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Kapitel 2 Alles inklusive

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Zwei Herren in den späten Zwanzigern schlawenzelten schon eine ganze Weile von Schalter zu Schalter in der Halle herum. Je mehr ihr auf die Angebote bei den anderen guckt, desto mehr werdet ihr bei mir hängen bleiben, dachte ich. Ich hatte morgens kurz bei den wichtigsten Konkurrenten gecheckt, was sie heute feilboten, und für mich beschlossen, dass die links von mir wohl noch nicht begriffen hatten, dass man Mitte November ein wenig mehr im Angebot haben sollte als Lamezia Terme, Warna oder, na klar: Mallorca.

»Biete den Kunden, was sie selbst nicht haben«, hat mein Vater oft gesagt, »sie werden dich belohnen mit dem, was du von ihnen haben willst!« Warmes für Bares, sozusagen. Oder auch: Sonne, Strand und Meer reichen halt nicht immer, wenn das Ganze bei spätherbstlichen 12 Grad in Warna stattfindet. Namen wie Bali (Novemberdurchschnitt 31 Grad, Wasser 28), Ko Samui (30 und 27) und Guadeloupe (30 und 27) entfachen schlicht eine andere Wirkung, wenn man es warm haben will. Und natürlich bereit ist, ein wenig mehr auszugeben. Was nicht jeder kann und mancher, der es kann, nicht will.

Die Schnäppchenmentalität, ohne die die Branche der Last-Minute-Reiseanbieter gar nicht erst geboren worden wäre, braucht auch unter solchen Fern- und Traumreisedestinationen etwas günstigere Ziele. So kam es in den 80er- und 90er-Jahren zu einem Boom, der einem wunderschönen Inselstaat mit dem klangvollen Namen República Dominicana irgendwann den Stempel »Domrep« aufgedrückt hat. Wie »Malle« oder »Fuerte«. Ich kenne Menschen, die sagen, dass die Respektlosigkeit von Touristen in der Fremde schon durch die Abkürzung oder Verniedlichung ihres Reiseziels beim Buchungsprozess beginnt. Aber so weit würde ich nicht gehen. War es hier nicht vor ein paar Jahren auch auf einmal lustig, »Schland« zu sagen?

Als wäre ein verhältnismäßig günstiges Fernreiseziel nicht schon Anreiz genug, ging es weltweit, und besonders in einem Land wie der Dominikanischen Republik, schnell darum, den nächsten Wunsch der Schnäppchenjäger und -sammler zu befriedigen. »All inclusive« heißt das dann im Englischen. Alles inklusive. Und für uns »Domrep«-Sager: »all-inc«. Für den Reisenden, dessen Budget eigentlich nicht ausgelegt ist auf Indischen Ozean oder Karibik, macht es die Reise planbarer in ihren Gesamtkosten. Wenn ich in Deutschland im Reisebüro das Gefühl habe, dass außer den 1280 Euro keine weiteren Kosten anfallen werden, dann kann man sagen, das sei blauäugig – oder eben all inc.

Warum ich das erzähle? Weil die beiden Endzwanziger an dieser Stelle ins Spiel kommen. Weil sie nämlich an meinem Schalter angelangt waren. Seltsamerweise, das hörte ich ihnen schnell an, während sie sich über meine Angebote unterhielten, handelte es sich um Bayern, blässliche Bayern, die im Hamburger Spätherbst auf Schnäppchenjagd waren. Und die in die Wärme wollten. Das hörte man auch. Dass ihr Budget kalkulierbar sein sollte: klar. »Sagen Sie, auf Kuba sind doch die Nebenkosten überschaubar, oder? Oder haben Sie das auch AI?«

(Ich hätte das eben erklären müssen: Wenn einem die Abkürzung »all inc« für »all inclusive« zu lang ist, kann man natürlich auch »AI« sagen.) »Ne, leider nicht, aber was sucht ihr denn eigentlich?« (Ich weiß, es gibt Menschen, die mögen meine burschikose Art des Duzens nicht, aber die beiden? Kein Problem.) Ich verzichte hier darauf zu imitieren, wie sich dieses Gespräch zwischen zwei Bayern und einer Hamburgerin mit persischen Wurzeln angehört haben muss, denn ich weiß, dass man die Augen verdreht, wenn jemand versucht, einen Dialekt nachzumachen, der das so gar nicht beherrscht. Für mich bekam das Verkaufsgespräch dadurch aber gleich einen unterhaltsamen Charakter.

Es stellte sich heraus, dass die beiden einen gemeinsamen Geschäftstermin in Hamburg gehabt, vor ihrem Rückflug nach München noch ein wenig Zeit hatten und auf die glorreiche Idee gekommen waren, gemeinsam die Sau rauszulassen. Also urlaubstechnisch. An die Branche ihrer Geschäfte kann ich mich nicht erinnern, aber irgendetwas zwischen Facility- und Key-Account-Management wird es gewesen sein. Und da Flugzeuge, die zu Fernreisen aufbrechen, zum Großteil von Frankfurt oder München starten, musste ich den beiden gar nicht erst erklären, dass die Auswahl an Nonstop-Flügen (die sich deutlich von Direktflügen unterscheiden, denn wer einen Direktflug bucht, landet womöglich irgendwo zwischen, aber eben auf direktem Weg zum Ziel. Wollen Sie nicht zwischenlanden, achten Sie darauf, dass es ein Nonstop-Flug ist!) in die Karibik ab Frankfurt und München deutlich größer ist. Denn ab München hatte ich einiges Interessantes im System. »AI sollte es schon sein!«, beharrte der eine. »Kuba oder Domrep!«, fügte der andere hinzu. »Ab München!«, »Noch vor Weihnachten!« Ich hatte längst die Buchstaben POP (Flughafenkürzel von Puerto Plata, Dominikanische Republik) und PUJ für den zweiten großen Flughafen des Landes eingetippt. Punta Cana. Mir war nämlich schon am Morgen im System ein wirklich sehr gutes Angebot eines Viersternehauses einer renommierten spanischen Hotelkette, die in der Karibik sehr viele Häuser hat, ins Auge gesprungen. Es war nicht ganz verwunderlich, dass der Preis so gut war, da die Wochen vor Weihnachten wirkliche Schnäppchenwochen sein können. Viele Hotels sind relativ leer, bevor die Christmasseason losbricht und die Raten sich über (die Heilige) Nacht vervielfachen. Das ist übrigens ein Running Gag bei mir am Schalter und ich könnte ein eigenes Kapitel darüber schreiben, wenn Menschen der Unterart »Kunden« nicht verstehen, dass Menschen der Oberart »Weltbevölkerung« zu einem unfassbar großen Teil auf der Welt Weihnachten feiern und dass Menschen der Unterart »Reiseveranstalter« und Menschen der Unterart »Hotelier« genau das herausgefunden haben und nicht nur 1 und 1 zusammenzählen können, sondern auch noch 1000 und 1000. Wer Weihnachten und Silvester nicht Höchstpreise nimmt, ist kein guter Kaufmann. Aber für die Tage vor Weihnachten kann man wirklich gute Schnäppchen machen. Und wer die nicht anbietet, ist auch kein guter Kaufmann. Und dass ich zu diesem Hotelangebot nur noch einen passenden Flug ab München suchen musste, vereinfachte die Sache ungemein. »Ich habe hier ein Topviersternehotel in der Domrep. An einem der schönsten Strände, Playa Bávaro, das ist in der Nähe von Punta Cana.« Ich drehte den Computerbildschirm etwas nach vorn, damit die beiden Bayern die Fotos (schöne Fotos – Katalogfotos sind immer schön) sehen konnten. »Schaut gut aus!« (Denken Sie es sich bayerisch ausgesprochen!) »Hammer!« (Hörte sich für mich an wie eine Mischung aus Hummer, Oma und Eimer.) Ich korrigierte leicht: »Der Preis ist erst mal der Hammer! Kann ich euch sagen! Zwei Wochen im Viersternehotel‚ XXX Resort Hotel, Punta Cana, mit Direktflug ab München, 1480 D-Mark …« (Mein letzter D-Mark-Monat, vier Wochen später trat der Euro in unser Leben.) »Ist das AI?«, wurde ich unterbrochen. »Lass mich doch mal ausreden …«, erwiderte ich dem ersten Bayern, »sag mal, ist dein Kumpel immer so?«, fragte ich den zweiten – meine spezielle Art, wenn Menschen zusammen eine Reise machen wollen, beide einzubeziehen, da kann man verkaufstechnisch interessante Allianzen schmieden. »Na, passt schon, ist uns eben nur wichtig, dass da alles inklusive ist!«, sagte er und grinste mich an. »ALL INCLUSIVE!«, wiederholte Nummer zwei noch einmal und grinste mich ebenfalls an. »Ja, es ist all inclusive, wollte ich gerade sagen!«, sagte ich und grinste zurück. »All inclusive?!«, sagte Nummer eins noch einmal und zwinkerte mir zu. »Sag mal, sprech ich undeutlich? Wenn ichs doch sage. Da ist alles inklusive!« Der Rest ging schnell. Sie buchten die Reise und machten ein Schnäppchen. Tolles Hotel. Traumstrand. Spitzenpreis. Berechenbare Kosten. All inclusive! Alles inklusive. All inc. AI. Wie man es auch immer nennen mag.

Anfang Januar 2001 surrte mein Faxgerät am Schalter. Manchmal ist es schwierig, etwas in eigene Worte zu fassen, was man schon bei den Worten anderer kaum glauben kann. Deswegen habe ich mich entschlossen, dieses Schreiben hier Wort für Wort wiederzugeben. Wissen Sie, ich bekomme oft Dankesschreiben, wenn Kunden ihre Traumreise genossen haben oder ich ihnen etwas empfehlen konnte, das sie sonst vielleicht nicht gebucht hätten. Aber lesen Sie selbst:

Sehr geehrte Frau Komeyli,

wir hatten am 12. 11. 00 bei Ihnen die von XXX Reisen angebotene und durchgeführte Reise ins »XXX Resort Hotel« in Bávaro, Dominikanische Republik, vom 26. 11. bis 10. 12. 2000 gebucht, Buchungsnummer xxxxxx, Kopie anbei. Es handelte sich um ein sogenanntes »All inclusive«-Arrangement.

Leider mussten wir vor Ort feststellen, dass längst nicht alle gewünschten Leistungen »all inclusive« waren! Für uns zwei ledige, junge Herren in den besten Jahren gab es in der gesamten Hotelanlage nämlich leider keine attraktiven Sologirls, die allein reisten und die wir hätten kennenlernen können, damit sie uns für einen perfekten Urlaub »all inclusive« hätten zur Verfügung stehen können. Entweder waren die hübschen Mädels in unserem Alter alle »besetzt«, d. h., sie reisten mit Partner an, oder das Alterssegment alleinstehender Damen bewegte sich bei 50 Jahren und darüber – ein unzumutbarer Zustand!

Wir zeigten diesen gravierenden Reisemangel sofort bei dem örtlichen Reiseleiter, Herrn XXX, an, mit der Bitte, sofortige Abhilfe zu schaffen. Herr XXX stand unserem Problem völlig verständnislos gegenüber und konnte bzw. wollte uns nicht helfen. Er empfahl uns lediglich die örtliche Disco.

Insofern waren wir gezwungen, auf junge Damen außerhalb der Hotelanlage auszuweichen. Die Leistungen dieser Damen waren logischerweise nicht »all inclusive« und wir waren trotz großen Verhandlungsgeschicks gezwungen, jeweils 70 US-Dollar pro Mann und pro Nacht zu zahlen, was ein unerwartet großes Loch in unsere Reisekasse riss. Laut beigefügten Rechnungen können Sie erkennen, dass wir die Dienste dieser Damen an zwei Nächten in Anspruch genommen haben, sodass wir auf Kosten von 2 x 70 US-Dollar x zwei Nächte = 280 US-Dollar sitzengeblieben sind.

Wir bitten Sie deshalb, uns den Betrag von US-Dollar 280 per Verrechnungsscheck in DM zu erstatten und an meine oben genannte Adresse in XXX zu schicken. Da wir uns vor Ort trotz dieser fehlenden »All inclusive«-Leistung im Hotel anderweitig behelfen konnten, sehen wir von einer Schadensersatzforderung wegen entgangener Urlaubsfreuden ab.

Wir bitten um umgehende Antwort sowie eine zügige Abwicklung unseres Anliegens und verbleiben mit freundlichen Grüßen

XXX und XXX

Die beiden hatten sich übrigens wirklich eine Quittung von den örtlichen Prostituierten ausstellen lassen und diese mitgefaxt. Ich erspare Ihnen die Details.

Sie haben Ihr Baby am Airport vergessen

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