Читать книгу Kooperatives Lernen im Englischunterricht - Andreas Bonnet - Страница 13
Оглавление2.2 Der Begriff des Kooperativen Lernens
Was ist KL eigentlich? Ist es nicht einfach Gruppenarbeit und damit auch schon lange bekannt? Schließlich geht es auch hier darum, dass Kleingruppen von Schüler*innen zusammenarbeiten. Ist daher KL vielleicht nur ein weiteres Plastikwort (Pörksen 1988), ein weiteres Produkt globaler Sloganisierung (Schmenk 2008), das inhaltsleer und mit überdehntem Bedeutungshof seine Bahnen durch die fachdidaktische und schulpädagogische Fachliteratur zieht? Auch wenn die folgende Darstellung zeigen wird, dass es in der Tat zahlreiche und durchaus unterschiedliche Auffassungen von KL gibt, so lässt sich doch ein Begriffskern herauspräparieren, mit dem weiterzuarbeiten sich lohnt.
2.2.1 Kooperatives Lernen: Think-Pair-Share
Im ersten Zugriff wird KL häufig über die Sozialform definiert. Dabei wird nur das als KL bezeichnet, was sich von der Urform Think-Pair-Share ableitet. Diese Arbeitsform gliedert sich in drei Phasen: (1.: Think) Die Lernenden erschließen sich einen Inhalt oder bearbeiten eine Aufgabe zunächst in Einzelarbeit. (2.: Pair) Nun gleichen sie ihr Ergebnis mit einem/einer Partner*in ab, korrigieren sich gegenseitig oder bearbeiten eine über den ersten Schritt hinausgehende Aufgabe. (3.: Share) Abschließend werden die zustande gekommenen Ergebnisse der gesamten Klasse oder einer Kleingruppe mitgeteilt und dort ggf. weitergeführt.
Diese Definition von KL ist insofern problematisch, als sie unterstellt, dass das Vorgehen nach dem Schema Think-Pair-Share, das ja zunächst lediglich eine Sozialform darstellt, auch zu kooperativem Arbeiten führt. Zahlreiche Studien (vgl. z. B. Naujok 2000; Bonnet 2004; Krummheuer 2007) zeigen aber, dass in der gleichen Sozialform auf sehr verschiedene Arten und Weisen miteinander gesprochen und gearbeitet werden kann. Dabei ist das gesamte Spektrum von echter Ko-Konstruktion, über Helfen und Nebeneinanderher-Arbeiten bis zu offenem Konflikt möglich. Auf der Basis seiner umfassenden Studien zu Interaktion im Mathematikunterricht kommt Götz Krummheuer (2007) daher zu dem Ergebnis, dass insbesondere soziale Prozesse wie der Einfluss der Schüler*innen aufeinander die Arbeit in Gruppen ebenso stark bestimmen wie die inhaltlichen und methodischen Aspekte der Aufgabenstellung. Er folgert daher:
Hoffnungen, über bestimmte Aufgabentypen, wie sie etwa in den Diskussionen zu den Ergebnissen aus TIMSS und PISA häufig zu hören sind, oder über die Vorgaben von Gruppenstrukturen die Ergebnisse zu optimieren, halte ich für illusorisch (Krummheuer 2007, 83).
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine rekonstruktive Aufgabenstudie im Französischunterricht (Tesch 2010), die zeigt, dass selbst in einem aufgabenorientierten Unterricht die jeweils realisierten inhaltlichen und sozialen Anforderungen konkreter unterrichtlicher Lernsituationen weniger durch die Aufgaben selbst – also das Material – bestimmt werden. Vielmehr werden die Aufgaben von den Schüler*innen und Lehrer*innen an jene Struktur angepasst, die für ihre unterrichtliche Praxis charakteristisch ist. Pointiert gesagt: Die Aufgaben verändern nicht den Unterricht, sondern der Unterricht verändert die Aufgaben.
2.2.2 Kooperatives Lernen: Basiselemente
Um kooperativen Unterricht differenziert beschreiben zu können, muss daher zunächst geklärt werden, was unter Kooperativität verstanden werden soll. Dazu finden sich in der Literatur (z. B. Johnson/Johnson 2015; Gillies 2007) die sogenannten Basiselemente. Kooperativität ist danach charakterisiert durch:
1 direkte Interaktion
2 das Verfolgen gemeinsamer Ziele
3 positive Abhängigkeit
4 individuelle Verantwortlichkeit
5 gegenseitige Unterstützung
6 Erwerb und angemessener Einsatz von Sozialkompetenzen
7 Reflexion der Gruppenprozesse
In diesem Verständnis findet KL potenziell also immer dann statt, wenn Lernende miteinander in direkte Interaktion treten. Das allein genügt aber noch nicht. Diese Interaktion ist nur dann kooperativ, wenn darin auch auf gemeinsame Ziele hingearbeitet wird. Außerdem muss das gemeinsame Arbeiten so beschaffen sein, dass jede*r Interaktionspartner*in einen unverzichtbaren Anteil zum Erreichen der Ziele beisteuert und für diesen Anteil auch Verantwortung übernimmt. Das Miteinander der Teilnehmer*innen muss dabei einander unterstützend sein und der Einsatz sozialer Kompetenzen sollte erkennbar werden, mindestens durch Reflexion auf Probleme, die durch fehlende soziale Fähigkeiten entstanden sind. Besonderes Augenmerk wird auf die förderliche Interaktion („promotive interaction“) gelegt, die Johnson/Johnson (1994, 48) mit acht Qualitäten charakterisieren: gegenseitige Unterstützung, Austausch von Gedanken und Materialien, gegenseitige Rückmeldung, konstruktive Kritik der Überlegungen und Schlussfolgerungen des Partners, gegenseitige Ermunterung zu weiteren Anstrengungen, vertrauensvolles Verhalten, beiderseitigen Nutzen verfolgen, angeregtes Miteinander ohne Angst und Stress.
2.2.3 Begriffskritik aus Fremdsprachenforschung und Schulpädagogik
Sichtet man die Forschungsliteratur zu KL der letzten Jahre, so findet sich eine deutlich variantenreichere Begriffsverwendung als mit den beiden bisher genannten Definitionen abgedeckt wäre. Abgesehen von Veröffentlichungen, die den Begriff des KL voraussetzen und nicht weiter klären (z. B. Finkbeiner 2000; Law 2011) lassen sich folgende Verwendungen rekonstruieren:
1 Eher weite Definitionen verwenden ein oder zwei der oben genannten Basiselemente und verstehen KL ansonsten als eine recht freie Form eigenverantwortlicher, selbstregulierter, aktiver und offener Gruppenarbeit (Haitink/Haenen 2002; Huber 2001; Jacobs/Farrell 2001; Rankes 1999), in der sogar Ziele und Wege zwischen den Gruppenmitgliedern ausgehandelt werden und gemeinsame Wissenskonstruktion stattfinden soll (Chinnery 2008; Overmann 2002). Kooperation und Kollaboration werden dabei begrifflich nicht unterschieden (Imai 2010).
2 In anderen Studien findet sich ein deutlich engerer Begriff, der nahezu alle Basiselemente sowie die methodische Vorstrukturierung der Interaktion als notwendige definitorische Merkmale von KL umfasst (Ghaith 2002; Sharan 2010). In einer Publikation dieser Gruppe wird die stärker auf Arbeitsteilung angelegte Interaktionsform der Kooperation von der stärker auf eine gemeinsame und koordinierte Definition von Problem und Lösungsweg angelegte Interaktionsform der Kollaboration unterschieden (Dillenbourg et al. 1996).
3 Weitere Studien verwenden einerseits eine enge Definition von KL über die Basiselemente und das Moment der starken Strukturierung, nehmen andererseits innerhalb dieser vorstrukturierten Arrangements aber sehr wohl die Ko-Konstruktion von Wissen an (Dörnyei 1997).
4 In aktuellen unterrichtspraktischen Aufsätzen ist die Orientierung am Grundprinzip des Think-Pair-Share vorherrschend. Es wird entweder explizit genannt (Agethen 2012; Kraus 2012; Küppers 2012) oder implizit deutlich (Blume 2012; Schlinghoff 2012). Im Gegensatz dazu stehen Veröffentlichungen, die bewusst Bezüge zwischen KL und anderen Ansätzen wie Storyline oder Simulation herstellen (Bonnet 2009; Breidbach 2009; Fischer 2009; Stoffregen 2009).
Angesichts dieser Vielfalt von Definitionen erscheint eine zuspitzende Begriffsbestimmung sinnvoll. Dazu liegt ein Vorschlag von Rebecca Oxford (1997) vor. Zur Systematisierung der zahllosen, im Zuge der kommunikativen Wende des Fremdsprachenunterrichts in den 1970er und 1980er Jahren entstandenen Ansätze zur Inszenierung zielsprachlicher Interaktion im Fremdsprachenunterricht greift sie die Unterscheidung von Dillenbourg et al. (1996) auf und schlägt vor, drei Bereiche zu unterscheiden: „Cooperative learning, collaborative learning, and interaction are three ‚communicative strands‘ in the foreign or second language (L2) classroom“ (Oxford 1997, 443).
KL wird von Oxford – mit unwesentlich anderer Schwerpunktsetzung – analog zu den bis hierher referierten Ansätzen über die Basiselemente definiert, v. a. positive Abhängigkeit und individuelle Verantwortlichkeit. Die Autorin beschreibt übereinstimmende Befunde zu dessen Wirkungen und benennt Vorgehensweisen bei der Planung kooperativen Unterrichts; ferner unterscheidet sie vier Inszenierungstypen (Teambuilding-Methoden, Arbeitsteilungs-Methoden, Kommunikations-Methoden, Expertisebildungs- und Wiederholungs-Methoden). Aus ihrer Aufzählung wird deutlich, dass damit ausschließlich jene Methoden gemeint sind, die auf das Think-Pair-Share-Prinzip zurückgehen. Als zentrales Charakteristikum arbeitet sie heraus, dass KL ganz bestimmte Ziele – insbesondere im Bereich des sozialen Lernens – verfolgt, deren Erreichen durch eine hohe Vorstrukturierung der Interaktionsformen, die die Lernenden in engen Bahnen leiten, sichergestellt werden solle.
Im Gegensatz dazu stehe kollaboratives Lernen, das sich gerade nicht in den engen Bahnen vorgegebener Methoden, sondern vielmehr in der freien, sogar über klar definierte Projekte im engeren Sinne hinausgehenden Arbeit an „broad content-rich ideas“ (ebd., 447) vollziehe. Als zentrale theoretische Bezugspunkte benennt Oxford Deweys Pragmatismus und Vygotskys Sozialkonstruktivismus. Daraus ergäben sich Ziel und Weg dieses Ansatzes. Das Ziel sei nicht die Erreichung klar vorgegebener sozialer oder inhaltlicher Teilfertigkeiten, sondern vielmehr die bewusste, weil reflektierte Akkulturation der Lernenden in eine Lernergemeinschaft. Die dabei zu entwickelnden Fähigkeiten würden dadurch erworben, dass die Lernenden unterstützt durch Lehrende und peers in ihrer Zone der proximalen Entwicklung arbeiteten. Diese Zone könne durch entsprechende Unterstützungsmaßnahmen (scaffolding) ausgeweitet und damit deren Lerneffekte erhöht werden. Als wesentliches Charakteristikum dieses Ansatzes wird herausgearbeitet, dass die Lernenden und Lehrenden eine Gemeinschaft bilden, die durch in gemeinsamer Praxis ausgehandelte soziale und kulturelle Übereinkünfte definiert wird. Hier drängt sich die Idee der Praxisgemeinschaft (Wenger 1998) als Analogie auf, in der Lernen in gemeinsamer Arbeit an großen Themen stattfindet.
Als dritte Inszenierungsform nennt Oxford Interaktion, unter die sie eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze, wie z. B. Spiele, Rollenspiele, Simulationen oder dramapädagogische Formate subsumiert. Ein gemeinsames Charakteristikum ergibt sich in ihrer Darstellung für diese Gruppe von Ansätzen nicht, sondern sie würden dadurch verbunden, dass sie Aufgabenformate verwenden, die Interaktionsbereitschaft und zielsprachliche Kommunikation förderten, Raum für unterschiedliche Lernerstile und -strategien ließen und Gruppendynamik berücksichtigten. Dementsprechend werden in der Gegenüberstellung sowohl der Grad der Vorstrukturierung als auch der Grad der Offenheit der Aufgaben als variabel bezeichnet.
Diese dreiteilige Klassifikation macht einerseits auf wichtige kritische Aspekte aufmerksam (vgl. Kap. 2.2.3). Sie trägt aber nur bedingt zu einer Präzisierung des Begriffs bei. So bringt Oxford das KL sehr gut auf den Punkt. Ihre Ausführungen zu kollaborativem Lernen bleiben aber auf der Ebene übergeordneter Ziele (Akkulturation) und Konzepte (scaffolding), so dass es auf der Basis ihrer Überlegungen schwierig ist, kollaboratives Lernen im Unterricht als solches zu erkennen. So wird sie an keiner Stelle konkreter als die genannten „broad content-rich ideas“, so dass unklar bleibt, ob auch Projektarbeit oder task-cycles im Sinne der Aufgabenorientierung (vgl. z. B. Nunan 2005) als kollaboratives Lernen gelten können oder dafür noch zu kleinschrittig sind. Dies gilt noch mehr für den von ihr Interaktion genannten Bereich, der eigentlich eine Restkategorie für nicht in die beiden vorgenannten Gruppen passende Ansätze ist. Auch die Überlegungen von Oxford verweisen somit auf die Notwendigkeit einer begrifflichen Präzisierung, ihre Dreiteilung wirft neue Probleme auf und ist nicht trennscharf. Das terminologische Problem erweist sich damit als ein konzeptuelles Problem. Um den Begriff des KL abschließend klären zu können, müssen daher zunächst seine theoretischen Rahmungen betrachtet werden.