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2.4.4 Befunde der Lehrerforschung
ОглавлениеDamit ist die Frage der schülerseitigen Effekte umfassend diskutiert. Wie sieht es also mit der Forschung zu Lehrer*innen im KL aus? Aber muss man sich überhaupt mit ihnen beschäftigen, denn schließlich sollen sie sich ja gerade überflüssig machen? Ja, man muss. Dies zu begründen bedarf gar nicht mehr der – ohnehin arg dekonstruierten (Herzog 2014) – Hattie-Studie, sondern ein Blick in die Forschung zu KL selbst genügt. Wie bereits ausgeführt wurde (vgl. Kap. 2.2.2), ist es nicht die Sozialform, sondern die unterrichtliche Interaktionspraxis, die die Kooperativität des Unterrichts und damit dessen Wirkungen hervorbringt. Diese Praxis, so die oben bereits zitierte Studie (Tesch 2010) weiter, wird wiederum stark durch die von den Lehrer*innen in den Unterricht hineingetragenen Orientierungen bestimmt. Der Zusammenhang zwischen KL und der Professionalisierung von Lehrer*innen, auf den dieser Befund verweist, ist allerdings ein bis auf Praxis bezogene Veröffentlichungen (z. B. Green/Green 2005) weitgehend unbestelltes Feld.
Vorläufig lässt sich sagen, dass der Zusammenhang zwischen KL und der Professionalität und Professionalisierung von Lehrer*innen in zwei Richtungen wirkt. Zum einen stellt sich die Frage, ob und wenn ja auf welche Weise Lehrer*innen das Zustandekommen von Kooperativität durch Vorgaben und begleitendes Handeln beeinflussen können und wie dieses Handeln zustande kommt. Anders gefragt: Wie schlagen sich die Orientierungen der Lehrenden im Unterricht nieder und woher kommen sie? Zum anderen stellt sich die Frage, wie die Inszenierung von KL auf die Lehrenden zurückwirkt. Anders gefragt: Wie werden die Orientierungen von Lehrer*innen durch kooperativen Unterricht verändert? Wurde bislang – sowohl in der Forschung als auch v. a. in der Praxisliteratur – gefragt, was Lehrer*innen mit KL machen, so fragt diese Studie nun darüber hinaus, warum sie das machen und was KL mit den Lehrer*innen macht. Diese Teilfragen werden durch das Zusammenspiel der Teilstudien zum Unterricht und zur Professionalisierung der Lehrer*innen bearbeitet.
Was lässt sich zum Stand der Lehrerforschung im Bereich des KL sagen? Zum einen finden sich Veröffentlichungen sowohl im deutschen (z. B. Pauli/Reusser 2000), als auch im englischen Sprachraum (z. B. Gillies 2007; Gillies/Boyle 2010), die den Forschungsstand der Lehrerforschung zu KL resümieren und die Veränderung der Lehrerrolle beim KL betonen. Unter der Überschrift „teachers’ responsibilities in establishing cooperative learning“ fasst Gillies (2007, 193–217) die Befunde zahlreicher Untersuchungen zusammen. Unter Berufung auf drei Studien (Ayres/Sawyer/Dinham 2004; Dolezal et al. 2003; Walker 2000) bestimmt sie zunächst Eigenschaften von Lehrer*innen, in deren Unterricht besonders erfolgreich gelernt wird. Diese Lehrer*innen besitzen demnach emotionale (Freundlichkeit, Zugänglichkeit, menschliche Wärme, Begeisterung für das Fach) und kognitive (Stellung und Durchsetzung hoher inhaltlicher Anforderungen, hohes Fachwissen, großes Methodenrepertoire) Charakteristika, die dazu führen, dass ihre Schüler*innen inhaltlich herausgefordert werden, Risiken eingehen, große kognitive Verarbeitungstiefe der Inhalte erreichen, miteinander kooperativ arbeiten und Verantwortung übernehmen. Um diese Ziele im Rahmen von KL zu erreichen, müssten Lehrer*innen laut Gillies v. a. vier Dinge gelingen: das Setzen von Erwartungen für die kooperative Gruppenarbeit, die Förderung von dem Kompetenzerwerb dienenden (kommunikativen) Handlungsmustern der Schüler*innen, die Aufgabenstellung, die Bereitstellung von Feedback zu den beobachteten Lernfortschritten der Schüler*innen. Diese vier Bereiche, die man auch als aufeinander folgende Schritte bei Einführung von KL auffassen kann, werden im Folgenden nacheinander kurz diskutiert.
Das Setzen der Erwartungen beginnt laut Gillies (2007, 198ff.) damit, den Schüler*innen zu verdeutlichen, dass es der Lehrperson ernst damit sei, dass die Schüler*innen zusammenarbeiten, Ideen und Lernmittel teilen, sich gegenseitig unterstützen und Konflikte demokratisch lösen. Unter Bezugnahme auf mehrere empirische Untersuchungen (u.a. Gillies/Ashman 1998; Mercer 1996; Webb/Farivar, 1994) schließt sie, dass es in dieser ersten Phase neben dem Aufbau von Vertrauen und gegenseitigem Verständnis v. a. darum gehe, gemeinsam mit den Schüler*innen soziale Normen der Zusammenarbeit auszuhandeln und das Ergebnis in geeigneter Form (z. B. als Aushänge im Klassenraum) als Merkposten für alle bereitzustellen.
Im nächsten Schritt sei es erforderlich, dass die Lernenden geeignete Handlungsmuster erwerben. Unter Bezugnahme auf weitere Studien begründet Gillies zunächst, dass dazu sinnvollerweise die Verwendung von Kooperationsskripts wie z. B. die wechselseitige Übernahme der Rolle von Lehrer*in und Lerner*in im reziproken Lehren (O’Donnell/Dansereau 2000), die Ko-Konstruktion von Wissen durch Erstellung gemeinsamer Produkte wie z. B. einer Mind-Map (Boxtel et al. 2002) oder die Verpflichtung auf das Begründen von Aussagen (Chinn/O’Donnell/Jinks 2000) dienen könne. Um von diesem grundlegenden Niveau des reinen Verstehens zu höheren Denkoperationen zu gelangen, seien umfassendere Skripts wie z. B. das Modell „ASK to THINK-TEL WHY“ (King 1997) sinnvoll, die neben dem gegenseitigen Erklären und Begründen auch das gezielte Herstellen und Hinterfragen von Zusammenhängen und die Reflexion eigener Lösungswege und Denkschemata enthalten. Eine ganze Reihe weiterer Studien (z. B. Webb 1991, 1992; Webb/Mastergeorge 2003) deuten darauf hin, dass der Erfolg von KL nicht nur von der Fähigkeit zum Erklären, sondern in gleicher Weise vom eindeutigen Anzeigen eines Hilfebedürfnisses und dem präzisen Formulieren der eigenen Fragen abhängt.
Diese Befunde decken sich mit den im vorangegangenen Teil referierten Studien (z. B. Law 2011), und Kronenberger und Souvignier (2005) weisen in einer Studie zum Gruppenpuzzle mit 9-jährigen nach, dass ein zusätzliches Fragetraining zwar nicht in der Expertenphase, wohl aber in der Stammgruppenphase, in der das eigentliche peer-teaching stattfindet, das Elaborationsniveau der Interaktion deutlich anhebt. Insgesamt kann daher auch für den Fremdsprachenunterricht davon ausgegangen werden, dass die gezielte Vermittlung von Interaktionsmustern erforderlich ist. Hier kommt allerdings eine weitere Ebene hinzu, denn es existieren auch noch sprachliche Anforderungen auf der Ebene der Redemittel. So referiert Würffel (2007, 3) den Befund von Legutke (2003, 235), dass nicht nur die sozialen Kompetenzen, sondern auch die sprachlichen Fertigkeiten für KL geschult werden müssten. Dies gilt über die sprachlichen Mittel im engeren Sinne hinaus auch für das Frage- und Erklärungsverhalten.
Der dritte Schritt, das Stellen von Aufgaben, wird von Gillies nicht auf inhaltlicher Ebene, sondern vielmehr auf der Ebene der für die Aufgabenbearbeitung notwendigen kognitiven und sprachlichen Handlungen diskutiert. So unterscheidet sie mit Cohen (1994) wenig komplexe (low-level) Kooperation, in der lediglich Informationen und Erklärungen ausgetauscht werden, von komplexer (high-level) Kooperation, in der auch das eigene Vorgehen reflektiert und ausgehandelt werden müsse. Während die komplexeren Aufgaben den Vorteil hätten, Reflexion und Metakognition zu fördern, bestehe bei ihnen die Gefahr, dass sich Schüler*innen in den Diskussionen verlören und dadurch die für den Lernerfolg entscheidende Anzahl auf den Aufgabeninhalt bezogener Interaktion verringere. Um dieses Problem zu lösen, verweist Gillies auf den Befund einer Vergleichsstudie von Cohen et al. (2002), in der die Bereitstellung klarer Erwartungen hinsichtlich des zu erstellenden Produkts (z. B. in Form eines schriftlichen Erwartungshorizonts), die Gruppeninteraktion intensivierte und die Produkte eindeutig verbesserte. Gemäß den Erkenntnissen von Buchs und Butera (2015) könnte diese übermäßige Fokussierung auf Produkte allerdings auch eine abträgliche Leistungsorientierung zur Folge haben. Dass Cohen et al. (2002) dies anscheinend nicht im Blick hatten, zeigt sowohl die Komplexität des KL als auch die Fortschritte in dessen Beforschung.
So sehr die Schüler*innen auch dazu gebracht werden sollen, ihre Produkte und Prozesse selbst zu reflektieren und zu bewerten, so wichtig bleibe das vierte Element der Lehrerarbeit, die Bereitstellung von Feedback. So referiert Gillies die Befunde von Emmer und Gerwels (2002), dass der Erfolg kooperativen Unterrichts davon abhänge, wie hoch die individuelle Verantwortlichkeit sei, wie stark die Lehrer*innen die Gruppenprozesse beobachteten und die Aufgabenerfüllung sicher stellten, wie viel Ziel führendes Lehrerfeedback gegeben wurde und wie sehr sich die Lehrer*innen um die interaktionalen Fähigkeiten ihrer Schüler*innen kümmerten: „In short Emmer and Gerwels (2002) and Gillies and Boyle (2006) believe that teachers actively need to monitor and review students’ progress during cooperative group work“ (Gillies 2007, 213).
Darüber hinaus schließen Pauli und Reusser (2000) aus ihrem Forschungsüberblick, dass Lehrer*innen in kooperative Gruppenarbeiten eingreifen sollten, um dafür Sorge zu tragen, dass die Interaktion der Gruppen auch tatsächlich die lernförderlichen Eigenschaften, wie Ko-Konstruktivität, hohen Elaborationsgrad, hohen Unterstützungsgrad, Verbalisierung von Strategien und Vorgehensweisen und Abstimmung des Aufgabenverständnisses besitzt. Das zentrale Dilemma benennen sie wie folgt:
Soll es beim kooperativen Lernen nicht zu einem Zielkonflikt zwischen sozial-affektiven Lernzielen einerseits und kognitiven Lernzielen andererseits kommen, müssten vermehrt Kenntnisse darüber erarbeitet werden, wie auch der kognitive Lernertrag bei Gruppen- und Partnerarbeiten gesichert werden kann, ohne das Ziel kognitiv anspruchsvollen selbständigen Arbeitens aufzugeben (Pauli/Reusser 2000, 435).
Die beiden Autor*innen empfehlen dazu auf sorgfältiger Beobachtung der jeweiligen Kleingruppe basierende, wohldosierte und sehr pointierte Interventionen, in denen nicht Fragen gestellt, sondern gezielte Impulse zur Weiterarbeit (z. B. Einspielung neuer Information, Aufforderung zu Veränderung der Redeanteile) gegeben werden. Diese Empfehlungen werden in einer jüngst publizierten Studie für Mathematiklernen bestätigt.
The results of this integrated model show that the importance of teacher support of student participation for student achievement is not a direct one but is an indirect one through the mediating variable student participation. Moreover, these results indicate that both teacher practice and student participation need to be taken into account when predicting student achievement (Webb et al. 2015, 62).
Insgesamt kann man damit resümieren, dass Einigkeit darin besteht, dass der Wechsel von anderen Unterrichtsformen zu KL auch einen Wechsel der Lehrerrolle mit sich bringt. Im Sinne der bislang referierten Aspekte existiert auch eine recht gute Zielbeschreibung für förderliches Lehrerverhalten im Rahmen dieser neuen Rolle.
Die Frage, was diese Rolle für die Lehrer*innen und ihre professionelle Entwicklung bedeutet, bzw. wie Lehrer*innen diese Rolle annehmen können, ist hingegen bislang nahezu überhaupt nicht beforscht worden. Es lassen sich aber ansatzweise zwei Positionen ausmachen. Einerseits berichtet Gillies (2007, 206) von einem erfolgreichen Training von Lehrenden, denen ein neues Interaktionsverhalten nahegebracht wurde, das im Kern ein weniger belehrendes als vielmehr vermittelndes Sprechen beinhaltet: ein auf Vertiefung und Klärung zielendes Fragen, ein Anerkennen und Formulieren von auftretenden Problemen, eine Benennung von Inkonsistenzen und eine Klärung der Optionen des Weiterarbeitens, ein vorsichtiges Formulieren von Vorschlägen. Dabei spiele auch das Paraphrasieren und Elizitieren von Ideen eine große Rolle. Der Rollenwechsel wird hier somit als bewusstes Erlernen neuer Interaktionsstrategien herbeigeführt. Die neue Rolle scheint also trainierbar. In diese Richtung weisen auch die Vorschläge von Pauli und Reusser (2000), Sharan (2002) sowie Gillies und Boyle (2010). Sie betonen „the importance of training teachers in the knowledge and skills required to implement CL in their classrooms“ (ebd., 938).
Andererseits verweisen dieselben Forscher*innen darauf, dass die von ihnen befragten Lehrer*innen die Einführung von KL als große Herausforderung erleben (ebd., 938). Während sie diese Herausforderung als fehlendes Wissen interpretieren, argumentiert Sharan (2010), dass der notwendige Rollenwechsel sich nicht nur auf neue Methoden und Interaktionsmuster reduzieren lässt, sondern dass dessen Kern deutlich darüber hinaus geht. Sie arbeitet heraus, dass KL und Instruktivismus – und gleiches gilt für die vorherrschende Leistungsorientierung (s. u.) – nicht zusammenpassen, dass daher viele Lehrer*innen nicht nur ihre eigene Rolle, sondern auch ihr Unterrichtsbild verändern müssten und dass dazu Reflexion des eigenen Unterrichts notwendig sei. Eine weitere Untersuchung deutet an, dass zur Herbeiführung der dazu notwendigen Reflexivität die Kooperation unter Lehrer*innen selbst ein geeignetes Mittel sein könnte (Overmann 2002).
Insgesamt zeigt dieser Überblick, dass zwar zahlreiche Erkenntnisse zu für KL förderlichem Lehrerverhalten existieren, dass aber weder die bei Lehrer*innen für KL notwendigen, noch die sich im Laufe der Durchführung von KL vollziehenden Entwicklungen bislang beforscht sind. Es steht somit zum einen die Frage im Raum, ob die Einarbeitung in KL auf Lehrerseite eher als Methodentraining oder eher als tiefer greifende reflexive Entwicklung, z. B. durch Veränderung des eigenen Unterrichtsbildes, gedacht werden muss. Zum anderen stellt sich die Frage, wie eine solche reflexive Veränderung, wenn sie denn in diesem Zusammenhang relevant ist, theoretisch konzeptualisiert und empirisch erfasst werden könnte. Da in den Veröffentlichungen zu KL selbst (z. B. Gillies 2007, 193) die Wichtigkeit der Lehrperson stark betont wird, erscheint es dringend geboten, diese Forschungslücke zu füllen. Daher stehen die Lehrer*innen im Zentrum dieser Studie.
Gleicht man die referierte Lehrerforschung mit den theoretischen Überlegungen (vgl. Kap. 2.3) ab, scheint dabei ein Aspekt bislang vollständig unbeleuchtet zu sein, nämlich die organisational-institutionelle Ebene. Mit den zuletzt referierten Studien und insbesondere mit der Feststellung des positiven Einflusses von Kooperation unter Lehrer*innen (s.o.) rückt diese Ebene ansatzweise in das Blickfeld. Auch in diesem Bild dominieren allerdings mehr oder weniger autonom gedachte Lehrer*innen, die bei entsprechendem Training, oder bei entsprechender Veränderung ihrer Überzeugungen, oder eben durch Kooperation, optimales KL herbeiführen können. Passt dies zur herrschenden Schulkultur? Buchs und Butera (2015, 207) verneinen dies:
We recognised that cooperative learning might be at odds with the more general competitive and individualistic culture in which pupils and students are embedded, which might be necessary to teach them how to cooperate; thus we set out to analyse the factors that may counter such competitive culture.
Während auch dieses Zitat letztlich Optimismus verbreitet, dass Kooperativität auch in den Schulsystemen kapitalistischer Leistungsgesellschaften erzeugt werden kann, lenkt es doch den Blick darauf, dass dazu erhebliche Anstrengungen der handelnden Individuen erforderlich sind. Und es impliziert, dass diese Anstrengungen auch scheitern können. Das zentrale Ziel dieser Studie wird es daher sein, die hier angedeutete Verwiesenheit verschiedener Ebenen und Akteure aufeinander zu entwirren und zu beleuchten und dabei besonders die Lehrer*innen in den Blick zu nehmen.