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2. Kapitel

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Es war ein Tag wie jeder andere. So sollte man zumindest denken. Die wöchentliche Patrouille des Kriegsherrn Takomoru hatte soeben wieder die neuen Klingen aus der Schmiede abgeholt. Der alte Schmiedemeister versah seine Arbeit so gut er es mit den vorhandenen Rohstoffen konnte. Sonderlich viel Auswahl hatte er nicht, wenn es darum ging, andere Dinge einzuschmelzen, um weitere Waffen herzustellen oder vorhandene zu verbessern.

Seine Arbeit war immer laut und dreckig. Der Rauch brannte in den Augen und die Finger schmerzen ihn beinahe täglich von der Arbeit. Der Schmied lebte nicht allein in dem halbverfallenen Gebäude neben seiner Arbeitsstatt. Neben seiner Frau lebte er dort noch mit seiner fast achtzehnjährigen Tochter Asuka. Jene war nichts besonderes, doch oftmals ging sie in den nahen Bambuswald oder an die Feldraine, um Kräuter zu sammeln, die man zum würzen oder heilen gebrauchen konnte.

Eines der wenigen Hobbys, die sich Asuka getraute auszuleben. In Takomuro gab es nur Soldaten und eine Handvoll Bauern. Jene versahen ihre Arbeit auf den Feldern oder halfen bei den immer noch laufenden Ausbesserungsarbeiten an der schwarzen Festung. Der letzte Angriff war über ein Jahr her, doch hatte er das kleine Dorf beinahe vollständig vernichtet. Im Dorf standen mehr Ruinen als noch stehende Häuser, und die Häuser, die noch standen, würden dem nächsten Monsum mit Sicherheit nicht standhalten. Also wurde neben Waffen auch noch Baumaterial gebraucht.

Richtige Wälder mit richtigem Holz gab es in der Nähe nicht. Dafür mußte man schon ziemlich weit reisen. Eine Woche entfernt fand man einen größeren Wald, in dem man Bäume fällen konnte. Doch der Transport bis nach Takumoru nahm nicht nur Zeit in Anspruch, sondern war auch nicht mit einfacher Muskelkraft zu bewerkstelligen. Hierfür wurden Pferde gebraucht. Und Pferde waren rar, genauso wie Ochsen oder Kühe.

Der Schmied machte sich nichts vor. Wenn es nicht irgendwie gelang, wieder an Vieh zu gelangen, würde das kleine Dorf nicht nur den kommenden Monsum nicht überleben, sondern es würde einfach so vergehen. Ochsen brauchte man zum Pflügen, Pferde zum Reisen. Mit einer Sänfte konnte man kein Holz transportieren.

Deshalb war Asuka für ihn so etwas wie ein Hoffnungsschimmer. Auch wenn es im Dorf vornehmlich Soldaten und Bauern gab, bestand durchaus die Möglichkeit, daß er Asuka doch noch vernünftig verheiraten konnte. Zumindest so gut, daß sie eine wirkliche Zukunft hatte.

Der Schmied, dessen Name uns nicht interessieren sollte, war ein hart arbeitender, ehrlicher Mann. Seine Arbeit war schmutzig, kräftezehrend und aus verbrauchend. Er liebte seine Arbeit, wie er es bei seiner Frau tat. Er war mit Leidenschaft dabei.

Ähnliches konnte man auch über die anderen Handwerker, die es noch im Dorf gab, sagen. Sie alle erfüllten ihre Aufgaben so gut es ihre Rohstoffe zuließen. Die Dorfgemeinschaft war schon länger gespalten, seitdem der Kriegsherr einen seiner Samurai gestattete im Dorf selbst zu wohnen. Doch die Gemeinschaft war sich darüber einig, daß der Krieger unter Umständen irgendwann einmal gebraucht würde. Auch wenn er nicht Hauptmann der Wache war.

Jener hatte sein Haus gegenüber der Schmiede, am Weg, der direkt hoch zur schwarzen Festung führte. Dieses Haus wirkte nicht einmal stabiler als der Rest des Dorfes, doch im Vergleich zu anderen Hütten besaß es ein regendichtes Dach.

Einmal in der Woche kam die Patrouille von der Festung herunter, um dann mit dem Samurai zusammen die neu gefertigten Waffen aus der Schmiede abzuholen. Der Samurai hielt auch sonst die Augen in Richtung Schmiede offen. Nicht weil er dem Schmied mißtraute, sondern weil es zu seinen Aufgaben gehörte, die Schmiede zu schützen. Nur stellte sich hierbei die Frage, vor wem oder was er die Schmiede schützen sollte. Der letzte Angriff war über ein Jahr her, seitdem war in Takumoru nicht mehr viel passiert. Jener Angriff hatte die Hälfte des Dorfes das Leben gekostet. Also war es irgendwie sinnfrei, wenn ein Samurai mit seiner Familie in einer gleichfalls baufälligen Hütte gegenüber der Schmiede lebte und täglich die Eisenbarren zählte.

Der Hauptmann der Festungswache lebte im gleichen Haus wie der Samurai. Auch er besaß eine kleine Familie. Das Haus war das einzige wirklich größere Haus in dem kleinen Dorf, doch selbst ein Kriegsherr mußte mit den Kosten in Friedenszeiten haushalten. Also lebten Hauptmann und Samurai unter einem Dach, obwohl jedem ein eigenes Haus zustand. Doch störte sich nicht wirklich einer von beiden hieran. Sie versahen ihren Dienst für ihren Kriegsherren und waren damit zufrieden. Denn ein Auskommen hatten sie durch ihren Dienst. Der Samurai selbst entsprang nicht einem Adelsgeschlecht, sondern hatte sich über die Jahre in seine jetzige Position hochgearbeitet. Er war ein Mann aus dem Volk. Beim Hauptmann sah es genauso aus. Er genoß das Vertrauen seines Herrn durch einige Heldentaten, die er in der Vergangenheit geleistet hatte.

Auch der Hauptmann hatte Familie, und wie so viele in Takumoru besaß er, wie der Schmied, eine erwachsene Tochter. Die Hauptmannstochter trägt den schönen Namen Mariko. Angeblich ist sie von den Göttern gesegnet, denn sie hat Gesichter und richtete deshalb vor dem letzten Angriff auf die Festung ihres Herrn einen kleinen Schrein im Dorf angelegt. Ihre Gesichter jedoch sind es, die dem Hauptmann Sorge machen.

Zwar gilt seine Tochter als von den Göttern berührt und ihre Visionen halfen beim letzten Angriff auch gut die Hälfte des Dorfes zu retten, doch kosten sie Mariko Kraft, die ihr dann an anderer Stelle fehlt. Die Frau des Hauptmanns verliert über die Gesichter ihrer Tochter kaum noch ein Wort, denn sie fürchtet zurecht, daß beim nächsten Aufkommen dieser Visionen erneut Unbill für das kleine Dorf bevorsteht.

Eine andere wichtige Person für Takumoru ist der Seifensieder. Eigentlich ist er nicht in dem Dorf ansässig, sondern kommt aus einer weit im Norden liegenden Präfektur. Ihm gelang die Flucht, als sich sein Kriegsherr mit seinem Nachbarn anlegte, und der daraufhin folgende Krieg so gut wie alles in der Präfektur vernichtete. Der Norden sollte eigentlich ruhiger als das restliche Land sein, aber selbst dort köchelt es. Die Kriegsherren sind sich im ganzen Land uneins.

Also floh der Seidensieder bis er nach Takumoru kam. Doch während der Flucht verlor er seine Frau und ihm verblieb nur sein Kind, gleichfalls eine Tochter. Er zog sie in den nachfolgenden Jahren in dem kleinen Dorf groß, und dank Marikos hellsichtiger Gabe überlebten auch sie den letzten Angriff des benachbarten Kriegsherrn.

Suda, seine Tochter, hilft ihm bei der schweren Arbeit Seife herzustellen. Das einzige wirkliche verkaufbare Gut, über welches Takumoru in jenen Tagen noch verfügt. Suda ist klug und intelligent. Und sie arbeitet schwer. Sie besitzt im Ort nur noch eine Freundin, dies ist die Tochter des Schmieds.

Und es gibt noch jemanden, den wir an diesem Tage kennenlernen sollten. Dies ist der Kriegsherr, der in seiner schwarzen Festung mit seinen Soldaten und dem verbliebenen Rest seiner Familie lebt. So viel Familie hat Kriegsherr Takumoru nicht mehr. Außer seiner Tochter ist ihm nichts mehr verblieben. Seine Eltern starben bei den Kämpfen der Wiedervereinigung. Damals erhielt er auch dieses Lehen, dem er sogar seinen Namen geben durfte. Seine Frau verstarb im Kindbett, doch während des letzten Bürgerkriegs blieb ihm keine Zeit sich eine neue Frau zu suchen. Inzwischen ist seine Tochter auch erwachsen. Sie trägt den wundervollen Namen Fumiko und ist sowohl in der feinen Schrift, als auch im Waffenumgang geschult. Einer ihrer Lehrer ist der Hauptmann der Wache, doch am liebsten schaut sie im Dorf den Handwerkern bei der Arbeit zu und legt auch gelegentlich selbst Hand an. Fumiko ist wißbegierig und neugierig. Aber da sie nicht weiß, wem sie trauen kann, trägt sie immer einen Dolch in ihrem Kimono, um sich jederzeit verteidigen zu können.

Ihr Vater jedoch ist ein durch den Krieg hart gewordener Mann, der in seiner kleinen Festung über nicht mehr als insgesamt siebenhundert Mann befehligt. Zweihundert davon dienen ihm als persönliche Wache, der Rest dient zum Schutz seines Lehens. Meist sind von diesen fünfhundert Mann, die als seine Soldaten dienen, in der Festung nicht mehr als einhundert versammelt, weil das Lehen einfach zu groß ist, um es zentral verwalten zu können. So sind an den Straßen und auch ein wenig abseits davon, Feldlager eingerichtet, in denen die Soldaten darauf achten, daß keine gegnerische Truppe die Grenzen Takumorus überschreitet. Denn dies wäre ein Kriegsgrund, dann gäbe es wieder Kämpfe.

Kriegsherr Takumoru ist ein aufgeschlossener Mann. Er kennt seine Verantwortung, die er für sein Lehen trägt. Inzwischen ist auch er ein wenig des Kämpfens müde. Doch dies liegt daran, daß es immer noch diesen Bürgerkrieg gibt, den nicht einmal das vereinte Königshaus wirklich hat beenden können. Immer noch streiten die Kriegsherren miteinander, wer denn nun in der Riege der vielen Shogune derjenige ist, der seinem Herrn am besten gedient hat, und somit Anspruch auf den Titel besitzt.

Herr Takumoru interessiert dies nicht. Er möchte nur eines: Sein Lehen vor weiterem Schaden bewahren. Es war schon ein regelrechtes Wunder, daß der letzte Angriff nicht das kleine Dorf vor der schwarzen Festung vollständig dem Erdboden gleichmachte. Der benachbarte Kriegsherr griff mit einfachen Katapulten an. Als der Kriegsherr mit seiner kleinen Truppe diese schließlich zerstört hatte, zog der Feind sich zurück. Doch von dem kleinen Dorf hatte er nicht genug übrig gelassen, daß man noch so bezeichnen konnte. Noch immer standen traurige Ruinen in dem Dorf herum, weil es einfach zu wenige Männer gab, die diese Baustellen abreißen konnten. Mit nur noch einer Handvoll Bauern konnte man auch nicht mehr soviel bewegen, wie es vor diesem Angriff der Fall gewesen war.

An jenem einfachen Tag war ein Teil der Bauern auf den Feldern, um den Stand der Feldfrüchte zu kontrollieren und wieder zu wässern. Die Handwerker, die noch ein wenig zu tun hatten, waren dabei, ihrem normalen Tagewerk nachzugehen.

Und die Mädchen des Ortes vertrieben sich ein wenig die Zeit mit ihren wenigen Spielen und Hobbys, die sie besaßen. Asuka und Suda waren am Rande des Bambuswaldes unterwegs, um einige Kräuter und wildwachsene Gemüse zu sammeln. Sie hatten ein leichtes Stofftuch dabei. Die beiden Mädchen kannten sich gut mit den wilden Kräutern aus, und unweit des Baches am Waldrand wuchsen mehr als genug davon. Einige davon konnte man mehrmals in der Woche abernten.

Frisches Feuerkraut wuchs hier, wilder Rettich und noch einige andere Dinge. Die Mädchen waren fleißig dabei, systematisch zu zupfen und zu graben. Hierzu benutzten sie kleine Bambusstücke. Viel hatten sie noch nicht beisammen.

Schließlich bemerkten sie auf dem Weg ein junges, einfach gekleidetes Mädchen aus dem Nachbardorf. Sie trug einen Schulterträger an dem zwei große Eimer befestigt waren. Das Nachbardorf lag ein wenig abseits, gut einen Kilometer an der Straße in Richtung Aishi entfernt. Zwar hatten sie dort auch eine Wasserquelle, doch keinen gemauerten Brunnen, wie er nach der ersten Biegung oben im Bambuswald vorhanden war. Also machten sich die Mädchen des Nachbardorfes immer wieder auf, um von dort Wasser zu schöpfen. Zwar hatte der Nachbarort einen kleinen See keine halbe Stunde Fußmarsch entfernt, doch man konnte dort nur fischen, denn das Wasser selbst dort hatte keinen guten Geschmack. Da war das Quellwasser des Brunnens schon etwas anderes.

Asuka und Suda konzentrierten sich wieder auf ihre selbstgestellte Aufgabe. Sie entfernten sich immer mehr vom Bach und gelangten zur unteren Seite des Bambuswaldes. Hier vorne wuchsen vornehmlich jene Kräuter, die man sehr gut im Tee verwenden konnte. Asuka hatte sich angewöhnt, diese Kräuter zusammenzubinden und im warmen Luftzug der Schmiede zu trocknen. Suda selbst konzentrierte ihr Sammeln mehr auf die im Boden verborgenen Knollen, die hier zuhauf wuchsen. Manchmal waren es frisch ausschlagende Bambuswurzeln, oftmals aber auch kleine orangene sehr feste Knollen, die sich sehr gut braten ließen.

Die beiden Mädchen kümmerten sich also mehr um ihre Aufgabe und vergaßen dabei die Welt um sich herum. Beide liebten es, regelmäßig hier nach Waldfrüchten zu graben und zu zupfen. Denn sie konnten mit dem, was sie fanden, dem gesamten Dorf ein wenig helfen. Auf den kargen Feldern wuchs auch nicht mehr alles. Zwar gab es noch drei Felder auf denen Reis wuchs, doch die anderen sechs Felder warfen seit dem letzten Angriff auf das Dorf nicht mehr so viel ab. Dabei strengten sich die Bauern wirklich an, den Boden locker zu halten. Doch der Paq Choi wuchs noch, wenn auch nicht mehr so groß und fein, wie er es in der Vergangenheit getan hatte.

In der Zwischenzeit hatte das Mädchen aus dem Nachbardorf die kleine Steigung erklommen, die sich in dem Bambuswald erstreckte. Erschöpft blieb sie kurz stehen und schaute zurück. Bis zum Rand des Bambuswaldes waren es vielleicht zwanzig, vielleicht fünfundzwanzig Meter. Trotzdem wirkte hier oben bereits der Bambuswald dunkler, und auch irgendwie böse.

Das Mädchen legte kurz den Schulterträger ab. Der Brunnen lag ein wenig abseits vom Hauptweg, damit nicht jeder aus ihm schöpfte. Sie mußte die kleine Steigung bis zu ihrer Spitze erklimmen, dann ging ein lehmiger, schon fast zugewachsener Weg, vom Hauptweg ab, und führte parallel zum Berg zum gemauerten Brunnen. Dieser Weg war nicht mehr sonderlich steil, sondern ließ sich relativ einfach bewerkstelligen. Doch diese kleine Steigung, die gerade einmal über dreißig Meter ging, kostete jedes Mal viel Kraft. Hatte man diese Steigung erst geschafft, ginge es deutlich schneller.

Das Wasserschöpfen selbst war keine schwere Arbeit, denn der Brunnen war eine moderne Variante. Man zog einen an einer Schnur befestigten Eimer aus dem gemauerten Brunnen nach oben. Doch nicht mit einfacher Muskelkraft, sondern über eine Winde, die das Seil anzog, und so den Transport möglich machte.

Immer noch gut gelaunt, legte sich das Mädchen wieder den Schulterträger über und machte sich auf, den letzten Rest des Weges hinter sich zu bringen. Die Steigung tat ihr jedes Mal an Rücken und Füßen weh, doch anders war diese gute Quelle nicht zu erreichen. Der Rückweg war deutlich einfacher, selbst mit den beiden schweren Eimern. Also raffte sie sich zusammen, und brachte den Rest des Weges hinter sich. Schließlich stand sie vor dem fast zugewachsenen Abzweig, der hinüber zum eigentlichen Brunnen führte. Der Weg war von dichten, saftigen Gras fast vollständig bedeckt. Man sah, daß die Einwohner Takumorus selbst den Brunnen nicht oft nutzten, sonst wäre der Weg breiter ausgetreten.

Das Mädchen verlagerte ihr Körpergewicht, damit sie mit dem Schulterträger durch die noch freie Passage kam. Der restliche Weg war weder steil, noch war er schwierig zu bewältigen. Er ging beinahe von selbst von statten. Nach nicht einmal weiteren zehn Minuten Fußmarsch stand sie endlich an dem gemauerten Brunnen.

Dieser Brunnen reichte gerade einen Meter zwanzig über den Boden. Er war aus festen, schweren Bruchsteinen erbaut. Dieser Brunnen war keine Schönheit, aber er versah seinen Sinn und Zweck. Der hölzerne Arm, an dem die Winde hing, reichte einmal um den Brunnen herum. Der Schöpfeimer hing an seinem Seil, sah jedoch schon ein wenig mitgenommen aus. An der Seite besaß er Kratzspuren irgendeines riesigen Tieres.

Doch das Mädchen interessierte sich nicht für die Kratzspuren, sondern schaute, ob der Eimer noch dicht genug war. Es lag wirklich nicht in ihrem Interesse mehr Zeit am Brunnen zu verbringen, als unbedingt notwendig war.

Der hölzerne Eimer klatschte das erste Mal hinunter in das Wasser des Brunnens, dann vernahm man das stöhnende Quietschen der Winde. Das plätschern des Wassers in einen der Trageeimer war weithin zu hören. Ein normales Geräusch, wenn man bedachte, wo sich der Brunnen befand.

Insgesamt schlug der Schöpfeimer fünfmal auf der Wasseroberfläche auf, bis die beiden Trageeimer endlich richtig gefüllt waren. Dann erst hatte das Mädchen seine Arbeit erledigt. Erneut schulterte sie den Träger und machte sich auf den Rückweg.

Sie hatte gerade das Stück Weg vor der Abzweigung erreicht, als sie hinter sich ein verdächtiges Knacken wahrnahm. Das Mädchen drehte sich herum, doch sah es hinter sich nichts, was das Knacken erklären könnte. Es drehte sich wieder in Richtung Hauptweg, als es rechts von ihr erneut knackte. Doch diesmal hörte sich das Knacken deutlich näher an.

Für Eventualitäten trug das Mädchen immer ein kleines Messer bei sich. Doch im Falle eines Überfalls würde dieses Messer auch nicht eben sehr viel Schutz bieten. Doch das Messer zu ziehen würde bedeuten, die Stabilität ihres Schulterträgers zu riskieren. Und dem Mädchen stand es wirklich nicht danach, erneut nochmal Wasser schöpfen zu müssen.

Es knackte ein drittes Mal. Diesmal links von ihr. Das Mädchen wandte den Kopf in die entsprechende Richtung, doch erneut war nichts zu sehen. Verwirrt schüttelte es den Kopf, nahm noch einmal alle Kraft in ihre Schultern und ruckte mit dem Träger hoch. Genau in diesem Moment knackte es genau vor dem Mädchen. Es hob den Kopf, doch bevor es schreien konnte, war es auch schon geschehen.

Die Kreatur, die vor dem Mädchen wie aus dem Nichts entstanden war, wirkte wie wabernder Nebel, und trotzdem massiv. Es war nichts greifbares, und trotzdem spürbar. Das Fell war grob und zottelig. Lang, mit verfilzten abschnitten, die darauf hindeuteten, daß es wohl sehr lange geruht hatte. Die Farbe dieser Kreatur ist braunschwarz, doch mehr schwarz denn braun, und irgendwie furchteinflößend. Sein Kopf scheint direkt mit dem Torso verwachsen zu sein, es ist kein Hals zu sehen. Stattdessen erkennt man deutlich die überlangen Arme und Beine, die an einem relativ kurzen, menschlich wirkenden Torso angesetzt sind. Arme und Beine enden in Füßen oder Händen, die man wohl eher als Krallen beschreiben kann. Sie sind sechsgliedrig, dem Menschen ähnlich, doch die Nagelkrallen gehen weit über zwanzig Zentimeter hinaus. Die Nagelkrallen haben eine ungesund gelblichweiße Farbe, und sie sind höllisch scharf. Die Krallenfinger sind länger als bei einem Menschen, und genauso wie die Handflächen von einem dunkleren schwarzen Flaum bedeckt.

Die Füße sind wie die Krallenhände. Doch besitzen sie nicht sechs Krallen wie die Hände, sondern nur vier. Doch auch hier sind die eigentlichen Nagelkrallen länger als der ganze Fuß. Sie besitzen die gleiche Farbe wie die der Hände und wirken richtig tödlich spitz. Fast scheint es so, als könne die Kreatur mit einem Fuß bereits ein Tier in der Mitte zerreißen. Die Kreatur wirkt wie aus einem Albtraum entsprungen. Es ist der personifizierte Tod, der keinerlei Unterschied im Angesicht seines Opfers macht. Der Kopf selbst wirkt zum restlichen Körper regelrecht klein, beinahe menschlich. Wenn da nicht die achtundvierzig großen und breiten Zähne wären, die selbst bei normalem Tageslicht eher Messerklingen als Zähnen ähneln. Doch am schlimmsten sind die Augen.

Die Augen sind die wahre Hölle. Aus ihrem Innerem scheint ein tiefes, dunkles, abgründiges rotes Feuer zu herrschen. Sie glühen dunkelrot auf, während es seine Hauer in die eben geschlagene Beute schlägt und genüßlich Teile des Körpers herausreißt und verschlingt. Mit seiner bekrallten Hand schlägt es nochmals in den noch zuckenden Körper des Mädchens, um den Brustkorb zu öffnen. Mit einem weiteren Griff zieht es das Herz und die anderen inneren Organe heraus, und reißt nur jene Teile ab, die es zu essen gedenkt. Dies ist einmal das Herz, die Leber, die Nieren und ein sehr großer Teil des Darmes. Der Rest des Kadavers, der inzwischen in seinem Blut schwimmt, wirkt uninteressant und wird einfach liegengelassen.

Die Kreatur schaut nicht einmal zurück, als sie wieder in den dunkleren Teil des Bambuswaldes verschwindet. Fast scheint es, als würde sie ein Teil der Schatten. Ein Teil des wandernden Nichts.

Das Monster im Schatten

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