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2. KAPITEL:

DIE SPIRITUALITÄT DES CHEMIN NEUF

2.1 Die charismatische Glaubenspraxis

2.1.1 Das spirituelle Gründungsnarrtiv der Kommunität

Als Geburtsstunde der Kommunität gilt ein pfingstkirchliches Gebetswochenende. Die charismatisch-pfingstkirchliche Spiritualität bildet daher die erste Komponente der verbandstypischen Spiritualität.131 Das Mitwirken von Christen anderer Konfession bei der Gründung, hat nach Laurent Fabre der Kommunität die ökumenische Ausrichtung mit in die Wiege gelegt. Fabre gehörte damals dem Jesuitenorden an. Durch seine Person sei als drittes Element die ignatianische Spiritualität in die Gemeinschaft hineingetragen worden.132 Inwieweit dieses Narrativ von der Verankerung der drei geistlichen Traditionen – charismatisch, ökumenisch und ignatinanisch – tatsächlich auf die Geburtsstunde zurückgeführt werden kann, soll u. a. untersucht werden. Auf jeden Fall ist dieser spirituelle Dreiklang das religiöse Markenzeichen geworden, mit dem sich die Gemeinschaft in der Öffentlichkeit präsentiert. Die Konstitutionen schreiben, die Gemeinschaft sei aus einem charismatischen Gebetskreis hervorgegangen, sei katholisch und habe eine ökumenische Berufung.133

2.1.2 Einordnung der charismatischen Erneuerungsbewegung

Die erste spirituelle Komponente, die näher vorgestellt werden soll, ist die charismatische Frömmigkeit. Diese Spiritualitätsform ist besonders prägend.134 Die charismatische Glaubenspraxis kann man als Grundströmung bezeichnen, die die anderen Traditionen einfärbt und ihnen ihren Platz im Gesamtgefüge zuweist. Der CCN-Autor Timothy Watson führt aus, die Kommunität sei organisch aus der Erneuerungsbewegung erwachsen. Das Verständnis der charismatischen Glaubenspraxis ist für ihn der Zugang zur CCN-Spiritualität überhaupt. „Um Chemin Neuf zu verstehen, ist es notwendig, ihren Ursprung in der charismatischen Erneuerung […] zu verstehen.“135

Die charismatische Erneuerungsbewegung, wie sie heute in der katholischen Kirche anzutreffen ist, entstammt der nordamerikanischen Pfingstbewegung. Ihre Charakteristika zu kennen hilft, die charismatische Frömmigkeit zu verstehen, wie sie bei CCN gelebt wird.

Der Ursprung der neuzeitlichen pfingstlichen Erneuerungsbewegung wird von der Mehrheit der Autoren im Jahr 1906 in der Stadt Los Angeles lokalisiert.136 Der Prediger W. J. Seymour hatte in seiner Gemeinde außergewöhnliche Phänomene wie die Geisttaufe und die Zungenrede, Gebetsheilungen und Prophetie erweckt.137 Der Geist dieser Bewegung sprang im Jahr 1967 auf die katholische Kirche in den USA über. Bei einem Gebetswochenende mit protestantischen Pfingstlern an der Duquesne Universität in Pittsburgh, Pennsylvania, ließen sich auch katholische Studenten und Professoren von den charismatischen Phänomenen anstecken.138 Diese Glaubenspraxis breitete sich in den darauf folgenden Jahren, ausgehend von den USA, in der katholischen Kirche aus.

Die Hierarchie der katholischen Kirche bemüht sich, die charismatische Erneuerung zu integrieren. So wurde im Ursprungsland der Bewegung, in den Vereinigten Staaten, in Ann Arbor, 1972 der „Internationale Rat der charismatischen Erneuerung in der katholischen Kirche“ gegründet, dessen Büro seit 1981 seinen Sitz in Rom hat. Im Jahr 1973 fand die erste internationale Konferenz der charismatischen Erneuerung in Grottaferrata bei Rom statt. 120 Delegierte aus 34 Ländern nahmen daran teil. Die Internationalität der Konferenz kann als Hinweis darauf gesehen werden, wie weit sich die Erneuerungsbewegung in der katholischen Kirche zu diesem Zeitpunkt ausgebreitet hatte. Papst Paul VI. empfing einen Teil der Delegierten in Audienz, was als Aufwertung der Konferenz verstanden wurde.139 In Deutschland setzte die DBK auf Betreiben von Bischof Heinrich Tenhumberg zwei Kommissionen ein, die sich mit der charismatischen Erneuerung befassten.140 Diese Beispiele stehen stell- vertretend für eine ganze Reihe von Kontaktaufnahmen und Eingliederungsbemühungen seitens nationaler Bischofskonferenzen und des Heiligen Stuhls. Beobachter dieser Entwicklung deuten dieses Aufeinanderzugehen als wohlwollende Aufnahme der charismatischen Bewegung in der katholischen Kirche und als kirchenamtliche Ermutigung zu ihrer spezifischen Frömmigkeit.141 Auf dem dritten Internationalen Charismatischen Kongress äußerte sich Papst Paul VI. in Rom wohlwollend über die charismatische Erneuerung und bezeichnete sie als „Chance für die Kirche und die Welt“.142 Bei dieser Begegnung mit Papst Paul VI. im Jahr 1975 im Petersdom war auch Laurent Fabre zugegen, der diese Worte im Rückblick als eine große Ermutigung für sich persönlich bezeichnete.143

2.1.3 Zielsetzung der charismatischen Erneuerung

Die charismatische Erneuerungsbewegung vertritt nach Ansicht von Theologen kein eigenständiges Lehrgebäude. Sie zeichnet sich weniger durch theologische Neuentwürfe aus, sondern erstrebt in erster Linie eine Verlebendigung des Glaubens und die Wiederentdeckung der neutestamentlichen Charismen für die Gemeinde.144 Die charismatische Bewegung verfügt ebenfalls über keine eigenständige Ekklesiologie. Sie lehnt sich an die traditionellen Kirchen- und Gemeindetypen an, die sie in der jeweiligen Konfession, in der sie heimisch wird, vorfindet.145 Die charismatische Bewegung sucht eine „intensivere, festlichere, emotionalere und ganzheitlichere“146 Form des Glaubenslebens. In ihr schwingt darüber hinaus ein zeitkritisches Moment mit, insofern sie sich gegen bestimmte Formen eines übertriebenen rational-technischen Weltbildes wendet.147 Ein ganzheitliches Konzept von Welt und Mensch wird dem entgegengesetzt: „not the book, but the parable; not thesis, but the testimony; not the dissertation, but the dance; not concepts, but banquets; […] not definitions, but descriptions; not arguments, but transformed lives.“148

Charismatische Phänomene wie die Zungenrede oder ekstatisches Beten erscheinen vielen Nichteingeweihten fremd. Sie gelten als der Inbegriff des Außergewöhnlichen und Nichtalltäglichen.149 Das Unverständnis oder die Ablehnung bei nicht wenigen Zeitgenossen ist daher nicht verwunderlich. Ein Gedanke des Theologen Karl Rahner hilft, die charismatischen Phänomene theologisch besser einzuordnen. Rahner zählt charismatische Phänomene zu den mystischen Erfahrungen. Mystisches Erleben ist in der Stille und Versenkung möglich. Auf der anderen Seite des Spektrums manifestiert sich Mystik in Ekstase, Überschwang und Enthusiasmus. Rahner bevorzugt das letzte Wort und spricht vom enthusiastischen Erleben. Rahner räumt ein, dass charismatische Phänomene tatsächlich Orte der Transzendenzerfahrung sein können. Er hält sie für echte Gnaden- und Glaubenserfahrungen und spricht von einer „Alltagsgestalt der Mystik.“150 Karl Rahner macht aber ebenso darauf aufmerksam, dass, wenn der Geist Gottes auf die naturalen Möglichkeiten des Menschen trifft, dieser in der menschlichen Psyche verzerrt, gebrochen und gespiegelt wird. Deshalb bedürfen charismatische Erfahrungen der kritischen Prüfung. Sie sind für psychologische, tiefenpsychologische und para-psychologische Deutungen offen.151

2.1.4 Verschiedene Facetten der charismatischen Glaubenspraxis

2.1.4.1 Die Taufe im Heiligen Geist

Die Taufe im Heiligen Geist, die von der Wassertaufe zu unterscheiden ist, gilt allgemein als eine Art Initiation in die charismatische Glaubenspraxis. Auch für den Gründer der Gemeinschaft, Laurent Fabre, stellte sie das Durchbruchsereignis dar, das seinem Leben eine neue Richtung gab. Fabre beschreibt dieses Erlebnis, das sich bei dem Gebetswochenende zugetragen hat, folgendermaßen:

„Ich kann diesen Augenblick kaum beschreiben, so einfach und so wichtig war er. Sagen wir, dass ich zuerst die ureigene Überzeugung von meinen Sünden bekam und dann die Anwesenheit der Liebe des Herrn. Ich weinte, nicht wie jemand, der nervlich zusammenbricht. Eher wie jemand, der vor Freude weint, wie ein eisernes Herz, das ein großzügiges Herz wird.“152

Jaques Monfort, ein Priester aus der CCN-Gründergeneration berichtet, seine Taufe im Heiligen Geist habe sich während einer Exerzitienwoche ereignet. Zu der Zeit befand er sich nach eigener Darstellung in einer Orientierungskrise.153 Seine Taufe im Heiligen Geist schildert er als ein Loslassen-Können, als ein befreiendes Absehen von seinen eigenen Plänen. Im Gebet verspürt er den Wunsch, sein Leben Gott zu übergeben. Nachdem ihm dieser Schritt gelungen war, habe er eine große Freude verspürt. Die Taufe im Heiligen Geist stellt für ihn die Hingabe des Lebens an Gott dar.154

In etlichen CCN-Dokumenten wird die Terminologie von der Taufe im Heiligen Geist gleichgesetzt mit der charismatischen Spiritualität selbst. Die Konstitutionen gehen davon aus, dass jedes CCN-Mitglied ein solches charismatisches Durchbruchserlebnis erfahren hat.

„Besonders hat jeder von uns die grundlegende Erfahrung der ‚Taufe im Heiligen Geist‘ (Geistausgießung) gemacht, die ein persönlicher Schritt in der Erneuerung der Gnade der Taufe ist: Totale Hingabe unseres Lebens an Christus, neue Ausgießung des Geistes und neue Entsendung vom Vater, tiefe persönliche innere Erfahrung mit einer gemeinschaftlichen Dimension.“155

Mit ähnlichen Worten formuliert es die CCN-Vorstellungsbroschüre und unterstreicht damit noch einmal die grundlegende Wichtigkeit dieser charismatischen Initiation:

„Jeder Bruder und jede Schwester macht auf seine/ihre Art und Weise die grundlegende Erfahrung der ‚Taufe im Heiligen Geist‘. Die Taufe im Heiligen Geist ist eine Erneuerung der Taufgnade durch ein persönliches Engagement und Hingabe des eigenen Lebens an Christus.“156

Die Texte von CCN geben mit Stichworten wie „Erneuerung der Taufgnade“ oder „totale Hingabe des Lebens“ oder „tiefe persönliche innere Erfahrung“ bereits eine erste Deutung mit.

In der theologischen Literatur wird die Taufe im Heiligen Geist als eine Umkehrerfahrung beschrieben. Dieses Erlebnis wird als von außen kommend erfahren. Der Geistgetaufte hat den Eindruck, über sich hinausgeführt zu werden, und empfindet in der Regel ein außerordentliches Glücksgefühl, das auf die besondere Nähe Gottes zurückgeführt wird. Die Intensität hebt die Geisttaufe über alle anderen religiösen Erlebnisse des Empfängers hinaus. Sie wird von den meisten als starkes emotionales Erlebnis beschrieben. Dieses umfasst ein ganzes Spektrum von Gefühlsregungen: Freude, Trauer über das bisherige Leben, verbunden mit Buße und Glück über den neuen Weg, der sich auftut.157 Die Taufe im Geist ist für viele Charismatiker eine fundamentale Erfahrung. Sie markiert eine Grenze zwischen Vorher und Nachher. In diesem Ereignis offenbart sich das Absolute, das alles in einem neuen Licht erscheinen lässt. „Das unverhoffte Widerfahrnis, das den alltäglichen Lauf der Dinge sprengt, wird oft metaphorisch als ‚Tod und Auferstehung‘ beschrieben. Es ist nie bloß Negierung von Missständen, sondern positive Erfahrung neuen Lebens.“158

2.1.4.2 Die charismatische Gebetspraxis

Ein weiteres Merkmal charismatischer Gemeinschaften ist die ekstatische Art des Betens. Zu den Gestaltungselementen charismatischer Gebetstreffen gehören Singen, Beten, Lobpreis, Bibellesen, Stille, Erfahrungsberichte, persönliche Fürbitten und die praktizierten Charismen wie beispielsweise die Glossolalie oder die Prophetie. Das Gebet ist in der Regel begleitet durch Gebärden wie das Erheben der Hände, rhythmisches Klatschen, Handauflegung oder An-den-Händen-Fassen.159 Die Gebetsgebärden sollen verdeutlichen, dass es in der charismatischen Spiritualität keine Trennung zwischen Geistlichem und Körperlichem gibt, sondern der Mensch ganzheitlich mit Körper, Seele und Geist betet.160 In das Gebet bringen sich die Teilnehmer durch spontan formulierte Fürbitten, Gebete oder Lobpreisungen ein. Anstelle einer liturgischen Sprache wird eine umgangssprachliche Redeweise bevorzugt.161 In sogenannten Zeugnissen werden persönliche Glaubenserfahrungen weitergegeben, die dem Alltag entnommen sind.162 Das charismatische Liedgut hat einen betont rhythmischen Charakter und einen klaren inhaltlichen Schwerpunkt auf Lobpreis- und Anbetungsliedern. Die Melodien zeichnen sich durch leichte Singbarkeit und eine einfache Sprache aus.163

Die CCN-Mitglieder und Sympathisanten treffen sich, je nach Zugehörigkeitsgrad, entweder täglich, wöchentlich oder monatlich zum gemeinsamen Gebet. Die Keimzelle von CCN war ein charismatischer Gebetskreis, und diese Art und Weise des Betens ist weiterhin lebendig. Nicht nur die internen Gebetsveranstaltungen sind vom charismatischen Geist durchdrungen. Auch bei Exerzitienkursen, Jugendfestivals und anderen pastoralen Veranstaltungen wird diese Art des Gebetes praktiziert. Michael Gmelch, der in Frankreich neue geistliche Gemeinschaften untersuchte, nahm unter anderem an Gebetsveranstaltungen von CCN teil. Er berichtet, jeder Teilnehmer steuere etwas zum Gebet bei, einen Psalmvers, eine persönliche Einsicht, ein belehrendes oder ein deutendes Wort. Er charakterisiert die Gebetsveranstaltungen mit den Begriffen „kommunikative Dichte und Dynamik“164 und beschreibt das Gebet als einen geistlichen Prozess, eine soziale Gotteserfahrung, die den Glauben aus einer falsch verstandenen Privatheit heraushebe. Gmelch weist darauf hin, dass in dieser Art des charismatischen Betens sowohl die großen Ereignisse der Welt als auch die Angelegenheiten des Alltags ihren Platz hätten. Gerade das Zeugnisgeben sei eine Art, das persönliche Leben ins Gebet zu bringen.165 Laurent Fabre führt aus, dass nur für einen außenstehenden Beobachter das charismatische Gebet spontan oder improvisiert erscheint, es jedoch in Wirklichkeit aus einer echten Verbundenheit und Harmonie unter den Betern erwächst. Er spricht von einer „charismatischen Disziplin“166 im Gebet und meint damit eine stringente Ordnung hinter der vordergründig wahrnehmbaren Ekstase und Spontaneität.

2.1.4.3 Die außergewöhnlichen Gaben des Heiligen Geistes

2.1.4.3.1 Die Glossolalie

In den Gebetsversammlungen haben auch die außergewöhnlichen Gaben des Heiligen Geistes, die Glossolalie, die Prophetie und die Gabe der Heilung, ihren angestammten Platz.167 Alle drei Gaben werden bei CCN praktiziert.168 Fabre sieht den Ursprung der Gemeinschaft selbst durch diese Geschenke des Heiligen Geistes begründet,169 was die Ursprünglichkeit der charismatischen Komponente der Spiritualität unterstreicht. Die Gabe der Zungenrede ist für ihn die kleinste, aber klügste Gabe, weil sie für ihn ein Zeugnis der Einheit in Vielfalt darstellt.170 Eine Steigerungsform dazu stellt das Singen in Zungen dar. Die Form des gesungenen Sprachgebets wird in der Theologie als eine besondere Gattung der Glossolalie betrachtet.171

In der theologischen Reflexion des Phänomens wird darauf verwiesen, dass die Glossolalie dem Menschen erlaubt, die nicht-rationale Seite seines Menschseins mit in den Glaubensvollzug einzubringen. In Erfahrungsberichten schildern Personen, die über die Fähigkeit der Zungenrede verfügen, sie würden Worte sprechen, die sie nicht verstehen, aber spüren, dass sie Gott damit aus der Tiefe ihres Herzens preisen.172 Eine psychologische Erklärungshypothese vermutet, die Zungenrede helfe dem stark verstandesmäßig orientierten Menschen der westlichen Gesellschaft, neue Potentiale an Kreativität und Spontaneität freizusetzen.173 Die Glossolalie wird damit auch als ein Protestphänomen gegen die prävalent rationale Kultur gesehen. Eine psychologische Erklärung betrachtet das Sprechen in Zungen als Ausdruck ungelöster seelischer Spannungen, die nicht unterdrückt werden und so heilsamen Zugang zum Unterbewusstsein ermöglichen können.174

2.1.4.3.2 Die Gabe der Prophetie

Eine weitere außergewöhnliche Gabe des Geistes stellt die Prophetie dar. Laurent Fabre erläutert, welche Bedeutung er dieser Gabe beimisst. Er betont, große und kleine Entscheidungen in der Gemeinschaft würden im Gebet getroffen. Die Prophetie sei dabei eine große Hilfe. Durch sie erhalte die Kommunität Orientierung bei der Entscheidungsfindung. Hier würden sich Leben und Gebet durchdringen.175 In charismatischen Kreisen unterscheidet man verschiedene Formen der Prophetie: Weissagungen, Mahnreden, prophetische Gebete, prophetische Lieder, Visionen und prophetische Taten. Die häufigsten Formen von Prophetie sind die Ermahnung, der Zuspruch, die Ermunterung und die Auferbauung.176 Das Spektrum der Prophetie umfasst, wie die Aufzählung zeigt, außeralltägliche Manifestationen, aber auch sehr gewöhnliche Ausdrucksformen menschlicher Kommunikation wie den Zuspruch oder die Ermahnung. Auch die Prophetie enthält besonders in den außergewöhnlichen Erscheinungsformen ein antirationalistisches Moment. Anhänger der charismatischen Erneuerungsbewegung gehen davon aus, dass Erkenntnis den Menschen nicht nur auf dem Weg des diskursiven Denkens zuteil wird, sondern auch auf dem Weg der inneren Schau und Intuition.177

Im CCN-Glaubensalltag sind es häufig Bildworte, die als Prophetien betrachtet werden. Um den transzendentalen Ursprung dieser Eingebungen zu unterstreichen, heißt es in prophetischen Glaubenszeugnissen von CCN-Mitgliedern, diese Bibelworte seien ihnen „geschenkt worden“. Sie hätten die Worte „empfangen“ oder die Bibelstelle sei ihnen „eingegeben worden“.178 Mentale Bilder, die vor dem geistigen Auge des Beters entstehen, werden bei CCN als charismatische Prophetien betrachtet. Ein Bild von einem Baum, mit tiefen Wurzeln, weit ausladenden Äste und vielen Früchten, wird zum Hinweis auf eine tiefe Verwurzelung in der Kommunität und zugleich auf die Fruchtbarkeit der apostolischen Arbeit.179 Eine Vision von einem bunten Blumenstrauß in einer Vase wird als ein Aufruf verstanden, die Vielfalt und Vielstimmigkeit bei einer Tagung gelten zu lassen.180 Das biblische Bild vom wunderbaren Fischfang, das während eines Gebetes vor dem inneren Auge des Beters auftaucht, wird vom Beter interpretiert als Aufforderung, sich weiterhin in einer CCN-Unterorganisation einzubringen.181 Diese Art der inneren Schau oder Prophetie wird in CCN-Texten oft beschrieben. Laurent Fabre weist darauf hin, dass es Kriterien für die Echtheit der Prophetie gibt, und unterwirft sie damit mindestens teilweise einer rationalen Überprüfung. Als Kriterien nennt er den Maßstab der Heiligen Schrift und die Beurteilung und Prüfung durch die Gemeinschaft.182

2.1.4.3.3 Gebetsheilungen

Zu den Spezifika der charismatischen Glaubenspraxis gehört das Heilungsgebet. Im Jahr 1974, also relativ kurz nach seinem charismatischen Bekehrungserlebnis, veröffentlichte Fabre mit einem Koautor einen Aufsatz zum Thema „Heilung durch Gebet“.183 Darin bemüht er sich, charismatische Gebetsheilungen vor dem Hintergrund eines wissenschaftlich-rationalen Weltbildes zu deuten. Er betont, Glaube und Gebet könnten potentiell seelische und körperliche Krankheiten heilen. Er unterstreicht, es handle sich in den meisten Fällen nicht um mirakulöse Ereignisse, sondern um Heilungen als Prozess. In dem Heilungsprozess gehen eine Erneuerung des Lebens und die allmähliche körperliche Genesung Hand in Hand. Die beiden Autoren sprechen daher von den „gewöhnlichen und banalen Heilungen“.184 CCN greift damit auf die Konzepte von aus dem nordamerikanischen Kulturkreis stammenden Protagonisten der charismatischen Heilungsbewegungen zurück. Fabre nennt als Leitfigur z. B. Agnes Mary White Sanford. Ihr Buch „Das heilende Licht“ wird von charismatischen Gruppen als Klassiker auf dem Feld des Heilens betrachtet. Sanford war eine Schlüsselfigur der charismatischen Bewegung in den Vereinigten Staaten.185 Fabre verweist ebenso auf Francis Scott Mac Nutt, der ein führendes Mitglied der charismatischen Erneuerung ist und Autor mehrerer Bücher, die sich mit den Themen Heilung, Gebet und Befreiung von bösen Geistern befassen.186 CCN sieht die charismatische Heilungspraxis, wie sie in der Kommunität praktiziert wird, im Rahmen dieses ideengeschichtlichen Kontexts.

CCN verbindet die charismatischen Heilungen mit Elementen traditioneller katholischer Theologie. Das Sakrament der Krankensalbung und der Buße haben im Glaubensvollzug und Ideengebäude von CCN eine neue Relevanz gewonnen. Die heilende Dimension dieser beiden Sakramente wird in Veröffentlichungen der Gemeinschaft herausgestellt.187 Neben dem Festhalten an der realen Möglichkeit von außergewöhnlichen Heilungen verweist Fabre aber auch auf einen anderen theologischen Gedanken, nämlich auf den erlösenden Charakter des angenommenen Leidens und das Geheimnis des Kreuzes, womit den Wunderheilungen ein Korrelat gegenübergestellt wird.188

Der Vergleich zwischen den charismatischen Glaubensvollzügen, wie sie in der theologischen Literatur beschrieben werden, und der spirituellen Praxis bei CCN, zeigt eine weitgehende Übereinstimmung. Die Grundelemente der charismatischen Glaubenspraxis finden sich in der Kommunität wieder: die Taufe im Heiligen Geist als Initiationsritus, das spontane-ekstatische Gebet, die besonderen Geistesgaben wie Glossolalie, Prophetie und Heilung.

2.2 Die ignatianische Spiritualität in der Umsetzung bei Chemin Neuf

2.2.1 Der Umfang des reklamierten ignatianischen Erbes

Als weiteres Element im verbandstypischen spirituellen Dreiklang nennt CCN die ignatianische Tradition. Die Konstitutionen schreiben dazu:

„Diese Erfahrung der Taufe im Heiligen Geist empfängt ihre Stabilität in der Begegnung mit der ignatianischen Tradition, die uns lehrt, Gottes Gegenwart zu erkennen und den apostolischen (missionarischen) Dienst im Hören auf den Heiligen Geist und die gemeinschaftliche Unterscheidung zu wählen. Jeder von uns wird regelmäßig die ignatianischen Exerzitien von einer Woche und vor seinem endgültigen Engagement die ‚30-tägigen Exerzitien‘ machen.“189

Der ignatianischen Tradition wird eine stabilisierende Wirkung zugeschrieben. Die „Taufe im Heiligen Geist“ – also die charismatische Spiritualität – soll durch diese zweite geistliche Tradition gefestigt werden.

Die Vorstellungsbroschüre, ein CCN-Basisdokument, umschreibt mit sieben Stichworten, worin die Gemeinschaft ihr ignatianisches Erbe sieht:

1) tägliches Lesen und Meditieren des Wortes Gottes;

2) geistliche Begleitung;

3) ignatianische Exerzitien;

4) Entscheidung zum Gehorsam und zur geschwisterlichen Unterordnung;

5) Vereinfachung des Lebensstils (Teilen der Güter);

6) Erlernen der geistlichen Unterscheidung;

7) Verfügbarkeit für die Mission und den Dienst in Kirche und Welt sowie Engagement für Gerechtigkeit.190

Analysiert man diese sieben Punkte des ignatianischen Erbes, was nachfolgend an Fallbeispielen exemplarisch geschehen soll, stellt sich die Frage, inwieweit man tatsächlich von einer authentischen ignatianischen Tradition bei CCN sprechen kann.

2.2.2 Vergleich zwischen ignatianischer Tradition und CCN-Praxis

2.2.2.1 Wiedererkennbarer ignatianischer Geist

Bei den Jesuiten hat die Seelsorge den ersten Rang. In der Formula – der Ordensregel des Jesuitenordens – nennt Ignatius von Loyola als Ziel des Ordens, den Menschen zu helfen und den Glauben und die christliche Lehre zu verbreiten. Die Berufung als Jesuit wurde zugleich als ein Ruf zum apostolischen Dienst verstanden.191 Die Metapher vom christlichen Soldaten betont geradezu einen kämpferischen Einsatz in der Welt. Den Seelen zu helfen, war das erklärte Ziel des Ordensgründers.192 Die Modalitäten des Ordenslebens waren im Jesuitenorden ganz auf einen aktiven missionarischen und seelsorglichen Dienst zugeschnitten. So ordnete Ignatius das Gebet und das Gemeinschaftsleben der aktiven Seelsorge unter. Die Jesuiten lebten nicht in der Zurückgezogenheit von Klöstern, sondern in Häusern oder Kollegien in den Zentren der Städte. Die Ordensleute trugen keine mönchische Kleidung und waren nicht zum Chorgebet verpflichtet. Die Novizen wurden zur praktischen Seelsorge hinzugenommen, und ihre Eignung dafür entschied, ob sie zu den Gelübden zugelassen wurden.193 Die Liste der apostolischen Tätigkeiten ist lang: Exerzitien, Volksmissionen, Predigttätigkeit, Publikation religiöser Literatur, Betreiben von Schulen und Universitäten, Leitung von Bruderschaften und marianischen Kongregationen und nicht zuletzt die umfangreiche Missionstätigkeit in Südamerika und Asien.

In der aktiven seelsorglichen Tradition der Jesuiten sieht sich auch CCN. Die Konstitutionen weisen darauf hin, die Gemeinschaft existiere nicht um ihrer selbst willen, sondern habe sich das Ziel gesteckt, die christliche Botschaft zu verbreiten:

„Unsere Gemeinschaft hat also ihr Ziel nicht in sich selbst. Die Freude, Brüder und Schwestern in Jesus Christus zu sein, ist nur so groß, wie unser gemeinsamer Wunsch, die Frohe Botschaft von der Auferstehung den Menschen zu bringen.“194

Die Evangelisation195 wird in den Konstitutionen als essentielles Element angesehen, dem sich alles andere unterordnen muss:

„Dieses Grundelement, die Evangelisation, bezieht die anderen Elemente wie Fortbildung, gemeinsames Leben, Liturgie […] je nach ihrer Notwendigkeit mit ein; doch müssen all diese Aspekte relativ bleiben und der Evangelisation, die Priorität hat, untergeordnet sein.“196

Der Duktus der Vorstellungsbroschüre lautet ähnlich:

„Als Antwort auf die Berufung, die Liebe Christi allen Menschen zu verkünden, hat die Gemeinschaft seit ihrer Gründung den Auftrag zu evangelisieren. Sie hat außerdem den Auftrag, die Christen zur Stärkung ihres Glaubens zu schulen und ihnen Wege zu eröffnen, sich zu engagieren, und sie in ihrer Verantwortung im Dienst der Kirche und der Gesellschaft zu unterstützen.“197

Das aktive Apostolat wird in dieser Broschüre als Erbgut der Gemeinschaft bezeichnet, welches schon im Gründungsimpuls enthalten war. Fabre betrachtet es geradezu als eine Gefahr für die Kommunität, sich an den Rand der Gesellschaft zu stellen und sich von der Welt und ihren Kämpfen zurückzuziehen. Die Flucht aus der Welt ist für ihn keine Option.198 Die Kommunität wird nicht müde hervorzuheben, dass man sich als eine apostolische Gemeinschaft betrachtet, die im Dienst der Welt und der Ortskirche steht.199 Diese Ausrichtung wird mit der ignatianischen Tradition in Verbindung gebracht. Die beanspruchte geistige Verwandtschaft zur Ordenstradition der Jesuiten in Bezug auf die apostolische Ausrichtung kann man durchaus gelten lassen. Bei diesem Teil aus dem ignatianischen Erbgut handelt es sich allerdings um eine Gesinnung, die von Natur aus wenig quantifizierbar ist. Im nächsten Abschnitt sollen beispielhaft konkrete Seelsorgemethoden und Frömmigkeitsübungen verglichen werden.

2.2.2.2 Transformiertes Ideengut

Ein wichtiges Instrument in der Seelsorge waren und sind für die Jesuiten die Geistlichen Übungen.200 Die Exerzitien enthalten die religiösen Erfahrungen des Heiligen Ignatius von Loyola, wie er sie bei seiner eigenen Bekehrung gewonnen hat.201 Im vollen Umfang dauern die Geistlichen Übungen 30 Tage, jedoch hatte bereits Ignatius die 7-tägigen Exerzitien als eine weitere Möglichkeit vorgesehen. Das Ziel für die Exerzitanten besteht darin, in Objektivität und Freiheit des Geistes und unter göttlicher Inspiration eine Entscheidung für ihr Leben zu treffen.202 Als Instrumentarium zum Erreichen dieses Zieles dienen biblische Betrachtungen, die Methode zur Unterscheidung der Geister, die tägliche Gewissenserforschung, die Generalbeichte und ein geistliches Begleitungsverhältnis. Bei den 30-tägigen Exerzitien ist die erste Woche einer Standortbestimmung des eigenen Lebens gewidmet. Der Exerzitant soll sich darüber Klarheit verschaffen, ob eine Veränderung im äußeren Lebensrahmen oder bei den Zukunftsperspektiven nötig oder wünschenswert ist. Die Struktur der zweiten bis vierten Woche folgt der Geschichte Jesu, wie sie das Neue Testament vorgibt. In der zweiten Woche betrachtet man das Leben Jesu, seine Lehrtätigkeit und seine Wunder. Die dritte Woche beginnt mit dem Abendmahl und schließt mit der Grablegung ab. Die vierte Woche beinhaltet die Auferstehung und alle darauf folgenden Ereignisse. Diese Betrachtungen werden nicht als ein rationaler Prozess dargeboten, sondern sollen den Exerzitanten affektiv ansprechen.203

Auch für CCN spielen die Exerzitien eine herausgehobene Rolle. Die Konstitutionen fordern jedes CCN-Mitglied auf, einmal im Jahr die siebentägigen Exerzitien zu besuchen. Vor einer verbindlichen Aufnahme in die Kommunität absolviert der Aufnahmekandidat die 30-tägigen Exerzitien.204 Nicht nur die CCN-Vollmitglieder durchlaufen die Exerzitien, auch den Teilnehmern an Weiterbildungsprogrammen205 oder den Studenten in den von CCN geführten Wohnheimen wird die Teilnahme an den Exerzitien nahegelegt.206 Neben der geistlichen Formung der CCN-Mitglieder und Sympathisanten stellen die Exerzitien einen Teil des verbandlichen Apostolats dar. In der Broschüre „Formation Chretienne“, in der CCN unter interessierten Gläubigen für Kurse und Veranstaltungen wirbt, werden über das Jahr verteilt in verschiedenen französischen Städten elf Angebote für die siebentägigen Exerzitien unterbreitet und ein Kurs der 30-tägigen Exerzitien angeboten.207 In Deutschland werden die ignatianischen Exerzitien in der CCN-Niederlassung in Berlin-Lankwitz gehalten und richten sich an die Verbandsmitglieder sowie an außenstehende Interessenten.208

In einer Sonderausgabe des FOI, die der ignatianischen Spiritualität gewidmet ist,209 werden unter anderem die CCN-Exerzitien vorgestellt, was einen Einblick in die Ausgestaltung der Geistlichen Übungen durch CCN und einen Vergleich mit dem ignatianischen Original erlaubt. Christophe Blin, ein Priester der Gemeinschaft CCN, Mitglied des französischen Nationalteams und Exerzitienmeister,210 beschreibt, welche Ziele und Methoden er mit den Exerzitien verbindet und wo er Parallelen mit dem ignatianischen Vorbild sieht. Er meint, die Unmittelbarkeit der Gotteserfahrung sei ein Gedanke, in dem ignatianisches und charismatisches Gedankengut konvergieren. Bei den Exerzitien erlebe der Einzelne die Präsenz Gottes durch den Heiligen Geist in einer existentiellen und unmittelbaren Ergriffenheit. Das Ziel der ignatianischen Exerzitien besteht darin, die Teilnehmer zu einer Lebensentscheidung zu führen. Der Exerzitant soll eine Wahl treffen und im Idealfall sein Leben in Gottes Hände legen. Christophe Blin deutet dieses als eine Parallele zur Taufe im Heiligen Geist. Auch diese stelle eine Art Lebensübergabe dar. Der Empfang der Taufe im Heiligen Geist wird den Teilnehmern nahegelegt.211 Der CCN-Exerzitienmeister Christophe Blin versteht die theologischen Ansätze der mehrere jahrhundertealten ignatianischen Exerzitien nicht nur als mit den Ideen der neuzeitlichen pfingstkirchlichen Frömmigkeit vereinbar, sondern entdeckt darin auch konfessionsübergreifende bzw. -verbindende Elemente. Die zentrale Rolle des Wortes Gottes, die Freiheit des Gewissens und die Unmittelbarkeit der Gotteserfahrung machten die Exerzitien für Christen protestantischer Konfession interessant.212 Die Exerzitien werden bei CCN im Dienst der Ökumene gesehen. Vétö Étinne, der als CCN-Mitglied sowie Philosoph und Theologe vorgestellt wird, verknüpft die ignatianischen Exerzitien mit einer noch anderen Denkrichtung der neuzeitlichen Geistesgeschichte. Er verbindet die geistlichen Übungen mit psychologisch-therapeutischen Ansätzen. Mit Begriffen wie innere Heilung, Aufarbeiten von Schuld, Befreiung und Heilung innerer Verletzungen werden die ignatianischen Exerzitien mit Vorstellungen aus dem Bereich der ganzheitlichen Medizin und heilenden Seelsorge verflochten.213

Das Instrument der Exerzitien hat durch die Jahrhunderte verschiedene Ausgestaltungen erfahren und ist weiterentwickelt worden.214 Eine Weiterentwicklung im Denkrahmen der neuzeitlichen Theologie und Frömmigkeit ist pastoral durchaus legitim. Ob das Etikett „ignatianisch“ auf die Ausgestaltungsvariante der CCN-Exerzitien noch passt, ist allerdings fragwürdig. Die Schilderungen der beiden CCN-Exerzitienmeister lassen erkennen, dass CCN zwar das ignatianische Seelsorgemittel der Exerzitien übernommen hat, die Geistlichen Übungen aber mit neuem Gedankengut füllt. Charismatische Konzepte, ökumenische Impulse und Anregungen aus dem Bereich der therapeutisch-ganzheitlichen Seelsorge werden bei CCN in die Exerzitien eingebracht. Das geht weit über die ursprünglichen ignatianischen Inhalte hinaus. Es ist zu fragen, ob man hier von einer authentischen ignatianischen Tradition sprechen kann. Treffender erscheint es, von einem transformierten ignatiani-schen Ideengut zu sprechen.

2.2.2.3 Ein Beispiel kompletter Divergenz

Das tägliche Lesen der Heiligen Schrift wird bei der Selbstzuschreibung des ignatianischen Erbes in der Vorstellungsbroschüre an erster Stelle genannt. Die CCN-Konstitutionen verbinden die Schriftlektüre mit dem täglichen persönlichen Gebet.

In den Konstitutionen heißt es dazu:

„Wir engagieren uns entschlossen jeden Tag persönlich zu beten; das bedeutet wirklich eine tägliche und regelmäßige ‚Atempause‘ (Zeit des Innehaltens). Ohne diese tägliche Beziehung mit Gott wird unser Gemeinschaftsleben schnell seine ganze Bedeutung verlieren. So ist die Gemeinschaft auch ein ‚Gebetsbund‘, wo jeder zu einem persönlichen Gebet gerufen ist, wobei die Dauer und die Modalitäten mit der Fraternität und dem Begleiter näher zu bestimmen sind. Dieses persönliche Gebet wird durch die tägliche Lektüre der Heiligen Schrift genährt werden.“215

Die Meditation der Heiligen Schrift ist nach den Konstitutionen die Grundlage für vielfältige und individuelle Gebetsformen, deren Dauer und Modalitäten innerhalb der Fraternität und mit dem geistlichen Begleiter abgestimmt werden. Es handelt sich um eine persönliche Frömmigkeitsübung, die den geistlichen Bedürfnissen des Einzelnen angepasst werden kann und die auf der Betrachtung biblischer Texte basiert.

Die Tradition der Jesuiten setzt in der Formula die geistliche Schriftlesung in Beziehung zur Predigttätigkeit.216 Die geistliche Schriftlesung fand in ihrer traditionellen Weise als Vortrag in der Kirche statt und war an die Gläubigen gerichtet zu deren Belehrung und Unterweisung. Diese Form der Schrifterklärung hatte nicht den Anspruch, akademisches Wissen zu vermitteln. Vielmehr richtete sich der Stoff nach den Fragen und Bedürfnissen der gewöhnlichen Gläubigen. Der Vortrag war in der Regel eine Vers-für-Vers-Interpretation. Nach den Intentionen des Ordensgründers sollte bei der Schrifterklärung weder die humanistische Art der historisch-kritischen Prüfung der Texte noch die scholastische Art der Schriftauslegung angewandt werden. Vielmehr sollte die geistliche Schriftlesung den Text im wörtlichen Sinn darstellen.217 Aus dieser öffentlichen Unterweisung in der Kirche wurde bei CCN eine private Andachtsübung, aus der Unterweisung der Gläubigen mit Hilfe einer bestimmten Auslegungsmethode eine persönliche Art der Schriftmeditation. Die Differenz zwischen der ursprünglichen Art der Schriftauslegung und dem privaten Gebetsleben bei CCN ist so groß, dass nicht ersichtlich ist, was die CCN-Praxis mit der reklamierten ignatianischen Tradition gemeinsam hat.218

Kann Ignatius’ Umgang mit der Heiligen Schrift auf andere Weise eine Vorbildfunktion gehabt haben? Der Ignatius-Kenner Gottfried Maron macht darauf aufmerksam, dass Ignatius von Loyola im Umgang mit der Bibel ziemlich in mittelalterlichen Denkweisen verhaftet war.219 Ein philologisches Interesse an den biblischen Quellen, wie es beim Humanismus seiner Zeit festzustellen war, fehlte Ignatius. Er spricht sich zwar für ein Erlernen der alten Sprachen aus, aber nicht, um die biblischen Texte mit sprachwissenschaftlichen Methoden besser erschließen zu können, wie es die Humanisten beabsichtigten. Ignatius plädierte für das Studium der alten Sprachen, „um die Vulgata in jeder Hinsicht besser verteidigen zu können“.220 Im Vergleich zur protestantischen Theologie seiner Zeit zeigte Ignatius kein Interesse am „Wort der Schrift“. Das lag teilweise in der Lebensgeschichte des Heiligen begründet. Seine Bekehrung speiste sich aus einem mystischen Erleben, nicht wie bei Luther, der durch das Wort der Schrift getroffen worden war.221 Bei den Exerzitien, an denen der ignatianische Umgang mit der Bibel gut ablesbar ist, steht nicht die Heilige Schrift in ihrer Gesamtheit und ihrer theologischen Aussageabsicht im Mittelpunkt. Vielmehr werden die Evangelien reduziert auf einen Lebenswandel Christi. Die geistlichen Übungen konfrontieren den Gläubigen weniger mit der Textaussage der Evangelien als mit anschaulichen Episoden aus dem Leben Jesu. Damit folgt Ignatius dem Vorbild der mittelalterlichen Erbauungsliteratur. Ignatius ist ebenso nur bedingt an der Historizität der biblischen Überlieferung interessiert. Zum Zweck der Kontemplation und besseren Visualisierbarkeit schmückt er die biblischen Überlieferungen aus. Dabei greift er auf apokryphes und legendarisches Material zurück. So verwendet er Stoffe aus der „Legenda Aurea“222 und der „Vita Christi“ von Ludolf von Sachsen.223 Inwieweit die in mittelalterlichen Denkbahnen verhaftete ignatianische Herangehensweise an die Bibel ein Vorbild für das tägliche Lesen und Meditieren des Wortes Gottes bei CCN sein kann, erschließt sich nicht.

2.2.3 Wertung

Die von CCN reklamierte ignatianische Tradition erweist sich als widersprüchlich und schwer einzuordnen.224 In einigen Punkten, wie der Priorität des Apostolats, ist durchaus eine Verwandtschaft zum ignatianischen Geist erkennbar. Die Exerzitien stehen als ein Beispiel für transformiertes ignatianisches Erbe. Die Konzepte und Methoden des heiligen Ignatius sind dabei mit neuem Gedankengut gefüllt worden. In die inhaltliche Neufüllung fließen unter anderem Ideen aus der charismatischen Glaubenslehre oder ökumenisches Gedankengut ein. In anderen Vollzügen wie der geistlichen Schriftlesung erschließt sich nicht, wo der Vergleichspunkt liegen soll.

Die Einschätzung, dass nur teilweise ein authentisches ignatianisches Erbe vorliegt, wird durch die Aussagen des CCN-Autors Timothy Watson bestätigt. Dieser attestiert, CCN habe das ignatianische Ideengut adaptiert und teilweise neu erfunden. Er nennt es „the reinvention and adaptation of Ignatian models for the new context of charismatic community life“.225 Watson sieht in der ignatianischen Lehre und Spiritualität hilfreiche Anknüpfungspunkte und eine Ergänzung für das charismatische Glaubensleben. Dieser Hinweis von Watson deutet an, dass CCN entsprechend den eigenen Bedürfnissen aus dem Fundus ignatianischer Instrumentarien geschöpft hat und sich dabei von den Bedürfnissen der charismatischen Glaubenspraxis leiten ließ. Im Übernahmeprozess ist das ignatianische Erbe nicht unwesentlich durch die dominierende pfingstkirchliche Spiritualität überformt worden.

2.2.4 Die Verankerung des ignatianischen Erbes bei CCN

Fragt man nach der Herkunft des ignatianischen Erbes bei CCN, zeigt sich, dass auch hier die Entwicklungslinien weniger eindeutig verlaufen, als es auf den ersten Blick scheint. Das ignatianische Erbe wurde nicht durch den Jesuiten Laurent Fabre in die Kommunität hineingetragen, wie es das Gründungsnarrativ nahelegt. Fabre sei sehr zurückhaltend gewesen und habe der Kommunität die ignatianische Tradition nicht auferlegt, erklärt Jacqueline Coutellier.226 Sie berichtet, innerhalb der Kommunität habe eine kleine Gruppe sich zur Aufgabe gestellt, über Ausbildungsfragen zu reflektieren. CCN-Verantwortliche hatten den Eindruck, die charismatische Spiritualität bedürfe einer mehr rationalen Überprüfung und Beurteilung. Die Mitbegründerin Coutellier und einer der ersten CCN-Priester Pierre Laslandes beschlossen deshalb 1976 im Prozess des Suchens, die 30-tägigen ignatianischen Exerzitien zusammen mit den Novizen des Jesuitenordens in Aix-en-Provence zu besuchen. Wie Coutellier ausführt, schätzt sie an den Exerzitien die „ignatianische Pädagogik“.227 In den folgenden Jahren nahmen weitere CCN-Mitglieder an den Exerzitienangeboten des Jesuitenordens teil, bis CCN es 1978/1979 erstmals wagte, in eigener Regie die siebentägigen Exerzitien im damals neu errichteten Bildungshaus in Les Pothières durchzuführen. Allerdings wurden auch die ersten CCN-Exerzitienkurse von Patres aus dem Jesuitenorden begleitet.228 Die ursprüngliche Befürchtung, die ignatianische Frömmigkeit würde nicht zur pfingstkirchlichen-charismatischen Glaubenspraxis passen, hat sich nach Einschätzung von CCN-Verantwortlichen nicht bewahrheitet. Aus dem Bemühen, die ignatianische Tradition kennenzulernen, erwuchsen freundschaftliche Kontakte zu einer Reihe von Jesuiten. Die Beziehung zum Jesuitenorden wird als eine „privilegierte Beziehung“229 beschrieben. Auf vielfältige Weise hätten Ordensleute aus dem Jesuitenorden CCN unterstützt.230 Der Prozess des Suchens und Ausprobierens von Formen der ignatianischen Frömmigkeit dauerte etliche Jahre an. Erst 1992, bei einer Gemeinschaftswoche der CCN-Vollmitglieder in der Abtei Sablonceaux, wurde die ignatianische Tradition definitiv als ein Element der Spiritualität anerkannt und in den Konstitutionen verankert.231

2.3 Die ökumenische Ausrichtung

2.3.1 Stellenwert der Ökumene und ökumenisches Selbstverständnis

In einer wiederkehrenden Formulierung stellt sich CCN als eine „katholische Gemeinschaft mit ökumenischer Berufung“232 vor. Viele Informationsbroschüren und Programmhefte gebrauchen diese Formulierung, manchmal sprachlich leicht variiert.233 Damit wird signalisiert, dass es sich um ein weiteres wichtiges Element des spirituellen Selbstverständnisses handelt. CCN versteht sich zunächst als eine katholische Gemeinschaft, die ökumenische Berufung tritt als eine weitere Eigenschaft hinzu. Die Vorstellungsbroschüre gibt in komprimierter Form einen Überblick über den Ursprung der Ökumene, über die biblischen Bezüge, über die christlichen Kirchen und Gemeinschaften, mit denen man in Beziehung steht, und zum Schluss folgt ein Hinweis auf die Umsetzungsmethode:

„Von Anfang an ist die Gemeinschaft durch die Begegnung von Geschwistern unterschiedlicher christlicher Konfessionen geprägt. So möchte sie dem Gebet, das Jesus vor seinem Tod gesprochen hat, treu sein: ‚Alle sollen eins sein.‘ (Joh. 17,21) Die Geschwister der Gemeinschaft sind Mitglieder verschiedener Kirchen: katholisch, orthodox, anglikanisch, evangelisch, freikirchlich oder aus einer Pfingstgemeinde stammend. Ohne ihre eigene Identität aufzugeben, leben, beten und evangelisieren sie gemeinsam in Verbundenheit mit ihrer jeweiligen Kirche.“234

Das Gemeinschaftsmanifest gibt weitere Erläuterungen zum ökumenischen Ideengut und unterstreicht die Bedeutung, indem der Ökumene auch in diesem Basistext Raum gegeben wird:

„Da die Trennung der Christen das größte Hindernis zur Evangelisation ist und da wir glauben, dass das Gebet Jesu Christi um die Einheit ‚Alle sollen eins sein, damit die Welt glaubt‘ erhört werden wird, teilen wir, orthodoxe, evangelische, freikirchliche und katholische Christen, ohne länger zu warten, demütig unseren Alltag.“235

Das Gemeinschaftsmanifest legt den Akzent auf das Ärgernis der Kirchenspaltung und auf die daraus resultierenden Schwierigkeiten bei den Apostolats- und Evangelisationsbemühungen. Mit dem Stichwort „Alltag“ wird ein bestimmtes Ökumenekonzept angedeutet, auf das bereits eingegangen worden ist.236

2.3.2 Der Ursprung des Ökumenegedankens

Als Erklärung für die ökumenische Ausrichtung von CCN bemüht Fabre das Gründungsnarrativ – das Gemeinschaftswochenende, bei dem er die Taufe im Heiligen Geist empfing. Fabre macht den Ursprung und die Bedeutung der ökumenischen Ausrichtung der Kommunität an diesem Ereignis fest, bei dem Christen der katholischen und episkopalen Kirche zusammenwirkten. Die Angehörigen beider Konfessionen waren zugleich Anhänger der pfingstkirchlichen Erweckungsbewegung. Fabre sieht in dem Schlüsselerlebnis, das durch das Zusammenwirken von Christen verschiedener Konfessionen zustande gekommen war, die ökumenische Ausrichtung der Kommunität in nuce vorgeformt.237 Fabre liest aus der Lebensgeschichte der beteiligten Personen noch mehr versteckte Hinweise heraus. Einer der beiden amerikanischen Episkopalisten hatte jüdische Wurzeln. Damit deutet Fabre eine tendenzielle Offenheit nicht nur gegenüber verschiedenen christlichen Konfessionen, sondern auch gegenüber unterschiedlichen Religionen an. Die beiden Episkopalisten kamen von Taizé, einem Pilgerort, der durch die Spiritualität der konfessionsüber-greifenden Bruderschaft von Taizé geprägt ist.238 Beide Amerikaner waren auf dem Weg nach Jerusalem, einem Ort, der allen christlichen Kirchen heilig ist und zugleich das Miteinander verschiedener Weltreligionen symbolisiert. Die Geburtsstunde der Kommunität sieht Fabre voller verborgener Anspielungen auf das Miteinander verschiedenen Konfessionen und Religionen. Die ökumenische Offenheit der Kommunität wird im Gründungsnarrativ einer gnadenhaften Verkettung der Umstände zugeschrieben.239

Ein theologisches Deutungsmodell für die ökumenische Orientierung charismatischer Gemeinschaften und Gruppierungen erscheint wissenschaftlicher und bildet eine notwendige Ergänzung zum Gründungsnarrativ. Die pfingstkirchliche Erneuerungsbewegung nahm ihren Ausgang in den protestantischen Religionsgemeinschaften Nordamerikas. Die ersten katholischen Anhänger dieser Bewegung waren sich der Tatsache sehr bewusst, dass sie einer Glaubenspraxis folgten, die ihren Ursprung außerhalb der eigenen Kirche hatte.240 „Frühe Pfingstler lebten in dem Bewusstsein einer universalen christlichen Gemeinschaft über alle Konfessionen hinweg.“241 Die Erfahrung der Geisttaufe und die damit einhergehende Bekehrung werden nach übereinstimmender theologischer Wertung als so fundamental beschrieben, dass Differenzen wie konservative oder liberale kirchenpolitische Ansichten oder protestantische und katholische konfessionelle Beheimatung dagegen als sekundär empfunden werden.242 Die Erneuerungsbewegung wird daher als „ökumenisch von Natur aus“,243 „transkonfessionell“244 oder als eine „transversale Bewegung“245 beschrieben. Ein Beobachter der charismatischen Bewegungen erklärt, die charismatische Erneuerung und die Ökumene seien füreinander geschaffen. Der ökumenische Geist und der interreligiöse Dialog seien die tragenden Säulen der charismatischen Erneuerungsbewegung.246 Durch diesen Geist ökumenischer Offenheit war auch die charismatische Gebetsgruppe geprägt, die von Mike Cawdrey gegründet worden war und aus der CCN hervorging.247 Die ökumenische Ausrichtung von CCN erscheint im Licht dieser Fakten weniger zufällig und singulär, als es die Gründungsgeschichte nahelegt, sondern mehr als die konsequente Fortführung eines in der charismatischen Erneuerung bereits enthaltenen Impulses.248

2.3.3 Die theologischen Grundlinien der CCN-Ökumene

Laurent Fabre nimmt in zwei Interviews249 Stellung zu der Frage, von welchen Prinzipien sich die Kommunität bei der Ökumene leiten lassen solle. Fabre macht seine Präferenzen anhand von Gegenüberstellungen zwischen gangbaren Wegen und Sackgassen in der Ökumene deutlich. Die ökumenischen Leitlinien, die Fabre seiner Kommunität als Handlungsmaßstab vorgibt, basieren auf ausgewählter theologischer Literatur, deren Entwürfe er als Leitbilder nostrifiziert hat.250 Als einen ersten Irrweg bezeichnet Fabre den Versuch, die Christen anderer Konfessionen zum Katholizismus zu bekehren. Eine fraglose Rückkehr von Christen anderer Konfessionen in den Schoß der katholischen Kirche sei in der heutigen Zeit nicht vorstellbar. Die Kirchengeschichte habe gezeigt, dass solche Versuche wirkungslos bleiben. Er bevorzuge den Weg der geduldigen Aufarbeitung und Auseinandersetzung zwischen den christlichen Konfessionen, also den Weg von Dialog und schrittweiser geduldiger Annäherung.251 Ebenso unvernünftig sei es, in dem Einheitsbemühen von unüberwindbaren Mauern zwischen den unterschiedlichen christlichen Konfessionen auszugehen. Die Hindernisse auf dem Weg zur Einheit der Christen seien nicht unüberwindlich, vor allem deshalb nicht, weil für Gott alles möglich sei. Das gemeinsame Gebet, der konfessionsübergreifende Einsatz bei der Evangelisierung und der ökumenische Alltag in der Kommunität würden zeigen, dass die Mauern nicht unüberwindlich sind.252 Ein Irrweg sei es auch, so Fabre weiter, wenn Ökumene zur Bildung von Doppelstrukturen führe. Es dürfe keinen Parallelismus geben, der sich auf unterschiedliche Weise äußern kann. Ökumene im Sinne von CCN heiße nicht, weil ein Katholik gesprochen habe, müsse nun auch ein Protestant sprechen, oder weil es eine katholische Eucharistiefeier gebe, müsse es auch einen protestantischen Gottesdienst geben.253 Eine weitere Sackgasse stellt in Fabres Augen die Forderung nach sofortiger Einheit dar, die er als „Fast-Food-Einheit“ bezeichnet. Ähnlich wie die Vorstellung von den unüberwindbaren Mauern würde diese Forderung grob verallgemeinern. Der Wunsch nach der sofortigen Einheit nehme die Unterschiede nicht ernst und könne nur zu einer Art vorgetäuschter Einheit führen, die die Differenzen nicht wahrhaben möchte.254 Die Bekehrung der Kirchen – la Métanoïa ecclésial – hält Fabre für eine unabdingbare Voraussetzung für die Ökumene.255 Des Weiteren verweist er auf die praktische, im Alltag gelebte Ökumene. Das gemeinsame Gebet und Bibellesen, die caritativen Dienste und die Evangelisationsbemühungen seien zwischen den Christen der verschiedenen Konfessionen bereits heute möglich. CCN gehe den demütigen Weg der alltäglichen Ökumene.256 Die theologischen Konzepte Fabres vermitteln einen ersten Einblick, welche Wege man bei CCN beschreiten will. Der Gedanke von der Alltagsökumene, der hier anklingt, verdient an späterer Stelle Beachtung, weil ihm im Gesamtkonzept eine wichtige Rolle zukommt.

2.3.4 Zuordnung zu theologischen Konzepten

Die Äußerungen des Gründers und andere Verlautbarungen zu diesem Thema deuten darauf hin, dass sich CCN von einem praktisch-pragmatischen Ökumenekonzept leiten lässt. Ökumene bedarf nach Fabre der intellektuellen theologischen Arbeit. Für CCN sei es aber zuerst der „Weg des Alltags“.257 Das heißt für ihn, Christen verschiedener Konfessionen leben in den CCN-Fraternitäten zusammen, sie arbeiten gemeinsam an sozialen und missionarischen Projekten der Kommunität und legen in der säkularisierten Gesellschaft Zeugnis für den christlichen Glauben ab. Die Frage, wo man die verbandstypische Ökumene am deutlichsten wahrnehmen könne, beantwortet ein CCN-Mitglied mit dem Verweis auf das Alltagsleben der Kommunität. Da gebe es nichts Außergewöhnliches zu sehen, nur die tägliche Routine, Gebete, pastorale Einsätze, Arbeit im Haus, gemeinsamer Austausch, die täglichen Herausforderungen eben, aber diese würden gemeinsam bestanden. Darin zeigt sich nach Ansicht des Kommunitätsmitglieds das Charakteristische der CCN-Ökumene.258

Was die Kommunität als Alltagsökumene betitelt, wird in der Theologie unter dem Konzept der „pragmatischen Ökumene“ und der „geistlichen Ökumene“ thematisiert. Ein Autor aus dem Fachbereich Ökumene weist darauf hin, dass die Einheitsbestrebungen in der Krise sind.259 Der Enthusiasmus der 60er und 70er Jahre sei verflogen. Die nachlassende Religiosität in Westeuropa führe bei den verbleibenden Christen zu einer Betonung der eigenen konfessionellen Identität. Die kirchenamtlichen Konsensgespräche hätten trotz jahrzehntelangen Bemühens zu keiner Annäherung geführt. Der Versuch, die kirchentrennenden Lehrunterschiede doktrinell aufzuarbeiten, habe noch nicht einmal zu einem Konsens über eine ökumenische Hermeneutik geführt. Die grundlegenden Fragen, wie viel sichtbare und organisatorische Einheit angestrebt werden muss und ab wann Abweichungen in Lehrfragen als legitime Vielfalt oder als kirchentrennend betrachtet werden müsse, würden auch nach vielen Dialoggesprächen unbeantwortet bleiben.260 Angesichts der Schwierigkeiten der doktrinellen Ökumene richtet sich das Augenmerk verstärkt auf die praktische und die geistliche Ökumene. Bei der praktischen Ökumene steht die sozialpastorale Zusammenarbeit im Vordergrund. Man sieht von den kirchentrennenden dogmatischen Positionen ab. Sattdessen setzt man auf soziale Projekte, das gemeinsame Eintreten für ethische Positionen in einer säkularen Öffentlichkeit oder eine Kooperation in der kategorialen Seelsorge.261 Die geistliche Ökumene richtet das Augenmerk auf die Grundlagen des christlichen Glaubens, das gemeinsame Gebet und das Lesen der Heiligen Schrift. Durch die Konzentration auf die spirituellen Grundlagen wird das Gemeinsame betont, nicht das Trennende. In beiden Ansätzen werden Differenzen zugunsten der Gemeinsamkeiten zurückgestellt.262 Dieses praktisch-geistliche Ökumenekonzept verfolgt auch CCN. Die Äußerungen Fabres deuten bereits an, dass man nicht bei der Doktrin ansetzt. Die Unterschiede in der Glaubenslehre und Glaubenspraxis der christlichen Konfessionen werden bei CCN zur Kenntnis genommen, ohne den Anspruch zu erheben, sie lösen zu müssen. Eine theologische Auseinandersetzung um Inhalte tritt zurück. Im Vordergrund steht der Wille zur praktischen Relativierung der Konfessionsgrenzen.263 Eine ausgeprägte Pneumatologie bildet den Kern des ökumenischen Bemühens. Ökumene wird zuerst als ein geistlicher Prozess verstanden. In der kirchlichen Öffentlichkeit hat sich CCN die Reputation erworben, eine ökumenefreundliche Gemeinschaft zu sein.264

2.3.5 Umsetzung der alltagsorientierten und geistlichen Ökumene

Die Konstitutionen geben eine Reihe von Anweisungen, wie die ökumenische Gesinnung in der Kommunität gelebt werden soll. Zu den geistlichen Pflichten der CCN-Mitglieder gehört das tägliche Gebet für die Einheit der Christen. Ein von der Kommunität zusammengestelltes Gebet für die Einheit der Christen gehört zum allmorgendlichen Gebetspensum der CCN-Mitglieder.265 Der Donnerstag, also der Tag des Letzten Abendmahls, steht im Wochenrhythmus der Kommunität besonders unter dem Gedanken der Ökumene. In der Heiligen Messe wird für die Einheit der Kirchen gebetet. Zur Ausgestaltung der Messe für die Einheit der Christen hat die Gemeinschaft eine eigene Symbolik entwickelt. Eine leere Schale und ein leerer Kelch werden zum Altar getragen. Dabei wird Psalm 122 gesungen: „Ich freute mich, als man mir sagte: Zum Haus des Herren wollen wir pilgern.“ Die leeren Gefäße sollen die nicht vorhandene Mahlgemeinschaft vor Augen führen und andeuten, dass sie von Gott gefüllt werden müssen, der als Einziger die Einheit schenken kann. Diese Symbolik soll den Schmerz der Trennung versinnbildlichen und die Hoffnung auf Einheit zum Ausdruck bringen.266 Die Konstitutionen fordern die Mitglieder auf, an den Gottesdiensten anderer christlicher Kirchen teilzunehmen. Die CCN-Mitglieder sollen Kontakt mit den Verantwortlichen anderer Kirchen aufnehmen, um ihnen ihre Verfügbarkeit für pastorale Dienste zu signalisieren.267 Den Kommunitätsmitgliedern wird nahegelegt, sich in ökumenischen Themen weiterzubilden. Es werden Schulungen zu ökumenischen Themen angeregt. Dazu sollen unter anderem Referenten aus anderen Konfessionen eingeladen werden.268 Bei Treffen und Begegnungen mit Christen anderer Konfessionen sollen Gottesdienste in ihrem Ritus gefeiert werden.269

Timothy Watson geht näher auf die Handhabung des Sakramentenempfangs ein. Er betont, jedes Mitglied der Kommunität müsse seiner Religionsgemeinschaft Gehorsam leisten. CCN fragt nach Watson den jeweiligen katholischen Ortsbischof an, ob er die Einwilligung erteile, bei den Eucharistiefeiern „ökumenische Gastfreundschaft“ zu praktizieren. In Frankreich ist die Einladung an Nichtkatholiken, die Kommunion zu empfangen, nach seiner Einschätzung üblich.270 In den meisten Häusern der Kommunität ist die katholische Eucharistiefeier die Regel. Deshalb stellt sich vordringlich für die Nichtkatholiken die Frage, ob sie von der „ökumenischen Gastfreundschaft“ Gebrauch machen sollen. Unter der vorangestellten Bedeutsamkeit des Gehorsams führt Watson aus, die Nichtkatholiken bäten ihre Herkunftsgemeinschaft um die Erlaubnis, die Kommunion in der katholischen Kirche empfangen zu dürfen. Nur wenige Glaubensgemeinschaften versagten diese Einwilligung. Die meisten nichtkatholischen Gemeinschaften überlassen es nach Watsons Einschätzung dem Gewissen ihrer Anhänger, die katholische Kommunion zu empfangen.271 Im umgekehrten Fall, wenn Katholiken an protestantischen Abendmahlsfeiern teilnehmen, würde man die katholischen Gläubigen daran erinnern, dass ihre Kirche ihnen den Kommunionempfang nicht gestatte. Jedoch würden die Katholiken ermutigt (encouraged), ihrem eigenen Gewissen zu folgen. Diese Vorgehensweise betrachtet Watson als gute thomistische Theologie. Hier zeigt sich entweder eine Unkenntnis der katholischen Sakramentenlehre oder dass man es mit dem Gehorsam weniger genau nimmt, als man vorgibt.

Einschlägig für die interkonfessionelle Sakramentendisziplin ist can. 844. Der Normalfall wird in § 1 normiert: „Katholische Spender spenden die Sakramente erlaubt nur katholischen Gläubigen; ebenso empfangen diese die Sakramente erlaubt nur von katholischen Spendern“. In den nachfolgenden Paragraphen werden Ausnahmen von der Grundregel erlassen. Für die Zulassung von Christen, die nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, normiert § 4: Der Sakramentenempfang ist in Todesgefahr oder einer anderen schweren Notlage erlaubt. Die schwere Notlage ist vom Diözesanbischof oder der Bischofskonferenz festzustellen. Den Empfängern muss es physisch und moralisch unmöglich sein, einen Sakramentenspender seiner Konfession anzugehen. Außerdem wird erwartet, dass der Empfänger das Sakramentenverständnis der katholischen Kirche teilt. Die Schwelle für den ausnahmsweise erlaubten Sakramentenempfang ist hoch. Eine ökumenische Vereinsarbeit erfüllt den Ausnahmetatbestand nicht.272 Wenn Watson die Kommunionpraxis in Frankreich korrekt und ohne ideologische Nebenabsichten wiedergibt, wäre die Rechtsauslegung der erlaubnisgebenden französischen Bischöfe zu hinterfragen. Abweichend von Watsons Lagebeschreibung erklärt ein deutscher CCN-Verantwortlicher, die Erlaubnis zur „eucharistischen Gastfreundschaft“ werde von den katholischen Ortsbischöfen kaum gewährt. Das Erzbistum Köln habe der Anfrage von CCN beispielsweise eine klare Absage erteilt. In den deutschen Niederlassungen sei die katholische Eucharistiefeier das Übliche. Den nichtkatholischen CCN-Mitgliedern oder Veranstaltungsteilnehmern würde an Sonntagen eine Fahrmöglichkeit zu einem Gotteshaus ihrer Konfession angeboten. Sollten sie sich entschließen, an der katholischen Messfeier teilzunehmen, erhielten sie anstelle der Kommunion den Segen.273 Inwieweit die Differenzen in der Lagebeschreibung auf landestypischen Unterschieden beruhen – Watson spricht aus der Sicht eines englischen CCN-Mitglieds – oder eine theologisch korrektere Außendarstellung angestrebt wird, ist schwierig abzuschätzen. Die Darstellung von Watson scheint jedenfalls nicht die gängige kommunitäre Praxis widerzuspiegeln. Dem Bericht eines katholischen CCN-Mitglieds aus Straßburg ist zu entnehmen, dass das Kommunitätsmitglied sich über den Sakramentenempfang dezidiert Gedanken gemacht hat und die katholische Sakramentendisziplin gewissenhaft einhält.274

Neben der kirchenrechtlich brisanten Sakramentenpastoral findet das religiöse Gemeinschaftsleben der Kommunität in weiteren Andachts- und Frömmigkeitsformen seinen Ausdruck. Wie die Publikationen der Kommunität nahelegen, werden in den CCN-Zentren, also in Bildungs- und Exerzitienhäusern, regelmäßig Heilige Messen gefeiert. In einigen Kirchen und Kapellen der Gemeinschaft finden eucharistische Anbetungsstunden statt, in den klösterlich geprägten Niederlassungen werden einzelne Horen des Stundengebetes gemeinsam verrichtet.275 Auch bestimmte Formen der Marienfrömmigkeit werden gepflegt.276 Nichtkatholischen CCN-Mitgliedern oder Veranstaltungsteilnehmern steht es frei, an den katholisch geprägten Andachtsformen teilzunehmen. Es finden sich keine Hinweise darauf, dass Gottesdienstformen aus der protestantischen oder orthodoxen Tradition zum festen Tages- oder Wochenprogramm gehören. Ausdrücklich erwähnt wird die Möglichkeit für nichtkatholische CCN-Mitglieder oder nichtkatholische Kursbesucher an Sonntagen Fahrmöglichkeiten zur nächstgelegenen Kirche ihrer Konfession anzubieten.277

Einen festen Platz in der Sakramentenpraxis von CCN hat das Bußsakrament. Den Christen anderer Konfessionen wird anstelle der Beichte ein nichtsakramentales Beichtgespräch angeboten. Mitglieder der Kommunität und Kursbesucher merken an, die Unterschiede zwischen den Konfessionen würden oft in den kleinen Riten und Gesten deutlich. Protestantische Christen knieten z. B. während der Messe nicht oder bekreuzigten sich nicht. Das Beten der Allerheiligenlitanei oder bestimmte Formen der Marienverehrung führen gelegentlich zum Klärungsbedarf. Diesen Unterschieden begegnet CCN nach eigener Einschätzung mit einer Haltung der Flexibilität und Toleranz.

2.4 Weitere spirituelle Einflüsse

2.4.1 Die theresianische Spiritualität

Das CCN-Magazin Tychique aus dem Jahr 1991 nennt als weitere Komponenten im spirituellen Gesamtensemble der Gemeinschaft die theresianische Spiritualität, die sich auf das Leben und die Lehre der heiligen Theresia von Avila gründet. Die Kommunität, so beschreibt es der Tychique-Artikel, ginge an der Hand zweier Erwachsener – des heiligen Ignatius von Loyola und der heiligen Theresia von Avila.278 Der Tychique-Artikel charakterisiert Theresia von Avila als eine Frau des Gebetes und der Kontemplation und als eine Heilige voller Wärme, Begeisterung und Spontaneität. Theresia verkörpere für eine gemischt feminine und maskuline Gemeinschaft wie CCN das weibliche Element. Ihre Spiritualität stehe in einer Gemeinschaft, die sich apostolische Aktivitäten auf die Fahne geschrieben hat, für den notwendigen Gegenpol – die Kontemplation.279 Worin die geschichtlich gewachsenen Bezüge der Kommunität zur heiligen Theresia bestehen oder welche konkreten Gebets- und Andachtsformen theresianischer Natur sind, wird nicht aufgezeigt. Allgemein verweist der unbekannte Autor des Artikels darauf, dass es in Leben und Lehre der heiligen Theresia Parallelen zum ignatianischen Gedankengut gebe, weshalb diese Frömmigkeitsrichtung eine Ergänzung und Bestärkung sei.280 In den Quellen mit amtlichem Charakter wie den Konstitutionen, der Vorstellungsbroschüre oder der Homepage der Kommunität finden sich keine Hinweise auf die theresianische Spiritualität.281

Jacqueline Coutellier, die Frau, die neben Fabre einen wichtigen Beitrag zur Gründung der Kommunität geleistet hat, gibt sich als Befürworterin und Anhängerin der theresianischen Spiritualität aus.282 Coutellier verweist auch in neueren Veröffentlichungen darauf, dass diese Frömmigkeitsform zum Erbe und zum Auftrag von CCN gehöre. Coutellier berichtet von einer Exkursion anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Kommunität nach Spanien, wo man die Lebensstationen des heiligen Ignatius und der heiligen Theresia besucht habe.283 Sie greift in ihrer Darstellung erneut das Bild von der kleinen Gemeinschaft auf, die an den Händen zweier Erwachsener geht, nämlich von Ignatius und Theresia. Diese Veröffentlichungen führen zu dem Eindruck, Einzelpersonen oder kleine Gruppierungen innerhalb der Kommunität favorisieren spirituelle Akzente, die nicht auf der großen Linie „charismatisch-ignatianisch-ökumenisch“ liegen.

2.4.2 Spuren monastischer Spiritualität

Der Prozess der spirituellen Selbstfindung scheint noch nicht abgeschlossen zu sein. In den letzten Jahrzehnten wurde der Kommunität eine Reihe von Klöstern übertragen. In Frankreich hat CCN vier traditionsreiche, früher monastisch ausgerichtete Abteien übernommen. Teils wurden sie der Kommunität zur Nutzung überlassen, teils befinden sie sich in ihrem Eigentum: Hautecombe, Notre Dame des Dombes, Boquen, Sablonceaux.284 In den Niederlanden zog CCN in das Kloster Oosterhout ein, und in Spanien übernahm die Kommunität 2013 das ehemalige Trappistenkloster Aula Dei.285 Im algerischen Tibhirine übernahm CCN das Trappistenkloster, das durch einen Anschlag muslimischer Extremisten weltweit Bekanntheit erlangt hatte.286 CCN hat nicht nur die Klostergebäude übernommen, sondern auch etwas vom klösterlichen Geist. Timothy Watson, der die Entwicklungen bei CCN sehr zutreffend reflektiert, bemerkt, dass sich durch das Hineinwachsen der Gemeinschaft in eine klösterliche Atmosphäre auch die Liturgie gewandelt habe. Diese habe „stabilere Formen“287 angenommen. Das von Watson verwendete englische Wort „stable“ bedeutet in der deutschen Übersetzung: stabil, dauerhaft, ausgeglichen, gleichbleibend. Im Blick auf den charismatischen Charakter der Gemeinschaft, den Watson in seinem Artikel ausführlich beschrieben hat, liegt es nahe, dass er die neue monastisch inspirierte Liturgie von CCN der spontanen und emotionalen Gebetspraxis der Charismatiker gegenüberstellt.

CCN erhebt den Anspruch auch das Erbe des heiligen Benedikt, wie sie es in der Abtei Dombes vorgefunden habe, auf ihre Weise fortführen zu wollen.288 Ein gewisser klösterlicher Lebensrhythmus bestimmt die Abläufe der dortigen CCN-Fraternität. Es gibt feste Gebetszeiten, zu denen Glockengeläut einlädt. Auch den benediktinischen Grundsatz des ora et labora betrachten Vertreter der Kommunität als Hilfe und Bereicherung für ihr Gemeinschaftsleben. Das benediktinische Erbe sei zumindest teilweise in das Gesamtprofil integrierbar, meinen die Mitglieder der CCN-Fraternität von Dombes.289 In den klösterlich geprägten CCN-Niederlassungen werden bestimmte Horen des Stundengebetes gehalten, vornehmlich Laudes und Vesper.290 Bestimmte Mahlzeiten werden im Schweigen und unter Vortrag einer lectio divina eingenommen.291 Der Dienstagabend wird in einigen der klösterlichen CCN-Kommunitäten im Schweigen verbracht, auch darin lässt sich eine Spur monastischer Tradition finden.292 Das Liedrepertoire wurde für die vom monastischen Geist inspirierte Liturgie erweitert. Das ursprünglich sehr rhythmische charismatische Liedgut wurde ergänzt. CCN greift dazu auf Gesänge und Lieder von André Gouzes zurück und verwendet dessen kompositorisches Werk, die „Liturgie chorale du Peuple de Dieu“. Gouzes lässt sich bei seinen Kompositionen von der alten musikalischen Tradition der Kirche inspirieren, unter anderem auch von der Gregorianik. Das Ziel seiner liturgischen Gesänge ist es, eine Atmosphäre der Sammlung zu schaffen und den Reichtum der spirituellen und theologischen Tradition anzubieten.293 Dieses auf der monastischen musikalischen Tradition beruhende Liedgut wurde von CCN aufgegriffen. Zum Chorgebet und anderen öffentlichen liturgischen Feierlichkeiten tragen die CCN-Mitglieder weiße Kapuzenmäntel. Diese Kleidung erinnert ebenfalls an monastische Gebräuche. Die Kapuzenmäntel ähneln den Kukullen, dem Gewand, das von Mönchen zu den Chorgebeten getragen wird.294 Die weißen Gebetsmäntel verleihen den monastischen Einflüssen bei CCN ein hohes Maß an visueller Wahrnehmbarkeit.

2.5 Zusammenfassende Überlegungen zur Spiritualität

Zusammenfassend ist festzuhalten: CCN ist im großen Umfang von der Glaubenspraxis der pfingstkirchlichen Erneuerungsbewegung geprägt. Der pfingstkirchliche Zündfunke gab den Ausschlag zur Gründung der Gemeinschaft. Die Taufe im Heiligen Geist gilt auch bei CCN als eine Initiation in die Kommunität. Die außergewöhnlichen Gaben des Heiligen Geistes, die Glossolalie, die Prophetie und die Heilung, werden praktiziert. Das freie, spontane und gestenreiche Beten prägt viele Gebetszeiten.

Der pfingstkirchlichen Erweckungsbewegung ist eine inhärente Offenheit für die Ökumene mitgegeben. CCN greift diesen Impuls auf und kultiviert ihn. Daraus resultiert eine grundsätzlich positive Wertung der Ökumene. An erster Stelle geht es um eine Verlebendigung des Glaubens in den verschiedenen christlichen Konfessionen mithilfe einer charismatischen, ökumenischen Spiritualität. Eine sichtbare Einheit der Kirchen ist ein „eschatologisches Fernziel“.295 Die Ökumene-Bemühungen nehmen bei CCN eine alltagspraktische Gestalt an. Das kommuintäre Leben, pastorale und soziale Projekte werden von CCN-Mitgliedern verschiedener Konfessionen zusammen getragen.296 Dogmatische Auseinandersetzungen über Lehrfragen oder die institutionelle Einheit der Kirche treten zurück.297

Inwieweit sich CCN auf eine authentische ignatianische Tradition berufen kann, ist zweifelhaft. CCN hat die spirituellen Konzepte und pastoralen Instrumentarien des heiligen Ignatius von Loyola in transformierter Weise übernommen. In bestimmten Vollzügen ist durchaus eine geistige Verwandtschaft zu erkennen. In vielen Fällen jedoch hat CCN einige ausgewählte Ideen adaptiert und historischen ignatianischen Frömmigkeitsformen mit charismatischen Ideen neues Leben eingehaucht, wie es Timothy Watson formuliert.298 Bei manchen geistlichen Vollzügen fällt es allerdings schwer, überhaupt einen Vergleichspunkt zur reklamierten ignatianischen Tradition zu finden. Die ignatianische Tradition wurde erst 1992 in den Konstitutionen verankert. Das weist darauf hin, dass diese Spiritualitätsrichtung nicht zu den von vornherein selbstverständlichen Grundbausteinen gehörte.

Bei genauer Beobachtung lassen sich an den Rändern kleine Entwicklungen aufzeigen, die Einblicke hinter die Kulissen erlauben. So gibt es Versuche die theresianische Spiritualität bei CCN zu beheimaten. Die Veröffentlichungen lassen allerdings nur ein marginales Interesse der Gesamtkommunität an dieser Spiritualitätsrichtung erkennen. Andere Einflüsse könnten hingegen in Zukunft prägender werden. In den klösterlichen Niederlassungen, die zwar zahlenmäßig gering sind, aber doch durch eine hohe Konzentration von Personal und Organisation Gravitationszentren für die Kommunität darstellen, sind deutliche Spuren monastischer Einflüsse sichtbar.

131 In der Theologie wird der Begriff Spiritualität als das religiöse Leben eines Menschen definiert. Die Spiritualität umfasst Askese, Mystik, Gebet und Gebetsgebärden, Meditation, Kult und andere Ausdrucksformen der Gläubigkeit. Der Begriff wird oft synonym gebraucht mit Frömmigkeit oder Geistlichkeit und geht auf das lateinische Substantiv spiritualitas zurück (vgl. SUDBRACK, Spiritualität, 852-853; WALDENFELS, Spiritualität, 853).

132 Vgl. FABRE, Interview, 179.

133 Vgl. GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Konstitutionen, 17.

134 Vgl. FABRE, Grace.

135 WATSON, Life, 28.

136 Andere Theologen datieren den Ursprung der Pfingstbewegung um das Jahr 1900 in einer Bibelschule in Topeka im US-amerikanischen Bundesstaat Kansas und verbinden ihn mit der Person des Methodistenpfarrers Charles F. Parham (vgl. MOHR, Montanismus, 49).

137 Vgl. ZIMMERLING, Bewegungen, 15; LEHMANN, Erneuerung, 363; HOCKEN, Herr, 25. Die Wurzeln dieser Bewegung reichen noch weiter zurück bis zum Pietismus und zu diversen Erweckungsbewegungen im Protestantismus des 19. Jh. (vgl. MOHR, Montanismus, 49).

138 Vgl. ZIMMERLING, Bewegungen, 18; MOHR, Montanismus, 51.

139 Vgl. MÜHLEN, Dokumente, 113.

140 Vgl. ebd.

141 Vgl. LEHMANN, Erneuerung, 362.

142 PAPST PAUL VI., Chance, 6.

143 Vgl. FABRE, Grace, 118.

144 Vgl. ZIMMERLING, Bewegungen, 131.

145 Vgl. ebd., 238.

146 Ebd., 30.

147 Das Unbehagen mit der Moderne des 21. Jh., gegen das die charismatische Strömung ihr ganzheitliches Konzept setzt, wird mit den Schlagworten Individualisierung, Kommerzialisierung und Säkularisierung umrissen (vgl. ZIMMERLING, Bewegungen, 29–43).

148 WATSON, Life, 31.

149 Vgl. MÜHLEN, Einführung, 5.

150 RAHNER, Erlebnis,72.

151 Vgl. ebd., 76.

152 FABRE, Interview, 179.

153 Vgl. MONFORT, Corps, 18.

154 Vgl. MONFORT, Corps, 18.

155 GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Konstitutionen, 17.

156 GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Vorstellungsbroschüre, 17.

157 Vgl. ZIMMERLING, Bewegungen, 15–16.

158 HEINZ, Entwicklungen, 387.

159 Vgl. MOHR, Montanismus, 53.

160 Vgl. ZIMMERLING, Bewegungen, 138.

161 Vgl. ebd., 129.

162 Vgl. MOHR, Montanismus, 54.

163 Vgl. ZIMMERLING, Bewegungen, 129.

164 GMELCH, Gott, 143.

165 Vgl. ebd.

166 FABRE, Communauté, 85.

167 Vgl. ISAAC/DELTHIL, Prière, 4–5.

168 Vgl. FABRE, Communauté, 70.

169 Vgl. ebd.

170 Vgl. ebd., 85.

171 Vgl. MÜHLEN, Sprachgebet, 117. Bei einer CCN Kana-Woche konnten die Teilnehmer das Phänomen der Glossolalie folgenderweise erleben: Einzelne Teilnehmer der Gebetsversammlung sprachen zuerst geordnet – einer nach dem anderen – Gebetsbitten aus. Dann ergriffen immer mehr Beter gleichzeitig das Wort, sodass die einzelnen Gebete miteinander verschmolzen und in ein Stimmengewirr übergingen. Aus diesem Sprachgewirr entstand ab einem gewissen Punkt ein melodiöses Summen, ein harmonischer Vielklang, ein Singen ohne Worte. Das Singen in Zungen verstummte nach wenigen Minuten.

172 Vgl. HOCKEN, Herr, 41. Um das Sprachgebet Nichteingeweihten verständlich zu machen, verweist Heribert Mühlen auf traditionelle Gebetsformen, die ebenfalls nicht rational geprägt sind. Bei diesen Gebetsformen stehen nicht Inhalte im Vordergrund, sondern sie steigen aus der Personentiefe auf. Zu ihnen gehören Wiederholungsgebete, die zu einem Zustand des Betens führen, wie etwa das Herzensgebet, der Rosenkranz, meditatives Psalmengebet, die Halleluja-Rufe und viele Gesängen der Ostkirchen (vgl. MÜHLEN, Dokumente, 71).

173 Vgl. ZIMMERLING, Bewegungen, 91–92.

174 Vgl. ebd., 91.

175 Vgl. FABRE, Communauté, 86.

176 Vgl. SCHMIEDER, Prophetengabe, 80.

177 Vgl. ZIMMERLING, Bewegungen, 116.

178 Vgl. DY, Deuils, 12; RIZZO/RIZZO, Ma chi ce move, 14; GALOPIN, Âge, 13.

179 Vgl. DY, Deuils, 12.

180 Vgl. GALOPIN, Âge, 13.

181 Vgl. RIZZO/RIZZO, Ma chi ce move, 14.

182 Vgl. FABRE, Communauté, 86.

183 Vgl. COMBET/FABRE, Pfingstbewegung, 689–692.

184 Ebd., 692.

185 Vgl. SANFORD, Licht.

186 Vgl. MAC NUTT, Kraft.

187 Vgl. BLIN, Réconciliation, 21.

188 Vgl. FABRE, Communauté, 87–88.

189 GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Konstitutionen, 17.

190 Vgl. GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Vorstellungsbroschüre, 16.

191 Vgl. O’MALLEY, Jesuiten, 86.

192 Vgl. ebd., 32.

193 Vgl. O’MALLEY, Jesuiten, 87–88.

194 GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Konstitutionen, 18.

195 Die Begriffe Evangelisation, Mission und Apostolat werden in den Veröffentlichungen von CCN weitgehend synonym gebraucht.

196 GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Konstitutionen, 18–19.

197 GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Vorstellungsbroschüre, 28.

198 Vgl. FABRE, Communauté, 96–97.

199 Vgl. CCN, Une communauté apostolique, 3; CCN, En mission, 5.

200 Vgl. O’MALLEY, Jesuiten, 153.

201 Vgl. ebd., 16.

202 Vgl. ebd., 53.

203 Vgl. ebd., 58–59.

204 Vgl. GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Konstitutionen, 17; vgl. CCN, Esprit, 7.

205 Vgl. CCN, La formation, 27.

206 Vgl. WATSON, Life, 46.

207 Vgl. CCN, Formation, 16; vgl. https://www.chemin-neuf.fr/fr/propositions/vie-spirituelle/retraites/exercices-spirituels (zit.: 09. August 2017).

208 Vgl. GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF, Gemeinschaft.

209 Vgl. CCN, FOI, La Spiritualité Ignatienne.

210 Vgl. BLIN, Exercices, 78.

211 Vgl. ebd., 81.

212 Der Autor schätzt die Akzeptanz der ignatianischen Exerzitien unter protestantischen Christen wie folgt ein: „Tout ceci nous explique que si des frères protestants, de quelque église qu’ils soient, font les Exercices dans la CCN ou avec d’autres communautés du Renouveau, ils ne se sentent pas perdus dans un univers trop marqué par le catholicisme. Parfois, ils sont même renvoyés à leur propre foi, comme si les Exercices étaient vraiment faits pour l’ensemble des chrétiens. Ce qu’a voulu d’ailleurs saint Ignace en exprimant, dans ses lettres, le désir que les Exercices ne soient pas réservés à quelques-uns.“ (BLIN, Exercices, 79).

213 Vgl. VÉTÖ, Conversion, 32–36.

214 Vgl. LEFRANK, Exerzitien, 1109–1110.

215 GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Konstitutionen, 36.

216 Vgl. O’MALLEY, Jesuiten, 127.

217 Vgl. ebd., 128–134.

218 Eine Weiterentwicklung der Schrifterschließung für die Bedürfnisse des 21. Jh. ist durchaus pastoral sinnvoll und legitim. Stefan Kiechle unternimmt in seinem Buch „Ignatius von Loyola. Leben – Werk – Spiritualität“ das Unterfangen, die ignatianischen Methoden für die Neuzeit fruchtbar zu machen. Basierend auf einzelnen Gedanken des heiligen Ignatius, schlägt Kiechle eine Schriftbetrachtung in fünf Schritten vor, die weit über das Original hinausgeht. Wie bei CCN ist das historische Vorbild der öffentlichen Bibelunterweisung, bei Kiechle zu einer privaten Meditationsübung abgewandelt worden (vgl. KIECHLE, Ignatius, 103–108).

219 Vgl. MARON, Ignatius von Loyola, 30.

220 Ebd., 38.

221 Vgl. ebd., 39–43.

222 Die Legenda Aurea wurde um 1260 von Jacobus a Voragine zusammengestellt. Das Buch ist eine Sammlung von Heiligenlegenden und orientiert sich im Aufbau am Kirchenjahr und der Abfolge der Heiligenfeste. Es wurde in zahlreiche Volkssprachen übersetzt und war eine der bedeutendsten Schriften des Mittelalters (vgl. STRAUSS, Legenda, 741).

223 Vgl. MARON, Ignatius von Loyola, 37.

224 Bei der Beurteilung, was man als authentisches ignatianisches Erben betrachtet, spielt natürlich die Frage eine Rolle, wie der Begriff „ignatianisch“ definiert wird. Enzyklopädische Standardwerke führen „ignatianisch“ nicht als eigenes Stichwort auf, sondern handeln typisch ignatianische Seelsorgemethoden und Spiritualitätsformen wie die Exerzitien oder die Lehre von der Unterscheidung der Geister unter dem Eintrag Ignatius von Loyola ab und legen damit nahe, dass ignatianische Modelle und Methoden in direkter Weise mit Leben und Werk des heiligen Ignatius verbunden sind (vgl. SIEVERNICH, Ignatius von Loyola, 31–34; VERCRUYSSE, Ignatius von Loyola, 45–55; LEHMANN, Ignatius v. Loyola, 410–411). Der Autor Philip Endean vertritt die Meinung, der Begriff „ignatianisch“ sei letztlich kaum definierbar. „Much that is often presented as distinctively Ignatian in fact amounts to no more than an expression of Christianity as such.“ (ENDEAN, Rahner, 240) Nur einige große Linien ließen sich als typisch „ignatianisch“ ausmachen. Legt man einen weiten Begriffsrahmen zu Grunde, ließen sich natürlich mehr Phänomen unter dem Begriff „ignatianisch“ subsumieren.

225 WATSON, Life, 44.

226 „Si notre fondateur est jésuite, il a lui-même été très discret et ne nous a jamais imposé cette tradition.“ (COUTELLIER, Saint Ignace, 25–26).

227 Ebd., 24.

228 Vgl. ebd., 25.

229 Interview mit Gerold Jäger u. Estelle Sogbou v. 17. Dezember 2012 (Verf.), Pkt. 3; vgl. FABRE, Dimension, 17.

230 Durch die Vermittlung des Jesuiten Vincent Marcillac erhielt CCN sein erstes Domizil am Montée du Chemin Neuf in Lyon. Durch das Eintreten eines Bischofs aus dem Jesuitenorden, Ernest Kombo, konnte CCN die erste Auslandsniederlassung im Kongo gründen. Der Jesuit Etienne Pilain sei für CCN ein hilfreicher Berater gewesen, wobei offen bleibt, worin seine Ratgebertätigkeit bestanden hat. Pater Jean Dravet wird namentlich von der Kommunität als Begleiter bezeichnet, weil er als Novizenmeister die CCN-Mitglieder zur Teilnahme an den 30-tägigen geistlichen Übungen eingeladen hatte. Pater Odilon de Varine begleitete und unterstützte CCN bei den ersten Gehversuchen, Exerzitien im ignatianischen Geist durchzuführen (vgl. COUTELLIER, Saint Ignace, 24–26).

231 Vgl. COUTELLIER, Saint Ignace, 25.

232 GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Vorstellungsbroschüre, 2; vgl. CCN, L’œcuménisme, 15.

233 In einem CCN-Faltblatt über den Auslandsdienst heißt es: „Die Gemeinschaft ‚Chemin Neuf‘, 1973 in Lyon (Frankreich) entstanden, ist eine katholische Gemeinschaft mit ökumenischer Berufung, in der Mitglieder verschiedener Kirchen engagiert sind.“ (GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF, „Anderer Dienst“; fast gleichlautend schreibt der Flyer: GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF, Kana-Ehepaare). In einem Informationsblatt für die Jericho-Woche lautet die Formulierung ähnlich: „Die Gemeinschaft Chemin Neuf ist 1973 aus einem Gebetskreis in Lyon (F) entstanden. Sie ist eine katholische Gemeinschaft mit ökumenischer Berufung (GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF, Jericho-Woche). Gleichlautend auch der Text in: GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF, Let’s go, 17.

234 GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Vorstellungsbroschüre, 18.

Die CCN-Konstitutionen sprechen undifferenziert von Kirchenmitgliedern. Korrekter Weise muss man bei katholischen Christen von Kirchengliedschaft sprechen. Die Gliedschaft ist unverlierbar und unaufhebbar. Eine Mitgliedschaft kann aufgekündigt werden. Die katholische Kirche ist nicht korporativ oder mitgliedschaftlich konstituiert, sondern anstaltlich. Ebenso ist nach katholischer Auffassung der undifferenzierte Gebrauch der Bezeichnung „Kirche“ für Gemeinschaften aus der protestantischen Tradition unzulässig.

235 GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Vorstellungsbroschüre, 5.

236 Vgl. Abschnitt 2.2.4.

237 Vgl. FABRE, Interview, 179; WATSON, Life, 39.

238 Peter Zimmerling sieht in der Bruderschaft von Taizé den Prototyp einer ökumenischen Gemeinschaft, der für viel weitere GGB beispielgebend gewesen sei. Der Gründer der Bruderschaft Roger Schutz schreibt in der Regel, man solle sich niemals mit dem Skandal der Trennung unter den Christen abfinden und eine Leidenschaft für die Einheit des Leibes Christi in sich tragen. Der Gründer der Taizé-Kommunität bringt den Wunsch zum Ausdruck, die Mitglieder sollten sich für andere Konfessionen öffnen, ohne dabei mit ihrer Ursprungsfamilie zu brechen (vgl. ZIMMERLING, Communauté, 202–205).

239 Vgl. FABRE, Interview, 179.

240 Vgl. HOLLENWEGER, Christentum, 183; LANDRON, Communautés, 45; HEBRARD, Charismatiques, 101–102.

241 ZIMMERLING, Bewegungen, 247.

242 Bei dem Bemühen, die konfessionelle Offenheit der charismatischen Bewegung theologisch zu deuten, wird auf die paulinische Charismenlehre verwiesen. Die unterschiedlichen Gnadengaben werden dem einzelnen Gläubigen verliehen. Sie sollen aber zum Aufbau der ganzen Gemeinde beitragen. Die Geistesgaben ergänzen sich und bereichern sich gegenseitig. Der Gedanke wird gleichnishaft auf die unterschiedlichen christlichen Konfessionen ausgeweitet. Keine Konfession kann alle Gnadengaben voll verwirklichen. Daraus folgt, die Gaben der anderen Kirchen dankbar anzunehmen und sich mit den Geistesgaben gegenseitig zu bereichern (vgl. MÜHLEN, Dokumente, 248).

243 WATSON, Life, 36.

244 ZIMMERLING, Bewegungen, 248.

245 WILHELEM, Quarante ans après, 253: „Nous avons déjà noté que le Renouveau est un mouvement transversal qui touche à la fois les ‚Eglises historiques‘ et de multiples confessions et dénominations chrétiennes.“

246 Vgl. WILHELEM, Quarante ans après, 254.

247 Vgl. WATSON, Life, 32; CCN, Présentation 20/2009, 3; THE CHEMIN NEUF COMMUNITY, Origins, 30.

248 Oliver Landron macht deutlich, dass CCN nicht die einzige französische Gemeinschaft ist, die aus der Begegnung mit der pfingstkirchlichen Erweckungsbewegung hervorgegangen ist und die den ökumenischen Impuls dieser Bewegung weiterträgt. Die Communautés de Béthanie, Les Fondation de Monde nouveau, La Parole de Vie oder die Gemeinschaft Siloé gehören zu dem Typus der ökumenisch orientierten GGB (vgl. LANDRON, Communautés, 46).

249 Ein Interview zum Thema Ökumene gab Fabre dem Buchautor Frédéric Lenoir (vgl. FABRE, Interview, 177–191). Ein anderes führte er mit der Zeitschrift Unité des Chrétien (vgl. FABRE, Dimension, 16–21).

250 Fabre greift für die ökumenisch-theologischen Leitlinien nach eigenen Angaben auf Vorstellungen aus einem Buch von René Girault und Albert Nicolas zurück, welches nicht in deutscher Übersetzung erschienen ist (vgl. GIRAULT/NICOLAS, Trahir). In seinen Ausführungen beruft sich Fabre des Weiteren auf Theologen wie Yves Congar und Marc Boegner.

Yves Congar, geb. 1904 in Sedan, gest. 1995 in Paris. Der Dominikaner Congar gilt als einer der bedeutendsten französischen Theologen des 20. Jh. Er unterrichtete zunächst an der Ordenshochschule der Dominikaner Le Saulchoir, wurde zwischenzeitlich mit einem Lehrverbot belegt, dann aber unter Johannes XXIII. rehabilitiert. Er arbeitete in der Vorbereitungskommission des II. Vatikanischen Konzils mit und nahm als Berater am Konzil teil. Congar gilt als ein Wegbereiter der Ökumene. Papst Johannes Paul II. nahm ihn 1994 in Anerkennung seiner Verdienste in das Kardinalskollegium auf (vgl. OSNER, Congar, 1295–1296).

Marc Boegner, geb. 1881 in Épinal, gest. 1970 in Straßburg, war unter anderem Präsident des protestantischen Kirchenbundes, Präsident des Nationalrates der reformierten Kirchen und gehörte zum Gründungskreis des Ökumenischen Rates der Kirchen. Boegners Anliegen war die Einheit des frz. Protestantismus und die ökumenische Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche. Als Beobachter nahm er am II. Vatikanischen Konzil teil (vgl. NEUMANN, Boegner, 546).

251 Vgl. FABRE, Interview, 188.

252 Vgl. ebd., 189.

253 Vgl. FABRE, Dimension, 21.

254 Vgl. FABRE, Interview, 189.

255 In den Ausführungen, wie die Métanoïa ecclésial aussehen soll, beruft sich Fabre auf eine philosophische Vorstellung, die aus Lehrsätzen der modernen Physik über die Komplementarität schöpft. Danach können zwei gegensätzliche Aussagen wahr sein. Fabre nennt es die „gekreuzten Wahrheiten“. Das Gegenteil einer wahren Aussage muss nicht eine falsche Aussage sein, sondern kann in komplementärer Weise ebenso eine richtige Aussage sein. Jede Konfession könne die Aussagen der anderen gelten lassen, ohne die eigenen Überzeugungen zu verraten (vgl. FABRE, Interview, 189).

256 Vgl. FABRE, Manifeste, 5–6.

257 FABRE, Dimension, 17; GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Vorstellungsbroschüre, 5.

258 Vgl. HOFFSCHMIDT, Chemin Neuf Community, 117.

259 Thomas Bremer urteilt: „Die Erkenntnis, dass durch die Dialoge und sogar durch die erreichten Konsensdokumente keine Kircheneinheit erzielt, ja nicht einmal angenähert wird, setzt sich immer mehr durch.“ (BREMER, Ökumene, 35).

260 Vgl. BREMER, Ökumene, 18–21.

261 Vgl. ebd., 22.

262 Vgl. ebd., 32.

263 Diese Herangehensweise favorisiert nicht nur CCN. Eine Reihe von ökumenisch orientierten charismatischen Gemeinschaften lassen sich von vergleichbaren Handlungsmaximen leiten (vgl. GANOCZY, Ekklesiologie, 331).

264 Vgl. DARRICAU/PEYROUS, Communautés, 717; NIENTIEDT, Kinderschuhe, 66; PINA, Voyage, 41.

265 Vgl. WATSON, Couturier, 111. Der Gebetstext lautet: „Herr Jesus Christus, du hast gebetet, dass alle eins seien. Wir bitten dich um die Einheit der Christen, so wie du sie willst und auf die Art und Weise wie du sie willst. Dein Geist schenke uns, den Schmerz der Trennung zu erleiden, unsere Schuld zu erkennen und über jede Hoffnung hinaus zu hoffen. Amen.“ (http://www.chemin-neuf.ch/formations-chretiennes-de/oecumenisme [zit.: 09. August 2017]).

266 Vgl. Interview mit Gerold Jäger u. Estelle Sogbou v. 07. Juni 2011 (Verf.), Pkt. 4; vgl. WATSON, Couturier, 111.

267 Vgl. DELSUC, Souffrance, 56.

268 Das Bildungsprogramm von CCN erhält eine eigene Rubrik über die ökumenische Ausbildung. Die Ausbildungseinheiten befassen sich beispielsweise mit der Liturgie der reformierten Kirchen, gehalten von einem Professor der protestantischen Fakultät von Straßburg oder einer Vortragsreihe über die Katholiken und Protestanten im 17. Jh. in Europa, von einer Referentin aus dem Institut Catholique d’Études Supérieures (vgl. CCN, Formation, 26–27).

269 Vgl. GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Konstitutionen, 62–65. Ein Bericht des CCN-Mitgliedes Catherine Delsuc aus dem Alltagsleben einer Stadtviertelfraternität in Straßburg illustriert, wie die ökumenischen Vorgaben der CCN-Konstitutionen in einer Fraternität vor Ort aufgegriffen werden. Delsuc stellt die gemeinsamen Lobpreisgebete der CCN-Mitglieder aller Konfessionen an erste Stelle. In der Eucharistiefeier empfangen die Protestanten keine Kommunion, betont sie. Die Autorin schildert, sie ginge in evangelischen Gottesdiensten ebenfalls nicht zur Kommunion, obwohl die evangelischen Amtsträger oft alle Getauften dazu einladen. Delsuc möchte die Nichtteilnahme an der Kommunion als ein Zeichen der Verbundenheit mit der katholischen Kirche verstanden wissen, nicht als Ablehnung der anderen christlichen Gemeinschaften. Sie schildert weiter, dass sie Kurse in protestantischer Theologie besucht habe, um die evangelischen Schwestern und Brüder besser verstehen zu können. Sie habe dadurch die Bedeutung und den Reichtum des Wortes Gottes für sich entdeckt und gelernt, ihren eigenen Glauben besser zu verstehen. Die Autorin drückt die Überzeugung aus, dass alle Kirchen ein Geschenk Gottes seien und Zeugnis von der Vielfalt der Liebe Gottes geben. Sie ertrage die Trennung in Demut und bete für die Einheit der Christen (vgl. DELSUC, Souffrance, 56).

270 Vgl. WATSON, Couturier, 5.

271 Vgl. ebd.

272 Vgl. grundlegend: SCHMITT, Kommunion, bes. 167–175.

273 Interview mit Gerold Jäger u. Estelle Sogbou v. 07. Juni 2011 (Verf.), Pkt. 5.

274 Vgl. DELSUC, Souffrance, 56.

275 Vgl. DE NOBLET, Ora … et labora, 44.

276 Vgl. Interview mit Inga Vanagele v. 19. August 2011 (Verf.), Pkt. 7.

277 Vgl. Interview mit Inga Vanagele v. 19. August 2011 (Verf.), Pkt. 7.

278 Theresia von Avila, 1515–1582; Tochter eines jüdischen Vaters und einer christlichen Mutter, trat als junge Frau in das Karmelitinnen-Kloster ihrer Heimatstadt Avila ein. Nach einer inneren Krise und Bekehrung wurde sie zu einer Reformerin der Ordensdisziplin und gründete weitere 15 Karmelitinnen-Konvente. Ihr Leben war verbunden mit zahlreichen außerordentlichen mystischen Erfahrungen. In ihren geistlichen Schriften eröffnen die Gedanken „Freundschaft mit Gott“ und „inneres Gebet“ einen Zugang zu ihren theologischen Vorstellungen (vgl. DOBHAN, Teresa v. Ávila, 1487–1490).

279 Vgl. CCN, Esprit, 7.

280 Vgl. CCN, Esprit, 7.

281 Nichtsdestotrotz wird die nicht greifbare theresianische Spiritualität bisweilen als Charakteristikum von CCN benannt (vgl. NIENTIEDT, Weg, 6).

282 Vgl. COUTELLIER, Saint Ignace, 24–27.

283 Vgl. THE CHEMIN NEUF COMMUNITY, Origins, 33. Der Artikel im FOI 37 ist ohne Nennung des Verfassers. Der Autor bzw. die Autorin, der/die in der ersten Person Singular spricht, muss mit großer Wahrscheinlichkeit Jacqueline Coutellier sein. Stoff und Schreibstil des Artikels tragen ihre Handschrift.

284 Vgl. GEMEINSCHAFT CHEMIN NEUF (Hg.), Vorstellungsbroschüre, 46.

285 Diese Aufzählung umfasst nur ehemals monastische Klöster. Daneben hat CCN etliche Schwesternhäusern und Konvente von Ordenskongregationen übernommen. Die Übernahme des Hauses der Sœurs de l’Adoration im Jahr 1980 war eine der ersten. Den Ordensfrauen war das Konventsgebäude zu groß geworden, weshalb sie es an CCN übergaben. Als ein Beispiel aus Deutschland kann die Übernahme der ehemaligen Ordensniederlassung in Berlin-Lankwitz genannt werden. Die Übernahme von nicht-monastischen Ordenshäusern und Konventen hat allerdings auf die Spiritualität von CCN keinen messbaren Einfluss.

286 Vgl. http://www.chemin-neuf.ch/international/annuaire-fr/algerie/tibhirine (zit.: 28. August 2017)

287 Watson spricht von einem „more stable liturgical style of worship“ (WATSON, Couturier, 4).

288 Vgl. DE NOBLET, Ora … et labora, 44.

289 Vgl. ebd., 44.

290 Vgl. ebd.

291 Vgl. Interview mit Inga Vanagele v. 19. August 2011 (Verf.), Pkt. 3.

292 Vgl. DE NOBLET, Ora … et labora, 44.

293 Vgl. BOURGEOIS, Chorgebet, 24; Interview mit Gerold Jäger u. Estelle Sogbou v. 07. Juni 2011 (Verf.), Pkt. 4.

294 Vgl. FRANK, Kukulle, 393.

295 ZIMMERLING, Bewegungen, 248.

296 Vgl. FABRE, Manifeste, 5–6.

297 Thomas Bremer erklärt die ökumenische Offenheit der charismatischen Gemeinschaften so: „Auffallend ist hier der fast völlige Verzicht auf theologische, wenigstes aber auf ekklesiologische Reflexionen. Das liegt in der Logik der Betonung der Geisterfahrung des Einzelnen. Nicht die strukturierte Gemeinschaft ist wichtig […], sondern die unmittelbare spirituelle Erfahrung des einzelnen Mitglieds.“ (BREMER, Ökumene, 33).

298 Vgl. WATSON, Life, 44.



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