessenene methodische Vorgehen erst im Laufe der Untersuchung endgültig bestimmt werden kann.

Die Analyse der Unterrichtsstunden verläuft in immer gleicher Weise. Im ersten Schritt werden vollständige thematische Verläufe und formulierende Interpretationen jeder Unterrichtsstunde erstellt. Dabei werden thematische Sequenzen und für jede Sequenz Fokussierungsmetaphern identifiziert. Im zweiten Schritt wird die Eingangspassage jeder Stunde vollständig dokumentarisch interpretiert. Im dritten Schritt werden alle zuvor bestimmten Sequenzen durch Analyse ihrer Fokussierungsmetaphern dokumentarisch interpretiert und im Zuge dessen die an der Eingangssequenz gewonnenen hypothetischen Orientierungsrahmen der Stunde ergänzend und falsifizierend ausgeschärft. Im Zuge dieser Analyse werden ATS und SPS für jede Sequenz stets in getrennten Interpretationsprozeduren nacheinander betrachtet. Im vierten Schritt werden die durch die Formulierung von Horizonten und Gegenhorizonten definierten Vergleichsstellen innerhalb des Dokuments (sequenzanalytischer fallinterner Vergleich) sowie in anderen Dokumenten (fallübergreifender Vergleich) aufgesucht und ebenfalls reflektierend interpretiert. Daraus ergeben sich schließlich Rekonstruktionen der den Handlungen der Akteur*innen zugrundeliegenden Orientierungsrahmen, die Aussagen über die Struktur des Erfahrungsraums Unterricht zulassen. Diese werden zu einer Diskursbeschreibung verdichtet. Im Zuge der Interpretation werden außerdem immer wieder die in der theoretischen Bestimmung von Kooperativität (vgl. Kap. 2) erarbeiteten Kategorien an die Analyse herangetragen, um die Kooperativität der Unterrichtsstunden zu bestimmen.

Im Folgenden wird nacheinander der Unterricht in den beiden Klassen über die drei Jahre der Untersuchung hinweg analysiert. Anschließend werden diese Analysen in einem Vergleich zusammengefasst. Die Rekonstruktionen des Unterrichts basieren v. a. auf Videographien. Pro Schuljahr wurde jede Lehrkraft gebeten, jeweils im zweiten Halbjahr je eine oder zwei Stunden auszuwählen, die aus ihrer Sicht den von ihr durchgeführten Unterricht bestmöglich repräsentierten, in diesem Sinne also typische Stunden darstellten. Damit folgt auch die Unterrichtsstudie der Grundhaltung der gesamten Untersuchung, nämlich die Lehrer*innen als Professionelle ernst zu nehmen, die ihren Unterricht in eigener Verantwortung durchführen und die aus ihrer Sicht typischen Stunden auswählen und gewissermaßen zur Analyse an die Forscher*innen übergeben. Der Frage, inwieweit die jeweiligen Stunden typisch für den Unterricht der Lehrer*innen sind, wurde durch teilnehmende Beobachtungen anderer Stunden, die in Protokollen aufgezeichnet wurden, nachgegangen.

Vorgreifend auf die Ergebnisse der Analysen kann man Folgendes resümieren: Obwohl dies nicht abschließend klärbar ist, wurde in den Beobachtungen deutlich, dass die gezeigten Stunden wesentliche Merkmale des Unterrichts der Lehrenden im jeweiligen Schuljahr erfassten. Dies umso mehr, als sich in den Transkripten Strukturen abbilden, die im jeweiligen Jahr entstanden sind. Hierzu gehören z. B. bestimmte Rituale oder eine höhere Strukturiertheit der Arbeit der Schüler*innen in den Kleingruppen, etwa im Umgang mit Konflikten. Auch in der Gesamtanlage des Unterrichts zeigen sich sowohl longitudinal als auch im Vergleich der beiden Lehrerinnen auffallende Unterschiede – im Übrigen auch im Vergleich zu den von den Lehrerinnen in den Interviews geäußerten Idealvorstellungen hinsichtlich Kooperativen Lernens. Daraus ist zu folgern, dass die Lehrer*innen die videographierten Stunden nicht als solitäre Idealumsetzung ihrer Wunschvorstellungen angelegt haben, sondern diese Stunden den jeweiligen Stand ihrer Unterrichtsentwicklung zu rekonstruieren erlauben.

Kooperatives Lernen im Englischunterricht

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