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Einleitung

Es ist schon fast fünfzehn Jahre her, als ich jenes Schlüsselerlebnis hatte, das mich schließlich dazu bewegte, dieses Buch zu schreiben. Ich lag an einem Traumstrand auf der thailändischen Insel Koh Samui. Alles stimmte: ein endloser Sandstrand, den meine Lebensgefährtin und ich fast für uns allein hatten, hinter uns Palmen und vereinzelte Hütten. Es gab eine Stille und doch das Rauschen des Meeres. Ich konnte mein Glück gar nicht recht fassen. Am ersten Tag musste ich immer wieder in dieses türkisblaue Wasser schauen. Ich hörte das Rascheln der Palmwedel im sanften Wind und sog die Ruhe dieses Ortes auf. Zwischendurch quoll ich richtig über vor Freude, in mir entspannte sich alles. Wir unternahmen lange Spaziergänge am Strand und ich genoss den Sand unter meinen Füßen. Alles war neu für mich. Ich war fasziniert und mit offenem Mund betrachtete ich gebannt diese wunderschöne Natur. So musste es im Paradies sein.

Am zweiten Tag wurde mein Gefühl von Entspannung, Ruhe und Glückseligkeit schon schwächer. Am dritten Tag war der Reiz verflogen. Schon am frühen Morgen lag ich in meiner Hängematte und dachte an meinen Arbeitskollegen Klaus, mit dem ich kurz vor der Abreise noch einen sehr unangenehmen Streit gehabt hatte. Mir fiel ein, was ich alles erledigen musste, wenn ich wieder in Deutschland sein würde, und immer wieder kam mir dabei der Konflikt mit Klaus in den Sinn. Wie sollte ich mich verhalten? Welcher meiner Kollegen würde zu mir halten? Was würde passieren, wenn unsere Auseinandersetzung weiterginge? Dieser Typ ärgerte mich wirklich!

So ging das eine ganze Weile, bis ich nicht nur sauer auf meinen Kollegen war, sondern auch auf mich selbst. Wie konnte ich mir nur meinen Urlaub mit solchen überflüssigen Gedanken vermiesen? Da lag ich nun mitten im Paradies in einer Hängematte und hatte nichts Besseres zu tun, als mich über meinen „blöden“ Arbeitskollegen zu ärgern. Ich war um die halbe Welt geflogen und war doch wieder im Büro gelandet.

Mir war elend zumute. Ich wollte die Schönheit dieser Natur genießen, aber ich konnte es nicht. Ich wünschte mir sehnlich die innere Freude zurück, die ich an den ersten zwei Tagen erlebt hatte, aber sie war fort. Mir kam es vor, als sei ich regelrecht aus dem Paradies hinausgeworfen worden. Mein Körper lag zwar noch in meiner Hängematte am Strand, aber eigentlich war ich schon längst nicht mehr da. Mein fleißiger Geist ertrug offensichtlich die Schönheit dieses Strandes nicht und hatte schon die Rückreise angetreten.

Schon öfter hatte ich die Erfahrung gemacht, dass mir mein Gedankenstrom das Leben schwer machte. Er war aktiv, wenn ich ihn gar nicht gebrauchen konnte, und war ständig wahlweise mit der Vergangenheit oder mit der Zukunft beschäftigt. Er erinnerte mich in unmöglichen Momenten daran, was ich alles noch zu erledigen hatte und dass ich dieses oder jenes bestimmt nicht mehr rechtzeitig schaffen würde. Ich wachte am Morgen auf mit einer „To-do-Liste“. Sogar beim Sex konnte mir einfallen, dass ich noch eine Zugfahrkarte kaufen musste oder ob ich wohl genug Schlaf bekommen würde, um am nächsten Morgen wieder fit zu sein.

Heute weiß ich: Ein ständig lärmender Geist ist keineswegs originell! Er ist nicht einmal hilfreich.

Den meisten von uns fällt es schwer, den Augenblick zu genießen, weil wir gedanklich gerade mit etwas ganz anderem beschäftigt sind. Obwohl die äußere Situation angenehm ist, schaffen wir es, uns über irgendetwas Sorgen zu machen. Eigentlich ist unser Geist ein wunderbares Geschenk, das uns zur Verfügung steht: Mit seiner Hilfe können wir berufliche Aufgaben bewältigen und Probleme lösen, mit ihm können wir eine gute Einkaufsliste schreiben oder überlegen, wie das kaputte Abflussrohr am besten zu reparieren ist. Er führt aber in den meisten von uns ein unkontrolliertes Eigenleben und ist auch dann aktiv, wenn wir ihn ganz und gar nicht gebrauchen können: Wenn wir eigentlich schlafen wollen, kann er uns die halbe Nacht quälen. Oder wenn uns etwas nicht so richtig gut gelungen ist und er uns nervt mit einem: „Du hättest aber …“

Wir sind im Alltag oft völlig mit unseren Gedanken identifiziert. Wir glauben ihnen und befolgen die Anweisungen, die sie uns geben. Mir geht das beispielsweise so, wenn ich mit meiner Frau streite. Wir streiten uns dann womöglich über die berühmte Zahnpastatube und ich werfe ihr so manchen üblen Unsinn an den Kopf. Mein Geist sagt mir dann: „Sie ist schuld! Nur wenn sie sich ändert, können wir weiter glücklich Zusammenleben. Das muss sie jetzt endlich einsehen. Gib nicht nach!“ Später, wenn einer von uns beiden einen Lachanfall über die Absurdität unseres Streitgesprächs bekommen hat, schäme ich mich für all den Blödsinn und weiß nicht einmal mehr, worum es eigentlich ging. Aber in der Situation haben mich meine Gedanken und Gefühle ganz im Griff.

Wenn unser gieriger Geist uns sagt, wir wären ein ganzes Stück glücklicher, wenn wir ein größeres Haus oder ein schöneres Auto hätten, dann rennen wir oft jahrelang diesem Ziel hinterher, nur um irgendwann festzustellen, dass es uns doch nicht wirklich besser geht, nur weil das Auto etwas größer geworden ist. Oder wenn er uns dazu antreibt, noch besser zu sein oder noch mehr zu leisten, obwohl wir unsere Leistungsgrenze schon längst überschritten haben. Wenn wir lange, vielleicht sogar unser ganzes bisheriges Leben, mit unserem Denken und den inneren Botschaften identifiziert sind, dann empfinden wir unser Leben vielleicht als Mühsal und Anstrengung. In uns macht sich ein Gefühl von Enge breit, das Leben macht keine Freude mehr oder wir fühlen uns unglaublich erschöpft. Manche Menschen beschreiben ihr Leben sogar als Kampf. Dann sehnen wir am Montagmorgen schon den Freitagnachmittag herbei oder im Januar schon den Urlaub im August.

In Wirklichkeit sind wir aber nicht nur unser Denken, sondern weit mehr: Wir sind die Stille, die spürbar wird, wenn es in uns ruhiger wird. Wir sind die beglückende Freude, die aufkommt, wenn wir einfach nur in der Gegenwart sind und von der wir gar nicht recht wissen, woher sie eigentlich kommt. Wir sind unser offenes Herz, das alles annehmen kann, uns selbst mit unseren kleinen Macken und Schwächen, aber auch die Menschen um uns herum. Wir sind die innere Stärke und Gelassenheit, die auch mit schwierigen Situationen zurechtkommt. In uns ist innerer Friede und wir fühlen uns mit der ganzen Welt verbunden. Dann erscheint uns das Leben ganz leicht, obwohl sich an der äußeren Situation gar nichts geändert hat. Die Zeit fließt dahin und wir spüren unsere Lebendigkeit und Kreativität. Wir fühlen uns verbunden mit einer anderen Dimension. Manchmal sind es nur einige Minuten oder eine Stunde, in denen wir uns so fühlen, oft auch nur Augenblicke. Aber jeder von uns kennt diese Gefühle.

All diese Empfindungen, die wir so sehr herbeisehnen, werden allzu oft von unserem ständig plappernden Geist übertönt. Der Lärm in unserem Kopf kann sogar so stark sein, dass wir nicht einmal mehr wissen, welche beglückenden Empfindungen überhaupt in uns schlummern und wie sich ein Leben anfühlt, das es gut mit uns meint. Dann haben wir den Kontakt zu unserem Wesen oder zu Gott verloren. Wenn wir kleine Kinder beobachten, bekommen wir eine Ahnung davon, was passiert, wenn es in unserem Kopf ruhiger wird. Sie leben im Augenblick und nicht im Gestern oder Morgen. Sie haben kaum Bewertungen für sich selbst und ihre Umgebung, dadurch sind sie viel offener als Erwachsene. Wir sind gerne mit Kindern – und auch mit Tieren – zusammen, denn diese Energie des einfachen Seins ist ansteckend!

Dieses Buch möchte dabei helfen, die Stille, die Stille in uns wiederzuentdecken und „nach Hause“ zu kommen, zu uns selbst. Wir werden besser verstehen, wie unsere Denkprozesse funktionieren, und langsam mehr und mehr Abstand zu unseren unkontrolliert fließenden Gedanken finden. Dann öffnet sich der Raum für eine tiefere Ebene und wir gewinnen das Gefühl inneren Friedens zurück.

Die Inhalte dieses Buches sind keineswegs neu, sie beruhen vielmehr auf uralten Traditionen. Doch lange konnte dieses Wissen von vielen Menschen nicht genutzt werden. Es fehlte die Hilfestellung bei der praktischen Umsetzung im Alltag und eine unserer Kultur angemessene Vermittlung. Das möchte dieses Buch bieten: Altes spirituelles Wissen und Erkenntnisse der modernen „achtsamkeitsbasierten“ Psychotherapie werden so vermittelt, dass wir sie in unserem Leben wiederfinden und konkrete Anregungen bekommen, wie wir uns dafür öffnen können. Vieles, was du in diesem Buch liest, entstammt der buddhistischen Tradition, ist 2500 Jahre alt und wird seit Jahrtausenden von verschiedensten spirituellen Lehrern gelehrt. Jeder von ihnen benutzt seine ganz persönlichen Worte, doch die Botschaft ist immer die gleiche: Wirkliches Glück finden wir nicht im Außen, sondern nur in uns selbst.

Wir werden uns in diesem Buch auf eine Reise begeben, die bei unserem unruhigen Geist beginnt, bei unserer Hektik und unserem Stress, unserem täglichen Getriebensein und unserer Angst. Und sie wird enden bei einem tiefen Gefühl von Entspannung, von Loslassen und auch von Frische und Freude. Dazwischen wird sich im Außen kaum etwas verändert haben, aber wir werden Abstand zum Lärm in unserem Kopf gewinnen und immer seltener wie ein ferngesteuerter Roboter leben – wir werden bewusster, wacher und freier.

Was ich unseren „Geist“ nenne, bezeichnet vor allem die Ansammlung der Inhalte und Muster unseres Denkapparates – und damit beschäftigen wir uns in diesem Buch größtenteils. So wie im Englischen der Begriff „mind“, geht es auch bei Geist und Verstand um einen Teil unserer Ichidentität, um das „Ego“ oder „Egobewusstsein“. Gemeint ist damit immer ein eingeengter, beschränkter Bewusstseinszustand unseres Wesens, der zur Welt hinter den Worten keinen Zugang hat.

Noch kurz zur Struktur dieses Buches: Die einzelnen Kapitel bauen aufeinander auf. Es ist also gut, das Buch von vorn nach hinten zu lesen. Manche Inhalte mögen zunächst seltsam erscheinen, denn sie decken sich nicht mit dem, wie unser überaktiver Geist gewöhnlich die Welt wahrnimmt. Es kann dann sinnvoll sein, die Inhalte ein zweites Mal zu lesen und auf sich wirken zu lassen, damit sie nicht nur von deinem Verstand, sondern auch von einem tieferen Teil deines Wesens erfasst werden. Im Text findest du an mehreren Stellen ein Pausenzeichen (), das zu einem kurzen Innehalten einlädt. Vielleicht magst du an diesen Stellen sogar das Buch kurz beiseitelegen oder die Augen schließen. Beides ist hilfreich, um die Inhalte jenseits unserer Gedankenwelt auf uns wirken zu lassen.

Ruhe da oben!

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