Читать книгу Am Ende des Schattens - Andreas Höll - Страница 8
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ОглавлениеAls er am nächsten Morgen ins Büro kam, versuchte er es erneut bei Lord Bakerfield. Der Verleger, so wurde ihm knapp beschieden, habe sich in Klausur begeben und wünsche keinesfalls gestört zu werden.
Auch beim Kaiser-Wilhelm-Institut hatte er kein Glück. Professor Fischer sei leider noch immer auf Reisen, beschied ihm dessen Vorzimmerdame und riet dazu, es nächste Woche wieder zu probieren.
Um auf andere Gedanken zu kommen, ließ er sich aus dem Zeitungsarchiv die Filmrezensionen kommen. Mit schüchternem Stolz verkündete seine Sekretärin, dass sie auch Material über den Schauspieler aus dem früheren deutschen Schutzgebiet gefunden habe. Dolphin blätterte in den vergilbten Seiten und stellte fest, dass er mal Lovis, dann Lewis, schließlich Louis Brody geschrieben wurde, was sich allmählich durchzusetzen begann. Fest stand, dass er in der deutschen Kolonie Kamerun als Ludwig M’bebe Mpessa geboren und mit fünfzehn Jahren ins Reich gekommen war, wo er sich offenbar überraschend schnell als Sänger, Musiker, Tänzer und Boxer etablieren konnte. Seine erste Rolle als riesenhafter Schwarzer, der im Namen der Blutrache einen Weißen tötet, erhielt er in dem Kriminalfilm Das Gesetz der Mine. Und nach Kriegsende tauchte er dann regelmäßig in großen Produktionen wie Die Herrin der Welt, Der kleine Muck oder Die Boxerbraut auf, dass sogar in Filmkritiken seine schauspielerische Leistung gewürdigt wurde.
Er war so in seine Lektüre vertieft, dass er zusammenzuckte, als das Telefon klingelte. Der Chef vom Dienst fragte nach, ob Berlin nicht etwas für ihn habe. Vielleicht ein follow-up zur letzten Schießerei? Dolphin versprach, darüber nachzudenken und sich bald zu melden.
Er hatte sich in vorderster Linie befunden und unentwegt fotografiert, bis er plötzlich zwischen die Fronten geraten war. Auf der einen Seite verschanzten sich SA-Trupps hinter einem umgekippten Lastwagen, auf der anderen lagen Rotfrontkämpfer hinter Barrikaden aus Leitern und Gerüsten, die Bauarbeiter in voller Absicht hatten liegen lassen. Plötzlich wurde es ganz still, und er spürte jenes Vibrieren in der Lendengegend, das Angst und Lust verheißt. Der Kitzel schien ihm Konturen zu verleihen, die bislang verborgen geblieben waren. Er fühlte seinen Brustkorb anschwellen, den Rücken breiter werden, fühlte den Nacken, wo Nervenstränge hervortraten. Er zog ihn ein, als erwarte er einen Hieb, spürte die Schweißperlen auf seiner Stirn, wenn sich der Körper gegen die Auslöschung aufbäumt und sich gegen fremde Kräfte stemmt, die im Kopf schon zu wirken beginnen. Und dann hörte er das Sirren einer Kugel, die knapp an seiner Schläfe vorbeistrich. Er warf sich auf den Boden, rappelte sich auf und konnte sich im Kugelhagel in einen Hinterhof retten, wenn Rettung auch bedeutet, dass man in einer Ecke mit einer Eisenstange niedergeschlagen wird und bewusstlos liegen bleibt, bis der Schmerz sich meldet, sobald man erwacht. Später gelang es ihm, sich in die Notaufnahme zu schleppen. Zum Glück, sagte der diensthabende Arzt, habe er einen Dickschädel und eine Konstitution wie ein Pferd.
Der Zwischenfall hatte ihn nicht davon abgehalten, einen zweiseitigen Artikel mit einzigartigen Fotos von der Bürgerkriegsfront zu publizieren, der auch in anderen englischen Zeitungen nachgedruckt wurde. Der Chef vom Dienst hatte ihn eigens angerufen und zu der Reportage gratuliert. Es galt nun, die Geschichte weiterzudrehen. Vielleicht könnte Professor Borsig helfen. Er kannte den Pathologen, einen profunden Gin-Trinker und Liebhaber alles Britischen, aus der Bristol Bar. Der war sichtlich bemüht, seine Freude über Dolphins Anruf zu dämpfen, und brummte, er habe etwas für ihn, um der Story, und hier ließ er ein fast akzentfreies Oxford English hören, den nötigen background zu verschaffen. Die letzte Straßenschlacht hätte ihm jedenfalls neue Kundschaft beschert.
Als er die Leichenhalle im Neuköllner Bezirkskrankenhaus betrat, winkte der Professor ihn herbei. Dann schlug er die Decke um und enthüllte einen grauenhaft zugerichteten Körper. Dolphin spürte, wie sein Gegenüber ihn beobachtete. Er musste sich beherrschen, als er ein amüsiertes Zucken der Mundwinkel zu sehen glaubte, und rettete sich mit der Frage, wie es passiert sei.
Borsig erklärte in leierndem Tonfall, der Nachwuchskommunist sei auf dem Nachhauseweg zunächst mit einem Faustschlag gegen das Kinn niedergestreckt worden, rückwärts auf das Straßenpflaster gefallen, vom Angreifer mehrfach mit den Stiefeln ins Gesicht getreten, dann in Hüfthöhe wiederholt aufgehoben und fallen gelassen worden. Das ergäbe das typische Bild: schwere Schürfungen am Unterkieferwinkel und am Hinterhaupt mit Blutunterlaufung in der Hirnschwarte, dazu grobfleckige und flächig angeordnete Hämatome, die für Faustschläge und Tritte mit dem beschuhten Fuß sprächen.
Dolphin musste sich zwingen, die Leica hervorzuholen, um das zerstörte Antlitz zu fotografieren. Borsig kam langsam in Fahrt. Die Aussicht, in der meistgelesenen Zeitung des Empire zitiert zu werden, schien ihn zu beflügeln. Er zog die nächste Decke beiseite. »Oder hier, ein SA-Mann im gleichen Alter«, kommentierte er, und bei diesem Anblick musste Dolphin sich abwenden, »ein typischer Fall von Enthirnung samt scharnierartigem Aufklaffen des Schädels in der Bruchlinie.«
Er verspürte einen Brechreiz. Der Pathologe musterte ihn. Es gelang ihm gerade noch, sich zu beherrschen, was Borsig nicht entgangen war. Auf seinen knappen Dank hin erwiderte der Professor: »Das kostet Sie einen Tanqueray.«
Als er im Freien war, ließ Dolphin sich auf eine Bank sinken und zündete sich eine Zigarette an. Er brauchte lange, seine gewölbte Hand vermochte die Flamme nicht vor dem Wind zu schützen, mehrere Versuche schlugen fehl, sodass er schon aufgeben wollte. Als er schließlich das Nikotin einsog, war der Ekel einer tiefen Traurigkeit gewichen. Was sollte er noch tun, um den Lord umzustimmen? Die Zentralredaktion, das wusste er, war von der Qualität des Berliner Büroleiters überzeugt. Konnte der Verleger nicht begreifen, dass er keine Karriere in London anstrebte?
Es kam ihm vor, als ob er das zweite Mal aus seiner Geburtsstadt vertrieben wurde, wenn auch unter gänzlich anderen Vorzeichen. Gegen Ende des Kriegs hatte er sich nach dem fremden England und seiner unfassbaren Zivilität gesehnt. Doch dieses Mal war er kein Jugendlicher mehr, sondern ein gestandener Reporter, der in der aufregendsten Metropole Europas, wenn nicht der ganzen Welt, arbeitete. Vielleicht fühlten Kriegsberichterstatter wie er, wenn er in seiner Kampfmontur ins Ungewisse aufbrach. Diese seltsame Mischung aus Erregung und Bedrohung. Wenn er sich dann im Getümmel befand, zog sich in seinem Kopf ein dunkler Raum zusammen, zu einem Netz aus Farben, Schreien, Schüssen, Schweiß, Blut, es war, als würde das eigene Ich sich auflösen und in Wellen wilder Euphorie treiben. Doch wenn er es recht bedachte, waren es nicht nur die Gefahren des Straßenkampfes, die ihn mitrissen, sondern die immer neuen Geschichten, die diese Stadt hervorbrachte. Die Tatsache, dass er seine Reportagen für eine britische Zeitung schrieb, schärfte sein Bewusstsein für die Einzigartigkeit der deutschen Hauptstadt. Sie injizierte eine Energie in seinen Körper, die kein Benzedrin mobilisieren konnte. So staunte er selbst darüber, dass er, wann immer es ging, sein Rudertraining auf dem Wannsee absolvierte. Neulich hatte er sogar einen Boxclub aufgesucht, um wie in Studententagen den Sandsack mit einer Kombination aus Jab und Uppercut zu traktieren, und wie damals floss der Schweiß über seine behaarte Brust, in der sich die Silberkette verfangen hatte. Sie glitzerte rhythmisch im Scheinwerferlicht, als sende sie Morsezeichen.
Ohne Zweifel befand er sich hier am richtigen Ort zur richtigen Zeit, ob er sich nun in spektakuläre Betrugsprozesse vertiefte oder den Forschungen des Kaiser-Wilhelm-Instituts auf der Spur war. Seine Neugierde trieb ihn voran, und er war fest entschlossen, diese atemlose Epoche in einem Buch zu verewigen, das er für sich das Berlin-Buch nannte.
Als er in das Büro kam, beauftragte er seine Sekretärin, den Film entwickeln zu lassen. Und nachdem er telefonisch weitere Auskünfte von einem Polizeispitzel, der ebenfalls auf seiner Gehaltsliste stand, und einem Informanten aus dem Innenministerium eingeholt hatte, setzte er sich an die Schreibmaschine und begann verschiedene Anfänge auszuprobieren, um nicht nur die britschen Leser, sondern auch den Herausgeber vom ersten Satz an zu fesseln.
Stunden später goss er sich ein Glas Whisky ein und schaute in die Nacht hinaus. Alles war dunkel, nur die Schreibtischlampe brannte. Er hatte gerade erst seinen Artikel nach London durchgegeben und im Anschluss wieder versucht, den Verleger zu erreichen. Es sei sehr dringend, sagte er dessen Privatsekretär. Doch offenbar war die Sache für den Lord längst erledigt. Aus Ärger schüttete er den Whisky in den Papierkorb, wo sich dunkle Lachen auf dem zusammengeknüllten Manuskriptpapier bildeten.
Er überlegte, Ella anzurufen. Dann fiel sein Blick auf die Einladungskarten, die er Woche für Woche um den Fuß der Schreibtischlampe gruppierte. Botschaften luden ein, Indus-trieverbände, Parteien, Sportveranstalter oder Börsenspekulanten. Dolphin sortierte sie nach Wochentagen, und siehe da, heute hatte der Finanzmagnat Hugo von Ernst geladen.
Einen Moment lang dachte er daran, einfach bei Ella vorbeizufahren und sie zu überraschen, doch sie würde sowieso ablehnen. Festivitäten dieser Extravaganz, das wusste er, kamen auf keinen Fall infrage. Egal, was er tun würde, sie wäre verstimmt. Schließlich verschwand er im Badezimmer, wo neben der Dusche auch ein Kleiderschrank Platz fand. Nachdem er die Haare gekämmt, mit einem Hauch Pomade geglättet und aus Zeitgründen auf eine Rasur verzichtet hatte, zog er ein frisches Hemd an, band sich eine Fliege um, und nach und nach komplettierte sich das Bild mit Frack, Zylinder und Abendcape. Er verscheuchte die Gedanken an Ella und schwang den Gehstock mit dem Derby-griff. Zum Teufel mit Lord Bakerfield! Noch war er in Berlin. Dolphin tänzelte die Stufen hinab, zum berühmtesten aller Gastgeber in der Tiergartenstraße.
Als er am nächsten Morgen erwachte, war es halb elf. Er hatte den Wecker nicht gehört. War das alles tatsächlich passiert? Er suchte nach verdächtigen Spuren. Keine Scherben, keine fremden Gegenstände. Dann sah er das Taschentuch voller Blut auf dem Nachttisch liegen. Und offene Sicherheitsnadeln, die so verstreut waren, als kämpften sie mit erhobener Klinge.
Nach einer eiskalten Dusche und einem viel zu heißen Schluck Kaffee, den er fluchend in das Spülbecken spuckte, knallte er die Wohnungstür zu.
In der Knesebeckstraße suchte er eine Weile nach seinem Cabriolet. Womöglich hatte er es eine Straße weiter geparkt, und tatsächlich, es stand vor dem Milchladen. Er ging hinein und bestellte ein Glas.
So langsam beruhigte er sich. Let the past be the past, hörte er seinen verstorbenen Vater sagen, wie damals, als sie nach England gekommen waren.
Dolphin zwängte sich in seinen BMW. Als er auf die Potsdamer Straße fuhr, waren die Trottoirs voller Fußgänger, auf der Straße drängelten sich Radfahrer zwischen Lastwagen und Automobilen. Er verfluchte den Verkehr. Jetzt kam er nicht einmal mehr schrittweise voran.
Sein Kopf schmerzte. Er öffnete das Handschuhfach, fand unter den Wagenpapieren eine an den Rändern gelblich verfärbte Benzedrintablette, würgte sie hinunter, öffnete das Fenster und spürte die kalte Luft in seinem Gesicht.
Woran er sich erinnern konnte:
Das Strahlen des Gastgebers, das selbst dann nicht erlosch, als er Dolphin dem Ex-Kronprinzen vorgestellt und seine Exzellenz erwidert hatte: »Verzeihung, muss ich ihn kennen?«
Das Bassin in der Empfangshalle, eigens für den Abend aufgebaut, samt den darin schwimmenden Fässchen voll Kaviar, aus denen sich die Badenden mit den Händen bedienen konnten
Das Monokel des Generalobersts, das wie in einer Schmierenkomödie herausfiel, als jemand ihn versehentlich anstieß
Die Silbertabletts voller Champagner und Liköre, die sich immer schneller um ihn drehten, als stünde er im Zentrum eines Karussells
Ein Hauch von Knoblauchgeruch, als Harry Graf Kessler ihm ein so good to see you zuwarf und dabei dem Bildhauer Mail-lol erklärte, warum Englisch die zweitschönste Sprache Europas sei und die Froschschenkel im Borchardt ein Graus
Der Bechstein-Flügel, der einsam aussah, obwohl er gespielt wurde
Ein schlaksiges Mädchen im Badeanzug, gerahmt in einem Kristallspiegel, bis es aus dem Bild kippte und verschwunden war
Der Klang von Eis, das in ein Whiskyglas gefüllt wurde
Mehr Schollen aus Eis, nun an Caspar David Friedrich erinnernd
Das Mädchen im Badeanzug, das sich als junge Frau entpuppt, mit hochstehenden Beckenknochen und komplizierten Bewegungen, als gehe sie bergauf, bis sie Anlauf nimmt und springt
Der gelbe Urinstrahl, versickernd in den Eiswürfeln des Pissoirs
Die Schwimmerin plötzlich neben ihm an der Bar, mit dunklem nassem Haar und einem Lächeln, bei dem sie ein Stück Zahnfleisch zeigt
Warum sie einen Hosenanzug anhat und eine Leica in der Hand hält, weiß er nicht, dafür sprechen sie eine Ewigkeit über Kleinbildkameras, Belichtungszeiten und, ja, Vogelperspektiven
Ihre Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen, das Zahnfleisch: Es kommt ihm vor, als zeige sie Wunden, die sie nicht hat
Warum überall so viel Eis? In den Gläsern, im Pissoir, im November?
Sie sprechen und trinken, als seien sie vor dem Verdursten
Irgendwann werden sie von jemanden fotografiert
Die kontrollierenden Blicke ihrer älteren Geliebten, so streng wie ihr Jungenscheitel
Leere Gläser voller Gin
Fast fällt sie herunter, als sie auf den Barhocker steigt, um ihn aus der Vogelperspektive zu fotografieren
Wieder die eifersüchtige Geliebte, ihr linkisches Zerren an der Leica, erfolgreich letztlich, ihr Abgang unter schweizerdeutschen Flüchen
Später Gelächter: Was hat Ablichten mit Abblitzen zu tun?
Ja, bei den Hottentotten wünscht er sich von dem Pianisten, doch der tut so, als ob er noch nie davon gehört habe und klappt den Klavierdeckel herunter
Wie lange er schon im Stau stand, konnte er nicht sagen. Erst, als ein Lastkraftwagen hinter ihm hupte, legte er den Gang ein und fuhr an. Er fühlte sich frischer, vielleicht war es die kalte Luft, die hereinströmte, vielleicht tat die Tablette ihre Wirkung. Er hatte sie von Dr. Benjamin, der ihn schon seit Kindheitstagen behandelte, gegen einen hartnäckigen Schnupfen verschrieben bekommen, und das Mittel hatte die wohltuende Nebenwirkung, dass man hellwach wurde. In letzter Zeit hatte er fast täglich eine Benzedrin genommen, bis ihn das Gefühl beschlich, damit aufhören zu müssen.
Als er endlich im Büro ankam, versuchte er Ella zu erreichen. Sie habe sich krankgemeldet, war die Antwort der Kollegin. Er probierte es zu Hause. Sie nahm nicht ab. Vielleicht schlief sie. Wahrscheinlicher schien ihm, dass sie gekränkt war, weil er sich gestern Abend nicht mehr gemeldet hatte. Ehe man es sich versah, war sie beleidigt. Und vermutlich wusste sie, dass er ohne sie ausgegangen war.
Er spürte, wie die Müdigkeit ihn übermannte, und schleppte sich vom Schreibtisch zum Diwan in der Ecke gegenüber, wo er in letzter Zeit immer häufiger übernachtete. Seine Fingerspitzen strichen über den Kelim, den er darübergeworfen hatte, und er versank in einen traumlosen Schlaf.
Er schrak auf, als der Fernsprecher klingelte. Wie lange war er eingenickt? Als er sich mühsam aufrichtete und nach dem Hörer griff, war niemand am Apparat. War es Ella gewesen? Oder London?
Das Mädchen im Badeanzug kam ihm in den Sinn. Hieß sie tatsächlich Sidonie?
Irgendwie mussten sie mit einem Taxi in die Knesebeckstraße gekommen sein. Was er mit Bestimmtheit wusste, war, dass sie sich nicht hatte ausziehen lassen.
Sie hatte sich mit Händen und Füßen gewehrt und selbst die Führung übernommen. Dolphin lag, nackt bis aufs Unterhemd, im Bett, während sie in die Küche ging, um nach etwas Trinkbarem zu suchen. Er war zu betrunken, um ihr zu folgen. Ihm war rätselhaft, woher sie diese Energie nahm. Die Energie einer, wie er hoffte, mindestens Einundzwanzigjährigen. Sie reichte ihm die Whiskyflasche und musterte ihn.
Sidonie klang viel zu onduliert für das kurze Haar und den drahtigen Körper, sie hatte nichts Welliges und Vielsilbiges. Etwas Entschiedenes ging von ihr aus. Selbst im größten Rausch schien sie in der Lage zu sein, ihr Gegenüber, ihre Nacktheit, das, was sie preisgeben wollte und was nicht, zu kontrollieren.
Irgendwann versuchte Dolphin, aus einem unbekannten Gefühl der Demütigung heraus, sie zu bezwingen. Er hielt sie fest. Seine Zunge wanderte über immer nasseres Fleisch. Er fühlte ihren Widerstand schwinden, bis ihr schmaler Körper vor und zurück schnellte, kämpfte mit ihr, sie hatte Bauchmuskeln aus Stahl, presste ihre Arme nach hinten, hatte sie so weit und wollte endlich in sie eindringen, als sie ihn plötzlich, mit Kräften, die unerklärlich schienen, von sich stieß. Er spürte einen grellen Schmerz, irgendetwas Feuchtes mitten im Gesicht. Seine Nase blutete. Sie war erschrocken und schaute sich hilflos um. Er öffnete die Nachttischschublade und griff nach einem Taschentuch.
Dann tranken sie abwechselnd aus der Flasche, bis sie ihm das Taschentuch wegnahm und das getrocknete Blut aus den Nasenlöchern lecken wollte. Es war grotesk und sehr aufregend.
Er wusste nicht mehr, wann es war, aber plötzlich wurde ihr kalkweißer Oberkörper von einem Lachkrampf geschüttelt. Sie zeigte auf die Packungen, die aus der Schublade quollen.
Sie wurde still und schaute ihm prüfend ins Gesicht. »So einer bist du also«, sagte sie lüstern. Und dann begann sie, sich langsam zu schmücken. Aufreizend langsam öffnete sie eine Sicherheitsnadel und stach sie in ihr Ohrläppchen. Es folgte der Nasenflügel und in absteigender Folge die Brustwarze links, rechts. Dann spreizte sie die Beine, wovon Dolphin sie abhalten wollte, doch sie umklammerte sein Hand-gelenk, stieß einen Zischlaut aus, tschtschtsch, um ihn zur Ruhe zu bringen, drückte fester. Und schließlich schaute sie ihn triumphierend an, als sie die letzte in die Schamlippen stach.
Dolphin empfand einen unbeschreiblichen Ekel und spürte, wie er eine Erektion bekam.