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1.2 Die Fragen des Projekts

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Welche Fragen ergeben sich nun aus dieser Beschreibung der Situation vor Beginn des Projekts? Da sind erstens die Lehrer*innen. Das Projekt wurde von ihnen angestoßen und bearbeitete ein von ihnen selbst wahrgenommenes Problem, das sie mit von ihnen selbst formulierten Mitteln lösen wollten. In dieser Studie interessiert, welche Entwicklungen die Lehrer*innen dabei durchlaufen haben. Wie entwickeln sich ihre Unterrichtsbilder? Wie gestalten sie ihre Beziehung zu den Schüler*innen? Wie verändert sich ihre Wahrnehmung dessen, was in ihrer Schule normal ist? Wie gehen sie mit den Bedenken um, die sie in Bezug auf mögliche Reaktionen ihrer Kolleg*innen haben? Absolut beeindruckend ist dabei, welche Anstrengungen (z. B. doppelte Unterrichtsplanung) Kolleg*innen wie Yvonne Kuse auf sich nehmen, um sich von der herrschenden Normalität zu lösen. Beinahe beängstigend wirkt andererseits, wie stark der Einfluss dieser Normalität ist. In dieser Perspektive werden die Lehrer*innen als handelnde Individuen betrachtet mit ihren Überzeugungen, ihren Wissensbeständen, ihrer jeweiligen (Berufs-)Biographie. Mit mindestens gleicher Dringlichkeit stellt diese Studie die Frage nach den Strukturen, in denen die Lehrer*innen handeln, an deren Grenzen sie stoßen und auf die sie wiederum mit ihrer agency einwirken.

Abb. 1:

Die unterschiedlichen Bereiche, in denen diese Untersuchung Fragen stellt.

Zweitens sind da die Ergebnisse des Unterrichts. Alle Beteiligten sind sehr interessiert daran zu erfahren, welche Wirkungen der Unterricht erzielte. Zum einen in Bezug auf den fremdsprachlichen Ertrag, zum anderen in Bezug auf die Entwicklungen die Schüler*innen im Bereich sozialer Kompetenzen. Die Teilstudie zur Sprachkompetenz ist allerdings nicht als Prozess-Produkt-Studie auf der Suche nach eindeutigen Zusammenhängen zwischen strukturellen bzw. inhaltlichen Elementen des Unterrichts und daraus resultierenden Effekten gedacht. Noch weniger wird im Bereich der sozialen Kompetenzen versucht, allgemeingültige Aussagen zu formulieren. Vielmehr geht es in beiden Bereichen darum, die Auswirkungen des Unterrichts entdeckend in den Blick zu nehmen, um auf sich zeigende Phänomene aufmerksam zu werden. Zunächst einmal kann man auf der Basis des Forschungsstands (vgl. Kap. 2.4) davon ausgehen, dass kooperativer Englischunterricht Effekte im sprachlichen und sozialen Bereich haben wird. Die Sprachtests und die Analyse der Unterrichtsaufzeichnungen, insbesondere der Kleingruppeninteraktionen, dienen dazu, diese Erwartung mit der sich entfaltenden Praxis abzugleichen.

Drittens interessiert natürlich der (Englisch-)Unterricht selbst. Aufgrund der Zurückhaltung der Forscher*innen hinsichtlich möglicher Vorgaben für die Lehrer*innen, war es besonders wichtig, den Unterricht selbst in den Blick zu nehmen. Es war anzunehmen, dass dieser Unterricht sich vor allem auf drei Ebenen entfalten würde. Erstens brachten die Lehrer*innen eine von ihnen als bisherige Normalität beschriebene Orientierung auf Lehrerzentrierung und Instruktion zum Ausdruck: Lehrer*innen sollen den Unterricht lenken, und sie sollen die Inhalte erklären. Davon, und das ist die zweite Ebene, wollten die Lehrer*innen sich lösen und stärker individualisierende Elemente einbringen. Das würde dazu führen, dass die Schüler*innen verstärkt allein, zumindest aber stärker eigenverantwortlich arbeiten würden. Darüber hinaus gab es auf der dritten Ebene bei den Lehrer*innen aber auch ein starkes Element von Kooperativem Lernen. Das wiederum würde mehr Arbeit in Gruppen und ebenfalls mehr Verantwortung für sich selbst und die Mitschüler*innen bedeuten. Es geht hier aber nicht nur um Schule, sondern auch um Fachunterricht in einer modernen Fremdsprache. Daher ist es im primären Interesse der Studie, die fachliche Seite des Unterrichts zu rekonstruieren. Daher wird darauf geschaut, was im Unterricht thematisiert wird, also welche Inhalte den Unterricht prägen. Es wird aber auch darauf geschaut, gemäß welcher Prinzipien diese Inhalte inszeniert werden. Dabei werden im Zuge der Rekonstruktion bei entsprechender Passung auch fachdidaktische Begriffe wie der Gegensatz zwischen Form- und Mitteilungsorientierung oder das Konzept der (Schein-)Authentizität zum Einsatz kommen.

Die Vielschichtigkeit des Kooperativen Lernens ist in dieser Einleitung schon mehrfach zur Sprache gekommen. Daraus resultiert die Notwendigkeit, sich intensiv mit Kooperativität als Konzept und als Begriff auseinanderzusetzen. Zunächst vermuteten die Forscher*innen (im Rückblick wirkt diese Vorstellung reichlich egozentrisch und naiv), dass diese Vielschichtigkeit daraus resultierte, dass die Lehrer*innen anfangs eben (noch) keine klare Vorstellung von Kooperativem Lernen hatten. Von dieser Fehlvorstellung wurden die Forscher*innen alsbald kuriert. Erstens zeigte sich in der theoretischen und praktischen Literatur eine derartige Vielzahl von Konzeptualisierungen Kooperativen Lernens, dass die Lehrer*innen des Projekts mit ihren Konzepten nicht allein standen. Zweitens verdeutlichten die Unterrichtsrekonstruktionen, dass sicher geglaubte Eindeutigkeiten sich als gar nicht so sicher erwiesen. So zeigte die Analyse der ersten Unterrichtsstunden von Yvonne Kuse, dass man sehr wohl positive Abhängigkeit herstellen kann, ohne den Unterricht in Kleingruppen zu organisieren. Allgemein gesprochen: Man kann die Basiselemente Kooperativen Lernens mindestens teilweise auch ohne Gruppenarbeit umsetzen. Ist das dann kooperativ, weil positive Abhängigkeit und individuelle Verantwortlichkeit bestehen? Oder ist es nicht kooperativ, weil zu wenig face-to-face-Interaktion gegeben ist? Dieses Nachdenken auf Universitätsseite hat die Lehrer*innen natürlich nicht davon abgehalten, ihren Unterricht weiterzuentwickeln. Die Forscher*innen, glücklich den rekonstruierten Unterricht nun auf den Begriff bringen zu können, staunten daher nicht schlecht, als sie für die Aufzeichnungen in Klasse 7 schon wieder neue Begriffe brauchten, denn Yvonne Kuse hatte ihren Unterricht anscheinend radikal umgekrempelt. Zumindest auf der Oberfläche war das so. Bei tieferer Bohrung zeigte sich aber, dass sie mit den Mitteln des Kooperativen Lernens nur neue Inszenierungsmöglichkeiten ihrer auch im dritten Jahr einigermaßen stabilen pädagogischen und didaktischen Überzeugungen gefunden hatte. Dies wiederum macht deutlich, dass die Konzepte der Lehrer*innen als Arbeitstheorien mit impliziten und expliziten Wissensanteilen aufgefasst werden können, mit denen sie ihre Praxis konzeptualisieren, die sich mit ihrer Praxis entwickeln und sich aus einerseits stabilen und andererseits veränderbaren Anteilen zusammensetzen.

Mit der letztgenannten Arbeit am Begriff beginnt das folgende Theoriekapitel. Darin wird der Begriff der Kooperativität diskutiert und der relevante Forschungsstand präsentiert. Außerdem wird ein Überblick über die Teilstudien und deren Wechselwirkungen gegeben.

Kooperatives Lernen im Englischunterricht

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