Читать книгу Die Zweite Welt - Andreas Egger - Страница 5
Kein leichter Weg Kapitel 2
Оглавление„Was für ein Ausblick ... bei Naar ...“ Kalad war mit dem jugendlich aussehenden Bogenschützen Gaal ein wenig über den verschlammten Steppenboden vorausmarschiert. So waren sie die ersten, die direkt neben dem Ausläufer von Naars Auge standen. Eine kalte Mittagssonne beleuchtete die Ebene und den Riss in der Welt. Die gewaltige Schlucht lag kaum fünf Schritt vor ihren Füßen und schlängelte sich südöstlich weiter ins Land hinein. Nach Norden wand sie sich hin zum Herzen der gespaltenen Welt, zu Naars Auge.
Auch Gaal war sichtlich überwältigt und stierte mit offenem Mund auf den scheinbar unendlichen Abgrund. Die beiden jungen Söldner sahen zum ersten Mal in ihrem Leben eine der Klüfte im Land. Kalad ging bedächtig zwei kleine Schritte nach vorne und beugte sich leicht vornüber, um nach unten zu spähen. Leise sprach er, fast ehrfürchtig: „Mein Vater hat mir von Naars Auge erzählt, auch von den Schluchten, die zu ihm führen, hat er mir berichtet. Nie ... niemals hätte ich etwas derart Gewaltiges erwartet.“
Gaal hatte dem nichts hinzuzufügen. Er folgte mit seinen Augen dem schier unendlichem Nichts, das sich nach Norden wandte.
Der restliche Trupp hatte sie beinahe eingeholt und mehrere der Männer kamen zu Kalad und Gaal. Brube war einer der ersten, die sich zu ihnen gesellten. Dunkel brummend, baute er sich hinter Gaal auf. Brube überragte den Bogenschützen um weit mehr als einen Kopf. Über Gaal hinweg betrachtete er den Abgrund. Ein faustgroßer Steinbrocken lag in seiner mächtigen Hand. Immer wieder warf er ihn hoch und fing ihn wieder auf. Nachdenklich stand er da, warf den Stein hoch und fing ihn wieder.
Mit den Worten, „Das wollt‘ ich schon immer mal machen“, trennte er sich von dem Stein und schleuderte ihn über Gaal hinweg in den Abgrund. Andächtiges Schweigen breitete sich aus. Nichts passierte. Weitere Gefährten gesellten sich zu ihnen, aber kein Laut ertönte.
Nur das leichte Säuseln des Windes war zu hören. Vom schweren Regen oder den krachenden Blitzen der letzten Tage war nichts mehr auszumachen. Einige wenige Wolken hingen noch vereinzelt am Himmel. Befreit von ihrer Last, verzogen sie sich langsam nach Süden.
„Habt ihr gehört? ... Hört ihr?!“, flüsterte Kalad mit belegter Stimme. Keiner antwortete. Offensichtlich hatte keiner etwas gehört. Irgendwann riss Brube der Geduldsfaden. „Pahh!“, ließ er vernehmen, drehte sich um und folgte dem Rest des Trupps, welcher mittlerweile schon an ihnen vorbeigezogen war. Bald warteten nur noch jene, die als erste angekommen waren, vergebens auf den scheinbar unendlich fallenden Stein. Leise flüsterte Kalad: „Ich dachte ich hätte ihn aufkommen hören ... du nicht?“
Mit ebensolcher Stimme antwortete Gaal: „Nein, der fällt noch immer. Wenn du mich fragst, der kommt niemals an.“
Die beiden sahen sich kurz in die Augen und verließen dann ihren vergeblichen Horchposten. Geräuschvoll folgten sie den anderen auf dem matschigen Weg.
Müde trotteten die Maultiere voran. Die großen Wagenräder waren von Schlamm und zum Teil schon verkrustetem Erdreich überzogen. Widerwillig schienen sie ihrer Aufgabe nachzukommen, knarrten und ächzten unentwegt.
Auf dem Kutschbock saß Meisterlich und blickte müde auf die Söldner, die vor ihm marschierten.
Selten benutzte er seine Peitsche. Ebenso träge wie seine Maultiere, schien Meisterlich Verständnis für die lethargische Ausführung ihrer Arbeit aufzubringen. Müde saß er da und wurde von Tag zu Tag immer erschöpfter. Es war nun der fünfte Morgen, seit sie den nach Naars Zweifel reisenden Händler mit seinen Söldnern getroffen hatten. Dennoch konnte er seinen Berufskollegen nicht aus seinem Geist drängen. So sehr er es auch versuchte, immer wieder dachte er an ihn und an Naars Auge. Immer schlechter schlief er in der Nacht und heute würde er mit Sicherheit auch keine Erholung finden. Spätestens morgen mussten sie Naars Auge erreichen.
Es wurde allgemein wenig gesprochen. Schwer lag die gewaltige Schlucht auf der rechten Seite des Weges auf den Gemütern. Der träge Marsch ließ nunmehr wenig Freudiges zurück.
Plötzlich riss Garantor den rechten Arm hoch und murrte über die Schulter nur ein dumpfes „Oger!!“
Die wenigen Wortwechsel verstummten, und die Mannen blieben ruckartig stehen. Bis auf Meisterlich. Er hatte wohl nichts gehört und fuhr stetig weiter. Mauran Falkenflug war einer der Hintersten im Trupp. Gerade hatte er sich noch mit Brand unterhalten. Nun lief er behände die wenigen Fuß zu Meisterlich, zerrte an den Zügeln der Maultiere und gab dem Händler ein Zeichen, dass er sich ruhig verhalten solle. Meisterlich erschrak, riss die Augen panisch auf. Seine Gesichtszüge erstarrten. Er verstand jedoch, um was es ging und bremste die murrenden Tiere mit festem Ruck ab.
Dann lief Mauran nach vorne, an die Seite Garantors.
Der Zwerg stand einfach da, schnüffelte in der Luft und blickte konzentriert geradeaus. Alles war ruhig. Keiner sprach. Alle sahen nach Norden und versuchten etwas zu erkennen.
„Verdammtes Biest ... ich sehe dich“, raunte Garantor und richtete den Zeigefinger nach Norden, auf einen Punkt, den außer ihm wohl keiner ausmachen konnte. Das weite Land schien bis zum Horizont nichts als ein paar Felsen und einige wenige hagere Fichten zu beherbergen. Mauran blickte konzentriert nach Norden. „Wie viele an Zahl zeigten sich euch?“
Der aristokratische Zungenschlag Maurans schien genauso fehl am Platz, wie die Schnörkel und Strickmuster an seiner Kleidung.
Garantor antwortete zögernd, jedoch keineswegs unsicher: „Es ist einer ... nur einer. Er ist ausgewachsen.“ Der Zwerg hob seinen Kopf ein wenig mehr in die Höhe, schnüffelte erneut. Kurz darauf sprach er weiter: „Ein Mann. Und wenn ich meinen Augen trauen kann, sitzt er einfach nur da, hinter einem Felsblock. Ich kann nur den Schädel erkennen. Er überragt den Fels.“
Mehrere Mannen standen um Garantor herum. Ein jeder wusste um seine gute Nase in Bezug auf Oger und an seiner Sehschärfe hatte schon längst keiner mehr Zweifel.
Cebrid hatte seinen Zweihänder aus der Scheide gezogen und lehnte sich leicht auf ihn. Offensichtlich wusste er nicht recht, was zu tun war, oder was er sagen sollte. Ähnliche Gesichtsausdrücke waren in so manchem Antlitz festzustellen. Der Wind änderte leicht die Richtung. Garantor senkte seinen Kopf wieder auf normale Höhe und drehte sich zu Mauran Falkenflug. Mit der Rechten kratzte er sich am Bart während er sprach: „Verdammt! Was sucht ein einzelner Oger hier? Was macht er einen halben Tagesmarsch von seinem verdammten Sumpf entfernt?“
Von hinten meldete sich Brube: „Ich wette, der fette Trottel hat sich verlaufen.“ Ein kindliches Grinsen lag auf seinem Gesicht und mehrere Männer konnten sich ein bescheidenes Lächeln nicht verkneifen. Kurz blickte Garantor nach hinten, und sah grimmig in Brubes Augen. So schnell wie das Lächeln gekommen war, verschwand es wieder.
„Verdammt ...“, murmelte der Zwerg nochmals. Cebrid hatte nun genug gegrübelt. „Du bist sicher, dass es nur einer ist?“, hakte er nach.
Garantor antwortete schnippisch: „Du meinst die Frage ernst, oder?“
Verlegen kratzte sich Cebrid an der linken Wange. „‘tschuldigung ... ich versteh‘ bloß nicht, was ein Oger allein so weit im Süden tut. Ich dachte halt, ich frag nochmal ... Hätte ja sein können ...“
Cebrid sprach nicht mehr weiter. Wozu auch? Nichts Treffliches wollte sich in diese unsichere Ausführung einschleichen.
Thef kam lautlos heran und stand auf einmal unbemerkt vor Garantor. Er war nur um weniges größer als der Zwerg und blickte ihm auf gerader Linie in die Augen, als er sprach: „Wo liegt das Problem? ... Gehen wir und schlachten das Schwein!“
Garantor schien diesen Plan als befriedigend zu erachten. Zustimmendes Nicken und geschürzte Lippen zeugten von seinem Einverständnis. „Guter Plan“, sagte er, und fügte nach kurzer Pause noch hinzu: „Ich hab zwar keine Ahnung was der Oger da macht, aber er ist alleine ... und er hat es nicht verdient zu leben!“
Garantor gab Anweisung, den Oger einzukreisen und ihn in die Zange zu nehmen. Mauran Falkenflug marschierte mit seinen Leuten zur Rechten und Cebrid zur Linken des Zwergs. Brand befand sich mit seinen Bogenschützen direkt hinter Garantor und prüfte während des Marschs einige Pfeile. Meisterlich fuhr ein Stück hinter seinen Söldnern. Hier war er sicher, so hoffte er wenigstens. Es war allgemein bekannt, dass Oger einfach blindlings angriffen, wenn sie auf andere Lebewesen des Landes trafen. Egal ob es Tod oder Sieg bedeuten sollte. Zielsicher führte Garantor seine Leute voran. Der Fächer seiner kleinen Armee wurde immer breiter. Immer weiter zogen sich die Söldner auseinander und immer näher kamen sie ihrem Ziel.
Das Rasseln der verschiedensten Rüstungen lag in der Luft und ließ sich weithin vernehmen. Kräftig schnaubte Zrak durch seine Nüstern, spannte seinen breiten Nacken und lockerte die Muskeln wieder. Die Männer waren bereit und immer näher kam der Felsblock, hinter dem der Oger sich verbarg. Sie waren noch ein gutes Stück entfernt, als das gewaltige Wesen sie bemerkte und aufschrak. Mit dumpfem Grollen rappelte der Koloss sich auf die Füße und sah sich um. Schnell erblickte er seine Gegner. Er ballte die wulstigen Fäuste und brüllte, was sich eher wie grollender Donner anhörte. Sein riesiges Maul war weit aufgerissen, sein ovaler Schädel leicht nach vorne gebeugt. Die breite, unbehaarte Brust des über zweieinhalb Schritt großen Ogers hob und senkte sich mit seinem dumpfen Gebrüll. Man konnte nicht wirklich von einem muskulösen Monster sprechen, wenn man dieses Wesen genauer ins Auge fasste. Viel mehr schien er wie ein viel zu großer Mensch. Fett, mit wahrlich dummem Gesichtsausdruck, spärlichem Haarwuchs und vereinzelten schrägen Zähnen im weit offen klaffendem Maul. Ein Schimmer von Intelligenz war jedoch in den milchigen Augen zu erkennen. Gehüllt in ein vor Schlamm stehendes Bärenfell, stand er da. Stinkend und schmutzig. An einem Gürtel aus geflochtenem Hanf hing eine verschwindend kleine Keule, verglichen mit der Größe des Ogers.
Entschlossen brummte Garantor in seinen Bart. Plötzlich jedoch geschah etwas, mit dem wohl keiner gerechnet hatte. Der Oger wand sich um in Richtung Norden, Richtung Naars Auge und fing an zu laufen.
Garantor traute seinen Augen nicht, schrie: „Verdammt, was soll das? ... Brand!!!“
Der alte Schütze hatte schon längst verstanden und feuerte mit seinen Mannen eine Salve auf den fliehenden Oger ab. Keiner der vier Schützen konnte einen Treffer landen. Zu groß war die Entfernung.
„Nochmal! Verdammt schießt!!!“, brüllte der Zwerg. „Der scheucht uns den ganzen Sumpf auf! Lasst ihn nicht entkommen!!“
Während der Anführer brüllte, flog die zweite Salve über seinen Kopf hinweg in Richtung des sich entfernenden Ogers. Vergebens. Wütend schnallte Brube seine Hellebarde wieder auf den Rücken und knurrte: „Den hol‘ ich ein, wenn du willst ...“
Garantor gestikulierte mit beiden Händen, während er seine Befehle gab: „Cebrid und deine Leute, Brand und der Rest der Schützen bleiben hier mit mir beim Händler.“ Daraufhin wandte er sich an Mauran Falkenflug: „Du ... Falke, verfolgst mit dem Rest den Oger. Du musst ihn einholen. Wer weiß, wo in dem verdammten Sumpf seine Sippe haust!!“
Schon rannten sie los, mit wildem Geschepper und Kampfgebrüll. An Thef hatte Garantor keinen Befehl gerichtet. Er war neben dem Zwerg geblieben. Sie waren wohl beide der Ansicht, dass eine Verfolgungsjagd dieser Art nicht zu seinen Aufgaben gehörte.
„Verdammt, verdammt ...“, brummte der Zwerg und überdachte noch angespannt die Situation. Er machte sich Gedanken darüber, ob er die vier Bogenschützen, oder wenigstens zwei von ihnen, mit dem Verfolgungstrupp hätte mitschicken sollen. Bald hatte er diesen Gedanken jedoch verworfen. Zum einen hatte der unmittelbare Schutz des Händlers oberste Priorität und zum anderen waren Oger recht plump. Nicht schnell genug, um den menschlichen Streitern entrinnen zu können. Kurz blickte er auf Meisterlich. Der schien zwar nervös, aber anscheinend hatte er sich unter Kontrolle.
Grimmig packte Cebrid seinen Zweihänder in die Scheide. Ebenso wie die anderen Männer war er enttäuscht und nervös. Nervös, weil er um ihrer aller Sicherheit bangen musste und enttäuscht, weil er hierbleiben musste, anstatt seinem Bruder zur Seite zu stehen. Dennoch stellte er Garantors Einschätzungsvermögen nicht infrage. „Marschieren wir weiter?“, fragte er schnell. Sein Drang voranzukommen war offensichtlich.
Mit der Rechten gab Garantor das Signal zum Aufbruch. So schnell es der schwere Händlerwagen zuließ, setzten sie die Reise fort. Etwas später kam Brand zu Garantor und entschuldigte sich für sein Unvermögen und dem seiner Männer. Freundschaftlich entgegnete der Zwerg: „Hör auf Brand. Für solches Gewäsch kennen wir uns schon viel zu lange. Vergiss es einfach.“
Der verständnisvolle Tonfall Garantors beruhigte Brand sichtlich.
Nach kurzer Zeit war der Verfolgungstrupp sogar für die geschärften Sinne des Zwergs außer Sichtweite geraten.
Thef grübelte die ganze Zeit vor sich hin und schritt lautlos aus, als sei er ein Schatten. Irgendwann äußerte er seine Gedanken an Cebrid gerichtet: „Glaubst du, das war ein Späher oder irgendwas in der Richtung? Ich meine … warum sonst sollte ein Oger weglaufen? Oger laufen nicht weg ... niemals!“
Cebrid sah Thef nur mit verdutztem Gesicht an, als habe ein derartiger Gedanke keine Antwort verdient.
Fest in seinen schwarzen Mantel gehüllt, richtete Thef den Blick nach vorne und verwarf diese irrwitzige Vorstellung.
Schwerer Atem und klatschende Stiefel erfüllten die Luft unter der ruhigen Nachmittagssonne. Mauran Falkenflug hatte nur eine ungefähre Ahnung davon, wie weit sie nun wirklich von Naars Auge und dem Toten Sumpf, in dem die Oger lebten, entfernt waren. Recht viel mehr als ein halber Tagesmarsch konnte es jedoch nicht mehr sein. Immer breiter wurde die Schlucht zur Rechten der Mannen und wirkte immer kolossaler und bedrohlicher.
Nichts war mehr vom Kampfgebrüll der mutigen Verfolger zu hören. Ja selbst Brube sparte sich seinen Atem für den anstrengenden Dauerlauf. Zu schnell und ungestüm waren sie dem vermeintlich langsamen Oger hinterhergestürmt. Der Oger bewegte sich noch immer mit großem Abstand vor seinen Verfolgern und schien nicht langsamer zu werden. Konstant und eigentlich zu behände für seine wuchtige Gestalt, schritt er aus. Die Mannen rannten schon ein beachtliches Stück des Nachmittags und mehrere unter ihnen würden dieses Tempo nicht mehr länger durchhalten, geschweige denn in der Lage sein, schneller zu laufen, um den Oger endlich einzuholen.
Mauran Falkenflug war sich dessen durchaus bewusst und es lag an ihm, eine Entscheidung zu treffen. Er selbst rannte ganz vorne und gab zusammen mit dem unermüdlichen Zrak das Tempo an. Des Öfteren blickte er sich um, nach denen die hinter ihm folgten und versuchte abzuschätzen, wie viele von ihnen ein schnelleres Tempo durchhalten würden.
Mauran selbst hatte mit der momentanen Geschwindigkeit aufgrund seiner sehnigen Statur und den wenigen leichten Rüstungsteilen, die er trug, kein Problem. An Zrak verschwendete er gar keinen Gedanken. Mauran war überzeugt, der Minotaur würde auch mit der doppelten Geschwindigkeit fertig werden. Leicht sarkastisch dachte er bei sich ‚in der Tat … ein Stier ist er ...‘
Der schwere Atem Brubes drang konstant an Maurans Ohr. Dennoch würde Brube es schaffen. Und sei es nur, weil Mauran nicht glauben konnte, dass diesen Mann irgendetwas aufhalten könnte.
Die jungen Rekruten Kalad und Klai waren leicht gerüstet und beide schienen den Strapazen standzuhalten. Veoen, einer der jüngsten im Trupp, trug einen leichten Plattenpanzer. Sein roter Kopf und der unregelmäßige Atem würden ihn bald zum Aufgeben zwingen. Auch Ypek und zwei weitere Männer atmeten schwer und fingen schon an zurückzufallen. Der letzte der zehn Verfolger war Dimite. Er war soeben stehen geblieben. Mit der einen Hand stützte er sich schwer auf sein rechtes Knie. Speichel rann ihm über den Bart. Gänzlich verausgabt, hob er die linke Hand in Richtung seiner Gefährten, als wolle er sich entschuldigen. Außer Mauran hatte noch niemand bemerkt, dass Dimite zurückgeblieben war und Dimite selbst fand sich wortlos damit ab. Mauran hatte an Dimites Haltung erkannt, dass es ihm unmöglich war, weiter zu laufen, ja sogar unmöglich, durch seine überforderten Lungen ein Wort der Entschuldigung zu pressen.
‚Fünf Mann bleiben übrig‘, dachte Mauran. Kurz machte er sich noch Gedanken darüber, ob sie den Oger überhaupt einholen würden, über den Druck, der ihn zwang, mit lediglich vier weiteren überanstrengten Kriegern gegen dieses Monster anzutreten, über die Gefahr, die unweigerlich aus dem Sumpf bei Naars Auge auf sie niederbrechen musste, sollten sie den Oger nicht stellen.
Es musste sein. Mauran wusste es. „Wir müssen unser Tempo erhöhen! … So wir das Untier ... einholen wollen … Zrak ... gebt das Tempo an. Alle die es schaffen, folgen ... Der Rest trifft uns im Kampf ...“
„Gut!“, sagte Zrak und zog dabei mit Nachdruck Luft in seine Lungen.
Mehr war nicht zu sagen. Unverzüglich beschleunigte er seinen Schritt und die anderen zogen nach. Es dauerte nicht lange, bis Veoen aufgab. Ohne ein Wort reduzierte er seinen Lauf auf ein langsames, fast qualvolles Gehen. Die Überanstrengung und der Schmerz waren in sein Gesicht geschrieben. Er sank auf die Knie. Sie platschten in den schweren Schlamm und Veoen rang um Atem.
Nur langsam näherten sich die Recken dem immer noch gleichmäßig vorankommenden Oger. Zu langsam. Ebenso wie die Anstrengung des Laufens, war den Männern die Verwunderung über diesen Oger ins Gesicht geschrieben. Zu schnell und vor allem konstant war er für sein Volk. Außerdem würde ein Oger eigentlich nicht die Flucht ergreifen. Dieses Volk hatte keine Vorstellung von Strategie, Übermacht oder Unterzahl. Es ging lediglich um den Kampf und um das Töten. Auch wenn dies den eigenen Tod bedeuten sollte.
Die Zeit verstrich und der Nachmittag wand sich gen Abend. Bald würde die Sonne versinken und alles würde sich noch um einiges schwieriger gebaren. Wie es Mauran vorausgesehen hatte, waren sie nur noch zu fünft. Einer nach dem anderen musste aufgeben und immer noch war der Oger ein gutes Stück entfernt. Zudem war Mauran seit einiger Zeit bewusst, dass die anderen sie nicht mehr einholen würden. Jedenfalls nicht, bevor der Kampf entschieden war.
Mit einem feinen Spitzentuch fuhr sich Mauran des Öfteren über die Stirn. Verschwitzt und voller Schlamm trieb er sich weiter voran. ‚Was würde Garantor wohl machen?‘, dachte er bei sich. Nach kurzem Nachdenken wusste er es und trotz der Anstrengung konnte er sich ein angedeutetes Lächeln nicht verkneifen. ‚Fluchen ... Garantor würde einfach nur fluchen‘. Diese Erkenntnis brachte Mauran zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich weiter. Dennoch kreisten seine Gedanken um den Zwerg und sein notorisches Fluchen. Kurz darauf jedoch kam der Geistesblitz, auf den Mauran wartete. ‚Fluchen ... Ärgern ... Zorn ...‘
Das war es! Händeringend sammelte er Atem, formte abgehackte Worte: „Zrak, bringt den Oger zum Stehenbleiben. Macht ihn wütend! Ihr müsst es schaffen. Ihr könnt ihn einholen, auf ein paar Schritt ... er wird euch töten wollen. Kein Oger könnte dieser Verlockung widerstehen ... so können wir an ihn herankommen. Ihr weckt seine Instinkte!“
Die kugelrunden Augen des Minotaurs stierten fragend auf Mauran Falkenflug, während er seinen Plan schilderte. Nun verstand Zrak und schnaubte belustigt. So etwas wie ein tierisches Grinsen entblößte seine stumpfen Mahlzähne. Zraks schwerer Brustkorb hob und senkte sich kaum mehr als bei einem Spaziergang und mit den Worten „Die Kinder Naars haben viel Phantasie“, rammte er seine Hufe noch fester in den Matsch und beschleunigte seinen Lauf in Richtung Norden.
Mauran atmete innerlich auf. Er hatte befürchtet, Zrak würde ablehnen. Jeder Mensch würde diese Aufgabe als Selbstmordkommando ansehen. Einen Oger alleine verfolgen und ihn ärgern, bis er dich zerfleischt. Im Nachhinein erschien ihm der von ihm selbst gefasste Plan verrückt, aber was sonst sollte er machen?
Zwischen zwei schweren Atemzügen röchelte Brube: „Der macht das ...“ Mit nachdrücklichem Nicken unterstrich er seine Überzeugung.
Mit geblähten Nüstern stampfte der bullige Minotaur voran, wobei ihm der schnelle Lauf weniger Probleme bereitete, als das Finden einiger beleidigender Worte. Das war irgendwie nicht das Ressort der “suchenden” Stiermenschen.
Mit stetem Lauf und donnernden Hufen näherte er sich dem schwer atmenden Oger. Als Zrak bis auf einen Steinwurf an seinen Gegner herangekommen war, bemerkte ihn der Verfolgte. Der Oger schnaubte wütend, was sich aber eher wie ein Röcheln nach Luft anhörte. Speichel triefte ihm aus dem riesigen Maul. Kurz drehte er seinen Schädel, blickte nach hinten und brüllte eine kurze Warnung: „Kaal sagen!! Nicht kämpfen! ... Nicht töten ... Geh weg ... Weg!“
Der Oger setzte seinen Weg fort, lief mühsam, aber konstant. Schwer spritzte der Matsch bei jedem Schritt zur Seite. Ebenso schwer wie sein massiger Körper erzitterte und bebte.
Auch Zraks Mund öffnete sich ... stand kurz offen und schloss sich wieder. Es passierte nichts. Die beiden liefen einfach, konstant und gleichmäßig. Wieder schien es, als wolle Zrak etwas sagen. Seine stumpfen Zähne waren kurz zu sehen, dann jedoch schloss er erneut den Mund, ohne einen Laut von sich zu geben. Unveränderlich und monoton hob und senkte sich die Brust des Minotaurs, obwohl nun auch bei ihm Anzeichen von Erschöpfung zu sehen waren. Der Schweiß rann ihm über die breiten Stierbacken und gelegentlich drang ein tiefes Grunzen aus seinen Nüstern. Er würde das Tempo des Ogers halten, aber das war nicht seine Aufgabe.
Etwas musste passieren, und so war es dann auch. Verbal fand sich nichts Passendes in seinem Geist. Doch konnte er diese Lücke auf andere Weise schließen. Im Lauf bückte sich Zrak und packte einen faustgroßen Stein mit der Rechten, holte weit aus und warf ihn mit aller Wucht nach seinem Gegner. Platschend und schlitternd ging der Stein neben dem Oger nieder. Jener strauchelte kurz und schien in seinem trägen Hirn etwas abzuwägen, rannte dann jedoch weiter.
Laut schnaubte Zrak, brüllte vor Ärger und fand in sich endlich passende Ausführungen. „Verdammtes Ogerschwein! Ich dachte, dein kranker Schöpfer hat dich zum Töten verdammt. Derweil fliehst du deinem Schicksal. Es scheint, Grors Schöpfung ist noch bemitleidenswerter, als er uns glauben machen wollte!“
Das Schreien war sehr anstrengend und zeigte dennoch keine Wirkung. Noch einmal griff Zrak einen Stein aus dem Lauf. Mit Schlamm bedeckt und ein wenig größer als der vorherige, lag er unausgewogen in der wuchtigen Hand des Stiermenschen. ‚Ein wenig näher‘, dachte Zrak bei sich und näherte sich dem Oger auf kaum fünfzehn Schritt. Nun galt es. Geräuschvoll atmend fasste er den schweren Stein mit beiden Händen, zog ihn dann, in der Rechten liegend nach hinten und schleuderte den Brocken mit all seiner Kraft nach vorne.
Mit einem schmerzerfüllten „Wraaahh!!“, blieb der Oger stehen. Der Stein hatte ihn am Rücken getroffen. Wenn auch keine wirkliche Verletzung entstanden war, schien das Ungetüm nun seinen Instinkten nicht länger Herr. Es drehte sich dröhnend prustend um. Die Wut schien das wenige an Intelligenz, welche dem Oger innewohnte, ausgelöscht zu haben. Er brüllte. Wie Donner rollte sein Schrei über die aufgeweichte Öde. Weit riss er die Arme auseinander und bot seine gewaltige Größe gegen den Verfolger. Speichel triefte ihm aus dem Maul und die massige Brust hob und senkte sich, stockend und zuckend vor Wut. Seine Linke fuhr an sein Becken, wo sich die einfache Holzkeule aus Buche befand. Krumm, voller Dellen und Risse, hing sie nicht länger, sondern befand sich nunmehr in seiner linken Hand. Sein groteskes Brüllen zeugte von unstillbarem Hass, welcher dieses Wesen in Besitz genommen hatte. Der Oger warf sich nach vorne, die Keule hoch erhoben. Schlamm spritzte nach allen Seiten, doch seine Schritte waren sicher und zielstrebig.
Zrak hatte wenig Zeit zu denken. Mit der Rechten packte er die schwere Streitaxt, die auf seinen Rücken geschnallt war, riss sie über seinen Kopf hinweg vor sich und fasste sie fest mit beiden Händen. Er schnaubte noch einmal, verzog entschlossen die Miene. Seine Mahlzähne bleckten auf und er stürmte auf seinen Gegner zu.
„Verdammt“, keuchte Brube „Wir müssen uns beeilen!“
Mauran Falkenflug hatte nichts Besseres zu entgegnen, als ein abgehacktes „In der Tat ...“
Die kleine Gruppe mühte sich voran. Das Kampfgebrüll des Ogers war bis zu ihnen gedrungen, obwohl sie noch gut dreihundert Schritt zurücklagen. Lediglich schwache Umrisse der zwei kämpfenden Kreaturen waren in der Dämmerung zu erkennen. Kalad keuchte lautstark, unkoordiniert kamen seine Füße ihrer Arbeit nach. Unbarmherzig zerrte der spritzende Schlamm der aufgeweichten Erde an den Reserven der vier entkräfteten Verfolger. Die Schatten der vereinzelten Sträucher und Bäume waren bereits weit länger als ihre Erzeuger. Jeder Schritt schien ewig zu währen. Atem holen und weiterlaufen, nichts weiter zählte. Die Sonne glich einer riesigen Sanduhr, entleerte sich langsam hinter einem kleinen Hügel, wollte vom Versagen der Mannen künden.
Grunzen und Schnauben von Oger und Minotaur war zu hören. Gelegentlich ein Brüllen oder das Klatschen einer Waffe auf dem Matsch. Die Umrisse der beiden waren nun gut zu erkennen. Sie standen sich gegenüber, suchten nach der richtigen Attacke, dem finalen Hieb.
Es schepperte. Kalads Kettenrüstung und Scheide rieben unmelodisch aneinander, als er vornüber in den Schlamm fiel. Zu träge waren seine Beine, wollten oder konnten dem kleinen Stein im Schlamm nichts entgegenhalten und versagten ihren Dienst.
‚Vier‘, dachte Mauran bei sich, während er tief Atem holte.
Ohne ein Wort zu verlieren, beschleunigte Brube seinen Lauf zu einem Sprint, ignorierte seinen Körper, zwang ihn zu jeder erforderlichen Anstrengung. Sollte es noch etwas zu kämpfen geben, würde er da sein. Egal ob er dann noch die Kraft dazu hatte, oder nicht. Seine Hellebarde hatte Brube schon vor einiger Zeit vom Rücken geschnallt. Der lange Schaft hatte ihn beim Laufen behindert. Er hielt sie fest umschlossen in seiner Rechten, gleich oberhalb des schweren Blattes. So ragte die Waffe weit hinter ihn zurück und wiegte sich im Lauf. Mauran und Klai folgten dichtauf. Beide zogen im Laufen ihre Waffen. Die Arme überkreuzt, zog Mauran Dolch und Degen bester zwergischer Machart, aus seinem so dezent wie kostbar verzierten Gürtel. Feineres oder teureres Stahl gab es nicht. Weit weniger wertvoll war die Ausrüstung des jungen Klai. Ein ausgewogenes Langschwert in der Rechten und einen kleinen Rundschild aus gehärtetem Eisen in der Linken. Dennoch machte er einen stolzen Eindruck. Entschlossen und kampfbereit, wenn auch schweißüberströmt, mit stechendem Schmerz in der Brust. Die Zuversicht der Jugend und das Vertrauen auf seine Gefährten lagen blitzend in seinen kastanienbraunen Augen.
Zrack spannte seine Muskeln und warf sich zur Seite. Mit dumpfem Krachen ging die schwere Keule neben ihm nieder. Es war nicht das erste Mal, dass er einem dieser wuchtigen Hiebe gerade noch ausweichen konnte. Sein rechter Arm hing schlaff an seiner Seite. Die schwere Doppelaxt lediglich mit der Linken führend, hielt er die Stellung, mehr schlecht als recht.
Entkräftet rappelte er sich auf, um die nächste Attacke abzuwehren. Surrend sauste die Keule eine Handbreit vor seiner flachen Stirn vorbei. Als Rechtshänder konnte Zrak nicht viel mit der schweren Waffe in der Linken anfangen, doch er hatte keine Wahl. Mit der ihm verbliebenen Kraft, führte er eine schwere Gegenattacke. Er drehte sich im Kreis, nach links verlaufend, die schwere Waffe in der horizontalen, am hintersten Ende des Schaftes gepackt. Mit dem Gewicht seines Körpers und der Wucht der Fliehkraft, krachte die Axt mit dem vollem Blatt gegen Hand und Keule des Ogers, welche jener gerade zurückzog, um eine neue Attacke zu starten. Laut heulte der Getroffene auf. Die Keule flog mehrere Schritt nach hinten. Der Oger blickte auf seine verletzte Hand, dann auf Zrak. Mit aller Gewalt brüllte er und breitete die Arme aus, wobei er seine getroffene Linke zur Faust ballte und wieder öffnete, wohl um sich zu versichern, dass sie noch einsatzbereit war. Kurz schien es, als wolle er sich auf den Minotaur werfen. Dann jedoch blickte er an ihm vorbei auf Brube, der wie ein wilder Büffel angerannt kam, dicht gefolgt von Klai und Mauran.
Schnell wand sich der Oger um. Mit einem weiten Satz war er wieder bei seiner Keule und ergriff sie ungeschickt mit seiner tauben Hand. Dann richtete er sich auf, brüllte seinen Hass gegen seine Gegner laut heraus, griff jedoch nicht wieder an. Erschöpft stand er da, brüllte und keuchte abwechselnd, massierte mit der Rechten seine Schlaghand und schöpfte Atem.
„Haltet ... ein!! ... Brube!!“, rief Mauran stockend. „Die Zeit ... arbeitet nun für uns ... Haltet ein ...“ Wenn man sich den ansonsten gutaussehenden Mann näher anschaute, konnte man nachvollziehen, was er eigentlich sagen wollte. Komplett außer Atem stolperte Brube heran, die Miene verzogen, schweißüberströmt und vom Schlamm besudelt. Gefolgt von Klai, der keineswegs einen besseren Eindruck erwecken mochte. Zudem hielt er sein Schild bedenklich niedrig in der kraftlosen Linken, so, als könne er es nicht mehr länger tragen.
Dermaßen geschwächt in den Kampf zu gehen, war keineswegs ratsam. Dieser Oger würde hier seinem Leben entsagen. So oder anders. Doch lag es nicht im Interesse Maurans, Verletzte, oder gar Gefallene zu beklagen.
Brube war nie ein Mann von Vernunft. Zu diesem Zeitpunkt jedoch geschwächt genug, um Mauran Gehör zu schenken. Er wurde langsamer und kam keuchend neben Zrak zu stehen, legte die Hände auf die Knie und rang nach Atem, ohne jedoch den Oger aus den Augen zu lassen.
Würde ein unbeteiligter das Szenario erblicken, mochte er wohl lachen oder weinen. Beides schien in gleichem Maße angebracht. Der Oger und seine Verfolger standen sich gegenüber. Alle schwitzend, dreckig und keuchend. Keiner schien irgendetwas anderes zu tun, als nach Atem zu ringen. Abgesehen von Zrak und dem Oger selbst. Die massierten zusätzlich ihre verschiedenen Quetschungen und Prellungen. Ja selbst die Götter würden wohl voller Unverständnis auf dieses Szenario blicken.
„Gror soll dich holen, Kaal ... Wrahhh ...“, raunte der Oger nun, mehr zu sich selbst, als zu sonst jemandem. Sein träges Gehirn schien mit sich selbst zu ringen. Die Gefährten hatten dafür wenig Interesse. Zu sehr waren sie mit sich selbst beschäftigt.
Es war Mauran, der die Initiative ergriff. Er bewegte sich nach rechts, langsam, kräfteschonend, doch bestimmt und wachsam. Klai folgte seinem Beispiel und wich nach links aus. Zrak schüttelte den Schädel, knurrte wütend und versuchte, seinen rechten Arm zu bewegen. Einen Schmerzensschrei unterdrückend, unterließ er seine Anstrengungen und blickte zu Brube. Nur kurz trafen sich die Augenpaare der beiden Waffenbrüder. Brube verstand, brachte sich in die Senkrechte und fasste seine Hellebarde fest mit beiden Händen. Nun rappelte sich auch Zrak träge auf. Unsicher stampfte er seine Hufe in den spritzenden Untergrund. Fast kampfunfähig aber zu allem bereit, fasste er die Axt fester mit der Linken und ließ sie in weiten Kreisen um seinen Kopf wirbeln.
„Wrahhhhhhh!!!“, brüllte der Oger. Offensichtlich war er mit der Beweglichkeit seines Schlagarmes nicht zufrieden. Dennoch erkannte er die Zeichen, und wollte zum Angriff übergehen. Kurz blickte er in die Runde und bewegte sich langsam rückwärts, um nicht zwischen drei Fronten zu geraten. Seine Augen fixierten die Gegner. Offensichtlich verfügte er über die Fähigkeit, den Kampf nach gewissen Kriterien einzuschätzen.
Nun ging alles sehr schnell. Er griff nicht einfach blindlings an, sondern warf sich mit wütendem Gebrüll ruckartig nach links, gegen Mauran. Jener erschrak kurz und sprang katzengleich nach links, in Richtung seiner Kampfgefährten, während er einen gezielten Stich mit dem Degen gegen das Knie des Ogers führte. Mit lautem Aufbrüllen stand der nun da, wo sich einen Augenblick zuvor der sehnige Mensch befunden hatte. Er nahm sich nicht die Zeit, die Stichwunde an seinem Unterschenkel zu begutachten, holte weit aus und drehte sich, um Mauran mit einem wuchtigen Hieb zuzusetzen. Der hatte sich jedoch nicht ohne Grund vor Brubes Füße geworfen. Brube hatte schon in weitem Bogen ausgeholt und rammte das Blatt der Hellebarde tief in das Fleisch unterhalb der rechten Schulter des Riesen, noch ehe dieser seinen geplanten Hieb ausführen konnte.
Blut spritzte nach allen Seiten. Schmerzerfüllt heulte der Oger auf. Im gleichen Moment stürmten Klai und Zrak mit Gebrüll los, um dem vermeintlich bezwungenen Gegner den Garaus zu machen. Brube wollte seine Waffe lösen und zog am Schaft, um das Blatt aus dem Fleisch zu befreien. Immer lauter heulte der Oger. Nun klang es jedoch mehr nach Mordlust, als nach Schmerz. Mit seiner monströsen Pranke fasste er den Stiel der Hellebarde, riss sie aus seinem Körper und dann zu sich heran. Brube, ein Koloss von gut hundertfünfundzwanzig Stein, flog förmlich gegen die Keule des Ogers. Mit dumpfem Krachen ging sie auf die ungeschützte Stirn des Hünen nieder. Ohne einen Ton sackte Brube in sich zusammen und löste seine Hände kraftlos vom Schaft der Hellebarde.
In dem Moment als Mauran auf die Füße kam, zischte Zraks Axt an ihm vorbei und rammte schwer das linke Schulterblatt des Ogers. Die Keule fiel ihm aus der Hand, während er brüllte, als wolle er das Erdreich zum Bersten bringen. Nun kam Klai von der Rückseite. „Friss Stahl!“, fluchte er im Kampfrausch und bohrte sein Langschwert in den Rücken der Bestie.
Mauran machte einen Satz zurück, ließ seine Waffen fallen und versuchte, Brube vom Kampfplatz wegzuziehen, jedoch ohne Erfolg. Der leblose Körper seines Freundes war einfach zu schwer. Mauran konnte keinen Halt zu finden, rutschte aus und setzte sich auf den Hosenboden.
„Zrak!!“, rief er noch, dann griff Mauran wieder nach seinen Waffen. Zrak hörte ihn, war aber damit beschäftigt, einen erneuten ungeschickt geschwungenen Angriff gegen den schwer verwundeten Oger zu starten. Der jedoch drehte sich unter Schmerzen zur Seite, wobei er zum einen dem Angriff Zraks ausweichen konnte und zum anderen Klai samt seinem Schwert zu Boden warf. Die Axt des Minotaur, die nun ziellos durch die Luft sauste, nahm ihrem Träger beinahe das Gleichgewicht. Knurrend ließ er die schwere Waffe los. Sie flog ein gutes Stück und landete in einem toten Brombeerstrauch.
Klai kämpfte sich unterdessen ungeschickt auf die Beine. Auch Mauran richtete sich auf, den Dolch in der Linken und den Degen in der Rechten. Zrak hastete zu Brube, um ihn fortzuzerren.
Der Oger stand wackelig auf seinen Füßen und stöhnte vor Schmerz und Wut. Die erbeutete Hellebarde lag nun in seiner Rechten. Sie wirkte trotz ihrer Größe zu zierlich für die mächtige Faust, die sie umschloss. Der Oger holte weit aus, und fixierte Klai. Mit lautem Zischen zerschnitt die Hellebarde die Luft. Der Jüngling sah die Waffe kommen, konnte aber nicht mehr reagieren. Das leichte Kettenhemd, das er trug, war kein ausreichender Schutz. Von links nach rechts riss ihm der gewaltige Streich die Bauchdecke auf.
In der Zwischenzeit hatte Zrak den immer noch reglosen Brube unter großen Mühen ein Stück weggezogen und wand sich suchend in die Richtung, in der seine Axt entschwunden war. Mauran hingegen sprang von hinten auf den Rücken des Ogers, vergrub blitzschnell seinen Dolch im Nacken der Bestie, suchte daran Halt und trieb den Degen auf Brusthöhe durch den Körper des Monsters. Dann sprang er ab, ließ seine Waffen wo sie waren und ging rückwärts in Richtung des schwer getroffenen Brube.
Nichts war mehr geblieben vom Kampfgebrüll der Bestie, außer einem schwachen Gurgeln. Dafür wimmerte Klai umso erbärmlicher, lag hilflos und schwer verletzt auf dem Rücken. Mit abgehackten Atemstößen blickte er auf seinen zerrissenen Bauch und krümmte sich vor Schmerz. Mit der Linken hielt er die Därme in seinem blutüberströmten Körper, mit der Rechten schob er sich stoßweise nach hinten, weg vom sterbenden Oger.
Das Gurgeln des Monsters erstarb. Aber noch immer stand es da, als wäre es überzeugt, nicht zu sterben, so lange es nicht umfallen würde.
„Verdammnis“, keuchte Mauran, „Das Untier wird Klai unter sich begraben!“, rief er so laut er konnte. Dann rannte er auch schon los, um Klai zur Seite zu zerren. Der Minotaur war schon auf halbem Weg zu seiner Axt, drehte sich zum Geschehen und erkannte sofort, was zu tun war. Mit kehligem Knurren setzte er sich in Bewegung. Er beschleunigte seinen wuchtigen Körper so schnell es ging, ignorierte Schmerz und Schwäche, und wurde schneller.
Der Oger fing an zu wanken. Mauran würde bei weitem zu langsam sein. Klai fand einen weiteren Grund zum Winseln. Er weinte mit aufgerissenen Augen vor Schmerz und ob der Gewissheit, dass der Oger auf ihn fallen würde.
Der Oger fiel. Im gleichen Moment rammte ihn Zrak mit aller Gewalt, der er mächtig war, mit seinem ganzen Körper, die linke Schulter voran.
Fast gleichzeitig spritzte der Matsch zweimal neben Klai auf. Der tote Oger ging schwer links von ihm nieder, und der Minotaur lag ein wenig rechts auf dem Rücken und rang nach Atem. Zrak kämpfte um seine Besinnung.
Es wurde still. Klai lag leise wimmernd in seinem Blut. Zrak bewegte sich kaum mehr als Brube, welcher gar nicht zu atmen schien.
Mauran sank auf die Knie. Das alles war zu viel für ihn. Seine Kameraden blickte er nur kurz an, dann begrub er die Hände im Schlamm und weinte. Die Nacht legte sich wie ein Leichentuch über das tote Land. So, als wolle es versuchen, dies Leid zu verbergen.
Irgendwann, körperlich überfordert und mental getroffen, schluchzte Mauran kaum hörbar, verloren zwischen Tränen und Dreck: „Wir ... haben ... wir haben den Sieg errungen …“