Читать книгу Delfinschlaf - Andreas Knierim - Страница 4
ОглавлениеMontag
Innen. Mias Arbeitskoje. Tag.
Das ist jetzt mein Schreibtisch für den heutigen Tag, morgen ist es wieder ein anderer. Die Anweisung der Unternehmensleitung lautet: Keine persönlichen Utensilien wie Fotos, Andenken, Postkarten gehören auf den Schreibtisch. Morgens sind die Arbeitspapiere aus dem persönlichen Container auszupacken. Die Praktikanten drucken für die Schubladen ein Namenschild aus, das in den vorbereiteten Namensschildschlitz zu stecken ist. Abends sind die Arbeitspapier wieder einzupacken. In den persönlichen Container.
Aber bitte nur ganz wenige Papierchen, denn wir haben hier das papierlose Büro. Das bedeutet wiederum, dass wir am Scanner lustig anstehen, um Notizen unserer Chefs zu digitalisieren und in die richtigen Computerordner zu versenken. Und da bleiben sie, wie die Titanic, hunderttausend Meter tief.
Ich schaue auf meinen PC: Einer der schrecklichsten Erfindungen der Neuzeit ist der eigene Outlook-Kalender, in den die Anderen hemmungslos ihre unwichtigen Termine eingetragen können. Dabei denken sie sich wahrscheinlich: »Einer geht noch, einer geht noch rein.«. Ich werde dann eingeladen. So wie es bei Facebook nur Freunde gibt, so bedeutet Einladung bei Outlook, dass ich gefälligst da zu sein habe. Natürlich kann ich mir Zeiten eintragen, die mit privat belegt sind. Alle sehen das dann aber: Ein Termin ohne Betreff ist ein Termin, wo sich die liebe Mia einen Lenz macht und die Beine rasiert. So ist das hier.
Die Kommunikation zwischendurch ist Teil der Kultur unseres Unternehmens. Alles Wichtige wird eigentlich zwischendurch gemacht. Telefonate, E-Mails, Postings, Voice-Mails, SMS können wir uns sparen, denn beim Latte wird über die wichtigen Points gesprochen, pardon, getalkt. Ich habe mir dort gerade von meinem Chef eine komplette Präsentation absegnen lassen: »Ja, sehr gut, machen Sie mal, Frau Schütz. Das ist gut!«
Innen. Präsentationsraum. Tag.
Das Spiel geht so: Assistentin (also Mia, also ich) steht vorn, ist möglichst hübsch anzusehen. Die Männer glotzen mir auf die Brüste und die Beine und wenn ich mich jetzt umdrehe: auf den Hintern. Meine Körperteile werden später beim After-Work in lustiger Männerrunde analysiert.
Schmocks.
Die Powerpoints meiner Präsentation rauschen nur so durch, anerkennendes Nicken aus der Runde. Meine Freundin Yana würde jetzt fragen: Nicken die wegen deiner Titten, deiner Schenkel, deinem Arsch oder wegen deiner tollen Ideen?
Mein Chef schmeißt sich in Pose: »Ja, sehr gut, Frau Schütz. Aus meiner Sicht fehlt da aber ...«. Zerpflückt die ganze Chose.
Das ist jetzt der Trick: Er lässt mich machen, tage- und wochenlang, gibt mir positive Rückmeldungen, nickt alles ab. Aber heute, in der entscheidende Sitzung, mit seinen männlichen Rivalen, holt er die dicke Wumme raus.
Assistentinnen werden hübsch klein gehalten, mit Karrierebröckchen einmal pro Monat gefüttert. Ansonsten haben sie dünn zu sein (nicht so schwierig bei diesen Fütterungszeiten) und die Schnauze im richtigen Moment zu halten.
Ich brenne aus. Mein Chefchen bemüht sich ehrlich, Arschloch der Woche zu werden. Unterm Tisch sehe ich seine Beine zappeln. Es ist ein Needy, ganz klar. Sexueller Notstand! Er kriegt keine Befriedigung. Hört wahrscheinlich dazu diese Altherren-Rocker, die auch keine Satisfaction kriegen. Chefchen, diese Pussy.
Wenn er gut drauf ist, fällt er ins Du. Echt. Er duzt mich, als ob es das Selbstverständlichste der Welt ist.
Er malt mit seinem Füller in meinen Texten rum. Picasso vollendet das Werk seiner Schützlinge. Dieser Spastologe.
Er ist ein Router. Reicht alle Aufgaben an uns durch. Um damit bei seinen Chefs Punkte zu sammeln. Ist sein Lieblingswort: »Damit können Sie punkten, Frau Schütz.« Er sammelt so viele Punkte, dass sein Sammelkartengesicht schon die Masern hat.
Innen. Mias Arbeitskoje. Tag.
Ohne mein Aufschreiben, ohne mein Logbuch, wäre ich schon tot. Immer, wenn es geht, schreibe ich was auf. In mein schönes Buch. Vorn steht in Prägeschrift Notizen. Dickes Papier innen. Ich reagiere mich damit komplett ab. Ich muss das machen, sonst raste ich hier, wie noch keiner gerastet ist.
Ich schlafe so gern. Sieben, acht, neun Stunden in der Nacht. Am Wochenende viel mehr. Ich liebe es, in meinem Bett zu liegen, den Tag vorbei streichen zu lassen. Ich gleite sanft in die nächste Ebene. Ich träume. wunderbar. Morgens wache ich zart, ganz zart wieder auf.
Etwas ist merkwürdig. Wirklich im Sinne, dass es würdig ist, es mir zu merken: Ich schlafe so gern, aber ich schlafe immer weniger. Gestern nur noch zwei Stunden am Stück. Dafür schlafe ich am Tag! Für eine Sekunde, für zwei oder drei Sekunden. An der Arbeit! Im Café! Im Bus! Ich nehme es kaum wahr, gleich bin ich wieder wach, mein Kopf sinkt gar nicht nach unten.
»Hey Mia, Miiiiia! Mia?«
Diese Worte: Via Bluetooth schweben sie herbei, erreichen den Drahtlosstecker, der über mein rechtes Ohr direkt mit meiner Hypophyse verbunden ist: »Yana, hallo? Bist du es wirklich? Sprichst du gerade mit mir?«
Yana lacht: »Spinnst du? Natürlich spreche ich mit dir. Ich vermute mal, du sitzt in deiner Mini-Büro-Koje und hast einen Stecker im Ohr. Dein Telefon hat meinen Anruf automatisch in Empfang genommen und mir gerade geantwortet. Stimmt oder? Hallo? Haaaallo!«
»Ja, ja jetzt raff' ich es. Ich wollte sowieso gerade wach werden. Ich meine: mit meiner Arbeit anfangen.«
»Mia, Mia, du tagträumst immer mehr. Gestern bist du auch dauernd weggedöst. Muss ich mir Sorgen machen?«
»Ehrlich gesagt: Ja, du musst dir Sorgen machen. Ich mache mir jedenfalls welche.«
»Okay, dann sofortiges Mittagessen.«
»Du weißt schon, dass es 9 Uhr morgens ist?«
»Mit sofortig meinte ich die Verabredung zum Mittagessen.«
»Ja, schon kapiert. Wollte dir nur zeigen, dass ich Sinn für Ironie besitze. Ich schlage das Brötchengeber vor.«
»Jetzt drehst du vollständig ab, oder? Brötchengeber?
»Ja, hat hier letzte Woche aufgemacht. Ist doch ein witziger Name.«
»Total witzig. Ich komme da hin. Will sagen: Mein Handy-Navi bringt mich dort hin. Ein Uhr?«
»Ja, ein Uhr. Bye.«
»Bye, baby, bye, bye.«
Ich schlafe wie ein Delfin. Diese klugen Tiere legen einfach eine Gehirnhälfte lahm und pennen. Ok, das ist gut. Ich nenne das jetzt mal Delfinschlaf.
Mal hier ein Stündchen schlafen, mal dort. Ich habe inzwischen massig Zeit. Still schlafe ich sekündlich vor mich hin, lächle in mich hinein und genieße mein Leben Nummer zwo, das neuerdings in der Nacht stattfindet.
Innen. Brötchengeber. Tag.
Yana ist nicht zu übersehen. Denn Yana ist mit Abstand die Schönste, Klügste von allen. Eine Anhängerin der Polyamorie übrigens, sie hat sogar ein T-Shirt: Ich bin für nichtmonogame Beziehungen. Das Shirt trägt sie aber nur nachts. Sagt sie zumindest.
Überall, wo sie sich bewegt, scheinen die Menschen ihre Klugheit zu bemerken. Die Leute ergeben sich still ihrem Schicksal, denn Yana kriegt sie alle. In Millisekunden. Sie schwenkt ihre geheime und unsichtbare All-in-one-Fernbedienung, auf der sie alle Menschtypen gespeichert hat. Sie drückt die Knöpfe und dirigiert alle Human-Maschinen in Reichweite mit traumwandlerischer Remote-Controll-Sicherheit. Es funktioniert immer. Wenn ich immer sage, meine ich immer. Denn auch ich funktioniere nach den Yana-Regeln der heiligen Macht.
Sie fragt mich gleich, noch vor dem Hinsetzen: »Hallo McFly, jemand zu Hause?«
Marty McFly ist der Typ aus Zurück in die Zukunft (http://de.wikipedia.org/wiki/Zur%C3%BCck_in_die_Zukunft). Michael J. Fox, der heute so komisch redet. Parkinson oder so was. Sorry, muss ich kurz erklären: Biff, sein Widersacher, haut da dem, leider etwas trotteligen, Hauptdarsteller auf den Kopf: »Hallo McFly, jemand zu Hause?« (http://www.youtube.com/watch?v=kh9PYtmVybU)
Ich spiele mit: »Lass den Quatsch. Ich habe dich gleich am Eingang gesehen, Biff! Nur: Auf diesem Planenten versteht mich keiner mehr. Darf ich dir erzählen, was wirklich los ist?«
»Aber sicher, Sweetheart. Kuscheln wir uns hier an diesen Tisch und nehmen uns alle Zeit der Welt.«
Das kann ich gut gebrauchen kann. Yana erfährt jetzt alles über meine Schlaflosigkeit, meine Delfinrecherchen und meine Angst, das mir Flossen wachsen könnten.
Sie schaut mich an:»Wäre doch super, so mit Flossen durch das Meer zu gleiten. Bleib' locker, du bist kein Fisch, pardon kein fischiges Säugetier.«
»Ich fühle mich aber wie einer. Bei Schlafen zumindest.«
»Was sagt der Doc?«
»Ich war noch nicht da. Er zapft mir sowieso nur literweise Blut ab, ich muss in diesen dämlichen kleinen Becher pinkeln, wo immer was daneben geht. Und wahrscheinlich noch auf dem LSD-Fahrrad strampeln.«
»EKG.«
»Was?«
»Es heißt EKG-Fahrrad.«
»Ach, scheiß drauf, wie es heißt. Ich will das alles nicht.«
»Weil es ganz gut ist, so wie es ist?«
»Bitte hör' auf, mich so hundertprozentig zu verstehen. Ja, weil es super ist, so zu schlafen. Meine Lebenszeit hat sich plötzlich verdoppelt.«
Das ist, rein rechnerisch, sicher nicht ganz korrekt. Gefühlt stimmt es aber!
»Und was machst du so aus deinem Leben, mein doppeltes Lottchen?«
»Ich erkunde mein Viertel in der Nacht.«
Außen. Strasse. Langsam Nacht.
Ich laufe. Mein Rhythmus ist wunderbar. Meine Gedanken halten Schritt, meine Schritte sind Ideen für mein neues Leben:
Erster Schritt - Zweifel.
Zweiter Schritt - Trost.
Dritter Schritt - Zweifel.
Diese Strasse mit ihrer Schwärze. Die Laternen sind kaputt oder abgestellt, hier kommt doch sowieso niemand mehr hin, wer will hier denn leben? An meinen dunkelsten Stellen?
Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Hat mal jemand Kluges gesagt.
Mein Lichtlein erscheint in Form einer Retro-Neonreklame. Heimat steht drauf. Ist irgendwie auch gar nicht Retro sondern Original: Ich sehe durchs Fenster: Helle Tische, antike Tische, abgebeizt. Hier liebt jemand seine Tische, abgebeizt wahrscheinlich durch tagelanges, genüssliches Streicheln. Eine Rose auf jedem Tisch! Eher Rosenknospen! In winzigen Vasen!
Innen. Heimat. Nacht.
Ich stoße die Tür auf. Ich ergebe mich meinem Schicksal. Jedes Molekül meines Körpers sprengt in eine andere Richtung, fliegt durch diesen Raum, kreist und verweilt und kommt zum Eingang zurück. Dann setzen sich alle Moleküle wieder zum Mia-Körper zusammen.
»An die Bar stellen« hämmert es mir in den Kopf.
Der Barkeeper schaut mich an: »Guten Abend. Gibt es irgendetwas, was Ihnen fehlt und wir Ihnen hier und heute geben könnten?«
Eine Frage wie in Mister Magorians Wunderladen (http://de.wikipedia.org/wiki/Mr._Magoriums_Wunderladen). Ich bin die süße Natalie Portmann, hinter der Theke lächelt Dustin Hoffmann. Tapfer denke ich meine Dialogzeile: »Ja, das gäbe es schon was: Endlich mal ein Fünkchen Anerkennung für das, was ich bin und tue.«
Ich fasse es nicht. Keinen Kino-Talk jetzt. Ich glaube, ich dreh jetzt vollkommen ab. Bleib cool, Mia. Das hier ist eine Bar: »Ich hätte gern ein Glas Rotwein.«
»Irgendwelche Vorlieben?«
»Haben Sie Rioja?«
»Habe ich. Kommt sofort.«
Ich trinke.
Ich stelle mein Glas wieder hin.
Ich schaue mich um: Heimat trifft es ganz gut. Warme Farbtöne an den Wänden. Gedämpftes Licht. Angenehm warm.
Danke für den Wein. Ist gut. Tut gut. Der Barkeeper widmet sich seiner Arbeit. Spricht nicht. Tut gut.
Ich darf bleiben.
Dann gehe ich. Nach Hause.