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Kapitel 5 oder der 5. Tag im Adventskalender

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Hinter sich hörte Isolda das Schlagen der Hufe von Pferden auf dem Pflaster des Schlosshofes, als sie ihr Pferd in den Stall führte.

Erst dachte sie, dass die Ritter, die die arme Bäuerin nach Hause bringen wollten, wieder zurück wären, doch als sie an der Stalltür stehen blieb und zurück schaute, erkannte sie die drei Ritter wieder, die in der Früh kurz vor ihr losgeritten waren.

Sie steuerten ebenfalls den Stall an, stiegen davor ab und grüssten höflich die Prinzessin.

Sie grüsste zurück und führte dann ihr Pferd hinein in den Stall, um den Rittern nicht am Ende noch mitten in der Stalltür im Wege zu stehen.

Der gewohnte Geruch hier im Stall, nach Pferden und Heu tat ihr irgendwie gut und holte sie langsam wieder in die Wirklichkeit zurück, aus der sie durch das Ereignis gerade herausgerissen worden war.

Sie führte ihr Pferd zu seiner Box, öffnete die Verschlüsse des Sattels und nahm ihn ab. Als sie ihn gerade zu seinem Platz auf der gegenüberliegenden Wand hieven wollte, wäre sie fast mit einem der Ritter zusammen gestossen.

Der, schon mit recht gutem Alter, wie sie mit einem Blick in sein Gesicht feststellte, blieb natürlich stehen: »Verzeiht, Prinzessin.«

Und als er sah, dass sie den schweren Sattel immer noch hielt griff er zu und fragte: »Darf ich Euch den Sattel abnehmen?«

In seinen Worten klang eine Freundlichkeit mit, die sich auch in seinen Augen wiederspiegelte, dass Isolda nicht anders konnte, als mit einem Lächeln zu nicken und ihm den Sattel zu geben.

»Danke sehr.«

Der Ritter hielt mit seinen trainierten Armen den Sattel, als würde er kaum etwas wiegen und antwortete mit einem Lächeln: »Sehr gerne.«

Nachdem Isolda nun beide Hände frei hatte, drehte sie sich wieder um, nahm die Decke, die zum Schutz des Pferderückens unter dem Sattel lag, schüttelte sie auf und hängte sie anschliessend, ordentlich zweimal gefaltet, neben den Sattel.

Den Eimer, der daneben parat stand, schnappte sie sich im gleichen Atemzug und ging ein paar Schritte durch den Stall zu den grossen Wassertonnen, um ihn dort zu füllen.

Zurück bei ihrem Pferd stellte sie ihn an seinen Platz in der Box und ihr Pferd schaute ihr dabei zu.

Mit einem Lächeln strich sie ihrem Tier über den Kopf. »Du bekommst ja gleich dein Futter, mein Guter.«

Wieder war sie aus der Box heraus und lief ein paar Schritte um anschliessend einen anderen Eimer mit etwas Hafer zu füllen. Einen Blick warf sie noch in die grosse Tonschale, in der aus der Küche immer wieder Möhren, Äpfel und anderes gebracht wurden, was nicht mehr auf dem Tisch landen sollte.

Sie griff nach drei Möhren um sie mitzunehmen, blieb dann aber noch einen Moment stehen und blickte in die Schale.

Ob hier auch schon etwas dabei ist von dem, was der Bauer und die Bäuerin heute ins Schloss gebracht hatten? Sie konnte es nicht sagen.

Sie musste einen Moment länger in Gedanken hier gestanden haben, denn der gleiche Ritter wie eben wartete geduldig ein paar Schritte weiter, da er selbst für die Pferde der Ritter Futter holen wollte.

»Oh, verzeiht«, sprach Isolda und schämte sich ein klein wenig, dass sie so unaufmerksam mitten im Raum gestanden war.

»Nur keine Eile, Prinzessin«, bekam sie ruhig und freundlich als Antwort.

Ob die drei Ritter bereits wussten, was gerade geschehen war? Aber woher sollten sie.

Als sie an der Box zurück war, streckte ihr Pferd ihr schon voller Erwartung den Kopf entgegen und schnaubte erfreut, als es die Möhren in der Hand roch und gleich die erste vors Maul gehalten bekam.

Nachdem alle drei Möhren weg waren und der Eimer neben dem mit Wasser stand, hatte ihr Pferd seine Schnauze darin versenkt und frass weiter.

So griff die Prinzessin nach der Bürste und fuhr ihrem Pferd damit sorgfältig durchs Fell.

Als Prinzessin hätte sie das alles gar nicht machen müssen, dafür hatten sie ausreichend Stallburschen, aber sie machte es gerne und ihr Rappe dankte es ihr auch mit einem sehr vertrauten Verhältnis, so als wäre er ein Freund für sie.

Nachdem sie anschliessend die leeren Eimer wieder an ihre Plätze gebracht und die Box verschlossen hatte, verliess sie den Stall wieder.

Nach ein paar Schritten blieb sie draussen im Hof stehen und warf noch einmal einen Blick durch das offene Tor hinaus auf die Strasse. Sie lag da, als wäre nichts geschehen.

Ein lautes Knacken schreckte sie auf und sie sah im rechten Augenwinkel eine Bewegung.

Die Prinzessin glaubte ihren Augen nicht, denn mit plötzlichem lauten Getöse sackte das Dach des Stalls ein!

Wie in Zeitlupe sah sie, dass sich im mittleren Teil des Stalls ein ganzer Bereich des Daches erst nach innen neigte und dann die einzelnen Dachschindeln in das sich bildende Loch hinein fielen.

Ihr Mund stand ihr offen und sie war viel zu perplex um zu verstehen, was da gerade wirklich vor ihren Augen geschah.

Dann erfasste sie eine Staubwolke, die aus der Stalltür hinausgeschossen kam.

Erst als sie husten musste und sich schüttelte, um den Staub und das Heu, das mitgerissen wurde, los zu werden, war sie wieder voll im Hier und Jetzt zurück.

Oh Gott, schoss es ihr durch den Kopf. Ziemlich genau dort war sie gerade gestanden!

Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag mit solcher Wucht, dass sie fast umgefallen wäre. Ihre Beine waren schlagartig schwer und unbeweglich wie Blei und zugleich weich und haltlos wie Pudding.

Ihr rauschte das Blut in den Ohren und ihr Puls schoss in Windeseile in die Höhe, dass sie ihren Herzschlag im ganzen Oberkörper spürte.

Aus dem Stall hörte sie lautes Wiehern und von allen Seiten mischten sich nun Rufe und Schreie dazu, sie hörte Wortfetzen von Befehlen heraus und dann kamen auch schon die ersten Wachen und Ritter angerannt.

Die Pferde! Schoss es Isolda da durch den Kopf. Ihr Pferd hatte sie ja auch gerade in den Stall gebracht, das jetzt bei den anderen stand. Was war mit ihnen geschehen, wenn das Dach über ihnen zusammen brach?

»Prinzessin! Seid ihr verletzt?«, hörte sie jemanden rufen und im gleichen Moment erschien ein Ritter direkt vor ihren Augen.

Seine Augen waren zusammengekniffen und er sah sie erschrocken an.

Sie war nur gerade nicht in der Lage, eine Antwort zu geben, zu sehr stand sie noch unter Schock.

»Isolda!«, hörte sie nun jemanden schreien, eine bekannte Stimme und Leonhard rannte so schnell er nur konnte quer durch den Hof vom Gebäude der Ritterschaft auf sie zu.

»Geht es dir gut?«, keuchte ihr Bruder, als er bei ihr angekommen war.

»Mir fehlt nichts«, antwortete sie mit dünner Stimme.

»Gottlob geht es dir gut«, rief Leonhard und schloss sie in seine Arme.

Doch gleich drauf löste er sich wieder von ihr und fragte den anderen Ritter: »Was ist mit Winfried und den anderen, die auch noch im Stall waren?«

Die anderen drei Ritter, schoss es dabei auch Isolda durch den Kopf. An die hatte sie gerade gar nicht mehr gedacht. Sie waren noch im Stall gewesen, als sie hinaus gegangen war, nur weiter hinten.

»Das weiss ich noch nicht«, sprach der andere Ritter.

»Drei Ritter waren noch im Stall, weiter hinten als ich«, sagte Isolda an ihren Bruder gewandt.

Der Prinz wurde bleich und rannte wieder los, direkt in Richtung Stall.

Der andere Ritter rannte in die andere Richtung los, zum Gebäude der Ritterschaft, brüllte dabei einmal aus Leibeskräften: »ALARM!« und verschwand im Gebäude.

Es dauerte allerdings keine fünf Sekunden, da stürmte er schon wieder hinaus, gefolgt nun von mehr und mehr und immer mehr Rittern. Es wurden Befehle gebrüllt und in den Augen von Isolda entstand ein riesiges Chaos im Hof, jeder rannte in eine andere Richtung und sie konnte noch keinen Sinn im dem Handeln erkennen.

Dass sie wie angewurzelt immer noch an der gleichen Stelle stand, bemerkte sie noch gar nicht einmal.

Die ersten Pferde wurden nun von Rittern aus dem Stall geführt. Jeweils zwei Ritter versuchten dabei ein Pferd zu beruhigen und im Zaum zu halten, damit es nicht vor lauter Furcht durchging.

Die Tiere wurden weggebracht. Wohin, das konnte Isolda nicht sehen.

Wieder rumpelte es laut und ein weiterer Teil des Daches stürzte krachend ein.

Laute Rufe waren nun auch von innen aus dem Stall zu hören.

Schliesslich setzte sich die Prinzessin in Bewegung und ging auf den Stall zu. Sie wollte selbst sehen, wie es drinnen aussah, wollte zu ihrem Pferd und es heraus holen, wenn es ihm gut ging.

Doch ein paar Schritte vor der Stalltür wurde sie von einem Ritter aufgehalten, der bisher hier anderen Befehle gegeben und die Lage überwacht hatte.

»Prinzessin, das ist viel zu gefährlich!«

»Aber ich will dort hinein«, begann sie, wurde aber direkt unterbrochen.

»Das kann ich nicht verantworten, beim besten Willen nicht.«

Der Ritter hatte ja Recht, doch Isolda wollte sich nicht eingestehen, dass sie nichts machen konnte.

Sie konnte doch hier nicht einfach nur rumstehen und tatenlos zusehen.

»Ich bitte Euch, Prinzessin, haltet ein wenig Abstand vom Stall. Es kann keiner sagen, wie stabil der Rest noch steht.«

Sie wollte etwas dagegen sagen, wusste aber nicht, was sie hätte sagen sollen und als dann einige Ritter grosse Holzbalken, Äxte und Hämmer anschleppten, da begriff sie, dass sie hier tatsächlich fehl am Platz war und ging etliche Schritte zurück.

Dabei sah sie, dass inzwischen an allen Türen Ritter dabei waren, Pferde aus dem Stall zu bringen. Sowie einen Ritter, der von zwei anderen gestützt wurde und eine blutende Wunde am Kopf hatte. Das musste einer der Ritter gewesen sein, der mit ihr im Stall gewesen war. Jedoch nicht der freundliche alte, mit dem sie kurz gesprochen hatte.

Kaum war er aus dem Stall heraussen wurde etwas gerufen, ein anderer Ritter lief los und kam nach einem Moment mit der Heilerin zusammen wieder.

Der verletzte Ritter wurde vorsichtig mitten im Hof abgesetzt und die Heilerin machte sich direkt an die Versorgung seiner Wunden.

Da sah Isolda ihren Vater mit grossen Schritten aus dem Schloss herbeieilen.

»Wilhelm!«, hörte sie seine Stimme durch den Hof schallen.

Direkt am Stall hörte sie noch einmal einen Ritter rufen: »Meister Wilhelm, der König!«

Und schon sah sie den Ritter, der sie vorhin im Hof als erster angesprochen hatte, im Laufschritt den Kopf hierhin und dorthin drehend, bis er den König sah, und dann direkt auf ihn zu laufen.

Isolda ging auch in ihre Richtung.

Sie sah, dass die beiden aufgeregt miteinander sprachen, zum Stall und zu dem verletzten Ritter deuteten, zu dem sie nun liefen.

Genauso wie Isolda.

Als ihr Vater sie sah, rief er aufgeregt: »Isolda, dir ist nichts geschehen?«

»Ich bin in Ordnung«, antwortete sie.

Ihr Vater schaute sie skeptisch und mit Sorge an und sie warf einen Blick an sich hinunter, stellte fest, dass ihre Kleidung einiges an Dreck abbekommen hatte.

»Ich stand bereits vor dem Stall.«

Das genügte dem Vater vorerst und er drehte sich wieder zu den anderen um.

Der Ritter, Wilhelm, wie ihn der Vater gerufen hatte, kniete neben dem Verletzten, der schon einen Verband um den Kopf trug und sich den einen Arm vor der Brust hielt, und sprach mit ihm.

»Bleibt sitzen«, sprach sein Vater, als der Verletzte ansetzte, vor ihm aufzustehen.

»Berichtet, was ist geschehen«, forderte der Vater ihn auf.

»Mein König, wir hörten ein lautes Knacken im Stall und ich sah nur noch, wie einer der Tragbalken der Decke brach. Dann sackte auch schon das Dach darüber ein und knickte einen der Stützbalken weg.

Mehr kann ich nicht sagen, denn dann traf mich etwas am Kopf und ich stürzte zu Boden.

Ich war bei meinem Pferd in der Box eingeschlossen der Ausgang versperrt und musste warten, bis die Kameraden kamen und mich raus holten.«

»Wie viele waren im Stall?«, fragte der Vater weiter.

»Ausser mir nur noch zwei Kameraden, die Prinzessin und ein Stallbursche.«

»Die Prinzessin war schon nicht mehr im Stall«, antwortete der König knapp und Isolda konnte nach einem kurzen Moment Erleichterung im Gesicht des Ritters erkennen, der sie anscheinend hier noch gar nicht wahrgenommen hatte.

»Der Stallbursche konnte durch die hinterste Tür alleine raus und hat nichts abbekommen«, berichtete der andere Ritter, der immer noch neben dem Verletzten kniete.

»Gut, dann sucht weiter nach den anderen beiden«, gab der König Order.

Der angesprochene Ritter nickte nur, sparte sich aber eine Antwort, denn dass sie genau das taten, war mehr als offensichtlich.

»Wie viele Pferde hat es erwischt?«, fragte der Vater nach einem Moment.

»Das kann man noch nicht sagen«, bekam er als Antwort.

»Alle unversehrten bringen wir hinaus auf die Aussenkoppel vor das Schloss.

Bei den verletzten Tieren werden wir noch entscheiden müssen, welche wir retten können und welche nicht.«

Isolda erschrak, doch war es absolut richtig, was der Ritter sprach.

Der König nickte, wandte sich dann um und ging ein Stück in Richtung des Stalls, um sich das ganze Ausmass selbst anzusehen.

Nachdem der Verletzte von anderen Rittern weg gebracht worden war, hatte sich Isolda mit der Heilerin zusammen ein Stück zurück gezogen.

Sie warteten, sprachen aber in der Zeit kein Wort.

Isolda wusste nicht, was sie gerade hätte tun sollen, sie wollte wissen, was mit den anderen beiden Rittern war und auch mit ihrem Pferd.

Drum schaute sie bei jedem Pferd, das hinaus geführt wurde, genau hin, aber noch war ihres nicht dabei gewesen.

Jetzt aber wo anders hin zu gehen, das hätte sie nicht wollen.

Der Strom der Pferde, die hinaus gebracht wurden, wurde dünner und riss dann fast ganz ab bis es nur noch vereinzelte waren.

Darunter leider auch immer mehr mit offensichtlichen Verletzungen, die aber noch aus eigener Kraft auf eigenen Beinen stehen konnten.

Dann hörte man laute Rufe aus dem Stall und es kam erneut Aufregung auf.

Ein Ritter eilte herbei und holte die Heilerin, der zweite Ritter war gefunden worden, komplett begraben unter Trümmern, aber am Leben, wie sie hörte.

Auch in Isolda wurde die Aufregung nun wieder grösser, so dass sie den beiden nach einem Moment folgte.

Es dauerte aber doch noch, bevor der Ritter von vier anderen Rittern langsam aus dem Stall herausgetragen wurde. Er lag bereits auf einer Trage und schaute gar nicht gut aus.

Das linke Bein stand in unnatürlichem Winkel ab und war definitiv gebrochen und etliche Wunden, aus denen er blutete, waren zu sehen.

Die Trage wurde gleich vor dem Stall erst einmal vorsichtig abgestellt und die Heilerin warf einen ersten Blick über die Verletzungen. Sie sprach ein paar Worte mit einem anderen Ritter, dann nickten sie beide und die Trage wurde wieder aufgenommen.

Da die Heilerin ihre fragenden Blicke sah, sprach sie schnell zu ihr: »Er schaut übel aus, aber wir sollten ihn wieder hinbekommen. In der Ritterschaft werden wir ihn versorgen.«

Isolda nickte dankbar für die Information und dann eilte die Heilerin auch schon den anderen hinterher.

So hiess es für sie nun weiter abwarten.

Aus dem Stall hörte sie immer wieder Rufe, aber inzwischen auch Hämmern und das Schlagen der Äxte auf Holz. Sowie immer wieder das Schlagen von Steinen und Ziegeln aufeinander. Was genau im Inneren vor sich ging wusste sie nicht, vermutete nur, dass sie alles beiseite räumen würden, um den letzten vermissten Ritter zu finden.

Dann wurde wieder gerufen und mehrere Ritter verschwanden erneut im Stall. Hatten sie den dritten Ritter gefunden?

Nach einem Moment kamen sie nicht mit dem Ritter, sondern mit weiteren Pferden wieder raus.

Das vierte Pferd erkannte Isolda auf der Stelle, ihren treuen Rappen hätte sie unter tausenden sofort herausfinden können.

Sie sprang auf und eilte auf sie zu.

Die Ritter sahen sie und die beiden, auf die die Prinzessin nun direkt zu lief, blieben gleich stehen und warteten.

Das erste was sie tat, war den Kopf ihres Pferdes an sich zu drücken und ihm über den Hals zu streichen. Dann blickte sie einen der Ritter fragend an: »Hat er etwas abbekommen?«

»So wie es aussieht nicht, Prinzessin.«

Isolda war erleichtert.

»Ein paar Pferde hatten echt Glück gehabt, dass sich ein paar Balken über ihnen verkeilt hatten und die Decke dadurch noch gehalten hat, auch wenn sie schon am Einsacken war.«

Isolda verstand nur halb, was er sagte, denn sie war ja nicht mit drinnen im Stall gewesen, doch das wichtigste war, dass ihrem Pferd und auch ein paar anderen Tieren nichts geschehen war.

»Wir bringen es zu den anderen auf die Aussenkoppel?«, fragte der Ritter sie und sie nickte.

Wieder hörte sie ein Krachen, gefolgt von einem Aufschrei, aus dem Inneren des Stalls und zuckte dabei zusammen. Sie versuchte etwas zu erkennen, doch mehr als eine neuerliche Staubwolke war nicht zu sehen, nur Rufe zu hören

Was ein Glück, dachte sie, dass zumindest die Pferde eben gerade rechtzeitig herausgebracht worden waren.

Dann kamen zwei weitere Ritter aus dem Stall. Der eine stützte sich schwer auf den anderen, lief mit verkrümmten Rücken und schmerzverzerrtem Gesicht und sein linker Arm hing schlaff an seiner Seite runter.

Auf der Stelle waren weitere Ritter zu ihm geeilt und zu dritt geleiteten sie ihn hinüber zur Ritterschaft.

Die Prinzessin schaute ihnen besorgt hinterher. Bisher war ihr noch gar nicht in den Sinn gekommen, dass die Ritter, die im Stall waren, um die verschütteten Kameraden zu suchen und die Pferde hinaus zu bringen, ja auch in Lebensgefahr sein könnten.

Doch das war zu kurz gedacht gewesen, denn nachdem ein Teil des Daches bereits eingestürzt war, stand der Rest ja nicht zwangsweise stabil.

Und ihr Bruder war auch noch mit im Stall drinnen!

Ihre Aufregung wuchs auf der Stelle wieder, doch mehr als bisher konnte sie auch jetzt nicht machen.

So musste sie sich weiter gedulden. Nur dass sie eben jetzt bei jedem Geräusch und jedem Rufen, das sie aus dem Stall hörte, leicht zusammen zuckte.

Die Zeit zog sich dahin, bis die Rufe wieder deutlich mehr wurden und sie im Stall anscheinend etwas gefunden hatten.

Aufgeregt stand sie da und wartete, genauso wie die anderen Ritter ringsum.

Es dauerte aber dennoch eine Ewigkeit, in der sie nur noch mehr das Schlagen und Scheppern von Dachziegeln hörte.

Dann kehrte erst einmal Ruhe ein, was sie nicht verstehen konnte.

Die Unruhe, die sie verspürte, war aber auch bei den anderen Umstehenden zu spüren.

Endlich kamen drei Ritter zum Eingang des Stalls und trugen einen vierten Ritter mit sich.

Isolda atmete erleichtert ein, hielt aber die Luft gleich an, denn so wie sie den Ritter trugen gefiel ihr das ganz und gar nicht.

Einer hatte die Füsse genommen, einer griff um die Hüfte und einer an den Schultern. Jedoch baumelten die Arme des getragenen Ritters herunter.

Direkt vor der Tür des Stalls legten sie ihn ab und jetzt erkannte Isolda auch Leonhard wieder, der die Schultern und den Kopf des Ritters gehalten hatte. Sein Gesicht war verschmiert vor lauter Staub und Schweiss und seine Hände waren blutig, wenn sie es richtig sah.

Die Prinzessin hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht einen kurzen Schrei auszustossen, als sie ihren Bruder so sah, wie er zerschunden über dem anderen Ritter kniete, das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt.

Einen Moment später hielt sie aber nichts mehr und sie lief direkt auf sie zu. Die umstehenden Ritter liessen sie selbstverständlich durch und als sie ankam kniete auch der Ritter gerade neben ihm nieder, der mit ihr und dem Vater gesprochen hatte.

Leonhard schüttelte traurig den Kopf.

»Winfried lag ganz unten unter den Trümmern.«

Erst jetzt blickte Isolda genauer auf den liegenden Ritter, dessen Kopf in einem seltsamen Winkel auf dem Hals hing. Und sie erkannte ihn wieder. Das war der freundliche Ritter gewesen, mit dem sie die paar Worte gewechselt hatte.

Sie erschrak und da schaute auch Leonhard zu ihr auf.

Die Augen ihres Bruders sahen unter all dem Schmutz im Gesicht müde und sehr traurig aus.

»Wir tragen ihn in die Ritterschaft«, sprach der andere Ritter.

Als Leonhard und die anderen wieder zupacken wollten, hielt sie der Ritter zurück und sagte: »Ihr habt heute schon genug getan.«

Dabei winkte er mit der Hand und von den umstehenden griffen sofort etliche zu, um den toten Kameraden aufzunehmen und über den Hof zu tragen.

Leonhard schaute sie nun an, wirkte erschöpft und niedergeschlagen und irgendwie kamen ihr seine Augen leer vor.

»Ich bin nur froh, dass du nicht mehr im Stall warst, Schwester«, sagte er dann.

»Ich auch«, antwortete sie, mit einem Kloss im Hals.

»Und es tut mir leid, dass nicht alle dieses Glück hatten.«

Sie griff ihrem Bruder an den Oberarm, er fasste ihre Hand mit seiner und drückte sie fest.

Was sie mehr machen sollte, als ihm auf diesem Wege ein wenig Trost zu spenden, wusste sie nicht, doch er schein dankbar zu sein.

»Wenn Ihr wollt, Prinzessin, dürft Ihr jederzeit gerne mit in die Ritterschaft kommen«, sprach der andere Ritter mit warmen Worten, der still neben ihnen beiden gewartet hatte.

Isolda schaute Leonhard an und nachdem er nickte, nickte auch sie und folgte den beiden.

Leonhard lief mit hängenden Schultern und müden Schritten.

All die Zeit, die sie draussen gewartet hatte, war er im Stall gewesen und musste geschuftet haben bis zum Umfallen, stellte Isolda fest. Zum einen mit Erschrecken, was er da alles hatte leisten müssen, zum anderen aber auch mit Respekt, vor der Leistung, die er vollbracht hatte.

Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal im Gebäude der Ritterschaft gewesen war.

In der grossen Halle, in die sie nun traten, war ein Leinentuch, wie sie es heute schon auf der Strasse draussen gesehen hatte, auf einem Tisch ausgebreitet und der tote Ritter darauf gelegt worden.

Drum rum standen einige Ritter, unter ihnen auch der erste verschüttete, der mit Kopfverletzungen recht schnell gerettet worden war und der eine, der mit dem hängenden Arm zum Schluss herausgebracht worden war. Sein Arm hing nun in einer Schlinge vor seinem Bauch.

Aus einem Nebenraum kam gerade Meister Mondschein, sah sie und ihren Bruder und eilte direkt auf sie zu.

»Wie geht es ihm?«, fragte der Ritter, der sie begleitet hatte, bevor ein anderer etwas sagen konnte.

»Den Umständen entsprechend. Das gebrochene Bein ist geschient. Er dürfte sich einige Rippen gebrochen haben, klagt aber über keine übermässigen Schmerzen, so dass wir hoffen, dass nichts weiter im Inneren des Körpers verletzt ist. Und einige Schürfwunden und Prellungen, die nicht weiter tragisch sind.

Ich denke, dass er wieder vollständig gesund werden wird.«

Das hörte sich beruhigend an, stellte Isolda fest.

»Nur leider haben nicht alle so viel Glück gehabt«, stellte Meister Mondschein traurig fest.

Weiter kam aber auch er nicht, denn in dem Moment kam ein Stallbursche in die Halle gerannt und rief: »Schnell, wir brauchen die Heilerin!«

Sofort hatten sich alle umgedreht und der Ritter neben Leonhard und ihr fragte auf der Stelle: »Was ist geschehen?«

»Hermann und Erna klagen über Magenschmerzen und mussten sich schon übergeben und ihre Tochter auch mehrfach, nur dass sie zudem noch ganz bleich und schwach da liegt und sich vor Schmerzen krümmt.«

Der Ritter entspannte sich wieder etwas, doch Isolda stutzte. Das waren doch die Eltern der kleinen Nora, die sie heute früh im Wald getroffen hatte, wenn sie sich nicht irrte. Sie erschrak.

Um sie herum funktionierten die Ritter allerdings deutlich schneller und sachlicher, denn schon waren zwei verschwunden und kamen sogleich mit der Heilerin zusammen wieder in die Halle zurück.

»Was ist denn geschehen?«, fragte sie den Stallburschen.

»Hermann und Erna und Nora, sie haben alle Magenschmerzen und erbrochen und die kleine Nora liegt bleich und schwach und vor Schmerzen jammernd nur da.«

Die Heilern schaute gross, nickte kurz und schaute zu ihnen herüber.

»Geht und kümmert euch um sie, hier ist das wichtigste erst einmal getan und dort werdet ihr gerade dringender gebraucht«, sprach der Ritter und nickte ihr zu.

Dann folgte die Heilerin dem Stallburschen und nur einen Moment später nahm auch Isolda die Beine in die Hände, um den beiden hinterher zu laufen.

Draussen im Hof musste sie ordentlich rennen, um die beiden wieder einzuholen, kurz bevor sie weiter hinten in einem der Bedienstetengebäude verschwanden.

Durch einen schmalen Gang und eine Treppe nach oben folgten sie dem Stallburschen, der gleich drei Stufen auf einmal nahm und daher ungeduldig oben an der Treppe wartete, bis die beiden Frauen die Treppe hinterher hinauf geeilt kamen.

Dann betraten sie eine kleine Wohnung und standen in der Stube, vor einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen und einer Eckbank, einer Kochstelle und einigen Utensilien und Habseligkeiten. An den Wänden hingen alle möglichen kleinen Stickereien und getrocknete Blumen als Deko.

Im Raum duftete es noch gut nach Essen, nach gekochtem Fleisch und Pilzen.

Der Prinzessin rutschte das Herz in die Hose und ein sehr böser Verdacht keimte in ihr auf.

Aus dem Nebenzimmer kam nun ein Mann herüber, den Isolda als Hermann wiedererkannte, den sie seit eh und je aus dem Stall her kannte.

Er hielt sich eine Hand auf den Bauch und lief nach vorne gebeugt.

»Gut, dass du da bist«, sprach er zur Heilerin.

»Nora liegt nebenan im Bett.«

Sofort eilten sie weiter und betraten das Nachbarzimmer, das so klein war, dass neben einem Bett, einer Truhe und einem Stuhl kaum noch etwas hinein gepasst hätte.

Dort sass Erna auf dem Bett, hielt in der einen Hand die kleinere Hand ihrer Tochter und strich ihr mit der anderen Hand über den Kopf.

Nora lag zusammengerollt, zitternd und kreide bleich im Bett und nahm gar nicht wahr, dass wer gekommen war.

Erna schaute sie aus verweinten Augen an und die Heilerin hatte sich sofort neben das Bett gekniet.

»Habt ihr etwas Schlechtes gegessen?«, fragte sie Erna sofort.

Die schüttelte den Kopf und ihr Mann sprach von der Tür hinter ihnen: »Das Stück vom Schwein war ganz frisch und alle anderen aus dem Stall, die auch heut vom gleichen Tier etwas gegessen hatten haben nichts. Und die Pilze hat Nora heute frisch im Wald gesammelt.«

Isolda zuckte zusammen. Dann kniete sie sich ebenfalls neben die Heilerin und streichelte das Mädchen am Kopf.

»Nora, hörst du mich?«, fragte sie.

Das Mädchen öffnete die Augen, das Gesicht vor Schmerzen verzerrt, und brauchte einen Moment, bis sie die Prinzessin erkannte.

Ganz leise hauchte sie: »Ja.«

Isolda erschrak, denn das Mädchen war in keinem guten Zustand.

»Hast du noch andere Pilze mitgenommen, ausser denen, die wir gemeinsam gesammelt hatten?«

Das Mädchen reagierte zwar auf die Worte, antwortete aber nicht.

Eindringlich fragte Isolda daher noch einmal: »Nora, hast du noch andere Pilze eingesammelt und mitgenommen?«

Die kleine schaute sie mit grossen Augen jetzt direkt an: »Aber sie sahen doch so gut aus und waren auch lecker.«

»Hast du die gepflückt, bei denen wir nicht sicher waren und ich gesagt habe, dass du sie stehen lassen sollst?«

Isoldas Herz begann zu rasen. Sie hoffte inständig, dass das Mädchen es verneinen würde.

Doch sie nickte nur sachte und Tränen kullerten aus ihrem Augen.

»Los, lauf und hole Meister Mondschein her, sie hat wohl eine schwere Pilzvergiftung und ich kenne mich damit zu wenig aus«, hörte sie die Heilerin neben sich sagen.

»Bin schon weg«, antwortete der Stallbursche, der sie geholt hatte und schon hörte sie ihn aus dem Zimmer und die Treppe hinunter rennen.

»Wir müssen ihren Magen leer bekommen«, sprach die Heilerin, »hat sie erbrochen?«

»Drei mal«, antwortete die Mutter unter Tränen, krümmte sich ebenfalls und klammerte sich fester an ihre Tochter.

Isolda schluckte. Dann dürfte nichts mehr von den Pilzen im Magen des Mädchens sein.

»Beim letzten Mal hat sie nur noch bittere Galle gewürgt und nichts weiter heraus gebracht.«

Auch die Heilerin schaute nun betreten drein und wusste wohl selbst auch keinen Rat mehr, was noch für sie getan werden konnte.

»Ihr Puls rast wie verrückt«, murmelte die Heilerin nach einem Moment. Sie hielt ihre Finger an den Hals des Mädchens.

Isolda meinte, dass die Heilerin genauso nervös war wie sie und nur auf Meister Mondschein wartete. Und mit ihnen Erna, die immer noch weinend bei ihrer Tochter sass, sowie Hermann, der in der Tür stand und den Eindruck machte, jeden Moment umzufallen.

Dann hörten sie endlich Schritte auf der Treppe, schnelle von dem Stallburschen und langsame, die hoffentlich zu Meister Mondschein gehörten.

Es war Meister Mondschein, der kurz nach dem Burschen ziemlich ausser Atem im Zimmer erschien.

Vor lauter Schnaufen konnte er erst einmal nichts sagen, so dass die Heilerin kurz und knapp berichtete: »Vermutlich eine Pilzvergiftung. Sie hat sich mehrfach übergeben, der Magen sollte leer sein, ihr Puls rast, sie ist aber ziemlich schlapp und kaum ansprechbar.«

»Weiss man welche Pilze?«, fragte Meister Mondschein immer noch schnaufend.

»Sie sahen aus wie Stockschwämmchen, doch war ich mir nicht sicher, so dass ich ihr gesagt habe, dass sie sie stehen lassen soll.«

Das Gesicht des Gelehrten verdüsterte sich, seine Augenbrauen zogen sich zusammen und die Augen wurden zu Schlitzen.

Er trat vor und fühlte selbst noch einmal den Puls des Mädchens, griff ihr an die Stirn.

»Wenn sie anstatt Stockschwämmchen nun den giftigen Häubling gegessen hat, dann kann ich auch nichts weiter tun«, sagte er traurig.

Er schaute ihre Mutter an.

»Wie viel von den unbekannten Pilzen hat sie denn gegessen?«

Die Mutter schaute ihn gross an: »Ich weiss es nicht genau. Wir haben ja alle von gegessen und meinem Mann und mir geht es zwar auch nicht gut, aber lange nicht so schlecht wie Nora. Die Pilze sahen alle geniessbar aus, dass ich nicht sagen kann, wie viele es vielleicht doch nicht waren.«

»Sie hat wahrscheinlich im Wald schon welche gegessen, wie bei den anderen Pilzen auch«, sprach die Prinzessin leise und das Mädchen nickte nach einem Moment ganz sachte zur Bestätigung

Meister Mondschein stand da und nach einem Moment schüttelte er traurig den Kopf. »Ich weiss an der Stelle auch kein Mittel mehr. Ich hoffe nur, dass sie nicht zu viele gegessen hat und ihr Körper es schafft.«

Die Prinzessin war geschockt. Sollte das etwa heissen, dass sie nichts für die arme kleine Nora tun konnten?

Wieder begann sie nun zu krampfen, krümmte sich, zog die Arme vor den Körper und würgte. Nach einem Moment spuckte sie aber kaum Flüssigkeit aus. Das kleine Mädchen weinte und schien starke Schmerzen zu leiden.

»Ich gehe schnell und mache ihr einen Sud aus Kräutern, der den Magen beruhigt und etwas die Schmerzen lindert«, sprach die Heilerin und stand auf.

Auch Meister Mondschein verabschiedete sich und versprach nachher noch einmal vorbei zu schauen.

Isolda blieb aber noch bei Nora und ihrer Mutter sitzen.

Der Atem ging immer flacher und das Mädchen sackte immer mehr in sich zusammen, bis die Heilerin nach einer gefühlten Ewigkeit mit einem Becher voll Flüssigkeit wieder kam.

Sie nahmen Nora in den Arm und flössten ihr den Sud ein, wobei sie kaum reagierte und kaum schlucken konnte.

Die wenigen Schlucke, die sie zu sich nahm, erbrach sie aber auch keine Minute später wieder. Im Gesicht der Heilerin konnte Isolda Sorge und Schrecken lesen.

Sie hatte Angst, vor dem, was wohl unweigerlich kommen würde.

Und daher blieb sie auch mit Erna zusammen bei Nora, die noch zwei weitere Male krampfte und würgte, dazwischen immer wieder zusammensackte und wie leblos da lag.

Irgendwann setzte der kleinen Nora der Atem aus und auch Isolda liefen die Tränen, als ihre Mutter weinend neben ihrer Tochter sass und den leblosen Körper an sich drückte.

Schwarzes Herz

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